AKTUELL Digitalisierung
Digitalisierungsschub Mit der Pandemie hat das deutsche Gesundheitswesen den angeschaltet. Doch dieser Wandel braucht Orientierung und ethische Leitplanken.
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ie Corona-Pandemie stellt auch Deutschland vor große Herausforderungen. In allen Bereichen wirkt sich das Virus aus. Schon heute zeigen sich deutliche Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wir rücken näher zusammen, obwohl wir doch gleichzeitig auf die Abstandsregeln achten müssen. Obwohl die Pandemie noch mitten im Gange ist, führt sie uns schon jetzt deutlich vor Augen, dass unser Land auch diese Herkulesaufgabe meistern kann. Das gilt insbesondere fürs Gesundheitswesen. Trotz erneut stark steigender Infektionszahlen geht es nicht in die Knie. Im Gegenteil, wir sind gut gewappnet für die zweite Welle, in der wir schon mittendrin stecken. Das erste halbe Jahr zumindest haben wir die Krise relativ gut überstanden. Das ist auch deshalb gelungen, weil sich das deutsche Gesundheitssystem als robust, belastbar,
Prof. Dr. Christoph Straub Foto: Mathias Kehren
Vorstandsvorsitzender der BARMER
„Die BARMER hat einen Kanon an Werten aufgestellt, die beschreiben, in welchem ethischen Rahmen wir den digitalen Fortschritt mitgestalten wollen.“
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leistungs- und vor allem rasch entwicklungsfähig erwiesen und schnell auf Krisenmodus geschaltet hat. Doch nicht in allen Bereichen zeigt sich unser Gesundheitssystem so flexibel wie derzeit im Corona-Krisenmanagement. Jahrzehntelang musste sich das Gesundheitswesen den Vorwurf gefallen lassen, vor allem beim Thema der Digitalisierung hinterherzulaufen. Und dieser Vorwurf war durchaus berechtigt. Denn trotz vieler guter Ideen und beeindruckender Beispiele kam der Gesundheitssektor beim Thema Digitalisierung lange nicht von der Stelle. Andere Branchen waren Deutschlands Ärzteschaft, Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Apotheken und nicht zuletzt auch Krankenkassen weit voraus bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse. Doch Corona hat überall Wirkung gezeigt. Die Pandemie führte neben anderen Branchen, wie beispielsweise dem Einzelhandel und der Gastronomie auch im Gesundheitswesen zu einem deutlichen Schub bei der Digitalisierung. Die Krise beschleunigte damit eine Entwicklung, die durch die Politik auf Bundesebene bereits angestoßen worden war, vor allem durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz, das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Patientendaten-Schutz-Gesetz. Covid-19 zündete dann den Digitalisierungsturbo im Gesundheitswesen. Das beste Beispiel dafür ist die Videosprechstunde. Deren Steigerungsraten sind beeindruckend. Laut einer repräsentativen Studie der Stiftung Gesundheit in Zu-
sammenarbeit mit dem health innovation hub haben bereits 52,3 Prozent der Ärztinnen und Ärzte erste Erfahrungen mit der Videosprechstunde gemacht. Auch die Versicherten der BARMER haben neue Möglichkeiten ausprobiert. Seit Beginn der Corona-Krise greifen sie deutlich stärker auf digitale Angebote ihrer Krankenkasse zurück. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch die zeitweilige Schließung der BARMER-Geschäftsstellen während des Lockdowns. Im
TREND 3/4 2020