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Ein ambivalentes Verhältnis

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Literatur

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Mensch und Tier. Ein ambivalentes Verhältnis

Laurent Gorgerat

«Die Menschen sind in den wichtigsten Dingen Schüler der Tiere geworden: der Spinne im Weben und Stopfen, der Schwalbe im Hausbau und der Singvögel, des Schwans und der Nachtigall im Gesang, und zwar auf dem Wege der Nachahmung.»

Demokrit (5. Jh. v. Chr.), nach Plutarch, «De sollertia animalium» 20

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Gefäss in Form eines Hirsches

Plastisches Gefäss aus gebranntem Ton, 1300–700 v. Chr., Nordwest-Iran (Gilan) | Inv. Su 37 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin ◁ Abb. 3

Berittene Jäger mit Lakonerhund und Jagdfalken umzingeln einen Rehbock.

Trinkgefäss (Kylix) aus gebranntem Ton, frühes 5. Jh. v. Chr., Athen | Inv. BS 438 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Ruedi Habegger

«Man muss annehmen, dass die Pflanzen um der Tiere willen da sind, die übrigen Tiere um der Menschen willen – die zahmen zur Nutzung und Nahrung, die wilden – wenn nicht alle, so doch die meisten – zur Nahrung und anderen nützlichen Diensten, etwa damit aus ihnen Kleider und anderes, wie Werkzeuge, verfertigt werden. Wenn nun die Natur nichts unvollendet und nichts umsonst tut, dann folgt daraus zwingend, dass die Natur dieses alles um der Menschen willen geschaffen hat.»

Aristoteles, «Politik» I, 1256b (4. Jh. v. Chr.)

Seit jeher definiert sich der Mensch in Bezug auf die Tierwelt, sucht nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, versucht seine Stellung gegenüber Tieren zu deuten und zu erklären. Das Verhältnis von Mensch und Tier ist in erster Linie durch Ambivalenz gekennzeichnet. Die eingangs zitierten Denker, Demokrit und Aristoteles, illustrieren zwei Pole, die in der griechisch-römischen Antike immer wieder angeführt und debattiert wurden. Auf der einen Seite galten Tiere aufgrund ihrer charakteristischen Fähigkeiten als die vollkommeneren, dem Menschen überlegenen Wesen, die es nachzuahmen galt. Die Gründe für die eher «tierfreundliche› Position beruhten auf verschiedenen philosophischen Ansätzen, wonach grundsätzlich Menschen und Tiere Lebewesen mit – allenfalls graduellen – Unterschieden seien. Dieser Ansatz wurde vor allem in der frühen Phase der griechischen Philosophie, zur Zeit der sogenannten Vorsokratiker, vertreten. Auf der anderen Seite gab es eine Strömung, die von der Dominanz des Menschen gegenüber dem Tier ausging (Abb. 4). Grundlegend für diese anthropozentrische Haltung war beispielsweise Aristoteles, der mit seiner empirischen Ordnung der Tierwelt die Basis der modernen Zoologie schuf. Er definierte die Natur als eine hierarchische Struktur, in der Wesen

Abb. 4 ▷

Der «Herr der Tiere» bezwingt zwei Raubkatzen. Eine Metapher für die Beherrschung der Tierwelt durch den Menschen?

Standartenaufsatz aus Bronze, 9.–8. Jh. v. Chr., Luristan (Iran) | Inv. Su 17 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin

mit geringerer Urteilsfähigkeit jenen mit grösserer Urteilsfähigkeit zu deren Nutzen unterlegen waren. Das Tier sollte also mangels Vernunft dem Menschen dienen und ihm auf jeden Fall untergeordnet sein.

Während Aristoteles die Vormachtstellung des «vernünftigen» Menschen gegenüber den «vernunftlosen» Tieren begründete, vertrat die Philosophenschule der sogenannten Kyniker eine geradezu gegensätzliche Ansicht. Als Begründer des Kynismus galten der Athener Antisthenes und sein Schüler Diogenes von Sinope (Abb. 5). Sie erachteten die menschliche Vernunft und Kultur als Hindernis für ein naturgemässes und erfülltes Leben. Sie forderten, es solle ein nahezu besitzloses Leben geführt werden – analog zu den Tieren –, um so die Glückseligkeit durch grösstmögliche Unabhängigkeit erreichen zu können. Die Kyniker pflegten daher ein auf die natürlichen Bedürfnisse ausgerichtetes Leben, was ihnen den Spott des Volkes und der anderen philosophischen Schulen eintrug, die sie als «Hunde» bezeichneten. Etymologisch stammt die Bezeichnung «Kyniker» vom griechischen Wort für Hund, kyon, ab. Die Bezeichnung der Kyniker als Hunde berief sich aber nicht nur auf ihre Lebensweise, sondern auch auf ihre teils aggressive, spöttische Art, mit ihren Mitmenschen umzugehen. Der Hund galt ihnen also sowohl als Vorbild in seiner auf die grundlegendsten Bedürfnisse ausgerichteten Lebensweise als auch durch sein bissiges Verhalten, das in zahlreichen Anekdoten überliefert ist.

Diese Ambivalenz zwischen der Übermacht der Tiere und der Ausbeutung durch den Menschen lässt sich anhand antiker Bildwerke, wie sie in der Ausstellung des Antikenmuseums gezeigt werden, exemplarisch nachzeichnen. Seit der Mensch seine Umwelt in Bildern festzuhalten versucht, sind Tierdarstellungen präsent. Zeugnis davon legen die berühmten Felsmalereien der Höhlen von Chauvet und Lascaux in Frankreich oder von Altamira in Spanien ab. Diese frühen Darstellungen zeigen eine üppige Fauna und den Menschen – wenn überhaupt – nicht etwa als dominierend, sondern als Teil dieser Tierwelt.

In der Antike galten Tiere als Synonyme für Lebensgrundlage und zugleich als Metapher für Gefahr. Als Nahrungs- und Rohstofflieferanten wurden sie zuerst gejagt und später auch gezüchtet. Eine in erster Linie auf Landwirtschaft basierende Lebensweise war ohne Tiere für Fleisch,

△ Abb. 5

Jean-Léon Gérôme, «Diogène» (1860)

Der Philosoph Diogenes in seiner bescheidenen Behausung, umgeben von Hunden © The Walters Art Museum, Baltimore, Inv. 37.131

Milch und Wolle oder als Arbeitskräfte und Transportmittel unvorstellbar. Gleichzeitig aber bildete die Tierwelt eine Gefahrenquelle, vor der sich der Mensch schützen musste und die er oft in der Sphäre des Göttlichen ansiedelte, um sie dadurch erklärbar zu machen. Wilde, unbekannte Tiere und Wesen galten als Merkmal eines fremden und potenziell gefährlichen Naturraums, in welchem der Mensch seinen Platz suchen musste.

Die geistige Auseinandersetzung mit den Tieren, den bei ihnen beobachteten oder angenommenen Charaktereigenschaften, ihrer Macht und ihrer Kraft gipfelte schliesslich in der Schaffung hybrider Kreaturen, die die Bildwelt der Antike entscheidend prägen sollten.

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