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Digitalisierungsschub durch Corona Prof. Dr. Christoph Straub

Digitalisierungsschub durch Corona

Mit der Pandemie hat das deutsche Gesundheitswesen den angeschaltet. Doch dieser Wandel braucht Orientierung und ethische Leitplanken.

Die Corona-Pandemie stellt auch Deutschland vor große Herausforderungen. In allen Bereichen wirkt sich das Virus aus. Schon heute zeigen sich deutliche Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wir rücken näher zusammen, obwohl wir doch gleichzeitig auf die Abstandsregeln achten müssen. Obwohl die Pandemie noch mitten im Gange ist, führt sie uns schon jetzt deutlich vor Augen, dass unser Land auch diese Herkulesaufgabe meistern kann. Das gilt insbesondere fürs Gesundheitswesen. Trotz erneut stark steigender Infektionszahlen geht es nicht in die Knie. Im Gegenteil, wir sind gut gewappnet für die zweite Welle, in der wir schon mittendrin stecken. Das erste halbe Jahr zumindest haben wir die Krise relativ gut überstanden. Das ist auch deshalb gelungen, weil sich das deutsche Gesundheitssystem als robust, belastbar,

Prof. Dr. Christoph Straub

Vorstandsvorsitzender der BARMER

„Die BARMER hat einen Kanon an Werten aufgestellt, die beschreiben, in welchem ethischen Rahmen wir den digitalen Fortschritt mitgestalten wollen.“

leistungs- und vor allem rasch entwicklungsfähig erwiesen und schnell auf Krisenmodus geschaltet hat.

Doch nicht in allen Bereichen zeigt sich unser Gesundheitssystem so flexibel wie derzeit im Corona-Krisenmanagement. Jahrzehntelang musste sich das Gesundheitswesen den Vorwurf gefallen lassen, vor allem beim Thema der Digitalisierung hinterherzulaufen. Und dieser Vorwurf war durchaus berechtigt. Denn trotz vieler guter Ideen und beeindruckender Beispiele kam der Gesundheitssektor beim Thema Digitalisierung lange nicht von der Stelle. Andere Branchen waren Deutschlands Ärzteschaft, Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Apotheken und nicht zuletzt auch Krankenkassen weit voraus bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse.

Doch Corona hat überall Wirkung gezeigt. Die Pandemie führte neben anderen Branchen, wie beispielsweise dem Einzelhandel und der Gastronomie auch im Gesundheitswesen zu einem deutlichen Schub bei der Digitalisierung. Die Krise beschleunigte damit eine Entwicklung, die durch die Politik auf Bundesebene bereits angestoßen worden war, vor allem durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz, das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Patientendaten-Schutz-Gesetz. Covid-19 zündete dann den Digitalisierungsturbo im Gesundheitswesen. Das beste Beispiel dafür ist die Videosprechstunde. Deren Steigerungsraten sind beeindruckend. Laut einer repräsentativen Studie der Stiftung Gesundheit in Zu-

sammenarbeit mit dem health innovation hub haben bereits 52,3 Prozent der Ärztinnen und Ärzte erste Erfahrungen mit der Videosprechstunde gemacht.

Auch die Versicherten der BARMER haben neue Möglichkeiten ausprobiert. Seit Beginn der Corona-Krise greifen sie deutlich stärker auf digitale Angebote ihrer Krankenkasse zurück. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch die zeitweilige Schließung der BARMER-Geschäftsstellen während des Lockdowns. Im

Digitalisierungsschub durch Corona

Foto: AdobeStock©Rido

ersten Halbjahr 2020 ist die Zahl der Downloads der BARMER-App, mit der Anliegen bequem mit dem Smartphone oder Tablet erledigt werden können, um fast 20 Prozent gestiegen. Und die Zahl der digital eingereichten Anträge auf Mutterschaftsgeld wuchs um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Aber auch digitale Präventions- und Versorgungsprogramme haben in der Corona-Krise die Chance, sich stärker zu etablieren. So sind Rehasport und Nachsorge auch mit virtueller Hilfe möglich. Die BARMER hat entsprechende Angebote ausgebaut und in kurzer Zeit neue digitale Services eingeführt. Dazu gehören diverse Schulungsformate des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, eine Hebammenberatung für werdende und junge Eltern oder auch die Initiative „Ich kann kochen!“, bei der wir Lehrerinnen und Lehrern sowie Erzieherinnen und Erziehern von Kitas und Grundschulen praktisches Ernährungswissen nun auch digital vermitteln.

Und zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir eine sehr erfolgreiche Corona-Sprechstunde über den Teledoktor angeboten. Diese Beispiele zeigen, dass die Krankenkassen während der Pandemie neue digitale Lösungen gesucht und verstärkt umgesetzt haben.

All dies deutet darauf hin, dass die Beteiligten für digitale Angebote grundsätzlich aufgeschlossen sind. Zugleich zeigt sich aber auch in Teilen der Ärzteschaft immer noch Skepsis. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sehen sich einer ganzen Reihe von Anforderungen gegenüber, die mit der Digitalisierung verbunden sind. Ein Beispiel ist die Implementierung der Telematik-Infrastruktur in den Praxen, zum Beispiel der Konnektoren. Arztpraxen sind zudem gefordert, im kommenden Jahr AU-Bescheinigungen digital an die Kassen zu senden und die elektronischen Patientenakten (ePA) zu füllen. Sie spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Denn ohne ihre Mitwirkung lässt sich das große Potenzial der ePA nicht erschließen.

Allerdings dürfen wir uns vom digitalen Wandel nicht überrollen lassen. Es braucht Orientierung und ethische Leitplanken, damit wir die Digitalisierung steuern und nicht sie uns. Die BARMER hat deswegen einen Kanon an Werten aufgestellt, die beschreiben, in welchem ethischen Rahmen wir den digitalen Fortschritt mitgestalten wollen. Allen voran steht hier natürlich das Thema Datenschutz. Den Menschen ist es besonders wichtig, dass ihre Gesundheitsdaten sicher sind. Wir schützen die Privatsphäre und das Recht, über Preisgabe und Verwendung der eigenen Gesundheitsdaten zu bestimmen, und wir zeigen, welche Daten wofür genutzt werden.

Die zunehmende Digitalisierung eröffnet neue Felder in der medizinischen Versorgung. Sie bietet viele Chancen, man darf aber auch nicht vergessen, dass sie viel Geld kosten werden. Es ist gut angelegtes Geld, wenn diesem Aufwand immer ein entsprechender Nutzen gegenübersteht. l

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