STADTSICHT 4/2020

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COVERSTORY Konklusion tete, opulente Mahl. Die Wirtschaft, die uns zwar viel Materielles ermöglicht, hat auch unser Wunschdenken verändert. Dank der Globalisierung haben wir heute Zugang zu unzähligen Produkten des täglichen Be­ darfs zu oft beschämend tiefen Preisen. Al­ les wird dem Profit untergeordnet. Diese Entwicklung empfinde ich, und ich glaube viele Menschen denken ebenso, als unge­ sund. Ich masse mir nicht an, die wirtschaft­ lichen Implikationen der Pandemie zu kom­ mentieren, dazu fehlt mir die Kompetenz. Doch ich denke, wir sollten uns vermehrt kleinräumig bewegen und unsere Bedürf­ nisse möglichst lokal befriedigen. Als Arzt sind Sie auch psychologisch geschult. Erfahren Sie in Ihrer Praxis die Angst der Leute? Ja, gewiss. Und zwar von Patienten jeden Alters. Viele Patienten kommen mit Angst in die Praxis. Es ist die Zeit des Gesprächs, des Zuhörens. Eine Zeit der Vertrauensbildung. Braucht es eine kritische Reflexion darüber, wie wir mit der Krise umgehen? Es geht um eine auf Wissen ruhende Infor­ mation, aber – ehrlicherweise – auch da­ rum, zuzugeben, dass wir nicht alles über das Virus und dessen Implikationen wissen. Wie machen wir das? Für Menschen, die sehr früh eine hohe spi­ rituelle Affinität haben, ist es einfacher, sich mit der Angst zu befassen. Zuerst ei­ nen Schritt zurück mit Demut, und dann mit einer solideren Haltung mutig voran­ zuschreiten – das wäre wünschenswert. Mut zur Demut sozusagen. Es ist hoch inte­ ressant. Manchmal wirkt etwas sinnlos, doch im Grunde ist es sinnhaft. Manchmal wirkt etwas übermütig, dabei ist es nur leichtsinnig. Manchmal wirkt etwas über­ heblich oder übertrieben und ist im Grun­ de respektlos. Wir sollten wieder zurück zur Einfachheit. Wenn ich mir einen Ex­ kurs in den Buddhismus erlauben darf: Wir müssen unsere Wut, unsere Gier und auch unsere Unkenntnis überwinden. Die­ se fördern unsere Unsicherheit und unsere Ängste. Das ist zwar noch keine Erkennt­ nis, aber ein wichtiger Lernschritt.

VERWEGENE WETTE Ausbruch, Aufbruch. Die ersten, ganz einfachen persönlichen Aktionen sind auf den vorangegangenen Seiten beschrieben. Nötig sind für jede und jeden Einzelnen: Wagemut zeigen, den ersten Schritt zu tun, egal, ob man bereits weiss, wohin der Weg führen wird. Wichtig sind Frischluftgewinn im wahrsten Sinne des Wortes und Bewegung, dies im ­übertragenen Sinn. Sind wir einmal gestartet, fällt das Laufen leichter. Und laufen müssen wir. Dürfen wir. Ein Fenster der Möglichkeiten ist gerade jetzt offen – wer weiss, wie lange. Den Ausweg aus der Pandemie-Müdigkeit der Bevölkerung sieht die WHO im Einbezug derselben in alle Entscheidungen und in die nächsten Schritte. Wer integriert wird, bleibt nicht abseits liegen. Wer mitbestimmen kann, wird nicht abgehängt und zum gedanklichen Aussenseiter. Als zweiten Erfolgsfaktor ist die Innovation zu nennen. Sie bleibt immer wichtig. In jeder Beziehung. Auch sie ist nur mit Wagemut zu haben. Drittens wird es aktuell nicht reichen, den Menschen zu sagen, dass sie nicht gemeinsam Weihnachten feiern dürfen, weil sie ansonsten ihre Gesundheit riskieren würden. Stattdessen müssten Städte und Gemeinden mit ihren Bürgerinnen und Bürgern neue Formen finden, wie alle sicher feiern können. Dieser hochemotionale Termin ist der ultimative Test in diesem schwierigen Jahr. Daran wird sich messen lassen, wer seine Stadt oder Gemeinde wirklich gut managt. Was aber wird 2021 werden? Nur drei Themen seien hier kurz angetippt. Gehen wir davon aus, dass sich auf dem weiten Feld der Gesundheit eine umfassendere Betrachtung durchsetzen wird. Zusammenhänge zu erkennen wird wichtiger , und damit werden auch die entsprechenden Angebote für eine vernetzte, mit allem zusammenhängende Gesundheit attraktiver. Es ist nicht verwegen zu behaupten, dass nach der Lehre aus diesem Jahr die bisherige Privatsache Gesundheit öffentlich relevanter wird. Mit guten und schlechten Folgen. Gut vielleicht, dass die Prävention in der Gesellschaft weit mehr Anhängerinnen und Anhänger findet wird als bisher. Im Tourismus, der Luzern besonders betrifft, erwarten gescheite Köpfe, dass künftig die Qualitäts- und vor allem die Sicherheitsfrage höher gewichtet wird denn je. Zumindest zu Beginn einer weltweit wieder langsam einsetzenden Reisetätigkeit. Die Angebote dafür müssen bereitgestellt werden. Luzern und die Zentralschweiz werden sich überlegen müssen, wie diese aussehen könnten. Auf gesellschaftlicher Ebene schliesslich ist der Rückzug ins Private offensichtlich. Die entsprechenden Lebens-, Denk-, Bildungs-, Kommunikations- und Konsumformen werden dieses Private wieder ins gesellschaftliche Licht der Öffentlichkeit katapultieren. Absurd, aber so wird Privates öffentlicher als je zuvor sein. Wetten, dass in diesem Spannungsfeld Tugend und Moral noch an Bedeutung zulegen und den politischen Diskurs vollständig prägen werden? Es bleibt spannend. Bruno Affentranger

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