Amnesty Journal Juli/August 2022

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Irritiert mit Chants und Störgeräuschen westliche Hörgewohnheiten: Joe Rainey. Foto: David Guttenfelder

Pow-Wow-Power Der US-amerikanische Sänger Joe Rainey mischt die traditionellen Gesänge der Oneida Nation mit Computersounds. »Niineta« ist ein eigenwilliges Album jenseits aller Federschmuck-Klischees. Von Thomas Winkler

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onotone Trommeln, die klappern wie rostige Eimer. Eine Stimme, deren »He-Ha-Hejaho« aus einem verwunschenen Geisterhaus zu kommen scheint. Noch eine Stimme, viel höher, gefährlich nah am Überschnappen. Dazwischen Störgeräusche, die entschieden jeden Zweifel ausräumen: Nein, das ist nicht der Kriegstanz aus dem letzten Urlaub im Wilden Westen. Joe Rainey ist Mitglied der Oneida Nation in Wisconsin im Norden der USA. Als Pow-Wow-Sänger begleitet er die traditionellen Feste seiner indigenen Gemeinschaft, aber mit seinem ersten Album »Niineta« räumt er radikal auf mit allen Klischees, die in Umlauf sind über die Musik der sogenannten Indianer. Im Interview bezeichnet Rainey es als weit verbreitetes Missverständnis, dass die

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Gesänge einen religiösen Charakter hätten. Die erste Single-Auskopplung von »Niineta« trägt denn auch den Titel »No Chants«. Der 35-Jährige bezeichnet sich selbst als »Pow-Wow-Aktivist und Klangpurist«, der die Stammesgesänge in Minnesota und Wisconsin mit Kassettenaufnahmen dokumentiert. Trotzdem hält er nicht krampfhaft an Traditionen fest. Schon lange blickt er über den Tellerrand und hat dort die lebendige Indie-Rock-Szene rund um den Musiker Justin Vernon alias Bon Iver entdeckt. Mit dem Star der modernen Americana trat Rainey immer wieder auf, wie auch mit anderen Bands der Indie-Szene von Minneapolis. In deren Rocksongs wirkt seine Stimme fast wie ein Fremdkörper. Ganz anders auf seinem Debütalbum. Obwohl sich Rainey für die Aufnahmen als Partner den Produzenten Andrew Broder geholt hat, der viel für Bon Iver oder The National gearbeitet hat, klingt »Niineta«

nicht einmal ansatzweise wie Indie-Rock mit Volksmusik-Verzierungen. Ganz im Gegenteil: Die Gesänge stehen im Mittelpunkt, ihre Authentizität ist hörbar. Für an Pop geschulte Ohren sind die Harmonien ungewohnt, ihre Monotonie ist bisweilen schwer erträglich – das unterscheidet sie von den für Tourist*innen aufbereiteten Gesängen, die in den Shops der Reservate verkauft werden. »Ich wollte einen ganz eigenen Platz im Musikkosmos schaffen«, sagt Rainey, »und Broder war genau der Richtige, die Ideen in meinem Kopf umzusetzen.« Der Produzent fügt mit Sounds aus dem Computer und oft düsteren Klangschlieren den Stücken eine zusätzliche Dimension hinzu, die dafür sorgt, dass garantiert kein Federschmuck-Klischee-Verdacht aufkommt. »Niineta« klingt mitunter unzugänglich, aber jederzeit faszinierend, weil es die Diskrepanzen zwischen Tradition und Moderne in Töne übersetzt, ohne der Vergangenheit ihre Berechtigung abzusprechen. Oder, wie Rainey es formuliert: »Wir wussten sofort, dass unsere Musik nicht bloß ›Indie-Rock trifft auf Pow Wow‹ war. Es war etwas Eigenes. Etwas, das im kosmischen Raum zwischen Futurismus und Tradition schwebt.« ◆ Joe Rainey: »Niineta« (37d03d/Cargo)


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