4 minute read
BREXIT: Beide Seiten müssen sich bewegen Prof. Dr. Gabriel Felbermayr
BREXIT: Beide Seiten müssen sich bewegen
Foto: Jens Schicke
Nachdem die britische Regierung die Verhandlungen Anfang Oktober für gescheitert erklärt hatte, nahm sie sie nur wenige Tage später wieder auf.
Damit ein Abkommen bis Anfang 2021 ratifiziert und rechtlich umgesetzt werden kann, bleibt wenig Zeit.
Ob ein solches dann auch nationale
Parlamentsmehrheiten findet, ist ungewiss. Viele Fragen sind offen.
Der Güterhandel ist immer noch quantitativ von allergrößter Bedeu-
Prof. Gabriel Felbermayr, Ph.D.
Präsident, IFW Kieler Institut für Weltwirtschaft
tung für beide Seiten. In der Theorie sind sich London und Brüssel einig, dass Zölle und Mengenbeschränkungen vermieden werden müssen. Ein Vertrag nach Vorbild des CETAAbkommens mit Kanada würde dies leisten. Doch Brüssel lehnt eine solche Lösung ab und will auf Marktzutrittsbarrieren nur verzichten, wenn sich das VK auf gleiche Wettbewerbsbedingungen im Umwelt- und Sozialrecht sowie bei staatlichen Beihilfen verpflichtet. London ist aber gegen jede Art der regulatorischen Angleichung an die EU. Eine Lösung könnte sein, dass sich das VK verpflichtet, nicht hinter existierende Standards zurückzufallen, es aber zukünftige EURegeln nicht übernehmen muss.
Im Bereich der EU-Beihilfevorschriften fordert Brüssel nicht mehr, dass das VK die europäischen Regeln vollständig übernehmen muss, sofern seine Regelungen äquivalent zu jenen der EU sind. Allerdings hat London bisher nicht geklärt, wie sein künftiges Beihilferecht ausgestaltet werden soll.
Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die so genannten Ursprungsregeln. Diese legen fest, unter welchen Bedingungen ein aus dem VK in die EU exportiertes Gut zollrechtlich auch wirklich als aus dem VK stammend gilt, und umgekehrt. Mit diesen Regeln wird vermieden, dass Unternehmen aus einem Drittstaat zollfrei nach Großbritannien und von dort zollfrei weiter in die EU liefern, obwohl die EU mit dem Drittstaat keinen Freihandel vereinbart hat. Ursprungsregeln sind regelmäßig mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Sie bringen Hürden vor allem in hochgradig integrierten Lieferketten im verarbeitenden Gewerbe in Sektoren wie der Automobilindustrie und der Lebensmittel- und Getränkeindustrie.
Aktuelle Forschung zeigt, dass die Sorge vor einem Unterlaufen des EU-Zollschutzes in der Realität häufig unbegründet ist. London drängt in diesem Bereich auf liberale Regelungen, gegen die sich Brüssel bisher wehrt. Hier könnte man dem VK entgegen gehen, zum Beispiel, indem nur für jene Waren Ursprungsnachweise nötig sind, für die sich die externen
Hop oder top: Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über ein Freihandelsabkommen gestalten sich auch im neuen – und vermutlich letzten Anlauf – als sehr schwierig.
Zölle der EU von jenen des VK hinreichend stark unterscheiden.
Der Dienstleistungshandel bekam in den Verhandlungen bislang wenig Aufmerksamkeit, weil das VK offiziell ein CETA-ähnliches Abkommen anstrebt, das ohnehin geltendem WTO-Recht sehr nahe kommt. Zölle auf Dienstleistungen existieren nicht. Ursprünglich strebte das VK eine halbautomatische Anerkennung von Berufsqualifikationen an, was Brüssel aber bisher nicht akzeptierte. Hier ist ein Kompromiss vorstellbar, da es zuletzt Bewegung auf beiden Seiten gab.
Uneinigkeit besteht weiterhin, wie das Gesamtabkommen strukturiert wird. Die EU drängt auf ein einziges übergreifendes Abkommen, wie sie das auch für die Schweiz anstrebt, während das VK eine Sammlung von Abkommen wünscht. Möglich erscheint ein Mantelabkommen, das zukünftige Abkommen integriert und systematisiert.
Auch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere im Kontext der Streitbeilegung, ist umstritten. Das VK sträubt sich gegen jede Regelung, die britische Gesetze einer Zuständigkeit des EuGH unterwerfen würde, während die EU argumentiert, dass die Rolle des EuGH als oberste Rechtsinstanz für die Konsistenz des Acquis Communautaire unerlässlich sei. Dieses Argument ergibt nur Sinn, falls tatsächlich über die Regelungen bisheriger Abkommen, etwa CETA, in erheblichem Ausmaß hinausgegangen wird.
Neben diesen „Governance“-Fragen bereitet auch der einzigartige Status Nordirlands – als Teil der britischen Zollunion, aber de facto Teil des EU-Binnenmarktes – weiterhin Kopfschmerzen. Die Londoner Regierung ist nach wie vor nicht in der Lage, den Unternehmen in der Region klare Vorgaben zu machen, wie der Handel ab dem 1. Januar nächsten Jahres praktisch abgewickelt werden soll.
Ein Beispiel für die hohe Komplexität ist die Administration von Mengenbeschränkungen gegenüber Drittstaaten. So wäre es logisch, wenn EU-Zollkontingente nicht für Güter gelten, die nach Nordirland geliefert werden, weil das Gebiet ja nicht Teil der EU-Zollunion ist. Die WTOgebundenen Zollkontingente der EU sollen ja nach vollzogenem Brexit zwischen der EU und dem VK aufgeteilt werden, wobei nordirische Importeure Zugang zu den Anteilen des VK hätten. Es ist praktisch aber nur schwer möglich zu verhindern, dass Waren, die im Rahmen eines Zollkontingents nach Irland eingeführt werden, im Norden der Insel konsumiert werden, da es keine Handelsgrenzen zwischen Irland und Nordirland geben soll.
Auch in der Fischerei – für beide Seiten von hoher symbolischer und politischer Bedeutung – gab es noch keine Fortschritte. Zwar hat die EU von ihrer (unhaltbaren) Forderung Abstand genommen, die Fangquoten unverändert zu lassen, aber über die Details der neuen Quotenzuweisungen ist noch nichts bekannt.
Beide Seiten müssen sich bewegen, soll es nicht zu einem harten Bruch Anfang 2021 kommen. Der wäre auf beiden Seiten des Ärmelkanals ein heftiger Dämpfer für erhoffte neue Konjunkturdynamik. l