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Der Meister vergänglicher Baukunst

Seine schwingenden Schattendächer, Lehmhäuser, Ateliers und Open Air -Einrichtungen sind Orte der Verbindung –mit Menschen und mit der Natur. Ich ziehe den Hut vor dem Architekten Martin Pietsch und seiner schamlosen Begeisterung. Von Christa Dregger

«Letztes Jahr wollte ich sterben», sagt er. «Was? Wieso?» «Ich hatte Corona, es ging mir sauschlecht, ich hatte keine Lust mehr auf diese Dimension.» Er wollte, so fährt er fort, im Jenseits weiterlernen. Ausserdem habe hier keiner mehr Interesse an seiner Arbeit. Dachte er.

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Doch dann kam sein «grosser Bruder», wie er seinen alten Freund und Weggenossen Dieter Duhm nennt. «Er setzte sich an mein Krankenbett, nahm mich in den Arm und sagte mir zwei Dinge, die mich umdenken liessen. Nämlich: Du wirst noch gebraucht! Und: Wie kannst du jetzt sterben wollen, du weisst doch noch gar nicht, wer du bist.»

Martin Pietsch erhob sich vom Krankenlager und arbeitete wieder unermüdlich. Er tanzt, konstruiert, kocht, flirtet und redet mit Gästen und versucht herauszufinden, wer er ist. Und all das mit der ihm eigenen überschäumenden Lebensfreude.

Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids – und ein Quell unendlichen Trostes.

Marie von EbnerEschenbach

Ich traf den «Baukünstler» erstmals vor vielen Jahren im Südschwarzwald: Über einer Feuerstelle hatte er eine Konstruktion aus spitzen Zeltstoff-Dreiecken gespannt. Sie war von eigentümlicher Schönheit – erinnerte an einen Vogel, an Aufbruch, an Zukunft – und das bei aller Schlichtheit des Materials. Darunter waren die Menschen beieinander, in der Natur – und trotzdem geschützt. Es war das erste seiner vielen Baukunstwerke. Stets getragen von wilder Inspiration, stets pragmatisch umgesetzt, mit dem Geld und dem Material, das gerade zur Verfügung stand – seien es Verpackungssäcke, Strohballen oder Segeltuch.

Martin: «Wir brauchten damals eine Überdachung, um bei jeder Wetterlage am Feuer sitzen zu können. Wir wollten einen Raum schaffen, um mit Wind, Sonne und Regen in Kontakt und gleichzeitig geschützt zu sein.»

So begann seine Mehr-Zonen-und-Zyklen-Architektur. «Mir geht es darum, uns unabhängig von der Wettersituation in einem Baukörper so aufzuhalten, dass wir die Naturkräfte direkt erleben können. Und gleichzeitig vor ihnen geschützt zu sein, weil wir nicht frieren, nass werden oder schwitzen wollen.»

Martin Pietsch, geboren 1945 in Berlin in eine von Kriegstraumata verstörten Familie, suchte zunächst Heimat in seinem Engagement für die Kirche, studierte Design und war im Messebau tätig. Doch seine Liebe galt der Baukunst und dem Tanz. In der Bauhütten-Gemeinschaft fand er – viel mehr als auf der Hochschule – einen Weg, das zu verbinden.

«Mein künstlerischer Weg ist die Suche nach der Verbindung von Architektur und Kommunikation», er-

Martin Pietschs zentrale Frage: «Wie kann Baukunst die kommunikativen Prozesse in der Gemeinschaft allen Lebens unterstützen?» (Foto: Simon du Vinage)

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