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Gemeinsam zur

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Die EU hat bis 2050 Klimaneutralität beschlossen. Die Bundesregierung ist mit Klimazielen bisher am unteren Rand geblieben, um der Wirtschaft Belastungen zu ersparen. Jetzt muss sich Deutschland jedoch darüber klar werden, wie es das Ziel bis 2050 erreichen kann ohne seine industrielle Basis zu schwächen.

Gemeinsam zur Klimaneutralität 2050

Trotz aller Unzufriedenheit, die es mit Politik immer geben muss, sind wir in Deutschland in den letzten Jahren doch einigermaßen durch den Winter gekommen. Wir haben unsere industrielle Basis bewahrt, wir haben unseren Mittelstand bewahrt, wir haben Wachstum oberhalb des Potenzialwachstums gehabt, und wir haben eine Rekordzahl an Beschäftigung gesehen. Das war die Situation vor Corona. Aber auch schon damals hatten wir bereits strukturelle Probleme. Beispielsweise die internationalen Veränderungen im Hinblick auf die Digitalisierung. Auch unsere Diskussionen im Hinblick auf den Klimaschutz sind ja keine neuen Diskussionen. Sie begleiten mich, seit ich Umweltminister bin, und das ist immerhin rund acht Jahre her. Seither hat sich manches geändert, wo ich mich frage, ob wir die Leute nicht manchmal zur Verzweiflung treiben. Meine Vorgänger hatten noch erklärt, die EEG-Umlage werde nicht über 3,5 Cent steigen, mittlerweile liegt sie deutlich höher.

Und da fragen sich viele natürlich, wie weit sie noch steigen soll. Mit einer Strompreisbremse sind wir gescheitert. Aber wir haben es immerhin geschafft, durch marktwirtschaftliche Instrumente den Ausbau der erneuerbaren Energien günstiger zu machen. Deshalb ist die EEG-Umlage eben nicht auf zwölf Cent, sondern nur auf gut sechs Cent gestiegen. Das ist schon eine Leistung, weil sich der erneuerbare Strom im Netz in dieser Zeit verdoppelt hat. Und: Wir können heute froh sein, dass wir – entgegen

vielfach anders lautender Ratschläge – auch an der Photovoltaik festgehalten haben. Photovoltaikanlagen werden heute außerhalb des EEG gebaut, ohne Zulagen.

Alle unsere Klimapläne beruhen auf der Annahme, dass wir bis 2050 eine Reduzierung des fossilen CO2-Ausstoßes um 80 Prozent erreichen werden. Wir sind am unteren Rand geblieben, auch um der Wirtschaft Belastungen zu ersparen. Vor zwei Jahren hat Präsident Macron jedoch den Vorschlag gemacht, das Ziel zu verändern, hin zu Klimaneutralität 2050. Das hat der Europäische Rat im letzten Jahr quasi einstimmig – ohne Polen – beschlossen. Das ist keine rein quantitative Veränderung, das ist eine qualitative Veränderung. Weil es bedeutet, dass es dann quasi keine fossilen Emissionen mehr geben wird. Natürlich kann man über die Verfahren Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) oder Abscheidung und Verwendung von Kohlendioxid (CCU) reden. In Deutschland war es nur bislang nicht einmal möglich, hierzu ein einziges Demonstrationsprojekt zu errichten. Ob es uns je gelingen wird, wird sich zeigen.

Aber wir müssen natürlich darüber reden, wie wir die Klimaneutralität bis 2050 realisieren wollen. Das EU-Parlament hat kürzlich ein Zwischenziel vorgelegt, wonach der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 60 Prozent gegenüber 1990 sinken soll. Das heißt: Wir erleben im Moment einen Wettlauf der Ziele. Zum Beispiel bei den CO2-Emissionen im Automobilsektor. Das liegt auch daran, dass Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland hier nicht mehr die gleichen Ziele verfolgen und sich nicht mehr so einig sind, wie das einmal war. Deshalb müssen wir den Herausforderungen ins Gesicht blicken, ich kann Ihnen nichts versprechen, was ich nicht halten kann.

Was ich aber weiß ist: Egal ob der nächste Sommer ein verregneter wird, egal, wie die Corona-Infektionszahlen sich entwickeln – das Klimathema wird solange nicht von der Agenda verschwinden, bis wir nicht geklärt haben, wie wir das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 erreichen wollen. Ich bin der Präsidentin des Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, sehr dankbar dafür, dass sie gesagt hat, wir müssen den Emissionshandel zum Dreh- und Angelpunkt machen. Ja! Da rennt sie bei mir offene Türen ein. Aber die Frage ist dann eben auch: Haben wir den Mut, den Emissionshandel dann marktwirtschaftlich frei laufen zu lassen? Denn es bedeutet ja, dass die verfügbare Menge von CO2 in Richtung 2050 immer weiter sinkt; irgendwann werden es homöopathische Dosen sein, und dann ist ganz Schluss. Und das bedeutet, dass die Preise pro Zertifikat in den nächsten Jahrzehnten in enorme Höhen schnellen werden, was zu einer kompletten Transformation der Wirtschaft führen wird.

Darüber müssen wir reden. Mein Ziel ist es, die Wirtschaft zu unterstützen. Ich bin nicht derjenige, der kleinteilig regulieren will. Aber ich möchte derjenige sein, der hilft, dass der Industriestandort Europa auch in Zukunft erhalten bleibt. Und das ist nicht immer einfach. Wenn ich in die Wirtschaft hineinhöre, bekomme ich leider sechs oder sieben verschiedene Positionen angeboten, jeweils aus Sicht der Betroffenen gut begründet und belegt; aber wenn die Wirtschaft will, dass die Politik mit der Wirtschaft gemeinsam etwas verändert, dann müssen wir zusammen ein kohärentes Leitbild entwickeln. Und ich bin bereit, dabei auch in weitem Maße auf die Wirtschaft zu hören.

Wir müssen die Frage beantworten, wie wir gemeinsam das Ziel der Klimaneutralität 2050 erreichen. Das gilt für die Automobilindustrie, für die chemische Industrie, für Kupfer und Aluminium, letztlich für alle Bereiche, in denen CO2 emittiert wird. Beispiel Stahlindustrie: Hier bin ich sehr beeindruckt, wie proaktiv die Branche das Thema aufgegriffen hat. Heute wird Stahl durch den Einsatz von Kokskohle produziert. Das kann man weiter optimieren, noch eine ganze Reihe von Jahren lang. Aber solange man Kokskohle verwendet, wird man niemals klimaneutral Stahl produzieren. Die Stahlindustrie hat sich deshalb überlegt, Koks langfristig zunächst durch blauen, dann durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Sie plant also künftig mit einer komplett klimaneutralen Erzeugung.

Das hat mich dazu gebracht, auf Technologieneutralität zu setzen. Dann muss die Industrie aber auch sagen, welche Technologien sie braucht – damit wir als Politik zum Beispiel wissen, welche Ladeinfrastruktur für Autos und LKW wir unterstützen müssen.

Ich bin nicht derjenige, der der Wirtschaft Vorgaben macht. Ich stehe als Gesprächspartner bereit. Wir haben ungefähr zehn verschiedene Wege, die wir gemeinsam gehen können, es ist aber klar, dass alle diese Wege auf die Klimaneutralität 2050 hinauslaufen. Damit sind enorme Ge-

Peter Altmaier MdB

Bundesminister für Wirtschaft und Energie

„Ich komme immer gerne zum Wirtschaftsrat, weil hier Fachleute anwesend sind, die sich nicht nur theoretisch mit den Themen befassen, sondern sie ganz konkret in ihre Geschäftsmodelle übersetzen müssen und wissen, wie die Dinge in der Praxis aussehen.“

schäftschancen und große Chancen auf neue Wertschöpfung verbunden. Genauso klar ist aber auch, dass bis heute funktionierende Geschäftsmodelle bedroht sind.

Wir müssen darüber diskutieren, wie wir unseren Wohlstand erhalten. Das ist genau der Punkt, auf den ich meinen Amtseid geschworen habe. Und das können wir nur mit einer gut funktionierenden, optimistischen Wirtschaft. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen gemeinsam bewältigen können.

(Quelle: Auszüge Rede Energieklausur des Wirtschaftsrates 2020)

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