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KAMENZ
UNTER ENGELN
DIE KLEINE PILGERKIRCHE ST. JUST IN KAMENZ ZIEHT SEIT JAHRHUNDERTEN REISENDE IN IHREN BANN. EIN GRUND DAFÜR ERSTRAHLT NUN WIEDER IN SCHÖNSTER PRACHT.
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Kreuzgewölbe ©Carsta Off
Das 15. Jahrhundert hatte gerade begonnen, als ein böhmischer Künstler mit seinen Gehilfen erstmals Hand anlegte. Viel weiß man nicht über ihn, nicht einmal sein Name ist überliefert, aber offenbar war er ein Meister seines Fachs. Engel hatten seine Auftraggeber bestellt und biblische Szenen, die das Kamenzer Pilgerkirchlein zum Lob Gottes verschönern sollten. St. Just wird es heute genannt und wurde vermutlich um das Jahr 1300 dem heiligen Jodokus geweiht, einem bretonischen Königssohn, der die Mönchskutte der Herrscherkrone vorgezogen hatte und als Patron frommer Pilger gilt. Gut möglich, dass der Künstler zuvor am Prager Hof des glücklosen Böhmenkönigs Wenzel IV. sein Handwerk ausübte. Dessen ungleich erfolgreicherer Vater Kaiser Karl IV. hatte zuvor für eine boomende Wirtschaft in Böhmen gesorgt, was auch die Kunst zu einer neuen Blüte brachte. Und was damals bei Hofe gerade recht war, sollte nun auch in Kamenz für einen neuen Glanzpunkt sorgen.
Marienkrönungsaltar ©Carsta Off
DIE RÜCKKEHR DER JUNGFRAUEN
Rund 600 Jahre liegen die Zeiten zurück, als der Meister frischen Putz für seine Fresco-Malerei anrührte, die ersten Figuren zwischen den Gewölberippen skizzierte und sein Kunstwerk mit viel Freude am Detail vollendete. Auf die Fertigstellung folgten bewegte Jahrhunderte: Die Reformation nahm ihren Lauf und irgendwann verschwanden die Engel, die Heiligen Drei Könige und der gekreuzigte Heiland ebenso unter einer Schicht Farbe wie die „klugen und törichten Jungfrauen“ oder die Gewölbeengel. Dass Pfarrer Michael Gärtner im Jahr 2019 wieder in diesem farbenprächtigen Altarraum predigen kann, grenzt an ein Wunder. Dieses Wunder hat mit der Wiederentdeckung der Wandmalereien in den1930er-Jahren zu tun, aber auch mit dem großen Engagement seiner Kirchgemeinde. Denn die Zeit und Feuchtigkeit hatten tiefe Spuren in den mittelalterlichen Mauern hinterlassen. So brauchten die Kamenzer Enthusiasten einen langen Atem, bis alle Feuchtigkeitsprobleme behoben wurden und die aufwendige Restaurierung Ende 2018 abgeschlossen war. Seitdem wird St. Just von immer mehr Menschen besucht – „selbst viele Kamenzer hatten keine Ahnung, welches Schmuckstück sie in ihrer Nähe haben“, sagt Michael Gärtner. Viele Beerdigungen hält er in der kleinen Kirche am größten Friedhof der Stadt und immer wieder auch andere Gottesdienste. In der Renovierungsphase, erzählt er, habe er gern „mit den Engeln Aug in Aug“ auf dem Gerüst gestanden. Besonders beeindruckt den Pfarrer, „dass jeder der Engel eine ganz eigene Persönlichkeit hat“, was sich auch von unten gut erkennen lässt.
FEINSTE SAKRALKUNST
Die filigrane Handschrift des Künstlers und die Liebe zum Detail machten auch für die Kunsthistorikerin Dr. Sylke Kaufmann den Zauber dieser Kirchgestaltung aus. Sie verweist auf die schlank und elegant gezeichneten Figuren und, soweit noch erkennbar, deren feine Mimik. „Weil etliche dargestellte Personen sehr modische, zeitgenössische Kleidung tragen, können wir die Malereien relativ sicher um das Jahr 1400 datieren“, sagt Kaufmann. Auch die verwendete Mischtechnik sei damals recht verbreitet gewesen: „Wenn die Fresco-Malerei auf frischem Putz getrocknet war, wurden häufig feinere Elemente in Secco-Technik hinzugefügt“, erklärt sie. Darum seien bei vielen Figuren keine Gesichter mehr zu erkennen, weil diese Trockenmalerei weniger haltbar ist. Dennoch ist sie sicher, dass es in ganz Deutschland nur wenige mittelalterliche Wandmalereien von dieser Qualität gibt, und „wenn man die böhmische Prägung der Kunstwerke einbezieht, sind sie zweifellos einzigartig.“
Damit möglichst viele Kamenz-Besucher einen Blick in die St. Just-Kirche werfen können, will Pfarrer Gärtner nun verlässliche Öffnungszeiten organisieren. Nicht zuletzt, weil die Kirche direkt am ökumenischen Pilgerweg „Via Regia“ liegt. Bis es soweit ist, rät er den Gästen, „einfach während der Geschäftszeiten freundlich bei der Friedhofsverwaltung um Einlass zu bitten“. Gruppen können bei den Städtischen Sammlungen Kamenz Führungen buchen.