STADTSICHT 4/2020

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COVERSTORY

WIE DIE ZUKUNFT AUSSIEHT Unsicherheit und Ungewissheit machen Angst. Deshalb ist es höchste Zeit, über die kommenden Jahre nachzudenken. Mit oder ohne Corona. VON BRUNO AFFENTRANGER

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s ist eine seltsame Zeit, in der wir feststecken. Träge fliessen die Tage dahin, die Eventbranche, die Kultur, der Spass an sich haben verordnete Auszeiten. Der Hedonismus von 2019 ist abgewrackt. Wir befinden uns in einem Kreuzzug gegen ein Vi­ rus, das der Welt den Atem raubt. Unternehmen haben Mühe, ihre Zukunft zu planen und die Mittel richtig einzusetzen. Denken in Szenarien würde vor allem über den mentalen Still­ stand hinaushelfen und uns eine gedankliche Stütze schenken. Das Zukunftsinstitut in Deutschland um den Gründer Matthias Horx hat das gemacht. Von einer neuen Welt mag das Team um den arriviertesten Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum nicht sprechen. Auch nicht davon, ob wir nun für immer dazu ver­ dammt sind, trotz, mit oder gegen Corona leben zu müssen.

Szenario 1: Die totale Isolation – alle gegen alle

Das am wenigsten verheissungsvolle Zukunftsbild. Hier haben wir uns in unsere Nationen und hinter die Grenzen zurückgezo­ gen und verbarrikadieren uns in unseren amtlichen Sicherheits­ zonen. Jeder ist sich selbst am nächsten. Gleichzeitig findet eine De-Urbanisierung statt: Urbane Hipster, die Trendsetter von ges­ tern, werden zu Verlierern und Hilfsbezügern in einer prekären Klasse. Die Städte erleben einen Niedergang, und in der Suche nach einer keimfreien Umwelt bleiben Importe und Beziehungen auf der Strecke. Hingegen erlebt die Häuslichkeit ein Comeback. Der Trend zum Rückzug wird staatlich belohnt. Hauslieferungen in jeder Hinsicht werden stärker zulegen. Szenario 2: Der Systemcrash – permanenter Krisenmodus

Auch nicht schön: Es geht einfach immer weiter wie jetzt. In der Geopolitik kommt es zu Auseinandersetzungen, da sich ein NeoNationalismus ausbildet. In der Wirtschaft rücken Fertigung und Produktion ins eigene Land zurück (Nearshoring). Grössere Städ­ te, kulturelle Schmelztiegel, verwandeln sich in ständige Krisen­ gebiete, die es zu meiden gilt. Big Data und künstliche Intelligenz werden noch wichtiger und erfahren einen Schub, damit aber auch Cybercrime und die sogenannten Predictive Analytics, also die datenbasierten Vorausberechnungen menschlichen Verhaltens, die für die Viruseindämmung entscheidend werden. Datenfrei­ heit und Datenschutz verlieren an Bedeutung.

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Szenario 3: Die Neo-Tribes – Rückzug ins Private

Es kann auch anders kommen, eher positiver, was Beziehungen angeht. Staat und Institutionen verlieren weiter an Glaubwürdig­ keit, aber wir geben deshalb nicht auf und finden uns in vertrau­ ensvollen «Wir-Konstrukten» wieder. Das sind die neuen Stämme (Neo-Tribes). Eventuell aber sind dies auch die Elemente von neu­ en Meinungsblasen (Bubble»), die Verständigung zwischen den Gruppen erschweren. Als Reaktion auf das derzeitige Alleinsein könnten neue Formen von Co-Living heranwachsen. Der Rückzug ins Private ist auch hier ein Kernelement. Nur Virtual Reality findet noch ins Haus. Gleichzeitig wächst der Gemein­ schaftssinn, nimmt die Nachbarschaftshilfe zu. Die eingeschränk­ te Mobilität der Risikogruppen wird durch andere freiwillig über­ nommen. Eine progressive Provinz wächst, Selbstversorgung ab­ seits der Zentren wird hip. Der öffentliche Verkehr hingegen lei­ det, weil die Mobilen aufs Velo oder E-Bike umsteigen. Szenario 4: Die Adaption – resiliente Gesellschaft

Das Szenario, das auf selbstheilende Kräfte innerhalb unserer Sys­ teme, Gesellschaften und Wirtschaftsordnung baut. Auf einen Ver­ zicht folgt die Wiederentdeckung heimischer Alternativen. Der stationäre Handel, regionale Produkte und Lieferketten profitie­ ren, lokaler und globaler Handel existieren gleichzeitig. Weil Staa­ ten an Glaubwürdigkeit verloren haben, werden gerade Städte und supranationale Instanzen wichtiger und finden direkt zueinander: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister treffen und reden direkt mit Weltorganisationen, unter Ausschluss des Staates. Im Gesund­ heitswesen setzt sich ein holistisches Verständnis durch, das den Zusammenhang zwischen allem akzeptiert. Predictive Health, wiederum datengestützte Vorhersage, wird salonfähig. Systemre­ levante Berufe wie alle, die im auf Reinheit getrimmten Bereich (Pflegepersonal, Reinigungspersonal) tätig sind, rücken in die Nä­ he von systemrelevanter Bezahlung. Im Baubereich setzen sich Ge­ schwindigkeit (Gesetzes- und Verordnungsanpassungen sowie Verfahrensstraffung) und modulare Massenproduktionen durch. So könnte es werden – oder anders. Diskutieren Sie mit uns. Unter info@bamedia.ch oder direkt mit dem Autor dieses Textes: affentranger@bamedia.ch


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