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Vorwort
Vorwort – Das Tier in uns
Zwischen 15’000 und 10’000 v. Chr. wird der prähistorische Mensch als Sammler und Jäger von der neuen Zivilisationsstufe der Bauer und Viehzüchter überrollt. Einige Tiere und Pflanzen können domestiziert werden, die Lebensgrundlage wird demnach erweitert und konsolidiert. Tiere insbesondere sind nicht nur als Nahrungs- und Rohstofflieferanten wichtig, sondern auch in der Landwirtschaft oder im Handel als Arbeitskräfte und Transportmittel unumgänglich. Die Wertschätzung für diese «Leistung» verschafft den Tieren zusätzlich Respekt: Der Fleischverzehr ist nur im beschränkten Rahmen einer religiösen Handlung möglich, das Tier wird «dankbar» geopfert, und vor der Tötung erwartet der Mensch sogar das symbolische «Einverständnis» des Opfers.
Dass Tiere über ausserordentliche Fähigkeiten verfügen, ist schon sehr früh aufgefallen und stellt ein Überbleibsel der Zeit der, als wilde Tiere vorwiegend als Bedrohung der menschlichen Gesellschaft wahrgenommen wurden. Kraft, Potenz, Schnelligkeit, Wendigkeit, Angriffslust, Spürsinn, Sensibilität, vielleicht auch die Fähigkeit, künftige Ereignisse zu erahnen, haben die Menschen an der Tierwelt immer fasziniert. Somit bleibt auch in der Zivilisation der Bauern und Viehzüchter die Tierwelt stets zwiespältig. Tiere sind Helfer, jedoch – zusammen mit dem unkontrollierten Wuchern der Natur und der Mächtigkeit der Naturereignisse – stellen sie in der Wildnis einen Raum der Gefahren ohne Regel und ohne Gesetze ausserhalb der Stadt dar. Der Wald und das Gebirge werden zum Gegenpol der von Menschen und für Menschen geschaffenen Welt der Häuser, Strassen und öffentlichen Plätze, die das strukturierte, gemeinsame und politische Leben ermöglichen. Wilde Tiere wie Löwen, Eber, Stiere oder Schlangen bewohnen naturgemäss diese Räume am Rande der Zivilisation und bedrohen sie mit ihrem ungebändigten Wesen. Immer wieder muss ein Mensch mit ausserordentlichen Fähigkeiten – ein Held wie Herakles, Theseus, Perseus oder Ödipus – sie in höchster Not bekämpfen, weil sie die Felder verwüsten, Hirten, Herden oder Reisende überfallen oder gar Menschen fressen.
Diese Dynamik kennt eine unheimliche psychologische Entwicklung, die in unserer Ausstellung besonders thematisiert wird. Der Mensch ist stets mit Mischwesen konfrontiert. Diese sind Monster, die sich aus Teilen von unterschiedlichen Tieren zusammenstellen, ihre Kräfte deswegen überhöhen und dadurch für die
Menschen besonders gefährlich werden. Das ist jedoch nur ein Teil der Geschichte. Nicht von ungefähr sind die ersten überlieferten Mischwesen Menschen mit Tierteilen: Die Sphinx ist ein Löwenmensch, die Sirene ein Vogel mit Menschenkopf, der Kentaur ein Pferd mit menschlichem Oberkörper, Silen und Satyr sind Menschen mit Eselsohren und Pferdeschwanz. Die Vermutung liegt nahe, in diesen Wesen eine komplexe Projektionsfläche der menschlichen Psyche zu sehen. Der Mensch mutiert ins Monsterhafte, dieser unheimliche Teil von unserem Dasein wird in schrecklichen Wesen verewigt, die unsere Existenz herausfordern und bekämpft werden müssen. Der griechische Mensch ist analytisch und fordernd zugleich, er scheut den eigenen Abgrund nicht und steht sich selbst im Weg. Schon nur deswegen lohnt sich heute noch, diese Ausstellung zu sehen und – einmal mehr – selbst im Fokus zu sein!
Ich danke allen Mitarbeitenden des Antikenmuseums – allen voran dem Kurator Laurent Gorgerat und der Gestalterin Trinidad Moreno – für die durchdachte, tiefgründige und emotionsbeladene Umsetzung der Ausstellung, die parallel in drei anderen Basler Museen (das Museum der Kulturen, das Historische Museum und das Pharmaziehistorische Museum) mit jeweils unterschiedlichen Facetten und einem gemeinsamen Begleitprogramm konzipiert wurde. Insbesondere danke ich auch den unzähligen privaten und öffentlichen Leihgebern, die im Impressum aufgeführt sind. Und ganz besonders danke ich allen Geldgebern – privaten Donatoren und Mäzenen sowie den Stiftungen –, ohne die die Ausstellung in keiner Weise hätte finanziert werden können. Die Stiftung «In memoriam Adolf und Margreth Im Hof-Schoch» hat zusätzlich zu einem grosszügigen finanziellen Beitrag auch unzählige Leihgaben der Sammlung Eva Maximiliane Pollak-Im Hof zur Verfügung gestellt, die dem Basler Antikenmuseum auf unbestimmte Zeit anvertraut wurden. Allen diesen Akteuren bin ich zutiefst dankbar, mit dem Kanton Basel-Stadt bilden sie das Fundament unseres Museums.
Dr. Andrea Bignasca Direktor Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Inhalt
Vorwort................................................. 2
Mensch und Tier............................. 6 Mensch und Tier. Ein ambivalentes Verhältnis.................... 9 Tiere in der Bildwelt des alten Ägypten ... 14 Die wilde Natur...................................... 21 Tierfriese ............................................ 22 Herrin der Tiere .................................. 25 Löwe .................................................. 28 Die gezähmte Natur............................... 31 Tieropfer............................................. 34
Mischwesen .................................... 36 Mischwesen der klassischen Antike........ 38 Sphinx ................................................ 43 Greif ................................................... 49 Sirene ................................................. 53 Kentauren........................................... 60 Satyrn und Silene................................ 64 Gorgo Medusa.................................... 67 Chimaira und Pegasos......................... 72 Mitten unter uns. Mischwesen in der Popkultur ................. 75 Mischwesen der Gegenwart. Vom gottesfürchtigen Menschen der Antike zum emanzipierten Cyborg der Neuzeit................................ 82 Mensch vs. Wild ............................. 90 Der ewige Kampf um Zivilisation ........... 92 Herakles und der Nemeische Löwe .... 97 Herakles im Kampf gegen weitere Ungeheuer ............................ 100 Kentauromachien ............................... 104 Theseus gegen den Minotauros ......... 106 Ödipus und die Thebanische Sphinx.... 110 Perseus gegen die Gorgo Medusa....... 112
Literatur................................................. 114 Impressum............................................. 116
◁ Abb.1
Gefäss in Form eines Löwenkopfes
Plastisches Gefäss aus gebranntem Ton, frühes 6. Jh. v. Chr., Ost-Griechenland Inv. BS 312 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin