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Kentauren
Kentauren
«Wir wollen also nicht untersuchen, ob es wirklich zu ein und derselben Zeit alle Kentauren gegeben habe oder ob die Sage, die bildsamer und geschmeidiger ist als Wachs, sie geformt und durch bewundernswürdige Fügung die Hälften von Pferd und Menschen vereinigt und beiden eine Seele gegeben habe.»
Älian, «Tierleben» 17, 9 (2. Jh. n. Chr.)
Nebst der anhand der Sirene exemplarisch aufgezeigten Übernahme nahöstlicher Motive in das Repertoire der frühgriechischen Kunst schufen die Griechen auch eigene Mischgestalten, wie die Kentauren. Auch wenn Pferdemenschen bereits in Babylonien und Assyrien dargestellt wurden, allerdings mit dem Schwanz eines Skorpions und mit Flügeln, scheint die eigentliche Kombination von Pferd und Mensch tatsächlich eine Erfindung frühgriechischer Künstler zu sein. Während die nahöstlichen Pferdemenschen meistens mit Pfeil und Bogen bewaffnet sind, kämpfen die griechischen Kentauren ausschliesslich mit primitiven Waffen, wie Felsbrocken oder Baumstämmen, was ihre wilden und unzivilisierten Charakterzüge noch zusätzlich betonen sollte. Über die Entstehung der Kentauren kursieren in der Mythologie verschiedene Versionen. Die berühmteste, von Pindar in einer Ode besungenen Geschichte besagt, dass der thessalische König Ixion im Rausch Hera, die Gattin des Göttervaters Zeus, belästigte. Daraufhin soll Zeus den frevelnden König getäuscht haben, indem er der Wolkenfrau Nephele die Züge der Hera verlieh. Ixion zeugte mit Nephele den Wolkenbastard Kentauros, der sich später mir thessalischen Stuten paaren und so das Mischgeschlecht der Kentauren schaffen sollte.
Die frühesten überlieferten Kentauren zeigen ein Wesen, dessen Vorderteil aus einem vollständigen menschlichen Körper besteht, aus dessen Gesäss der Pferdeleib zu entspringen scheint (Abb. 35). Der grösste Teil dieses Körpers präsentiert sich also als menschlich, während das Animalische lediglich durch das Pferdehinterteil markiert wird. Bereits im Verlaufe des
▽ Abb. 35
Diese frühe Form eines Kentauren zeigt das Mischwesen mit einem vollständigen Menschenkörper.
Statuette aus Bronze, mittleres 6. Jh. v. Chr., Athen | Inv. BS 1906.145 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin
7. Jahrhunderts v. Chr. wurde dieses recht disparat vertretene Kentaurenbild durch eine neuartige Kombination ersetzt, die sich rasch durchzusetzen vermochte und sich einer grossen Verbreitung erfreuen sollte. Der menschliche Teil des Mischwesens wurde fortan lediglich auf den Oberkörper reduziert, während der gesamte Pferdeleib, also mit vier Beinen, als Unterkörper fungierte (Abb. 36). Kentauren, die in den Bergen Thessaliens lebten, traten oft als wilde, aggressive und frevelnde Kreaturen auf (Abb. 37), die vom zivilisierten Menschen besiegt werden mussten.
▽ Abb. 37
Zwei Kentauren bekämpfen den Lapithen Kaineus mit einem Felsbrocken.
Gipsabguss der Platte 2 aus dem Westfries des Hephaistos-Tempels in Athen, mittleres 5. Jh. v. Chr., Athen | Inv. SH 137 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Ruedi Habegger Abb. 36 ▷
Der Kampf zwischen Lapithen und Kentauren
Wassergefäss (Hydria) aus gebranntem Ton, spätes 6. Jh. v. Chr., Etrurien (Caere) | Inv. BS 1410 © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig / Foto: Andreas F. Voegelin