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Greif

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Literatur

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Greif

«Die Greifen sind Tiere, die wie Löwen sind, aber Schnabel und Flügel von Adlern haben.»

Pausanias, «Beschreibung Griechenlands» 1, 24, 6 (2. Jh. n. Chr.)

«Bym Käppelijoch gumpt stolz und styff näbem Wilde Maa und Lai dr Gryff, und dausig Basler lache ab däne-n-alte Sache»

Basler Kinderlied, Anna Keller (1879–1962)

◁ Abb. 26

Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurde die Sphinx in Griechenland als weibliches, geflügeltes Wesen dargestellt. Als Todesdämonin, Grabwächterin oder Verkörperung der Thebanischen Sphinx stellte sie ein beliebtes Motiv dar.

Römische Kopie aus Marmor nach einem griechischen Vorbild um 450 v. Chr., Rom | Inv. Lu 226b © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Ruedi Habegger

Ebenso wie die Sphinx stammt auch der Greif – ein meist geflügeltes Mischwesen mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Raubvogels – aus der Bildwelt des Ostens. Der Greif entstand vermutlich im 4./3. Jahrtausend v. Chr. in Elam (Iran) und wurde sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten übernommen. Während neuassyrische und babylonische Greifen den Akzent auf die Vogelkomponenten (Federkleid, Vogelschwanz) legten, entstanden in der hethitischen Kunst typische Formen wie die aufgerichteten Ohren oder der weit geöffnete Schnabel, die die frühesten Greifenbilder Griechenlands beeinflussten (Abb. 27). Nach Griechenland gelangten die Mischwesen schliesslich im frühen 8. Jahrhundert v. Chr. einerseits in der Gestalt von Greifenprotomen, die – wie bei den Sirenen – eherne Kessel schmückten. Solche Prunkgefässe wurden als Votivgaben in griechischen Heiligtümern gestiftet. Andererseits dienten phönizische Elfenbeinreliefs, die in den ganzen Mittelmeerraum exportiert wurden, als Vehikel für die Tradierung des orientalischen Greifenbildes.

Auch der Greif wurde zunächst auf anonyme Weise in die Bilder wilder, gefährlicher Naturkreaturen integriert. In der griechischen Mythologie dienten die wachsamen und angriffslustigen Greifen schliesslich als Wächter der legendären Goldgruben der Riphäischen Berge oder als Gegner der Amazonen (Abb. 28). Der Greif wurde im Mittelalter nicht zuletzt aufgrund seiner Wächterfunktion oft als Wappentier verwendet.

In Basel ist der «Vogel Gryff» Synonym für den wichtigsten Anlass Kleinbasels, den Feiertag der Drei Ehrengesellschaften. Als Schildhalter der Ehrengesellschaft «zum Greifen» bedient sich der «Vogel Gryff» seit 1429 der ikonografischen Merkmale der antiken Greifenfigur – Löwe und Raubvogel (Abb. 29).

Abb. 27 ▷

Solche Greifenprotome zierten einst bronzene Kessel, die als Votivgaben in griechische Heiligtümer gestiftet wurden.

Greifenprotome aus Bronze, spätes 7. Jh. v. Chr., Samos (?) | Inv. Me 2 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin

△ Abb. 28

Greif und Amazone

Fragment einer Reliefplatte («Campana-Relief») aus gebranntem Ton, 1. Jh. v. Chr., Rom Inv. BS 1921.570 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin

◁ Abb. 29

Seit dem 15. Jahrhundert bildet der «Vogel Gryff» die heraldische Figur der Kleinbasler Ehrengesellschaft «zum Greifen». Am gleichnamigen Feiertag ziehen die drei Ehrengesellschaften «zum Rebhaus», «zur Hären» und «zum Greifen» durch das rechtsrheinische Kleinbasel.

© Hans-Jörg F. Walter, Basel

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