TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgaben 3/4 2020

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AKTUELL Interview

sprach exklusiv mit Professor Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates, über die Corona-Krise und was sie für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bedeutet, den EU-Wiederaufbaufonds und was der Brexit für Deutschland, die Europäische Union und das Vereinigte Königreich bedeutet. Das Interview führte Frederike Holewik.

– Die EU-Staaten haben sich auf Haushalt und ­Rettungspaket geeinigt. Allein das Rettungspaket umfasst 750 Milliarden Euro. Wie bewerten Sie diese Einigung? Das ist eine schwierige Frage, da sehr viele Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Das Dokument enthält einerseits den mehrjährigen Finanzrahmen, dann den Aufbaufonds und am Ende einen Ausblick auf eigene Einnahmen der Europäischen Union (EU). Es zeigt sich in der Corona­ krise, dass manche Mitgliedsstaaten damit besser umge-

– Wie kann noch verhindert werden, dass die EU eine Schuldengemeinschaft wird? Yves Mersch, der bald aus dem EZB-Rat ausscheiden wird, hat immer gesagt, sobald man eine gemeinsame Notenbankbilanz hat, hat man im Grunde schon eine Transferunion. Und natürlich stimmt das auch. ­Schließlich handelt es sich um eine Form von Risikoausgleich, der über die EZB-Bilanz läuft. Insofern ist dieser Schritt schon mit dem Mastricht-Vertrag unternommen ­worden. Auch durch den EU-Haushalt haben wir bereits

„Die Höhe der Versch hen können als andere. Insofern ist auch ein gewisses Maß an europäischer Solidarität angezeigt. Wenn man es rein makroökonomisch betrachtet, muss man sagen: Die Euro­ päische Zentralbank (EZB) macht derzeit viel – wie etwa die Liquiditätsmaßnahmen über Anleihekäufe in Höhe von einer Billion Euro. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist dies auch ein stückweit notwendig. Denn wir können uns nicht erlauben nach diesem Pandemiejahr in eine weitere EU-Schuldenkrise zu geraten. Da einige EU-Länder übermäßig verschuldet sind, muss man sich fragen, ob diese Maßnahmen in ihrer Struktur geeignet sind, dafür zu sorgen, dass sie bevor die nächste Krise kommt, besser dastehen. Ansonsten werden wir ihnen dann noch viel stärker unter die Arme greifen müssen. Mit dem Rettungspaket erhält die EU erweiterte Kompetenzen zur Verschuldung und Besteuerung. Wenn man auf der Finanzierungsseite Besteuerungsinstrumente schafft oder über die Verschuldung auch dazu gezwungen ist, deutet vieles darauf hin, dass wir in Richtung eines europäischen Bundesstaates gehen. Die Entscheidungsträger müssen sich fragen, ob das verfassungskonform ist. Allein der Verweis darauf, das Paket sei nur temporär, zieht bei über 30 Jahren Laufzeit nicht. Das ist kein Liquiditäts­ kredit, da geht es um mehr.

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eine Transferunion. Aus dem Strukturfonds werden keine ­Kredite vergeben, sondern Zuschüsse gezahlt. Die Höhe der Verschuldung ist das Neue und die lange Laufzeit. Temporäre Maßnahmen gab es früher auch schon in Form von Zahlungsbilanzkrediten in den 1970er Jahren. Von den Alternativen ist eine Abwicklung über die EU und den EU-Haushalt noch am ehesten erträglich. Gesamtschuldnerische Anleihen, wie sie diskutiert worden sind, sogenannte Coronabonds, sind viel problematischer. Dann lieber eine Verschuldung der EU mit Garantien der Mitgliedsstaaten. Dabei ist die Verschuldung auf die ­Garantiehöhe begrenzt. Ob wir da rauskommen, hängt davon ab, ob wir nach der Laufzeit auch sagen, jetzt ist Schluss mit der Verschuldung. –  Welche Implikationen hat es, wenn immer höhere ­Schulden von den Notenbanken mitgetragen werden? Die Verschuldung hat eine Laufzeit von 37 Jahren, aber der Knackpunkt könnte viel früher kommen. Sollten wir in der nächsten Krise feststellen, dass die Maßnahmen nicht gewirkt haben, gibt es nur wenige Optionen. Entweder müsste die EZB voll eintreten oder es käme zu einem e­ chten Bail-out, bei dem die Mitgliedstaaten ein in ­Bedrängnis geratenes Land unterstützen müssen.

TREND 3/4 2020


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