EL SALVADOR
Festnahmen ohne Ende Seit März 2022 herrscht in El Salvador der Ausnahmezustand. Die Regierung begründet die Einschränkung der Grundrechte mit Bandenkriminalität. Aber auch Kritiker*innen des Präsidenten geraten unter Druck. Von Melanie Huber und Christa Rahner-Göhring
A
m 1. Mai, dem Tag der Arbeit, gibt es weltweit Kundgebungen und Demonstrationen, so auch in El Salvador. In diesem Jahr fanden sie dort allerdings unter besonderer Anspannung statt. Am 27. März hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, in der Folge wurden Tausende Menschen wegen mutmaßlicher Bandenmitgliedschaft festgenommen. Am 28. April erklärte Arbeitsminister Rolando Castro, Gruppen, die zu Maikundgebungen aufriefen, sympathisierten mit kriminellen Banden. Polizeiund Militärkontrollen stoppten Busse auf ihrem Weg zu den Demonstrationen und nahmen Personalien auf. Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele veröffentlicht seine Anordnungen bevorzugt über das Online-Netzwerk Twitter. Auch seinen Antrag, das Parlament solle auf einer Sondersitzung den Ausnahmezustand beschließen, publizierte er auf der Plattform. Als offizielle Begründung gilt die Ermordung von 62 Menschen an einem einzigen Tag. Die Regierung macht dafür Banden verantwortlich und will der Bandenkriminalität mit dem Ausnahmezustand ein für alle Mal das Handwerk legen. Es gibt jedoch klare Hinweise darauf, dass damit auch Regierungskritiker*innen zum Schweigen gebracht werden sollen. Dafür traf der Präsident bereits von langer Hand Vorbereitungen. Nachdem
50 AMNESTY JOURNAL | 04/2022
seine Partei Nuevas Ideas bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2021 eine deutliche Mehrheit erlangt hatte, setzte er kurz darauf fünf Verfassungsrichter und den Generalstaatsanwalt ab. An ihre Stelle rückten Personen, die der Regierungspartei nahestehen. Somit war die Gewaltenteilung abgeschafft, und auch das Parlament richtet sich in seinen Entscheidungen seither nach dem Willen des Präsidenten. Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen und unabhängige Medien werden öffentlich angegriffen und stigmatisiert. Aufforderungen zur Einhaltung der Grundrechte von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission werden zurückgewiesen, stattdessen gelten diese plötzlich als Unterstützer*innen krimineller Banden. Am 4. April 2022 schrieb Bukele auf Twitter: »Es ist klar geworden, wer die Partner der Banden sind. Jeder hat sich für sie eingesetzt: Geldgeber, Drogenhändler, korrupte Politiker und Richter, NGOs für ›Menschenrechte‹, die ›internationale Gemeinschaft‹, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, Journalisten und Medien der offenen Gesellschaft. Ihre Masken sind gefallen.« Bukeles Tweets führen häufig dazu, dass seine Unterstützer*innen Menschenrechtsorganisationen in Online-Netzwerken beleidigen und schikanieren. Bereits im November 2021 stellte die Regierung einen Entwurf für ein »Gesetz
über ausländische Agent*innen« vor, das die Arbeit vieler Organisationen vor Ort extrem erschweren würde. Es sieht eine Steuer in Höhe von 40 Prozent auf alle Zuwendungen vor, die NGOs aus dem Ausland erhalten. Aktivitäten, die »die Sicherheit des Landes gefährden«, sollen verboten werden. Gleichzeitig gingen schwerbewaffnete Sicherheitskräfte mit Razzien gegen mehrere Menschenrechtsorganisationen vor. Im Mai 2022 war das »Gesetz über ausländische Agent*innen« noch nicht verabschiedet worden. Sollte es verabschiedet werden, wäre dies ein schwerer Schlag für Menschenrechtsverteidiger*innen und NGOs. Die Regierung bedroht zudem Journalist*innen und greift sie sogar direkt an, insbesondere wenn sie die aktuelle Politik kritisieren. Dazu gehört die Online-Zeitung El Faro, die bereits im Herbst 2020 Beweise für eine Absprache zwischen der Regierung und Jugendbanden veröffentlichte. Demnach sollten die Banden die Zahl der Morde drastisch reduzieren, damit die Regierung dies als Erfolg ihrer Verbrechensbekämpfung darstellen und Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen könne. Im Gegenzug erhielten offenbar inhaftierte Bandenführer Hafterleich-
Die Regierung bedroht Journalist*innen und greift sie sogar direkt an.