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BAUTZEN

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ZITTAU

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TURMGESCHICHTEN

ÜBER DEN DÄCHERN WARTET EIN NEUER BLICK AUF BAUTZEN – UND DAS IN ETLICHEN VARIANTEN.

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EIN ORTSBESUCH AUF UND IN DEN TÜRMEN DER STADT.

Seit vielen Jahrhunderten prägen die Türme Bautzens Silhouette. Im Jahr 1002 wurde die Stadt erstmals urkundlich erwähnt, seitdem baut man hoch oben über der Spree gern etwas weiter in die Höhe. Zu den markantesten Bautzener Türmen zählt zweifellos die Alte Wasserkunst (Seite 57): Sie ragt bei weitem nicht am höchsten über die Dächer, aber aus der herrlichen Stadtansicht von der Friedensbrücke sticht ihr Rundturm aus dem Jahr 1558 wie ein Markenzeichen Bautzens hervor. Der Spreerundblick ist übrigens nicht der einzige gute Grund für einen Besuch. Weil die Alte Wasserkunst einst für die Wasserversorgung der Innenstadt gebaut wurde, beherbergt sie ein noch heute sehenswertes technisches Denkmal, das ganzjährig für Besucher geöffnet ist.

Türmer-Ehepaar Kuschel ©Jens-Michael Bierke

DIE QUAL DER TURMWAHL

Weil Bautzen auf massivem Lausitzer Granit erbaut wurde, war frisches Wasser über Jahrhunderte eine wertvolle und knappe Ressource. Mehrere verheerende Stadtbrände prägen darum die Stadtgeschichte, aber auch ein weiteres technisches Denkmal. Bautzens jüngster Turm wurde 1877 als Wasserspeicher in der Ruine der Mönchskirche errichtet. Wer ihn im Rahmen einer Führung besucht, sollte nicht auf eine tolle Aussicht hoffen. Dafür fasziniert sein Innenleben umso mehr: Genietete Stahlplatten formen einen riesigen Wassertank, der die Innenstadt mit Trinkwasser versorgte. Gusseiserne Leitungen und zentnerschwere Zahnräder sind ebenfalls zu besichtigen und wirken so in die Jahre gekommen, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Anlagen bis 1979 in Betrieb waren.

Wesentlich früher und länger war der Matthiasturm in Benutzung, der zum Ensemble der Ortenburg gehört. Über Jahrhunderte diente er als Wachturm mit Durchgang zum Wehrgang hoch über dem Tal der Spree. Außerdem beherbergt er eine Kapelle, die der Meißner Bischof Bruno II. bereits im Jahr 1225 geweiht haben soll und die im 15. Jahrhundert im Stil der damaligen Zeit neu gestaltet wurde. Von ihrer Pracht zeugen heute allerdings nur noch filigrane Steinmetzarbeiten an jenen Bauteilen, die von Kriegen und Zerstörungen der vergangenen Jahrhunderte verschont blieben. Um so prachtvoller entfaltet sich einige Stufen höher die Panoramaaussicht auf Bautzen. Ringsum ist der Blick frei auf den Fluss und das weite Umland, den Dom und die mittelalterlichen Gassen im Schatten schmucker Bürgerhäuser. Und natürlich sind auch die anderen Türme gut zu sehen: der Nicolaiturm und die Neue Wasserkunst, der Lauenturm oder die Mühlbastei, in der man sogar Urlaub machen kann.

LEBEN AUF HÖCHSTEM NIVEAU

Als ziemlich „schräges Vergnügen“ gilt der Besuch auf dem Reichenturm. Der stammt wohl aus dem späten 15. Jahrhundert und erhielt seine heutige Form im Jahr 1718, als die barocke Turmhaube aufgesetzt wurde. Seine Beliebtheit verdankt der 56-Meter-Turm nicht nur der Aussicht, sondern auch seiner deutlich sichtbaren Schräglage: Stolze 1,41 Meter neigt sich der Bau gen Nordwesten. Von April bis Oktober ist der Reichenturm täglich zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet, was ihn zu einem der meistbesuchten Türme Bautzens macht. Nicht allerdings zum „belebtesten“. Dieses Prädikat verdient zweifellos der Domturm von St. Petri. Hier nämlich hat sich Familie Kuschel in vierter Generation über Bautzens Dächern sogar häuslich eingerichtet. Ihre kleine Türmerwohnung mit leuchtenden Blumenkästen in höchster Höhe bewohnen die Kuschels gemeinsam seit 1982 – „ich bin wegen der Liebe hier hoch gezogen“, sagt Monika Kuschel, die auch als Küsterin im Dom tätig ist. Ihr Ehemann nämlich lebte bereits seit 1950 bei seinen Großeltern auf dem Turm, von denen er den Türmerposten später „erbte“. „Mein Urgroßvater ist am 1. Oktober im Jahr 1900 hier oben eingezogen“, erzählt er und scherzt: „Als Bautzens höchster Beamter mit dem niedrigsten Gehalt“. Zu seinen Aufgaben habe damals die Feuerwacht vom Turm aus gehört und das Schlagen der Stundenglocke. Derlei offizielle Aufgaben muss das Ehepaar Kuschel heute nicht mehr ausüben, weil die Glocken längst automatisch funktionieren. Beschwerlich ist das Leben 215 Stufen über dem Fleischmarkt dennoch, denn einen Aufzug gibt es nicht und einen Wasserhahn erst seit 2015. Dennoch will das Türmerpaar so lange wie möglich „im Dienst“ bleiben, denn an dem Ausblick haben sie sich „bis heute nicht sattgesehen“. Ihr Bautzen-Panorama teilen sie an den Wochenenden zwischen Ostern und Dezember gern mit Besuchern, wie es schon die Großmutter zu tun pflegte. „Sie warf den Turmschlüssel in einem gepolsterten Ledersäckchen zu den Gästen runter“, erinnert sich Dieter Kuschel. Das läuft heute etwas anders, aber nach wie vor schließt man als Domtürmer in Bautzen zwangsläufig viele Bekanntschaften. Denn der Weg zur Aussichtsplattform führt praktisch durch die Wohnung der Kuschels.

• www.bautzen.de/tuerme

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