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September März 2022 2012
| HISTORIE |
Mehr Schein als Sein. Könige der Hochstapler Teil 1: Graf Lustig verkauft den Eiffelturm DIE WELT DER HOCHSTAPELEI hat schon so manchem Schwindel zu ganz famos langen Beinen verholfen, ebenso aber auch so manch Leichtgläubigen zum Gespött der Öffentlichkeit gemacht. Manch Gauner stapelt eher unauffällig tief, manch andere so hoch, dass sie in der Geschichtsschreibung einen ordentlichen Nachhall hinterlassen. Wir wollen Sie an dieser Stelle mit den drei vielleicht ausgebufftesten historischen Fällen bekannt machen.
etwaigen Rostbefall geschützt zu sein, so hatte es einst dessen geistiger Vater Gustave Eiffel verfügt. Was allerdings auch ein jedes Mal mit enormen Aufwand einherging, an Zeit, Arbeit und Kosten. Und offenbar dazu führte, dass auch mehr als 30 Jahre nach der Einweihung des Bauwerks sich so manch Pariser mehr oder weniger vehement eine Dekonstruktion des ›Schandflecks‹ wünschte. All die 2,5 Millionen Nieten, die den Turm zusammenhielten, rausschlagen, das Eisen zum Altmetall geben, fertig. Vicor Lustig sah von seiner Zeitung auf, blickte über den Platz Trocadéro und die sich anschließenden Parkanlagen hinweg, blickte auch über die Pont d’Iéna und weiter, bis hin zu jenem Turmgebilde, dass sich am anderen Ufer der Seine mit seiner markanten Form in den Himmel erhob — und begriff, wie er seinem Geldbeutel im Handstreich die Leere würde austreiben können: Er würde genau diesen Wunsch aufgreifen und ›Wirklichkeit‹ lassen. Es bedurfte im Grunde genommen nur weniger Vorbereitungen … ARISTOKRATISCHER GENTLEMANGAUNER Der Mann, der hier an jenem Maitag 1925 gerade den Einfall seines Lebens hatte, ist ein Mensch, bei dem sich Wahrheit und Lüge wie selbstverständlich die Hand reichen. Vermutlich ist er zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alt, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hat er zu diesem Zeitpunkt bereits unter mehr als einem Dutzend verschiedenen Identitäten gelebt. Lange Jahre in Europa, zuletzt in den USA. Hier und da durfte er sich mittlerweile auch nicht mehr blicken lassen. Glaubt man der Lebensgeschichte, die
über ihn kolportiert wird, dann wurde Victor Lustig 1890 in Böhmen geboren. Mit einem wohlhabenden Bürgermeister zum Vater hatte Victor offenbar auch alle Anlagen für einen grundsoliden Werdegang, besuchte Schulen in Wien und Dresden, lernte mehrere Sprachen, wurde 19-jährig nach Paris geschickt, um sich an der Universität das Rüstzeug für eine Karriere als Jurist zu holen. Die allerdings alsbald in den Hintergrund trat, weil Victor sich längst für einen anderen Karriereweg entschieden hat: den des Trickbetrügers. Taschendiebstähle, Kartentricks und andere Kleinbetrügereien markierten
Fotos: Wikipedia
E
s könnte sich in etwa so abgespielt haben: Victor Lustig saß in einem Café am rechten Ufer der Seine und las in seiner Zeitung. Der Frühling war in Paris angekommen, im Wonnemonat Mai schien alles vor Energie und Drang nach Neubeginn um ihn herum zu sprühen. Natur, Menschen, alles wirkte wie frisch erwacht und zu Betriebsamkeit entfacht. Auch Victor Lustig stand der Sinn nach Aufbruch und Veränderung, vor allem aber danach, eine Möglichkeit zu finden, seinem zuletzt recht luftig gewordenen Geldbeutel wieder zu mehr Fülle zu verhelfen. Zu schmal waren seine Einnahmen die letzten Monate gewesen, zu luxuriös zugleich der Lebensstil, den er sich angewöhnt hatte — und eigentlich auch nicht missen mochte. Hier in Paris kannte man ihn nur als Graf Victor Lustig, hier in Paris stieg er nur in den besten Häusern ab, trat stets elegant und perfekt gekleidet und mit vornehmer Zurückhaltung auf — war ganz klar als Mann von Welt und Format erkennbar. Doch die fortwährende Erhaltung dieser Fassade wollte finanziert werden, um weiterhin wirkungsvoll ihren Glanz nach außen tragen zu können. Da erging es ihm nicht anders als diesem Eiffelturm, der gerade und wieder einmal die Schlagzeilen der Zeitung vor ihm einnahm. Als vermeintlich letztes sichtbares Überbleibsel der Weltausstellung von 1889 wurde der eiserne Turm in regelmäßigen Abständen zum Gegenstand öffentlicher Debatten, in denen sein Fortbestand verhandelt wurde — genau genommen immer dann, wenn eine weitere Wartung der gigantischen Metallkonstruktion anstand. Alle sieben Jahre müsse der gesamte Turm einen neuen Anstrich erhalten, um vor