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Nutzlasterhöhung: Markt nicht bereit
from aF 05/2022
Das zulässige Gesamtgewicht von leichten Nutzfahrzeugen mit alternativem Antrieb wurde hierzulande kürzlich von 3,5 auf 4,25 Tonnen erhöht – doch hapert es noch an der Anzahl zugelassener Modelle und am Preis.
Isabel Hempen, Sprachwerk GmbH
Am 1. April ist die Revision der Vorschriften zu Gewichtsbeschränkungen für leichte Nutzfahrzeuge (LNF) in Kraft getreten – womit alternative Antriebe für Logistikzwecke stark an Attraktivität gewinnen. FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois hatte den Bundesrat 2018 in einer Motion aufgefordert, das zulässige Gesamtgewicht von LNF von 3,5 auf 4,25 Tonnen zu erhöhen, soweit die Gewichtserhöhung rein auf das Mehrgewicht des alternativen Antriebs zurückzuführen ist. Mit der Revision zieht die Schweiz nun mit der EU gleich, hat diese doch bereits 2019 erkannt, dass die Fahrzeugkategorie der leichten Lieferwagen grosses Potenzial aufweist, um CO2 einzusparen.
Tiefe Nutzlast verteuerte die Logistik
Dies ist von Bedeutung, weil viele Firmen eine Alternative zum Verbrennungsmotor suchen. Beim Unternehmen Texaid etwa stehen derzeit 56 Fahrzeuge zur Entleerung von Altkleidercontainern im Einsatz. Anfang 2020 schaffte Texaid in der Stadt Basel ein erstes Elektrofahrzeug an, einen MAN TGE. Die zuladbare Last betrug aufgrund des hohen Gewichts seiner Batterie rund 850 Kilogramm, während sie bei den übrigen Fahrzeugen – Opel Movano mit Dieselmotor – bei etwa 1400 Kilogramm liegt. Trotz positiver Rückmeldungen verzichtete Texaid daher vorläufig auf die weitere Elektrifizierung seiner Flotte. Wie Philipp Stoller, Geschäftsführer von Texaid, Ende 2020 betonte: «Die tiefe Nutzlast verteuert die Logistik. Wir würden aber mehr alternativ betriebene Fahrzeuge anschaffen, wenn die Nutzlast höher wäre.»
Was hat sich geändert?
Mit der Revision gelten Lieferwagen mit emissionsfreiem Antrieb – also Fahrzeuge mit Elektro- oder mit Wasserstoffantrieb – bis zu einem Gesamtgewicht von 4,25 Tonnen als LNF, sofern das Mehrgewicht gegenüber den 3,5 Tonnen rein auf den Antrieb zurückzuführen ist. Die Fahrzeuge müssen die technischen Vorschriften für Fahrzeuge mit einem Gewicht zwischen 3,5 und 12 Tonnen erfüllen; die zusätzlichen Anforderungen, die normalerweise ab 3,5 Tonnen gelten, sind für diese Kategorie jedoch nicht gültig: Der Führerschein der Kategorien B, BE oder der Unterkategorien D1 3,5 t 106 oder D1 106 reicht aus, die Fahrzeuge sind nicht der LSVA unterstellt und Fahrtenschreiber sind nicht obligatorisch. Ausserdem müssen die Fahrzeuge weder Arbeits- noch Ruhevorschriften einhalten.
Auflastung derzeit oft nicht möglich
Ungeachtet dieser Vorteile zeigt sich Philipp Stoller von Texaid gegenwärtig «etwas enttäuscht»: «Wir sind davon ausgegangen, dass die Hersteller über die Gesetzesänderung im
Bild seien», sagt er. Zwar hat Texaid sechs weitere Elektrofahrzeuge – diesmal der chinesischen Marke Maxus – bestellt, die zwischen Ende 2022 und Anfang 2023 eintreffen sollen. Das Verhältnis von Reichweite, Nutzlast und Preis sei bei diesen Fahrzeugen für den Einsatz in urbanen Räumen «akzeptabel», so Stoller. Von der Nutzlasterhöhung würden sie jedoch nicht profitieren, denn: «Viele E-Fahrzeuge lassen sich nicht auflasten», wie er erklärt. Will heissen: Zum Laden des Mehrgewichts muss die Federung verstärkt werden – eine Dienstleistung, die viele Automobilkonzerne nicht anbieten. Zwar könnte der Service auch von einer Garage ausgeführt werden, doch ginge damit die Garantie des Herstellers verloren. Bei anderen Herstellern stelle sich das Problem, dass die Auflastung zu teuer sei. «Ein dieselbetriebener Opel kostet rund 35 000 Franken, während ein E-Fahrzeug von Opel mit Auflastung 130 000 Franken kostet – und dies bei geringerer Nutzlast», so Stoller.
Automobilindustrie hat zugewartet
Auch Ralf Käser, Vorstandsmitglied des sffv, ist sich bewusst: «Der Schweizer Markt hat sich noch nicht an die neue Situation angepasst, viele Fahrzeuge sind hierzulande noch nicht für die höhere Auslastung freigegeben.» Er ist jedoch überzeugt, dass sämtliche Nutzfahrzeughersteller, die eine Lancierung von LNF mit alternativem Antrieb in der Schweiz planen, von der Nutzlasterhöhung Gebrauch machen werden. Die Automobilindustrie habe wohl bis zum Inkrafttreten der Revision gewartet, um Schritt für Schritt die Zulassung ihrer Produkte für den Schweizer Markt Schritt zu beantragen und diese zu bewerben. «Gerade Elektronutzfahrzeuge werden unumgänglich sein im urbanen Verkehr», ist Käser überzeugt.
Erhebliche Fortschritte zu erwarten
Bei Texaid will man die E-Mobilität in den kommenden Jahren sukzessive ausbauen – mit dem Ziel, in urbanen Gebieten irgendwann nur noch elektrisch unterwegs zu sein, was 40 % des Gesamtbetriebs entsprechen würde. «Wann wir diesen Punkt erreichen, ist noch unklar – das hängt von der Entwicklung des Marktes und den Erfahrungen ab, die wir mit unseren E-Fahrzeugen sammeln.» Philipp Stoller wie auch Ralf Käser sind jedoch überzeugt, dass in den kommenden Jahren bei LNF erhebliche technische Fortschritte und eine Vielzahl an Modellen mit alternativem Antrieb zu sehen sein werden.
Ein Gastartikel von: