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Tieropfer
Tieropfer
«Und nachdem sie gefleht und heilige Gerste geschüttet, beugten zuerst sie die Nacken und schlachteten, zogen das Fell ab, schnitten die Lenden heraus, umhüllten sie dann mit des Fettes doppelter Schicht und legten darauf noch Stücke der Glieder. Das verbrannte der Greis auf Scheitern und sprengte darüber funkelnden Wein, und Jünglinge neben ihm hielten die Gabeln. Als sie die Lenden verbrannt und die Eingeweide gekostet, schnitten sie auch das übrige klein und steckten’s an Spiesse, brieten es vorsichtig dann und zogen alles herunter. Aber nachdem sie das Werk vollbracht und das Mahl sich gerüstet, schmausten sie; jeder labte das Herz am gebührenden Mahle.»
Homer, «Ilias» 1, 458–468 (spätes 8. Jh. v. Chr.)
Im antiken Griechenland galt das Opfern von Tieren als höchste rituelle Handlung der Gemeinschaft (Abb. 18). Hesiod und Homer geben uns detaillierte Beschreibungen der kodierten Abläufe. Das häufigste Tieropfer galt den olympischen Göttern und wurde als Speiseopfer vollzogen. Dabei versammelte sich die Gemeinschaft zunächst um den Altar, der sich vor dem eigentlichen Tempel befand (im Gegensatz zur Kirche, wo der Altar im Innern des Gebäudes steht). Das mit Kränzen geschmückte Opfertier (meist Rind, Schaf oder Ziege) wurde in einer feierlichen Prozession zum Altar geführt und dort mit Wasser besprengt. Das damit bewirkte Nicken des Tieres wurde als Zustimmung gewertet. Die eigentliche Tötung des Opfertiers erfolgte mit der Öffnung der Halsschlagader. Das Blut sollte dabei über den Altar fliessen. Begleitet wurde die Tötung vom grellen Schrei der anwesenden Frauen. Entscheidend für das Verständnis dieses Rituals ist die Tatsache, dass es sich primär um eine rituelle Schlachtung handelte. Durch das Einbinden der Götter wurden der Tötungsakt und der darauffolgende Fleischverzehr legitimiert.
▽ Abb. 18
Opferdiener bringen einen Ziegenbock zum Altar.
Weinmischgefäss aus gebranntem Ton, mittleres 4. Jh. v. Chr., Athen | Inv. BS 1438 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin