A M Joseph X 2020 — 2021 Nº 3
Der Schwung der Figur Das Magazin der Bayerischen Staatsoper
EDITORIAL In seiner ersten Pariser Zeit begegnete Rainer Maria Rilke einer Bettlerin. Jeden Tag um die Mittagszeit ging er in Begleitung einer jungen Französin an der starren, wie unbeteiligt wirkenden Frau vorüber, die immer an demselben Mauerstück vor einem öffentlichen Garten saß. Zu keinem Geber sah sie auf. Sie bat nicht und sie dankte nicht – und Rilke spendete nie auch nur einen Sou. Darauf von seiner französischen Bekannten angesprochen, sagte er: „Man muss ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.“ Natürlich lebt der Mensch nicht nur von Herzensdingen, von Luft und Liebe und Schöngeistigem. Aber (Hilfs-)Zahlungen allein, sofern sie denn überhaupt ankommen, genügen ebenso wenig. Insofern sind diese Pandemiezeiten so oder so zutiefst ärmliche. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben liegt brach, die Ökonomie lahmt, die Seelen darben. „Seit Corona die Welt beherrscht, ist uns der Schwung abhandengekommen“, schreibt der Philosoph Wolfgang Welsch in seinem Essay für diese Ausgabe von Max Joseph und fragt, wo und wie wir ihn wiederfinden. Rilke schenkte der Bettlerin statt Almosen schließlich eine Rose, woraufhin sich die Frau so überrascht wie mühsam erhob, die Hand des Dichters küsste und mit der Blume davonging. Ist das etwa schon der „Schwung der Figur“, der sich auch auf unserem Covermotiv andeutet und den Rilke ein paar Jahre später in seinen Sonetten an Orpheus beschwört? Ist in ihm letztlich der „wendende Punkt“ inbegriffen, der Antrieb für die unerwartete Wendung?
Schwung, so schreibt Welsch weiter, sei ein Elixier des Lebens. Eine Göttergabe voller Schönheit und Übermut. Er lässt sich in der Anmut mancher Geste beobachten, auf der Bühne, im Orchestergraben, am Dirigentenpult. Wir wollen nicht tot sein, wollen Erstarrung nicht ertragen, sondern uns aufschwingen und den Tanz des vollen Lebens beschwören. Vor diesem Hintergrund möchten wir Ihnen zwei Aufeinandertreffen empfehlen, die ihre besondere Dynamik sicher nicht den wackeligen Zoom-Verbindungen verdanken: Anlässlich der Premiere von Lear und der Uraufführung von Singularity haben wir die beiden Komponisten der Opern, Aribert Reimann und Miroslav Srnka, sowie ihre Dirigenten Jukka-Pekka Saraste und Patrick Hahn zum Gedankenaustausch gebeten. Wie originell die vier Persönlichkeiten über das Komponieren und Proben während der Krise sprechen, über intensives Denken in ruhigen Zeiten und darüber, wie relevant Musik fürs System ist, lässt einen wieder etwas munterer werden. Um die Frage von zeitgemäßer Anziehung und Abstoßung geht es in Wiebke Hüsters bewegter Betrachtung des Pas de deux. Und die Solisten der Akademiekonzerte, der Cellist Maximilian Hornung sowie der Violinist Alexander Rozhdestvensky beschreiben, wo es beim Saitenstreichen überall vibrieren muss. Noch eines zum Schluss: Stefanie Carps Porträt über unseren Lear-Regisseur Christoph Marthaler ist ein Gedicht – womit wir, zumindest im übertragenen Sinne, wieder bei Rilke wären. Genießen Sie jede Zeile!
Nikolaus Bachler Intendant der Bayerischen Staatsoper
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INHALT
S. 44 ALLES
S. 3 EDITORIAL
Von Nikolaus Bachler S. 6 CONTRIBUTORS /
S. 46 AM WENDEPUNKT DES TANZES
Zwischen Anziehung und Abstoßung: Ist der Pas de deux noch zeitgemäß? Von Wiebke Hüster
IMPRESSUM S. 8 LIEBE
LYRIK
Künstlerinnen und Künstler der Bayerischen Staatsoper stellen Gedichte vor, die ihnen viel bedeuten S. 14
S. 52 „WOZU
Die Welt verändert sich ständig. Doch wo kommt das Neue eigentlich her? Von Wolfram Eilenberger DER GROSSZÜGIGE ⁂ Wie der Regisseur Christoph Marthaler die Dimensionen des Menschseins verhandelt Von Stefanie Carp
S. 60 DIE
S. 28 KAMPF
UM DIE MACHT ⁂ Was bleibt von der Macht, wenn man sie abgeben muss? Betrachtungen von Shakespeare bis Merkel Von Herfried Münkler
S. 66
S. 32
„MAN MUSS IRGENDWANN DAS ZUTRAUEN ZU SEINER EIGENEN SPRACHE FINDEN“ ⁂ Wie sich die Arbeit des Komponierens während der Pandemie verändert hat: eine Unterhaltung zwischen Aribert Reimann und Miroslav Srnka Von Benedikt von Bernstorff
AGENDA
S. 40 DIE
MUSIZIEREN WIR,
WENN NIEMAND ZUHÖRT?“ ⁂ Die Dirigenten Patrick Hahn und Jukka-Pekka Saraste diskutieren im Zwiegespräch darüber, wie relevant Musik fürs System ist Von Carolin Pirich
FIGUREN DER WANDLUNG
S. 20
VIBRIERT
Von Druck bis Muskelspannung: Zwei Solisten erzählen, wie man Streichinstrumente am besten zum Schwingen bringt Von Florian Heurich
SPUR DES MENSCHEN ⁂ Wird die Technik bald den Menschen bestimmen? Die neue Oper Singularity stellt unheimliche Fragen Von Bernd Graff
SCHÖNE NEUE WELT? ⁂ Von Nanorobotern, die unsere Gehirne bereisen: ein Blick in die Zukunft von Mensch und Maschine Von Ray Kurzweil
S. 68
SPIELPLAN
S. 70 DER
SCHWUNG DER FIGUR
Der Künstler Jerry Zeniuk interpretiert Rainer Maria Rilkes geheimnisvollen „Schwung der Figur“
GÖTTERGABE
Seit ein Virus die Welt beherrscht, fehlt uns der Schwung. Wo und wie finden wir ihn wieder? Von Wolfgang Welsch
MAX JOSEPH DAS MAGAZIN DER BAYERISCHEN STAATSOPER SPIELZEIT 2020 – 2021 DER WENDENDE PUNKT Nº 3: Der Schwung der Figur
Erschienen am 23. April 2021 Das Covermotiv dieser Ausgabe stammt aus der Bildserie Lucid des New Yorker Fotografen Adam Whyte.
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Premieren
S. 32 Juliane Noll Die Illustratorin Juliane Noll hat für Max Joseph vier Persönlichkeiten humorvoll charakterisiert. Während sich die Komponisten Aribert Reimann und Miroslav Srnka sowie die Dirigenten Jukka-Pekka Saraste und Patrick Hahn virtuell zum Gespräch trafen, fasst Nolls arabeske Linienführung sie bewegt auf Papier. Die Künstlerin lebt in Antwerpen und arbeitet dort u. a. für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und das Fare Magazine. S. 60 Mario Klingemann Mario Klingemann erkundet die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens, um kreative Prozesse und ästhetische Systeme in der Geschichte zu verstehen und durch KI Kunst entstehen zu lassen. Algorithmen, Codes und Unmengen von Daten, gewonnen aus digitalen Archiven, sind sein Handwerkszeug. Seine Arbeiten wurden u. a. beim Ars Electronica Festival, im Centre Pompidou und im MoMA gezeigt. S. 66 Ray Kurzweil Ray Kurzweil ist überzeugter Futurist, wegweisender Erfinder und Bestsellerautor, der über KI, Transhumanismus und technische Singularität schreibt. Sein Unternehmen Kurzweil Music Systems produziert elektronische Musikinstrumente, die natürliche Klänge künstlich reproduzieren. Derzeit ist er Leiter der technischen Entwicklung bei Google, wo er gemeinsam mit seinem Team die Sprachverarbeitung durch Computer vorantreibt.
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Chef vom Dienst Christoph Koch Redaktion Serge Honegger, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Lukas Leipfinger, Benedikt Stampfli, Nikolaus Stenitzer Bildredaktion Katrin Dillkofer Schlussredaktion Katja Strube Gestaltung Bureau Borsche Autorinnen und Autoren Benedikt von Bernstorff, Stefanie Carp, Wolfram Eilenberger, Bernd Graff, Florian Heurich, Wiebke Hüster, Ray Kurzweil, Herfried Münkler, Carolin Pirich, Wolfgang Welsch Bildkünstlerinnen und -künstler Joanna Buchowska, Mario Klingemann, Johannes Kuczera, Juliane Noll, Luci Pina, Sigrid Reinichs, Jordy van den Nieuwendijk, Jerry Zeniuk Marketing Eva Bergmann, T 089 – 21 85 10 27, besucher@staatsoper.de Anzeigenleitung Karla Hirsch, T 089 – 21 85 10 39, karla.hirsch@staatsoper.de Lithografie MXM Digital Service, München Druck & Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung. Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Das Papier von Max Joseph ist zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial. Es ist FSC®-zertifiziert und erfüllt sowohl die Kriterien des Blauen Engels als auch des EU Ecolabels. Zudem wird das Heft mit mineralölfreien Farben gedruckt.
Foto Courtesy Onkaos
S. 28 Herfried Münkler Herfried Münkler hatte den Lehrstuhl für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität inne und forscht zu Politischer Ideengeschichte und Kulturwissenschaft sowie Theorie und Geschichte des Krieges. Viele seiner Bücher standen auf der Spiegel-Bestsellerliste, für Die Deutschen und ihre Mythen erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Zuletzt veröffentlichte er mit seiner Frau Abschied vom Abstieg. Eine Agenda für Deutschland.
Redaktionsleitung Sarah-Maria Deckert
Foto Weinberg-Clark Photography
S. 20 Stefanie Carp Die promovierte Literaturwissenschaftlerin Stefanie Carp war Dramaturgin am Theater Basel und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet sie seitdem mit Christoph Marthaler, der sie 2000 als Chefdramaturgin am Schauspielhaus Zürich engagierte, und dem sie in dieser Ausgabe von Max Joseph ein außerordentlich persönliches Porträt widmet. Zuletzt war sie Intendantin der Ruhrtriennale.
Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.)
Foto Bambi
Max Joseph Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph Max-Joseph-Platz 2, 80539 München T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de, www.staatsoper.de
Foto Michael Kneffel / Alamy Stock Photo
S. 14 Joanna Buchowska Joanna Buchowskas Collagen zeigen surreale Orte, die menschenleer, schön und unheimlich sind. Sie eröffnen den Blick auf Häuser, zu denen der Zugang durch eine harsche Steigung oder merkwürdige Gestelle erschwert wird. Wir müssen draußen bleiben, weil beim Betreten die Konstruktion mit realen Versatzstücken, malerischen Elementen und zeichnerischen Strukturen ins Wanken gerät. Buchowska lebt und arbeitet in Berlin.
Foto Ralf U. Heinrichs
IMPRESSUM
Foto Cornelius Noll
CONTRIBUTORS
Der Mensch braucht sinnvolle Aufgaben. Geld auch. Felix Neureuther
Nachhaltig investieren. #gemeinsamverändern Gemeinsam können wir etwas gegen den Klimawandel tun. Ihr Geld nachhaltig anlegen zum Beispiel. Investieren Sie in Unternehmen, die erneuerbare Energien fördern, effizient mit Energie und Rohstoffen umgehen, umweltverträglich produzieren und Luft und Wasser nur wenig belasten. Da geht’s dann plötzlich nicht mehr nur um Rendite, sondern um Sinn.
hvb.de/nachhaltig-investieren Stand 11/2020
LIEBE LYRIK Der Titel der laufenden Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper, „Der wendende Punkt“, ist einem Sonett von Rainer Maria Rilke entlehnt. Poesie inspiriert, kann trösten und unterhalten. Deshalb bitten wir in jeder Ausgabe von Max Joseph Künstlerinnen und Künstler, Gedichte vorzustellen, die ihnen viel bedeuten.
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HEIMWEH
Von Joseph von Eichendorff, 1837 Wer in die Fremde will wandern, Der muß mit der Liebsten gehn, Es jubeln und lassen die Andern Den Fremden alleine stehn. Was wisset Ihr, dunkele Wipfeln, Von der alten schönen Zeit? Ach, die Heimath hinter den Gipfeln, Wie liegt sie von hier so weit. Am liebsten betracht' ich die Sterne, Die schienen, wenn ich ging zu ihr, Die Nachtigall hör' ich so gerne, Sie sang vor der Liebsten Thür. Der Morgen, das ist meine Freude! Da steig' ich in stiller Stund' Auf den höchsten Berg in die Weite, Grüß Dich Deutschland aus Herzensgrund!
Vor rund zwanzig Jahren gab es für eine kurze Zeit eine Diskussion, ob man nicht August Heinrich Hoffmanns altes Deutschlandlied, das einst eine Nation von innen heraus gegen das Außen ersingen wollte, durch etwas unserer Zeit Gemäßeres ersetzen solle. Ich dachte mir damals, es wäre schön zu zeigen, dass man seine Identität nicht durch Abgrenzung erzwingen muss. Vielmehr könnte man auf seine Heimat wie aus der Fremde sehen; als etwas, woran man sich gern erinnert – wie der Titelheld in Joseph von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts. Der entdeckt sein Empfinden für seine eigenen Ursprünge erst auf seiner Italienreise, in schätzender Kenntnis anderer Länder, als etwas, das von außen nach innen zurückkehrt, das aber immer auch chimärenhaft erinnerndes Objekt der Sehnsucht bleibt. Christian Gerhaher, Bariton (König Lear in Lear)
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SONETT 66
ERINNERUNG AN MARIE A.
Von William Shakespeare, 1609
Von Bertolt Brecht, 1920
All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei. Ich seh es doch: Verdienst muss betteln gehn Und reinste Treu am Pranger steht dabei Und kleine Nullen sich im Aufwind blähn Und Talmi-Ehre hebt man auf den Thron Und Tugend wird zur Hure frech gemacht Und wahre Redlichkeit bedeckt mit Hohn Und Kraft durch lahme Herrschaft umgebracht Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat Und Dummheit im Talar Erfahrung checkt Und schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt Und gutes schlechtesten die Stiefel leckt. All dessen müd, möchte ich gestorben sein, Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.
1 An jenem Tag im blauen Mond September Still unter einem jungen Pflaumenbaum Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe In meinem Arm wie einen holden Traum. Und über uns im schönen Sommerhimmel War eine Wolke, die ich lange sah Sie war sehr weiß und ungeheuer oben Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
(Aus dem Englischen von Christa Schuenke)
2 Seit jenem Tag sind viele, viele Monde Geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen Und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer Ich weiß nur mehr: ich küßte es dereinst. 3 Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen Wenn nicht die Wolke dagewesen wär Die weiß ich noch und werd ich immer wissen Sie war sehr weiß und kam von oben her. Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind Doch jene Wolke blühte nur Minuten Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Zwei unterschiedliche Gedichte von zwei Dichtern, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt haben. Und doch, würde man die Gedichte nicht kennen, könnte man das Sonett von Shakespeare vielleicht eher Brecht zuschlagen, „die Wolke“ von Brecht wohl vielmehr im Kosmos Shakespeares vermuten. Worin liegt aber diese Verwandtschaft? Ist es die treue oder untreue Liebe oder der Verdruss über die Verhältnisse, die Lügen, das Korrupte, die Vergänglichkeit des Seins? Sicher sind sie auch verwandt in alldem, entscheidend ist aber die Unmittelbarkeit der Worte, ihre Lebensnähe, die nicht allgemein bleibt, sondern pfeilschnell in die Regionen vorstößt, in denen man selbst gemeint ist, wo man bei seiner eigenen Lüge, seiner eigenen Armseligkeit, im Kern der eigenen Existenz erwischt wird. Diese Wahrhaftigkeit ist schmerzend und zugleich unendlich berührend; sie lässt einen gleichzeitig lachen wie weinen. Und diese Menschlichkeit ist nicht finster, sondern hell wie eben diese Wolke, die so „ungeheuer oben“ war. Geschrieben mit einer spielerischen Leichtigkeit, wie sie nur Theatermenschen zu zaubern vermögen. Nicolas Brieger, Regisseur (Singularity)
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DER GEREIFTE MANN
Von Daniel Ladinsky, 1999 Der Unterschied Zwischen einem guten Künstler Und einem großen Ist: Der Novize legt oft sein Werkzeug weg Oder den Pinsel Greift dann zu einem unsichtbaren Stock Auf dem Gedankentisch Und zerschlägt hilflos Leinwand und Jade. Doch der gereifte Mann Tut sich oder andern nichts mehr an Und macht weiter Bildet Licht. (Aus dem Englischen von Sabine Voß)
Hafis, der um 1320 im iranischen Schiras geboren wurde, ist einer der bedeutendsten persischen Dichter und Mystiker des Orients. Vor einigen Jahren fiel mir eher zufällig ein Gedichtband von Daniel Ladinsky in die Hände, ein zeitgenössischer amerikanischer Lyriker und Interpret mystischer Poesie. In The Gift: Poems by Hafiz, the Great Sufi Master hatte, so schien es, Ladinsky Hafis’ Verse ins Englische übertragen. Die Zeilen überraschten und begeisterten mich. Sie hatten eine Wirkung, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Auf der Suche nach einer deutschen Übersetzung musste ich dann allerdings feststellen: Ladinskys Fassungen sind gar keine Übersetzungen. Es sind nicht einmal freie Nachdichtungen auf der Grundlage von Hafis’ Werk, sondern schlichtweg Fälschungen. Dazu gibt es sogar Gutachten von einschlägigen Orientalisten. Aber auch wenn mich dieser Umstand zuerst einer gewissen Illusion beraubt hat, bleibt es dabei: Die oben stehenden Verse bewegen mich. Ist es dann am Ende nicht egal, wer sie geschrieben hat? Ausrine Stundyte, Sopran (Regan in Lear)
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KOMM, SAGE MIR, WAS DU FÜR SORGEN HAST
Von Joachim Ringelnatz, 1933 Es zwitschert eine Lerche im Kamin, Wenn du sie hörst. Ein jeder Schutzmann in Berlin Verhaftet dich, wenn du ihn störst. Im Faltenwurfe einer Decke Klagt ein Gesicht, Wenn du es siehst. Der Posten im Gefängnis schießt, Wenn du als kleiner Sträfling ihm entfliehst. Ich tät es nicht. In eines Holzes Duft Lebt fernes Land. Gebirge schreiten durch die blaue Luft. Ein Windhauch streicht wie Mutter deine Hand. Und eine Speise schmeckt nach Kindersand. Die Erde hat ein freundliches Gesicht, So groß, daß man’s von weitem nur erfaßt. Komm, sage mir, was du für Sorgen hast. Reich willst du werden? – Warum bist du’s nicht?
Bei dem Gedicht von Joachim Ringelnatz berühren mich vor allem die letzten beiden Strophen. Sie zeichnen eine Welt der Erinnerung und der Sehnsucht und geben ein Gefühl dafür, was Reichtum wirklich bedeutet: Zufriedenheit. Marcus H. Rosenmüller, Regisseur
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FIGUREN DER WANDLUNG Die Welt verändert sich und birgt so die Chance radikaler Erneu erung. Doch wo kommt das Neue her? Wer oder was brachte es in die Welt? Oder war es in Wahrheit immer schon da?
Essay Wolfram Eilenberger Collagen Joanna Buchowska 14
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h.of.t.d.su, 2019, verschiedenartiges Papier, Acryl, Tinte, Marker auf Leinwand, 80 x 70 cm (Detail), Foto: Sador Weinsčlucker
w.w.e.u.w, 2019, verschiedenartiges Papier, Acryl, Tinte, Marker, Bleistift auf Leinwand, 120 x 180 cm, Foto: Sador Weinsčlucker Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt; Rainer Maria Rilke, aus den Sonetten an Orpheus
Wie wirklich Neues und damit wahrer Wandel in die Welt kommt, war von Anfang an eine heikle Frage. Sonderlich für eine Kultur wie die abendländische, die für gut 2.500 Jahre im Banne von Platons Diktum „Alles Erkennen ist Erinnern“ stand. Denn was erinnert werden kann, war ja bereits. Kann also wesensgemäß nicht neu sein – höchstens bislang übersehen, vergessen oder verstellt. In solch einer Welt kann also eigentlich nichts neu erfunden werden, sondern allenfalls wiederentdeckt. Für eine zunehmend ökonomisierte Moderne, die ihre Wertbemessung an der Frage „Ist das wirklich neu?“ ausrichtet, natürlich ein veritabler Skandal. Für eine stetig wachsende Klasse mutmaßlich Kreativer eine bleibende Kränkung. Für eine mediale Lebenswelt schließlich, die alles umstürzende Disruptionen im Stundenrhythmus an sich vorbeirauschen sieht, als kulturelles Erklärungsmodell einfach nur grotesk. Und tatsächlich: Den tiefen Teller, die Atombombe, das absurde Thea ter, das iPhone, die „abkippende Sechs“, einen StrawberryLatte-Frappuccino, den Bitcoin, das Binnen-I oder gar das
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Coronavirus, dies alles soll es eigentlich, schon immer, irgendwie – als transzendente Ideen – gegeben haben? Echt jetzt? Gerade auf den ersten Blick gibt es gute Gründe, Platons These zu verabschieden. Womit besagtes Mysterium der Wandlung allerdings keineswegs geklärt wäre. Denn noch immer steht dann die Frage nach dem Ursprung des Neuen im Raum: Wo kommt es her? Wer oder was brachte es, mithilfe welcher Kräfte und Methoden, in diese Welt? Oder war es in Wahrheit doch schon immer da? Eine lieb gewordene Antwortfigur auf diese Fragestellung ist spätestens seit der Romantik das sogenannte Genie. Denn genau das zeichnet ein Genie ja aus: Es bringt, in welchen Bereichen auch immer, genuin Neues in die Welt. Meistens er (seltener sie) hat demnach einfach dieses gewisse Etwas, das man nach klassischer Lehre weder kaufen noch erlernen kann und das in jedem Fall mehr und anderes ist als bloße Intelligenz, Schläue, Kreativität oder reines Talent. Befragt nach seinen eigentlichen Inspirationsquellen aber vermag das Genie stets nur jene Zeilen zu wiederholen, die Richard Wagner in seiner romantischsten Oper, dem Lohengrin, zum Schlüsseltabu erklärt: „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art.“
Wo sich das wirklich Neue wohl finden lässt? Im anderen, im Fremden, in Existenzen, die am äußersten Rand des mutmaßlich Eigenen weilen.
Gerade nach romantischem Verständnis schöpft das Genie aus Sphären, die geheimnisvoll bleiben. Als kulturelle Nachfolgegestalt des Propheten löst es das Mysterium des Neuen also nicht, sondern verkörpert es. Romantisch recht verstanden ist das Genie deshalb nicht etwa höchst individueller Schöpfer und Innovator, sondern radikal entindividualisiertes Medium. Es spricht nicht für sich, sondern für „alle“ – in der National– romantik bevorzugt für das Ganze des mutmaßlich eigenen Volkes und dessen unverlierbaren Genius. Das schöne deutsche Wort „Einfall“ (lies: Ein-Fall) hält dabei die Ahnung lebendig, die wahren Quellen dessen, was ein Genie ausmacht, lägen jenseits von Bereichen, die rein willentlich zuhanden wären. Was vom Genie als Figur radikalen kulturellen Wandels übrig bleibt, hat man es erst einmal von allen Transzendenzahnungen befreit, lässt sich in heutiger Zeit an ikonisch überhöhten Machergestalten, an Elon Musk, James Dyson oder auch Jeff Bezos aufzeigen. Von ihren Anhängern quasivergöttlicht, verkörpern sie eine Metaphysik des reinen, oft distinkt destruktiven Wollens als Schöpfen und verstehen sich im Zeichen eines hierarchischen Individualismus als mover und shaker. Gemäß einem Romantitel der amerikanischen Philosophin Ayn Rand, der wohl konsequentesten Philosophin dieses postromantischen Ego-Kultes, schöpften und
schöpfen sie alles, nicht zuletzt ihre Milliarden, ganz aus sich selbst, sind ihre eigene, ewig sprudelnde und niemand sonst verpflichtete Wertquelle – eben ihr eigener Fountainhead. Aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker einer solchen Entwicklung hingegen taugen gerade diese disruptiven Leit gestalten als paradigmatische Verkörperungen eines letztlich pathologischen Charakterprofils, das unsere gesamte Kultur seit wahlweise 250 oder auch gern 2.500 Jahren tief deformiert: nämlich die des weißen männlichen Narzissten als machthungrigem und vielfältig missbrauchendem Egomanen. Ein Schöpferprofil, dessen Vorherrschaft, hat man es erst einmal derart auf den Begriff gebracht, dann auch und gerade in Kontexten des Theaters und Films besonders häufig vertreten zu sein scheint. Gerade in diesen Kreativinstitutionen braucht es deshalb mehr als einen nur personellen Wechsel, vielmehr einen, wie es dann gern heißt, „grundlegenden Kulturwandel“. Im Idealfall befördert und befeuert werden soll dieser Wandel von Kreativen, die als Macherinnen und Macher neuer Art und Prägung das ganz und gar andere des auslaufenden Modells des weißen männlichen Privilegnarzissten verkörpern: typologisch gesprochen also eher Frauen von den sogenannten Rändern der Gesellschaft, von den sozialen, besser aber noch den Rändern der eigenen Kultur und Ethnie. Und
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y.i.did.an, 2020, verschiedenartiges Papier, Acryl, Tinte, Marker auf Leinwand, 60 x 90 cm (Detail), Foto: Sador Weinsčlucker
dies nicht nur aus politischen Gründen der Repräsentationsgerechtigkeit, sondern auch, ja vor allem aus genuin künstlerischen Motiven. Schließlich lautet die wiederholte Nachkriegsantwort auf die Frage, wo sich das wirklich Neue wohl finden lasse: Es findet sich im anderen, im Fremden, in Existenzen, die am äußersten Rande des mutmaßlich Eigenen weilen, also in Zonen ökonomischer, soziologischer, kultureller oder auch sexueller, kurz, struktureller Marginalisierung. Da entsteht, lauert, lodert und brodelt es eigentlich: das wahrhaft Neue, der heilende Wandel! Eine zunehmend aktivistische Ahnung, die in ihrer A-prioriHeiligung des anderen freilich selbst tief romantisch getränkt ist. Und zudem das platonische Paradox des wahren Schöpfens als Erinnern eher vertieft als überwindet. Schließlich liegt es im Wesen von kulturell anderem als bislang Marginalisiertem, gerade nicht genuin neu zu sein. Eine semantische Differenz, die sich durch keine Sprachregel aus der Welt schaffen lässt. Genauso wenig wie die zwischen Wechsel und Wandel. An dieser Stelle mag nun der Eindruck erscheinen, man habe die Figur des „radikal Neuen“ und mit ihr den „wahren Wandel“ so weit begrifflich fetischisiert, dass ihr Auftritt letztlich immer scheinhaft bleiben müsse – es also mithin gar
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nichts wahrhaft Neues unter der Sonne gäbe oder auch nur geben könne. Zumindest nicht in den eigentlich leitenden Bereichen unserer Existenz, also denen des Wahren, Guten und Schönen. Exakt die Platon leitende Ahnung. Was wahrhaft ist, ist nicht neu und kann es nicht sein. Auch wandelt es sich nicht. Vielmehr werde radikaler Wandel demnach gerade da oberflächlich beschworen, wo meist gar nichts mehr ist. Ja allzu oft bestehe gerade in solcher Verhehlung der eigentliche soziale und politische Zweck verlautbarten Wandels: die Ablenkung vom Wesentlichen. Ganz explizit in der Spur dieser platonischen Intuition verstand sich auch eine der großen vergessenen, wenn nicht bewusst verdrängten Wandlungsfiguren des 20. Jahrhunderts, die Philosophin Simone Weil. Die Wucht und der Schwung ihrer Existenz und Denkfiguren sind so nachhaltig, dass sie ihre unmittelbaren Zeitgenossen notwendig überforderten und verstörten – und bis heute geradezu einen Skandal an Originalität und höherer Einsicht bedeuten. Während der 1930er und 1940er Jahre stand sie als Flüchtlingshelferin und Widerstandskämpferin für die Würde der Schwächsten und Marginalisierten ein. Und agierte gleichzeitig als schärfste Kritikerin jeder Form von Identitätsaktivismus („Der Wille, ein Vorurteil zu bekämpfen, ist meist eine
w.have.w.sy, 2020, verschiedenartiges Papier, Acryl, Tinte, Wasserfarbe, Marker, Bleistift auf Leinwand, 70 x 120 cm (Detail), Foto: Sador Weinsčlucker
eitle Angelegenheit“) sowie politisch aufgeladener Umsturzrhetorik („Nicht die Religion, die Revolution ist das Opium des Volkes“). Für Weil waren diese Impulse letztlich nur reaktive Spiegelphänomene eben jener Orgien narzisstisch getränkter Selbstermächtigung, welche die Führerkulte ihres Zeitraums in tödlicher Reinform verkörperten – und zwar durchaus nicht zufällig unter dem Banner eines „radikalen Wandels“, ja eines „neuen Menschen“. Einmal als Kultur jeder lebendigen Transzendenzanbindung beraubt, führt nach Weil eine fatale Linie von der Figur des romantischen Originalgenies zum nationalistischen Führerkult des 20. Jahrhunderts und von der verfehlten Subjektphilosophie der Moderne zu den moralinrevolutionären Machtstreben einzelner Anspruchs-Ichs unter dem Banner eines „Wir“ der Klasse, Rasse, Herkunft oder des Geschlechts („Man darf nicht Ich sein, aber man darf noch weniger Wir sein“). Dieser dunklen Konstellation des Pseudowandels stellt Weil eine Vision schöpferischer décréation entgegen, die ihre Hoffnung insbesondere auf die weltheilenden Kräfte der Künste setzt. Schöpfung – gerade in der Kunst – setzt nach Weil die radikale Ent-Schöpfung und Ent-Leerung des kreativen Ichs von allem bewussten Wollen und eigenmächtigen Erfinden und Streben voraus. Und zwar mit den Mitteln von
Exerzitien ungeteilter, ablenkungsfreier Aufmerksamkeit auf das, was bereits da ist. Alles wahre Schöpfen, erinnert uns Weil, ist ein Geschenk der Aufmerksamkeit auf eine Erfahrungswelt, deren Vorgegebenheit uns in jedem wandlungsfrohen Augenblick bis ins Unendliche transzendiert. Nichts fällt unserem ewig flatternden Geiste indes schwerer, als diese allzu offenbare Transzendenz in all ihrem schöpferischen Reichtum wirklich wahrzunehmen. Sie gleicht einer ewig wandlungsfrohen Kerzenflamme, die sich gerade dadurch entzieht, dass man allzu ich-willig und zielgesteuert nach ihr greifen will. Wie sie wohl aussähe, eine Feier des Schöpfens – eine Kunst, eine Kultur, eine Bühne der Zukunft –, die es endlich lassen könnte, nach dem zu greifen, von dem man in Wahrheit ergriffen werden muss? Gegenwärtig fast unmöglich zu ahnen. Der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger wendet in seinen Arbeiten philosophische Erkenntnisse auf aktuelle Fragen aus Politik und Kultur an. Er ist Mitglied der Programmleitung des Festivals phil.cologne, moderiert die Sendung Sternstunde Philosophie im Schweizer Fernsehen und besitzt eine DFB-Trainerlizenz. Zuletzt erschien sein Buch Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten bei Klett-Cotta. Mehr über die Bildkünstlerin auf S. 6
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DER GROSSZÜGIGE Christoph Marthalers Bühnenwelten bestehen aus Krisen, verfehlten Versuchen, Einsamkeit, Lächerlichkeit und Hysterie. Aber auch aus großer Schönheit. Unsere Autorin hat den Regisseur jahrelang begleitet und beschreibt, wie er die Dimensionen des Menschseins verhandelt. Ein persönliches Porträt.
Text Stefanie Carp Fotografien Johannes Kuczera Premiere Lear 20
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Als der lange, glückliche Applaus nach der Premiere von Murx an der Berliner Volksbühne im Januar 1993 verebbte, hörte ich einen Zuschauer hinter mir sagen: „Genau so war’s. Woher kann dieser Schweizer das wissen?“ Der Zuschauer war der damals prominente Regisseur aus der ehemaligen DDR, B. K. Tragelehn. Wenn man eine zusammenfassende Eigenschaft als Lebens- und Kunsthaltung für Christoph Marthaler nennen will, wäre sie: Großzügigkeit. Die Großzügigkeit, hinzusehen, zu warten, auf seine Sängerinnen und Sänger, Spielerinnen und Spieler, zu beobachten, das andere und die anderen zu respektieren, hat es Marthaler in seiner Kunst immer wieder ermöglicht, wie ein Seismograph wundersame Kondensate von sozialen Erfahrungen, die nicht seine waren, zu erspüren und zu artikulieren. Mit Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!, dessen Titel vom Schriftsteller Paul Scheerbart entliehen ist, hatte er mehreren Generationen der endlich mit dem westlichen Deutschland vereinigten Deutschen Demokra tischen Republik ins Herz getroffen. Das Personal auf der Bühne waren Schweizer Performer einer aus der regelmäßigen Zusammenarbeit mit dem Regisseur geborenen Urfamilie wie Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Ruedi Häusermann und diejenigen aus dem Ensemble der Volksbühne, die schon lange an diesem Theater engagiert waren und viel Geschichte mitbrachten. Christoph Marthaler hatte zugehört, sie erfinden lassen. Er hatte die für seine Arbeit typische Grundform eines Liederabends benutzt, in dem die Schicksalsgemeinschaft Vereinzelter an Einzeltischen sitzt in einer Art Asyl, in dem Teebeutel und Kuchen verteilt werden. Material des Abends war nur wenig Sprache, dafür viel Musik: deutsche Kunst- und Volkslieder, Arbeiterlieder, auch sogenannte Klavieranfälle, die in den virtuosesten Wahnsinn rauschten. Ein Satz wie: „Ein kleines Stückchen hätt’ ich gerne noch, nur ein winziges Stückchen“, wirkte da wie ein Emblem für das Lebensgefühl der vergangenen vierzig Jahre. Der Raum war der mehrdeutige Wartesaal von Bühnenund Kostümbildnerin Anna Viebrock als Zustandsbeschreibung für eine Gesellschaft. Die Kostüme aus Netzhemden, C&A-Pullöverchen, Trainingshosen und Kassenbrillen wur-
den für die kommenden zehn Jahre als DDR-Retromode stilprägend auf deutschen Bühnen. Wirkmächtig hier der Augenblick, in dem Häusermann als Heizer (in der Volksbühne wurde zu dieser Zeit teilweise tatsächlich noch mit Öfen geheizt) das deutsche Arbeiterlied im Ofen verbrennt, dann erst zögernd, vorsichtig und schließlich überwältigend im ganzen Raum trauriger, euphorischer und extrem energetischer Klezmer erklingt, gespielt von den Darstellern. Es sind diese Bilder, diese Musik, mit denen schockartig die Geschichte aufblitzt, und wodurch es Christoph Marthaler gelingt, noch eine ganz andere Dimension hinter dem Alltag aufzumachen, die uns beunruhigt entlässt. In Marthalers Inszenierung von Leoš Janáčeks Káťa Kabanová bei den Salzburger Festspielen (1998) gab es einen Moment im dritten Akt, nachdem Káťa ihr Geständnis gemacht hat und bevor sie sich umbringen wird, in dem alle handelnden Personen gleichzeitig auf die Bühnenrampe zugehen. Ein eindringliches Bild, das den Ablauf unterbricht. Es war ein Kollektiv der Toten, das uns Gegenwärtige ansah, als wollten sie uns sagen: So haben wir gelebt, und das Unglück, das jetzt kommt, haben wir nicht gewollt. Auch in der Arbeit zum deutschen Gedenken Stunde Null oder die Kunst des Servierens von 1995 in Hamburg gab es die Momente, in denen westdeutsche Politiker ihre Reden nur in Wandmikrofone murmeln, aber in selbstmitleidiger Reue öffentlich Tränen vergießen und am Ende des Gedenkens in immer wieder einstürzenden Betten nicht schlafen können. Das Selbstgefällige, auch in Erinnerung an die westdeutsch dominierte neue Bundesrepublik, wurde an der Elbe zur Satire der Anmaßung, während in Berlin die Erinnerung an die zu Ende gegangene DDR eine absurde Tragödie der Vergeblichkeit war. Mit den erwähnten Arbeiten wurde Christoph Marthaler in den 1990er Jahren als großer europäischer Künstler entdeckt. Über seine spezifische Bühnenwelt, über die große Musikalität und den skurrilen Humor seiner Arbeiten ist viel geschrieben und gesagt worden. Es ist eine Welt, nach der man süchtig werden kann und an der man teilhaben möchte. Dabei besteht sie vorwiegend aus Krisen, verfehlten Versu-
Es sind diese Bilder, diese Musik, mit denen schockartig die Geschichte aufblitzt, und wodurch es Christoph Marthaler gelingt, noch eine ganz andere Dimension hinter dem Alltag aufzumachen, die uns beunruhigt entlässt. 22
chen, Einsamkeit, Lächerlichkeit, Ungeschicklichkeiten und Hysterie. Aber sie besteht auch aus großer Schönheit, vor allem indem sie immer Musik wird. Es ist häufig der gemeinsame Gesang, der diese Schönheit und damit eine andere Dimension des Menschseins erzeugt. Denn dann beginnen die sprachlosen Autisten mit ihren Kassengestellen zu schweben, indem sie singen und einander so genau zuhören. Aus dem kollektiven Vorgang des Singens heraus entwickelt sich fast unmerklich Situatives und Szenisches. Deshalb sind auch da, wo weder gesungen noch ein Instru ment gespielt wird, Christoph Marthalers Abende in jeder Sekunde eine musikalische Komposition. Sie zeigen oder intonieren Zustände. Erzählte Handlung gibt es nur selten, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Im Laufe der Zeit haben sich naturgemäß die Stoffe und das Personal seiner Arbeiten verändert. Die Komposition – die Partitur aus Bewegungen, Tönen, Abläufen als äußerste Beherrschung von Zeit, Rhythmus und Ausdruck – hat sich perfektioniert, sodass Marthaler immer Musiktheater inszeniert, auch dort, wo das Material keine Oper ist. Seine Kreationen waren von Anfang an interdisziplinär. Er gehört, zumindest was das deutsche Sprech- und Musiktheater angeht, zu den Erfindern des Interdisziplinären. Er hat nie an die Sparte und deren Abgrenzung geglaubt. Er hat das Schauspiel mit Musikern, Sängerinnen und Tänzern unterlaufen. Umgekehrt unterläuft er die Oper mit den Performern und Spezialisten der Bewegung. Als er am Hamburger Schauspielhaus Goethes Faust – Wurzel aus 1+2 (1993) inszenierte, gab es vier Pianisten; sein Traum waren eine an den Wänden entlangführende Tastatur und 14 Pianisten. In den großen Musiktheaterprojekten, in denen er mit Chor, Orchester, Sängern, Performerinnen und unterschiedlichem musikalischen Material arbeiten konnte, ohne der Handlung einer Oper folgen zu müssen, entwickelt dieser Künstler die größte Freiheit des Ausdrucks. Es gibt immer etwas Entlastendes in den Ausdrucksformen von Christoph Marthaler. Das liegt nicht in der Musikalität allein begründet, sondern in jener großzügigen Haltung zur Welt und den Menschen, die eine feine, subversive Energie in allem birgt, das für wichtig und unumgänglich gehal-
ten wird. Diese heiter-anarchische Widerständigkeit verweigert sich dem Ernst und Ernstgenommenen sowie den Anmaßungen der Hochkultur. Ein Teil der Ästhetik und des Menschendaseins bei Christoph Marthaler hat immer damit zu tun, wie man Auswege finden könnte, um sich den Ansprüchen einer Aufgabe, eines Textes, eines Intendanten zu entziehen. Da ist immer ein bisschen Schulerinnerung mit im Spiel mit Schummeln und Schwänzen. Dementsprechend sind Marthalers Figuren meistens Verlierer voller nach innen gewandter und von Zeit zu Zeit explodierender Anarchie, die große Wünsche und Sehnsüchte haben, aber bei einem Annäherungsversuch an einen anderen Menschen kläglich scheitern, hinfallen oder einen ganz peinlichen Witz erzählen. Diese Schicksalsgemeinschaften der Verweigerer und Versager waren in den beginnenden 1990er Jahren eine wichtige Antwort auf die neoliberalen Erfolgsdiktate. Als Christoph Marthaler als Regisseur entdeckt wurde, hatten Werte wie Stärke, Geschwindigkeit, Konkurrenz, Wachstum und Konsum das Denken erfasst und wurden wenig hinterfragte Ansprüche. Wer wollte schon ein Loser sein? Da waren die in Asyl, Wartehallen oder Kneipen wohnenden Exzentriker, die unermüdlich etwas versuchten, das nicht gelang, eine entlastende und auch provozierende Antwort. Ein Faust, der nur noch die Vokale seiner Texte stottert und sich mit Mephisto zusammen an seine Geschichte erinnern muss oder Anton Tschechows in die Jahre gekommenen drei Schwestern, die eine Treppe immer nur hinuntergehen, waren nicht die Bühnenfiguren, die man erwartete in einer Zeit, in der Theater und Oper noch als bildungsbürgerliche Institutionen des Guten und Schönen galten. Die Inhalte und Texte des Repertoires zu dekonstruieren oder ein sogenanntes Projekt frei zu erfinden, waren damals neue Haltungen, die manchmal auch Unmut auslösten. Ich erinnere mich an einige wenige, aber dafür hasserfüllte Buhrufe bei der Premiere von Stunde Null, weil die Verbindung eines ernsten Themas wie das der deutschen Nachkriegspolitik und der Schuldverdrängung mit Satire und Komik manchen zu respektlos erschien. Unsere Wahrnehmungen und unser Theaterbegriff haben
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sich erweitert. Der inzwischen mit Preisen und Auszeichnungen überhäufte Christoph Marthaler ist sich über die Jahrzehnte treu geblieben. Die resignierten Verliererinnen und Verlierer einer Post-DDR-Gesellschaft, die einem Aufbruch hinterhersingen, dessen utopischer Gehalt schon zerstört war, bevor er begann, die glatt gebügelten westdeutschen Nachkriegspolitiker, die andauernd etwas einweihen, die in einem Sanatorium stillgestellten, sich langweilenden EuropaPolitikerinnen und -Politiker (Il viaggio a Reims, Opernhaus Zürich, 2015), die arbeitslosen deutschen Cowboys, die einen stillgelegten Vergnügungspark nach den Nuller Jahren wiederzubeleben versuchen (Hallelujah [Ein Reservat], Volksbühne Berlin, 2016), die brutal prekären Angestellten einer Pariser Freizeitzone in Wozzeck (Opéra national de Paris, 2017) oder die hilflosen Beamten einer Einbürgerungsbehörde (Tiefer Schweb, Münchner Kammerspiele, 2017): Sie alle sind vom Ende der 1980er Jahre bis heute die gleichen Vergeblichkeitshelden, in ihrer Hingabe an das Leben, das immer ein Missgeschick ist, unendlich komisch und berührend. Zusammen sind sie in der Musik. Deshalb bleiben die Sprachversuche, die abgebrochenen Sätze, die verunglückten Gesten, die unbeantworteten Sprechanfälle oder hysterischen Wutausbrüche so lange unerlöst, bis sie Gesang oder ein musikalischer Zustand werden dürfen. In den 1980er Jahren komponierte und arrangierte Christoph Marthaler für andere Regisseure an vielen großen Häusern des deutschsprachigen Theaters Musik, für die ein schwebender Zustand und außergewöhnliche Instrumentierungen charakteristisch waren. Nebenher war er auch damals schon in der Freien Szene der Schweiz Regisseur, der mit Schauspielerinnen, Sängern wie Dodo Hug, Musikern und anderen Spezialistinnen seine von Kurt Schwitters (Ribble, Bobble Pimlico) und von Erik Satie (Indeed. Ein Interieur sowie Blanc et Immobile) inspirierten, immer anarchischen Projekte erfand. Die dadaistische Haltung, die damals in den Zürcher Jugendrevolten weit verbreitet war, ist als spezielle Subversion in Marthalers Arbeiten bis heute präsent. Aufgewachsen ist Christoph Marthaler in Erlenbach am Zürichsee. Er hat in Zürich Oboe und Blockflöte studiert.
Einige Jahre lebte er in Paris, wo er die vom Theaterpädagogen Jacques Lecoq gegründete École internationale de théâtre besuchte. Die französische Hauptstadt ist dem Schweizer Regisseur immer eine Sehnsucht geblieben, die er sich viel später im Leben dann auch für einige Jahre erfüllt hat. Als Ende der 1980er Jahre der Direktor Frank Baumbauer und sein Team ihn einluden, am Theater Basel zu arbeiten, zog er von Zürich nach Basel in eine kleine Wohnung, die über dem Rhein, sehr nah am Wasser schwebte, und in der sich in langen, frohen Nächten viel schöner Unsinn ausgedacht wurde. Ankunft Badischer Bahnhof hieß die erschütternde und zugleich schöne szenisch-musikalische Installation, die Marthaler im November 1988, am Jahrestag der Nazipogrome realisierte, um der jüdischen Geflüchteten zu gedenken, die an dem Grenzbahnhof häufig von den Schweizer Behörden wieder nach Nazideutschland zurückgeschickt wurden. Aus den Gepäckfächern wisperten Texte, aus den Lautsprechern auf den Bahnsteigen erklangen Bruchstücke von Schuberts Winterreise, an den Wänden kauerten verlorene Menschen, die Botschaften auf die Kacheln kritzelten, und irgendwann kam das Geschehen in einer unmerklichen Gesamtbewegung im Bahnhofsbuffet zusammen und wurde Musik. Als Christoph Marthaler gefragt wurde, am Theater Basel Die Affäre Rue de Lourcine von Eugène Labiche zu inszenieren, zögerte er. Es wurde der Beginn der Zusammenarbeit mit Anna Viebrock, die für ihn seitdem eine enge und inspirierende künstlerische Partnerin ist. Viebrocks Bühnen enthalten immer mehr als nur eine Wirklichkeit. Sie sind geträumte Realräume, in denen es Architekturen, Mechaniken, elektrische Geräte gibt, die ein irritierendes Eigenleben führen: Heizungen, Signale, Fahrstühle, Leitungen. In der Affäre Rue de Lourcine war es ein Wasserboiler, aus dem ein Männerchor sang, den aber nur die beiden im Restalkohol der vergangenen Nacht verirrten männlichen Protagonisten hörten. Und in der Inszenierung des Faust-Fragments von Fernando Pessoa (1992), in dem mehrere Pessoa-gleiche Melancholiker in einem Kontor und einer Bar ihr Leben verträumten, unter ihnen André Jung und Josef Ostendorf, die neben den
Die Sprachversuche, die abgebrochenen Sätze, die unbeantworteten Sprechanfälle oder hysterischen Wutausbrüche bleiben so lange unerlöst, bis sie Gesang oder ein musikalischer Zustand werden dürfen. 25
Schweizern Ueli Jäggi und Jürg Kienberger zu zentralen Spielern der sogenannten Marthaler-Familie wurden, klimpert ein Klavier irgendwo in einem entfernen anderen Raum eine Fado-Melodie. Diese Männermaschinen, die immer etwas infantil sind, sich immer etwas fürchten, besonders vor Frauen, wurden ein wichtiges, mit viel Empirie aufgeladenes Element. „Bald wird die Oper ihn entdecken, und dann haben wir ihn für immer verloren“, befürchtete Frank Baumbauer. Die Oper kam schon 1994 in Gestalt des Dirigenten und damaligen musikalischen Leiters der Oper Frankfurt: Sylvain Cambreling. Debussys Pelléas et Mélisande schien wie für Christoph Marthaler und Anna Viebrock geschrieben zu sein. Mit Cambreling und dem Klangforum Wien erfand Christoph Marthaler außerdem die Operette neu. Pariser Leben (1998) von Jacques Offenbach war musikalischer, sinnlicher und überbordend schöner Wahnsinn. Gérard Mortier, der für viele Jahre enger Freund und künstlerischer Partner wurde, lud Marthaler an die Brüsseler Oper La Monnaie und zu den Salzburger Festspielen ein. Für Salzburg hatte Mortier ihm Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire und Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps vorgeschlagen. Eine Gruppe von Pierrots tun alltägliche Dinge, räumen auf, reparieren dies und jenes, müssen ihre Bedürfnisse verbergen und hören im zweiten Teil des Abends der Musik von Messiaen zu, so ausdrucksstark, dass man es nicht vergisst. Besonders im Musiktheater ist Marthaler und Viebrock der Kon trast gelungen zwischen dem „Kraftwerk der Gefühle“, wie Alexander Kluge das Ereignis Oper bezeichnete, der Dramatik der Musik und der Geschichte sowie der Schäbigkeit einer Realität, auf deren empirischen Boden sie die Oper stellen. Sie zeigten Fidelio in Frankfurt (1997) in einer deutschen Behörde, die mindestens so bedrückend war wie ein Kerker, die bereits erwähnte Salzburger Inszenierung von Káťa Kabanová im Ambiente einer Plattenbausiedlung, sie verlegten in der Opéra Garnier in Paris die Festszene bei Violetta aus La traviata in die Zuschauergarderobe, in der Garderobenmarken statt Champagnergläser in die Luft gehalten wurden.
Marthalers Großzügigkeit machte auch andere großzügig. Jede und jeder durfte sich die Zeit nehmen, Fehler zu machen, eigenen Ausdruck zu behaupten. Es entstand eine künstlerisch intensive Gemeinschaft mit dem Ensemble und den bemerkenswerten jungen Künstlern Stefan Pucher und Falk Richter sowie der Tänzerin Meg Stuart und den vorbeikommenden Gästen Frank Castorf und Christoph Schlingensief. Dem alten Schauspielhaus Zürich wurde eine ehemalige Industriehalle hinzugefügt, die „Schiffbau“ getauft und ein eigenes neues Reich der Freiheit wurde. Trotz vieler Auszeichnungen für die Kunst passte den Zürcher Politikern die neue und anarchische Ausrichtung des Hauses nicht. Der Streitigkeiten müde brach Christoph Marthaler diese lustigste aller Intendanzen vorzeitig ab. Nach dem Zürcher Abenteuer veränderte sich die sogenannte Marthaler-Familie, die sich in Wirklichkeit kontinuierlich erneuert hat. Einige gingen ihre eigenen Wege, einige sind gestorben, einige wollten in der Schweiz bleiben. Christoph Marthaler ging nach Paris, wurde Vater, heiratete und arbeitete weiter. Hat sich die Marthaler-Welt verändert? Die Innenräume sind jetzt häufiger ein Sanatorium und kein Asyl. Aber auch in der gebrochenen Eleganz sind die Menschen meist sozial angeschlagen und selten selbstbewusst. Ein ziemlich belebtes Zwischenreich zwischen Lebenden und schon Toten zeigte uns Christoph Marthaler in seiner jüngsten Arbeit am Opernhaus Zürich in Orphée et Euridice. Das Personal der Unterwelt bilden gut gekleidete Angestellte und schöne Frauen, die unmerklichen Zeichen folgend eine rätselhafte Welt herstellen. Wenn Christoph Marthaler als Nächstes an der Bayerischen Staatsoper Lear von Aribert Reimann inszeniert, wird er sich auf den inneren Zustand des Lear, von dem die Musik erzählt, konzentrieren, statt auf die Intrigen der Handlung. Ihn werden das Widersprüchliche und die Ängste eines Lear stärker interessieren als das Machtaffine. Der Zustand von König Lear ist nicht der Aufstieg, sondern der Abstieg von der Macht und der Tod. Er wird sich also den Fehlern von Lear widmen, den Schwächen und allem Verlorenen. Als großzügiger Beobachter. Mehr über die Autorin auf S. 6
CHRISTOPH MARTHALER, geboren in Erlenbach bei Zürich, wurde 1993 mit seiner Inszenierung Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab! auf den deutschen Bühnen bekannt. Am Theater Basel folgten die Musiktheaterprojekte The Unanswered Question und 20th Century Blues. Von 2002 bis 2004 war er Intendant des Schauspielhauses Zürich, das in dieser Zeit zweimal zum Theater des Jahres gewählt wurde. Neben vielen weiteren seiner Inszenierungen wurden die Abende Das Theater mit dem Waldhaus und Riesenbutzbach. Eine Dauerkolonie zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Marthaler inszenierte u. a. Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen, Les Contes d’Hoffmann am Teatro Real in Madrid und Lulu an der Hamburgischen Staatsoper. Letztere Produktion erhielt die Auszeichnung „Performance of the Year“ und den Theaterpreis Der Faust. Bei der Ruhrtriennale widmete er sich 2018 Charles Ives’ Universe, Incomplete. Zuletzt inszenierte er Orphée et Euridice am Opernhaus Zürich. An der Bayerischen Staatsoper folgt nun sein Hausdebüt mit Aribert Reimanns Lear.
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KAMPF UM DIE MACHT Was bleibt von der Macht, wenn man sie abgeben muss? Dramatische und melancho lische Augenblicke zwischen Machtergreifung, Macht wechsel und Machtverlust von William Shakespeare bis Angela Merkel.
Text Herfried Münkler Plakat Luci Pina Premiere Lear 28
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Demokratie und Verfassung haben der Politikbeschreibung das Pathos des Tragischen genommen. Zumindest für die Augenblicke des Machtwechsels, der sich in vordemokra tischen und vorkonstitutionellen Zeiten fast immer unter dramatischen Umständen vollzogen hat. Entweder weil ein Machthaber zu früh verstorben ist oder weil er sich länger an die Macht klammerte, als er ihr gewachsen war; weil er keine Kinder hatte oder aber zu viele; weil die Kinder zerstritten waren oder gemeinsam gegen den Vater (eher selten gegen die Mutter) konspirierten; weil plötzlich illegitime Nach kommen auftauchten, die bei der Machtbeerbung mitmischen wollten – oder weil keines der legitimen Kinder für die anstehenden Aufgaben geeignet war. Das System der Macht weitergabe an die eigenen Nachkommen war heikel und krisenbehaftet, nicht zuletzt deswegen, weil der abgetretene Potentat zu viel oder zu wenig Potenz gehabt und sie zur Unzeit und am falschen Ort ausgelebt hatte. Die Chance, dass sich ein Machtwechsel ohne Verwerfungen vollzog, war überaus gering. Das machte die Sache spannend. Shakespeare, der wie kein anderer die Dynamik des Machtkampfs auf die Bühne brachte, hat in seinen Stücken mehrfach die Konstellationen des Machtwechsels als dramatische Komprimierung dessen genutzt, was auch im tagtäglichen Machtkampf stattfindet. Freilich sich über lange Zeit hin ziehend und auf diverse Räume verteilt, weshalb die oft verzwickte Dramaturgie seiner Dramen zum Lachen wäre, wenn man nicht über die Tragik des Gezeigten heulen müsste. Das ist beim vordemokratischen oder außerkonstitutionellen Machtwechsel anders: Das ganze Drama des Politischen ist hier auf wenige Augenblicke komprimiert, und es tritt alles zutage, was sonst wohlgehütet ist und sich im Verborgenen abspielt. Die Machtweitergabe in autoritären Regimes, die weder durch eine Verfassung gezähmt noch durch das Volk kontrolliert ist, führt ein ums andere Mal dazu, dass man viel von dem erfährt, was sonst hinter den dicken Mauern und unzugänglichen Türen der Regierungspaläste verborgen bleibt. Das hat Shakespeare angezogen; hier wurde er als Machtanalytiker fündig. Wie gut, möchte man meinen, dass es einstmals solche Konstellationen gegeben und Shakespeare sie dargestellt hat – aber wie gut auch, dass es sie heutzutage, jedenfalls in Westeuropa, nicht mehr gibt und wir diese als potenziell Betroffene nicht erdulden und erleiden müssen, sondern sie uns als wohlplatzierte Theaterbesucher mit gedämpftem Aha-Erlebnis zu Gemüte führen können. Verfassung und Demokratie haben den Politikbetrieb entdramatisiert und den Machtwechsel zu einem sich in regelmäßigen Abständen wiederholenden Routinevorgang gemacht. Außer wenn derjenige, der abtreten muss, Donald Trump heißt und die Macht nicht loslassen will. Aber selbst der hat sich nach dem Fehlschlag seiner Staatsstreichversuche – dem Druck, den er auf Gouverneure und Behördenleiter ausübte, die ihm missfallenden Wahlergebnisse nachträglich zu fälschen, und der Aufforderung an einen aufrührerischen Mob, das Parla-
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mentsgebäude zu stürmen – nach Florida zurückziehen dürfen, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. Von dort aus frondiert er nun gegen die neuen Machthaber in Washington. Die Tragödie der Republikanischen Partei geht als Farce über die Bühne. Wäre man zynisch, ließe sich sagen: Daraus hätte Shakespeare sicher ein schönes Spektakel für die Bühne machen können. Dass der demokratische Machtwechsel zu einem Routine vorgang geworden ist, mag er nun, wie in den USA und Frankreich, mit einem pompösen, oder aber, wie in Deutschland, mit einem bescheidenen, fast unterkühlten Zeremoniell verbunden sein, ist ein Problem für alle, die einen Machtwechsel zum Systemwechsel machen wollen. Man kann das an der Goebbels’schen Inszenierung studieren, mit der die im Rahmen der Weimarer Verfassung erfolgte Ernennung des NSDAPPolitikers Adolf Hitler zum Kanzler eines Kabinetts, in dem die Nazis in der Minderheit waren, in den „Tag der Machtergreifung“ verwandelt wurde. Das wiederholte sich zwei Monate später in und vor der – zurzeit übrigens im Wiederaufbau begriffenen – Potsdamer Garnisonkirche, wo ein Sa kralitätstransfer vom alten Preußen auf das neue Regime vollzogen wurde. Beides, der Fackelzug von SA-Männern durchs Brandenburger Tor und der Handschlag des in die Uniform des kaiserlichen Feldmarschalls gekleideten Hindenburg mit dem zivil gewandeten Hitler, sollten die Reversibilität des demokratischen Machtwechsels konterkarieren. Auf der Ebene des Symbolischen wurde gegen die Routine des Demokratischen angearbeitet. Es wurde der Eintritt in eine neue Zeit vorgeführt und gleichzeitig eine Legitimation des Regimes aus der Vergangenheit geholt, die an die preußische Geschichte der Hohenzollern, des großen Friedrichs und von anderen erinnert. Es ging darum, Hitler eine quasihereditäre Legitimität zu verleihen, indem man ihn in eine Traditions linie von Friedrich dem Großen bis Hindenburg hineininszenierte, um das Bündnis seiner kleinbürgerlich-plebejischen Bewegung mit den konservativen Eliten zu festigen. Die tiefen politischen Zerwürfnisse sollten durch die Vorführung der Einheit unsichtbar gemacht werden. Was am 30. Januar 1933 formal eine Machtübertragung auf Zeit war, wurde durch die Zurschaustellung von Macht ergreifung und Sakralitätstransfer zu einer Mehrfachlegitimation, in deren Folge aus einem Reichskanzler „der Führer“ wurde. Dabei knüpfte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bewusst an vordemokratische Traditionen an, die insbesondere in den letzten Tagen des Regimes nochmals zum Tragen kamen, als Hitler nach Belieben ihm missliebig gewordene „zweite Leute“ absetzte und andere zu deren Nachfolgern ernannte. Der willkürliche Umgang mit den Personalien erinnert an die Ausgangslage von King Lear, wo die überschwängliche Bekundung von Liebe zum Vater über die Weitergabe der Macht entscheidet – mit dem Unterschied, dass es im April 1945 nicht um Liebe, sondern um Treue ging. Treue spielte in der NS-Ideologie eine zentrale Rolle; der Zerfall der Führungsclique kurz vor Ende des Regimes zeigt indes,
wie viel Heuchelei und Verstellung dabei im Spiel waren. In der Welt des entfesselten Machtkampfs, die Shakespeares King Lear zeigt, gibt es nichts, worauf man sich verlassen kann, weil alles Lug und Trug oder Idiosynkrasie sein kann. Und am Ende gibt es nicht einmal den Trost einer schließlich doch obsiegenden Gerechtigkeit: Die Bösewichte sind tot, ebenso aber auch die Guten, und der nun an die Macht gelangte Edgar, ein Guter, ist eine zutiefst melancholische Gestalt. Da ist es den Deutschen mit den Strafgerichten der Siegermächte letzten Endes besser ergangen. Die Verurteilung der Verbrecher ermöglichte einen symbolischen Neuanfang. Den gibt es für Edgar nicht. Er kommt an die Macht als Taufkind Lears und legitimer Erbe Glosters: Der Kampf geht also weiter. Vom Ende des Geschehens zurück zu seinem Anfang, zu der Frage, wie ein Machtwechsel geregelt und formalisiert werden kann. Das demokratische Verfahren der zeitlich begrenzten Machtübertragung qua Wahl durch das Volk ist schließlich nur eine Antwort darauf – und womöglich ist es auch nur ein Teil der Antwort, bei der offenbleibt, wo diejenigen herkommen, zwischen denen das Volk die Wahl hat. Der Soziologe Max Weber hat von einer der Wahl vorhergehenden Auswahl durch Bewährung im Machtkampf gesprochen, in dem sich die Bewerber hervortun, um in die eigentliche Wahl zu kommen. Das hat Weber als den spezifisch demokratischen Selektionsprozess begriffen: Nur wer aus diesem nach Regeln ausgetragenen Machtkampf „gestählt“ hervorgegangen ist, kann an die Spitze des Staates treten. Darin sah Weber die Überlegenheit des demokratischen gegenüber anderen Ausleseverfahren. In Bezug auf den Heuchelei wettbewerb zu Beginn von King Lear hatte er recht. Lears Töchter Goneril und Regan sind schlichtweg schlechte Machthaberinnen, beherrscht von Geiz und Gier, Eifersucht und sadomasochistischen Gelüsten. Die dritte Tochter Cordelia wiederum ist dem Spiel der Ränke und Intrigen im Kampf um die Macht nicht gewachsen. Das gilt auch für Sohn Edgar, der ein Opfer der hinterhältigen Machenschaften seines Halbbruders Edmund wird, von seinem Vater Gloster verstoßen und zuletzt nur darum auf den Thron gelangend, weil er im Schwertkampf der Gewandtere ist und Edmund tötet. Die Parallelgeschichte zu Lears Scheitern an der Nachfolgefrage, die im Hause Gloster, wo der legitime Sohn verstoßen wird, weil der illegitime den Vater zu täuschen versteht, kommt zu demselben Ergebnis: Das System der hereditären Machtfolge ist extrem fehleranfällig, weil es einen Konflikt zwischen den Kindern erzeugt, der in Mord und Totschlag endet. Der demokratische Verfassungsstaat hat den Streit um die Nachfolge zivilisiert – aber nicht beseitigt. Fast alle Probleme der Nachfolgeregelung bleiben bestehen, nur eben reduziert. Das beginnt damit, ob jemand, der gute Chancen hätte, bei der anstehenden Wahl im Amt bestätigt zu werden, sich entscheidet, nicht noch einmal anzutreten und einen „Generationswechsel“ einzuleiten. Konrad Adenauer und Helmut Kohl hatten am Ende ihrer Kanzlerschaft seitens Partei und Fraktion designierte Nachfolger, doch Adenauer klammerte sich ans
Amt, weil er Ludwig Erhard fürs Kanzleramt als ungeeignet ansah, und Kohl verlor die Wahl, weil viele Wähler seiner überdrüssig waren. So wurde damals der von der Presse schon als „Kronprinz“ bezeichnete Wolfgang Schäuble Oppositions führer statt Kanzler. Auch Angela Merkel, die zunächst geschickt agierte und die von ihr ausersehene Annegret Kramp-Karrenbauer vorsichtig für die Nachfolge in Stellung brachte, erlitt Schiffbruch, weil diese den Herausforderungen des Berliner Politikbetriebs nicht gewachsen war. Also hielt Merkel sich bei der Nachfolge der Nachfolge heraus und ließ der offen ausgetragenen Konkurrenz ihren Lauf. Demokratische Nachfolgeregelungen funktionieren am besten, wenn der abtretende Amtsinhaber die Entscheidung denen überlässt, die offiziell damit betraut sind. Lear gehört zu denen, die freiwillig auf die Macht verzichten, weil diese zur Bürde geworden ist. Aber das, was an der Macht komfortabel ist und nicht drückt, will er behalten. An den Kosten seiner Apanage entzündet sich der Streit mit den beiden Töchtern, zwischen denen er sein Reich schließlich aufteilt: Der Alte mit seinem Gefolge geht ihnen auf den Beutel und die Nerven. Außerdem mischt er sich in Dinge ein, die ihn nichts mehr angehen. Die Bonner wie die Berliner Republik haben das Glück gehabt, dass sich derlei bislang auf Zwischenrufe und Memoirenschreiben beschränkt hat; die unvermeidliche Besserwisserei wurde zumeist durch Altersnachsichtigkeit gegenüber den Patzern der Nachfolger begrenzt. Das galt im Großen und Ganzen in der Vergangenheit auch für die USA, wo der Abschied vom Präsidentenamt allerdings auf einen sehr viel größeren Machtverzicht hinausläuft. Mit Trump hat sich das geändert, und das könnte wieder passieren. Der Machtkampf in der Demokratie wird darum nicht tragödienförmig werden; vieles deutet darauf hin, dass es bei der Farce bleibt. Aber die Machtkämpfe werden ruppiger und die Gesellschaft zerrissener. Mehr über den Autor auf S. 6
LEAR – König Lear will sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen. Diejenige, die ihn am meisten liebt, soll am meisten bekommen. Da Cordelia in lediglich schlichten Worten die Zuneigung zu ihrem Vater beschreibt, enttäuscht sie ihn und geht leer aus; die anderen beiden Töchter sollen hingegen mit der Macht über das Königreich betraut werden, und alsbald herrschen Zwietracht und Intrige. Lear zerbricht daran, wird ein machtloser Bettler und verfällt dem Wahn. Basierend auf William Shakespeares Tragödie King Lear komponierte Aribert Reimann die Oper als Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper. Nach mehr als 40 Jahren kommt der Klassiker des 20. Jahrhunderts am Ort der Uraufführung wieder auf die Bühne. Reimanns Musik zeigt deutlich, wie gebrochen Lear vor sich hin vegetiert und drückt durch instrumentale Clusterstrukturen eine atemberaubende Atmosphäre aus. Termine im Spielplan ab S. 68 und unter www.staatsoper.de/spielplan
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„MAN MUSS IRGENDWANN DAS ZUTRAUEN ZU SEINER EIGENEN SPRACHE FINDEN“
Verändert die Pandemie die Arbeit des Komponierens? Aribert Reimann und Miroslav Srnka über geistige Quarantäne, Ruhe für neue Gedanken und die Frage, wann man sich über Grenzen werfen muss.
Interview Benedikt von Bernstorff Illustrationen Juliane Noll Premiere Lear, Uraufführung Singularity 32
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MAX JOSEPH Herr Reimann, Herr Srnka, Menschen, die keine Opern oder Streichquartette schreiben, stellen sich das Komponieren vielleicht als eine eher einsame Tätigkeit vor oder jedenfalls als einen Prozess, in dem das Alleinsein produktiv gemacht wird. Haben Sie einen Rhythmus zwischen Rückzug und Welterleben? ARIBERT REIMANN In der Zeit, als ich noch sehr viele Konzerte als Pianist mit Sängern gespielt habe, sehr viel gereist bin und unterrichtet habe, habe ich mir die Lehrverpflichtung immer kursweise organisiert, um während des Komponierens nicht unterrichten zu müssen. Man lebt tatsächlich total zurückgezogen, wenn man arbeitet, vor allem, wenn man eine Oper schreibt, Miroslav wird das kennen. Die Arbeit an einer Oper erstreckt sich immer mindestens über zwei Jahre. Als ich den Lear oder auch die Medea schrieb, bin ich spätestens im zweiten Jahr nirgendwo mehr hingegangen: kein Thea ter, kein Konzert, nichts. Jede Reise war furchtbar. Das Interessante ist, dass man auch mit den Figuren lebt. Ich befinde mich beim Komponieren dauernd auf der Bühne, in den Menschen oder unten im Orchestergraben. Gerade wenn man eine Oper schreibt, muss man wirklich jeden Tag dranbleiben. MIROSLAV SRNKA Bei mir ist das nicht nur bei einer Oper so. Ich mag es einfach, täglich zu arbeiten, täglich zu komponieren, unabhängig von dem, was ich außerdem zu tun habe. Sonst entsteht bei mir eine Art von Überdruck, und ich kann mich auch auf andere Dinge nicht konzentrieren. Wie Aribert sagt: Bei den größeren Sachen muss man sich total zurückziehen, weil so vieles im Denken gleichzeitig da sein und sich miteinander vermischen können muss. Eine ungeschickte Unterbrechung, da genügen schon Minuten, kann dazu führen, dass man eine ganze Woche verliert. In der Zeit von Handys und E-Mail wird es allerdings immer schwieriger, einen solchen Rückzug überhaupt konsequent durchzuhalten.
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MJ Wie
erleben Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle Situation, in der von allen Menschen ein radikaler Rückzug aus der sozialen Welt gefordert wird?
AR Dieser Corona-Zustand verändert die Arbeit des Kom-
ponierens eigentlich nicht. Viel schlimmer ist es für unsere Interpreten. Uns Komponisten ist diese Zeit des Rückzugs nicht fremd. Aber auch für uns ist natürlich schrecklich, dass wir keine Aufführungen mehr haben. Mir sind sechs Premieren und ebenso viele Konzertaufführungen durch Corona weggebrochen. Der Arbeitsprozess selbst jedoch spielt sich immer zu Hause am Schreibtisch ab, weit weg von allem anderen. MS In einem absurden Sinne entspricht der LockdownZustand tatsächlich einer typischen Komponistenzeit. MJ Das
Phänomen der Quarantäne war Ihnen also auch schon vor der Pandemie vertraut.
MS Wir
nehmen gelegentlich freiwillig eine Quarantäne, eine geistige Quarantäne, in Anspruch. Beim ersten Lockdown gab es auf einmal diese unglaubliche Ruhe zum intensiven neuen Denken. Plötzlich war klar, dass ein Abschnitt zu Ende ist und wir überlegen müssen, wie es danach sein wird.
MJ Herr Srnka, Sie haben eine Kompositionsprofes-
sur in Köln. Wie erleben Sie das Unterrichten in dieser Zeit? MS Es ist eine Art von Erfrischung und der permanente Ver-
such, die Zusammenkunft mit den Studierenden auch in der neuen Zoom-Realität aufrechtzuerhalten. Die Masterstudierenden kommen zum Beispiel nur für zwei Jahre zu uns. Sie erleben jetzt wahrscheinlich mehr als die Hälfte ihrer Studienzeit im Lockdown. Diese Digital Natives haben so viel mehr Grund und auch Gelegenheit, wirklich alle digitalen Medien in ihre Konzepte von
Anfang an einzuarbeiten. Es ist, als ob dies schon vorher lange in der Luft lag, aber erst jetzt zu einem schnellen und allgemeinen Paradigmenwechsel im Komponieren führt. Für die Zukunft könnte diese Umstellung eine tiefgreifende Veränderung der Institutionen verursachen.
einem Guss geworden, das seine Gültigkeit über die Jahrzehnte bewahrt hat. Durch die regelmäßige Rhythmik und die langen Perioden wird es aus meiner Sicht syntaktisch immer schwieriger, einen originalen Text von Shakespeare in die neue Musik einzuarbeiten. Dagegen ist beispielsweise Emily Dickinson mit ihren oft nur aus wenigen Worten bestehenden Texten zu einer Art Lieblingsdichterin der zeitgenössischen Musik geworden. Inhaltlich jedoch ist Shakespeare ein Autor, der Komponistinnen und Komponisten nicht schlafen lässt. Einen einzelnen Satz von ihm, der in etwa so lang ist wie ein ganzes Gedicht von Dickinson, habe ich vor zwei Jahren in das Stück Speed of Truth eingearbeitet, das ich für das Symphonieorchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks, Jörg Widmann und Susanna Mälkki geschrieben habe, mit großer Freude.
neue Oper Singularity, Herr Srnka, handelt explizit von neuen Kommunikationstechniken und auch von dem Versuch, Kontakt zu weit entfernten Menschen herzustellen. Herr Reimann, Ihr Lear basiert, wie viele Ihrer Opern, auf einem Stoff mit einer langen literarischen Tradition. Ist Ihnen der Bezug zur Gegenwart dennoch wichtig?
MJ Ihre
AR Ja,
immer. Alle meine Opern haben einen Zeitbezug. Melusine ist die Vorkämpferin der Natur. Bei der Uraufführung 1971 in Schwetzingen wurden mein Librettist Claus Henneberg und ich gefragt: „Wen interessiert denn überhaupt die Natur?“ Das sieht man heute natürlich anders. Bei Troades war es mein Wunsch, einmal eine Oper gegen den Krieg und für das Überleben zu schreiben. Ich musste das einfach machen, weil ich als Kind den Krieg und diese ganze Flüchtlingssituation so hautnah erlebt habe. Das sind immer Themen, die eine geistige und dann auch eine musikalische Auseinandersetzung fordern. Ich kann nicht ohne den Bezug zu heute eine Oper komponieren. Und Figuren wie Lear gibt es natürlich immer. Die Geschichte kann genauso gut heute spielen: jemand, der verjagt und enteignet wird und schließlich überhaupt nichts mehr hat. Gerade das übersteigerte Machtbewusstsein, die Annahme, dass man die Macht ewig halten und man sich immer durchsetzen kann, ist ein Irrtum.
MJ
MJ Vor
dem Hintergrund der Pandemie kommen einem andererseits Stoffe, die man vor zwei Jahren behandelt hat, historisch vor und dann auf ganz erstaunliche Weise auch wieder aktuell, wie es bei Singularity der Fall ist.
MS Wir hatten da großes Glück. Wir wollten eine Oper über
das Thema der digitalen Kommunikation schreiben, die eine ganz neue Art von Aufmerksamkeit und Kontakt ermöglicht. Wir wollten diese Art des Doppelgängerischen zwischen dem physischen, dem herkömmlichen, unmittelbar verbalen Austausch und dem digitalen Austausch zu einem Opernthema machen. Als wir die Entscheidung trafen, ahnten wir noch überhaupt nicht, wie aktuell das Thema durch die Pandemie werden würde und dass diese Art einer von physischer Präsenz entkoppelten Kommunikation jetzt eigentlich in der ganzen Welt gang und gäbe ist.
Herr Srnka, könnten Sie sich auch vorstellen, ein Stück von Shakespeare zu vertonen? MJ
MS Was mit dem Lear passiert ist, ist ein absoluter Glücks-
fall. Die Musik ist mit dem Libretto zu einem Stück aus
Wie fängt man an, wenn man einen so gewaltigen Stoff wie den Lear vertont? Braucht man so etwas wie eine Klangvision, bevor man beginnen kann?
„In einem absurden Sinne entspricht der Lockdown-Zustand einer typischen Komponistenzeit. Wir nehmen gelegentlich freiwillig eine Quarantäne in Anspruch, eine geistige.“ Miroslav Srnka 35
AR
an braucht eher einen Schlüssel zu der Frage, warum M ein Stück überhaupt nach Musik verlangt. Und diese Frage habe ich mir bei diesem Riesenwerk von Shakespeare sofort gestellt. Wie fange ich mit dem Stück an? Die Oper beginnt ohne Orchester. Lear sagt den Satz, der ihm dann zum Verhängnis wird: „Wir haben euch hierher befohlen, um unser Reich vor euren Augen unter unseren Töchtern aufzuteilen.“ Sofort danach setzt das Orchester ein, und seine Reaktion darauf ist: „Ach, dieses Verlangen nach Schlaf“. Er hat den ersten Satz in einer Art Absence gesagt und nicht gewusst, was er mit ihm anrichtet. Dann baut sich die Musik um ihn herum wie ein Gitter und entlässt ihn nicht mehr. Das war für mich der Schlüssel.
MJ Herr
Srnka, gab es eine ähnliche Initialzündung für Singularity?
MS
er Ursprung für die Musik liegt in einer langjährigen D Recherche über das Modulartige in der digitalen Konversation. Es handelt sich um ganz kurze, in sich geschlossene Einheiten, die man durch die Aneinanderreihung zu einer größeren musikalischen Form machen kann. Das heißt aber auch, dass das Zeitgefühl für eine Phrase eigentlich immer an diesem Modul hängt und dann ausgetauscht wird durch etwas vollkommen anderes. In Singularity gibt es vier Charaktere, die jeweils durch zwei Sänger dargestellt werden, von denen der eine Sänger im „normalen“ akustischen und der zweite im digitalen Sinne kommuniziert. Zwischen diesen Figuren findet ein rasender Austausch von Mitteilungen statt, die untereinander zunächst eigentlich keinen Bezug haben. Das ist ein Bild für die Isolation in der Digitalisierung, wie in einem Chat, in dem jeder in seinem eigenen Duktus bleibt und es zu keinem wahren Austausch in der Konversation kommt. Dem entspricht zu Beginn die Form der Oper. In der Zeit, in der die Personen gemeinsam im „Lockdown“ sind,
„Ich kann mir keine fremden Hüte aufsetzen. Ich kann nur so komponieren, wie ich will, und nicht so, wie die anderen wollen.“ Aribert Reimann 36
verschmelzen nach und nach die unterschiedlichen Ebenen der digitalen und akustischen Kommunikation, bis sie zu einem gemeinsamen Ausdruck kommen. MJ Herr
Reimann, haben Sie, nachdem Sie den Anfang gefunden hatten, ohne Unterbrechung weiterkomponieren können, oder gab es im Entstehungsprozess Krisen?
AR
s gibt im Lear die Szene mit dem Sturm, die für mich E zu einem großen Problem wurde. Ich hatte mir Skizzen gemacht, aber als ich schließlich zu der Szene kam, passten sie überhaupt nicht mehr. Da war die Frage: Wie komme ich in diesen Sturm hinein? Der Sturm ist im Lear ja kein Naturereignis. Er kommt aus dem Inneren Lears, geht in die Natur und kommt wieder auf ihn zurück. Alles, was ich vorher gemacht hatte, funktionierte nicht mehr. Das waren drei furchtbare Wochen, in denen ich das Gefühl hatte, nicht mehr weiterzukommen. Dann kam ich auf die Idee, dass ich den Sturm wieder in einer Reaktion suchen muss, und mir fiel der Satz ein, den Lear zu seinem Gefolge sagt: „Was steht ihr da und glotzt.“ In dem Moment hörte ich den tiefsten Ton des Sturms. Das war der Auslöser, denn Lear hat jetzt niemanden mehr, der an seiner Seite steht. Zu meiner Konzeption gehörte vorher bereits eine zwei mal 24-tönige Reihe. Aus ihr baute ich den Sturm auf.
MJ In der Uraufführung des Lear verkörperte Dietrich
Fischer-Dieskau die Hauptfigur, in der Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper wird Christian Gerhaher die Partie übernehmen. In der Uraufführung Ihrer Oper South Pole, Herr Srnka, war Thomas Hampson zu erleben. Es ist doch auffällig, dass es sich in all diesen Fällen um bedeutende Liedsänger handelt. MS Es
ist kein Zufall, dass Liedsänger sehr oft diejenigen sind, die auf den Opernbühnen die neuen Werke
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besonders eindrücklich zur Uraufführung bringen. Die aktuelle Musik fordert eine Intimität in der Arbeit mit der Stimme, die im Lied ihre Quelle hat und gleichzeitig in dem zeitgenössischen Gestus und der zeitgenössischen Technik zum Vorschein kommt. MJ
Andererseits hat man in der Musikgeschichte lange eine Polarität zwischen der kleinen Form des Liedes und der großen Form der Oper gesehen. Die großen Opernkomponisten waren im 19. Jahrhundert im Regelfall keine bedeutenden Lied komponisten und umgekehrt. Herr Reimann, hat für Sie dieser Gegensatz nie eine Rolle gespielt?
AR Eigentlich
nicht. Ich habe bereits als Kind 1946 im Jasager von Bertolt Brecht und Kurt Weill auf der Opernbühne gestanden. Und dann hatte ich das Gefühl: Irgendwann kommst du dorthin zurück, entweder als Sänger oder als Komponist. Durch die Arbeit mit den Studenten meiner Mutter, die eine Gesangsklasse an der Hochschule hatte, habe ich sehr viel Opern gespielt. Und am Tag nach meinem Abitur wurde ich Korrepetitor am damals neu eröffneten Studio der Deutschen Oper Berlin. Andererseits habe ich von früh an als Liedbegleiter mit unzähligen Sängern gearbeitet.
MJ
Gab es bei Ihnen, Herr Srnka, auch eine so frühe Prägung?
MS Im
Vergleich zu Aribert komme ich aus einer absolut unmusikalischen Familie. Ich habe zu Hause von meinen Eltern nie einen Ton gehört. Es hat sich irgendwie ergeben, dass ich, seit ich mich erinnern kann, trotzdem eine gewisse Affinität für die Musik entwickelt habe.
MJ
Ich habe gelesen, dass Sie eigentlich ausschließlich mit tschechischer Musik aufgewachsen sind.
MS Das
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habe ich nicht als eine Begrenzung empfunden,
weil ich ja nicht wusste, dass es etwas anderes gibt. Damals gab es auch eine gewisse kulturelle Blockade, die sehr schwer zu durchdringen war, wenn man nicht durch Kontakte oder den familiären Hintergrund einen Zugang hatte. Ich habe meine freie Zeit als Schüler in der Bibliothek verbracht und dort massenweise Schallplatten angehört. Ob Leoš Janáček oder die tschechische Avantgarde der 1960er Jahre, ich habe alles ohne einen Wegweiser und unsortiert verschlungen. Deswegen war mein Weg zum Komponieren viel länger als der von Aribert. MJ
Herr Reimann, als Sie mit dem Komponieren begannen, gab es Strömungen wie den Serialismus, die in bestimmten musikalischen Milieus sehr dominant waren. Musste man sich innerhalb dieser Strömungen als junger Komponist positionieren, oder hatten Sie immer das Gefühl, machen zu können, was Sie wollten?
AR Es gab damals natürlich eine gewisse Gegenströmung.
Ich war in meinem ersten Semester 1956 vier Wochen bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Die dort präsentierten Formen haben mich alle wahnsinnig interessiert. Aber ich kam zurück und dachte: Ich kann mir keine fremden Hüte aufsetzen. Ich kann nur so komponieren, wie ich will, und nicht so, wie die anderen wollen. Dieses Negativerlebnis war also für mich eigentlich sehr positiv. Und dann hatte ich das große Glück, mit Boris Blacher einen fantastischen Kompositionslehrer zu haben. Er hat mir immer wieder gesagt: „Sie müssen Ihre eigene Sprache entwickeln, um sich durchzusetzen. Diese eigene Sprache gehört nur Ihnen, und die müssen Sie sprechen. Von allem anderen darf man sich nicht irritieren lassen.“ Das war das Geheimnis von seinem pädagogischen Talent, dass er immer genau wusste, welchen Weg der Student einmal gehen wird. Er hat jeden anders unterrichtet. Man muss einfach irgendwann das Zutrauen zu
seiner eigenen Sprache finden. Das dauert, das ging auch bei mir nicht von heute auf morgen, und da gab es auch Unsicherheiten. MS Es wäre mein Traum, so unterrichten zu können, wie Aribert es über Boris Blacher sagt. Ich sehe bei den Studierenden heutzutage eine absolute Offenheit, alles liegt auf dem Tisch. Manchmal ist es sogar zu viel, als dass man überhaupt wählen könnte. Vielleicht fehlt auch eine Gegenkraft, gegen die man sich durchsetzen muss. Diese Gegenkraft kann bei dem Prozess helfen, in dem man sich als junge Komponistin oder als junger Komponist selbst erkennt. Manche Studierende von heute gehen mit dem Eigenen schon sehr souverän und selbstbewusst um. Aber zugleich erfahren sie aus erster Hand, was alles in den sozialen Medien gerade die meisten Klicks und Likes bringt. Diese Geschwindigkeitsveränderung der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit steht in einem starken Kontrast zu der Langsamkeit einer kompositorischen Entwicklung. MJ
MS Ich würde das nicht als Kulturschock bezeichnen. Meine
Generation ist mit der langsamen, immer stärkeren Öffnung des Kulturaustauschs aufgewachsen. Das begann mit der Möglichkeit, am Wochenende irgendwo hinzufahren, um sich dort Aufführungen anzuhören. Nur mit dem Unterschied, dass wir die Nächte eher in Bussen verbracht haben, als mit Billigfliegern zu reisen. Man darf auch nie vergessen zu wiederholen, wie viel einfacher alles durch den Beitritt zur EU im Jahr 2004 wurde. MJ
Herr Reimann, gibt es da nicht vielleicht eine Pa rallele zum Leben in Berlin, als geteilte und von Westdeutschland abgeschnittene Stadt, in der man sich mit mehr Zeit entwickeln konnte?
AR Es
war in dieser Hinsicht sicherlich ein Vorteil, dass ich in Berlin gelebt habe. Wir waren in Westberlin eben ein bisschen abgeschnitten von den Dingen, die sich vor allem in Köln, in Darmstadt oder in Donaueschingen abspielten. Das hatte den Vorteil, dass man viel stärker so denken und arbeiten konnte, wie man wollte. Westberlin war doch eine ganz andere Welt als die restliche Bundesrepublik. Und ich habe mich merkwürdigerweise überall im Ausland, wo immer ich auch war, wohler gefühlt als in Westdeutschland. Weil in Berlin so viele Dinge passierten, von denen man in der Bundesrepublik gar nicht so viel wusste. Es war eine geteilte Stadt, und man hatte natürlich auch, soweit das möglich war, seine Kontakte nach Ostberlin. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir mitten im politischen Geschehen waren. Das färbt natürlich auf die eigene Arbeit ab.
Aber wie war das bei Ihnen selbst, Herr Srnka? War es vielleicht auch ein Vorteil, dass Sie aus einem nicht so stark musikalisch geprägten Umfeld kamen?
MS In
gewisser Weise schon. Wenn man naiv und von der Umgebung geschützt ist, weil sie politisch und kulturell abgetrennt ist, gibt es auch einen freien Raum für die eigene Entwicklung. Doch am Ende meines Studiums in Prag hatte ich das Gefühl, mit jedem in der tschechischen Szene in einem gewissen Konflikt zu stehen. Ich habe den Raum, in dem ich mich hätte bewegen können, überhaupt nicht mehr gesehen. Das war auch der Grund, weshalb ich mich dann über die Grenze geworfen habe, um diesen Raum zu finden und neue Luft einzuatmen.
MJ
Gab es, als Sie Prag verlassen hatten, einen Kulturschock?
MIROSLAV SRNKA hat gerade die Komposition von Singularity beendet, der dritten Oper, die er gemeinsam mit dem Librettisten Tom Holloway für die Bayerische Staatsoper geschrieben hat. Vorangegangen waren die Kammeroper Make No Noise (2011) und die Oper South Pole (2016). Nach seinem Studium der Musikwissenschaft und Komposition in seiner Heimatstadt Prag sowie in Berlin und Paris wurden bald international renommierte Ensembles auf ihn aufmerksam wie das Ensemble intercontemporain, das Ensemble Modern, das Klangforum Wien, das BBC Philharmonic Orchestra, das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und das Quatuor Diotima, und seine Werke wurden bei den wesentlichen Festivals für Neue Musik vorgestellt. 2017 präsentierten die Dialoge Salzburg ein umfangreiches Komponistenporträt mit seiner Musik. 2019 wurde er zum Professor für Komposition an die Hochschule für Musik und Tanz in Köln berufen.
Der Berliner Literatur- und Musikwissenschaftler Benedikt von Bernstorff war als Dramaturg und Regisseur an verschiedenen Theater- und Operninszenierungen beteiligt, arbeitete als Redakteur für Fernsehproduktionen und verfasst als Journalist und Autor zahlreiche Artikel, u. a. für den Tagesspiegel, das Kunstfest Weimar und die Stiftung Berliner Philharmoniker.
Mehr über die Bildkünstlerin auf S. 6
ARIBERT REIMANN wuchs in einer von Musik geprägten Familie in Berlin auf. Mit zehn Jahren komponierte er erste Klavierlieder. Nach dem Abitur 1955 arbeitete er als Korrepetitor am Studio der Städtischen Oper in Berlin und studierte zugleich an der Berliner Musikhochschule Komposition bei Boris Blacher und Ernst Pepping. Er ist einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts und komponierte sowohl zahlreiche Opern sowie Orchesterwerke als auch Kammer- und Vokalmusik. Drei seiner neun Opern wurden in München uraufgeführt, darunter 1978 Lear, der zu seinen wichtigsten Werken gehört und sich seitdem als fester Bestandteil des zeitgenössischen Opernrepertoires etabliert hat. Nun, über 40 Jahre später, wird Lear wieder an der Bayerischen Staatsoper gespielt. Aribert Reimann hat viele Preise erhalten, zuletzt 2018 den Deutschen Theaterpreis Der Faust für sein Lebenswerk.
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Seit ein Virus die Welt ausbremst, fehlt uns der Schwung. Wo und wie finden wir ihn wieder? Über eine Bewegung voller Schönheit und Selbstbestimmung – und Übermut.
Text Wolfgang Welsch 40
Eadweard Muybridge, Animal Locomotion, Tafel 785, 1887 © akg-images
DIE GÖTTERGABE
Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt; jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt. Rainer Maria Rilke, aus den Sonetten an Orpheus
Seit Corona die Welt beherrscht, ist uns der Schwung abhandengekommen. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben liegt am Boden, die Ökonomie lahmt, die Seelen darben. Ist es da nicht zynisch, über Schwung zu schreiben, den Schwung zu preisen, den Tanz des vollen Lebens zu beschwören? Oder ist der Fehler gelinder, handelt es sich nur um Nostalgie? Eine reichlich verständliche Nostalgie: Man will das Entschwundene, wenn es uns schon real entglitten ist, wenigstens in Gedanken vor Augen führen. Und hat dabei vielleicht auch leise Hoffnung auf Wiederkehr. Daran schlösse die störrische Position an: Der Schwung mag derzeit fehlen, aber wir werden ihn aufs Neue entwickeln, finden. Schwung ist ein Elixier des Lebens. Wir wollen nicht tot sein, wollen Erstarrung nicht ertragen. Die Götter oder die Fledermäuse oder sonst wer mögen uns den Schwung genommen, uns zur Lethargie verurteilt haben. Wir werden dagegen aufstehen, werden uns erheben, zwar nicht wie Phönix aus der Asche, aber doch wie gebrannte Kinder, die sich nicht noch einmal fesseln lassen mögen. Und die begriffen haben, dass wir uns den Schwung selbst genommen, das Virus durch
unser Umweltverhalten selbst produziert und genährt haben, dass wir Toren waren, die künftig einen anderen Weg einschlagen müssen. Was ist Schwung? Wir kennen ihn von der Anmut mancher Geste her, von der kühnen Linie einer Augenbraue, vom überschäumenden Lebensgefühl. Aber was charakterisiert Schwung im Grunde, wenn er so viele und unterschiedliche Gestalten annehmen kann? Es ist wie bei der Zeit, bezüglich derer Augustinus meinte, jedermann wisse irgendwie, was sie sei, aber sie zu definieren vermöge keiner. Versuchen wir, um voranzukommen, zu Verlässlichem zu greifen, zur Physik. Sie kennt Schwung in etlichen Varianten: Schwungkraft, Schwungrad, Schwungmasse, Schwungfeder. Aber irgendwie nimmt die Physik dem Schwung den Schwung. Sie bestimmt ihn nämlich einfach als Impuls. Den aber hat auch ein Körper, der sich geradlinig bewegt. Für uns jedoch gehört zu Schwung wesentlich Drehung, eine Kurve, eine überraschende Wendung. Das schnurgerade Dahinsausen eines Projektils ist im Vergleich dazu eher langweilig. Schwung gibt es sowohl in der äußeren wie in der inneren Welt, zum einen also phänomenal und zum anderen psychisch. Phänomenal ist Schwung ein Charakteristikum von Bewegungen. Denken wir nur an die rasanten Schwünge eines Skiläufers oder die schwindelerregenden Pirouetten einer Eisläuferin, die graziösen Sprünge eines Tänzers oder die magischen Figuren eines Vogelschwarms. In all diesen Fällen sind erstens Körper im Spiel, zweitens Bewegungen
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und drittens – und darauf kommt es entscheidend an – bestimmte Formcharakteristika; sie erst sind es, die uns von „Schwung“ sprechen lassen. Die Bewegung darf nicht eintönig oder geradlinig sein, sie muss aber auch nicht besonders schnell oder langsam, selten oder verbreitet sein, sondern: lebendig und kraftvoll. Freilich reicht Dynamik allein nicht aus, es kommt auch auf Eleganz, Elan, Anmut und Charme an – kein Schwung ohne Schönheit. Und auch nicht ohne Selbstbestimmung. Die Bewegung muss so erscheinen, als würde sie sich ganz von selbst ergeben. Sie darf nicht von außen gesteuert oder geleitet sein, sie muss von innen kommen, gleichsam aus sich selbst erfließen. Damit kommen wir zu Schwung im psychischen Sinne, als innere Größe: Der Elan von Personen ist mindestens so eindrucksvoll wie der Schwung bewegter Körper. Sie ziehen uns mit ihrem schwungvollen Verhalten, ihrer Vitalität in den Bann, reißen uns mit. Dazu gehört ein Surplus, ein Überschuss. Regelbefolgung mag einen Teil ausmachen, aber entscheidend ist etwas Weiteres: dass sich die Bewegung gleichsam übererfüllt, dass sie vor Freude sprüht und fast ein bisschen zu viel des Guten tut. Ganz schwungvoll ist sie erst dann, wenn man auch ein Jauchzen wahrzunehmen glaubt. Überschwang und Übermut gehören zum Schwung. Schwung ist ein Zeichen von Lebendigkeit – sogar dort noch, wo ein Übermaß an Schwung einen aus der Bahn wirft oder über das Ziel hinausschießen lässt. Lebendigkeit hat
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allerdings vielerlei Ausdrucksformen. Sie reichen von Ernährung und Ausscheidung über Wachstum und Hinschwinden sowie geschlechtliche Fortzeugung bis hin zu Empfindung, Wahrnehmung, Planung und selbstständiger Überlegung. Diese Ausdrucksformen stellen grundlegende Eigenschaften des pflanzlichen, tierischen und menschlichen Daseins dar. Schwung spielt demgegenüber in einer anderen Liga. Man kann auch ohne Schwung noch immer lebendig sein. Schwung gehört nicht zum Basisprogramm des Lebendigen. Schwung zählt nicht zur Pflicht, sondern zur Kür. Schwung ist zusätzliche, überschießende Energie, ist Luxus, ist Göttergabe. Wir alle bewundern Menschen, die Schwung haben. Wir alle wären gern selbst schwungvoll. Aber die wenigsten unter uns sind es, und kaum jemand ist es auf Dauer. Schwung gehört – wie Schönheit, Anmut oder Eleganz – zu den Insignien der Glücklichen, der Besonderen, der Auserwählten. Die Merkmale des Lebendigen sind demokratisch verteilt, Schwung hingegen ist elitär. (Ach, wenn es doch anders wäre!) Rainer Maria Rilke, der Spiritus Rector dieser Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper, spricht in dem eingangs zitierten Gedicht Wolle die Wandlung von der Flamme als einem Phänomen ständiger Verwandlung. Ihn fasziniert deren permanentes Wechselspiel. Aber er bewundert nicht nur den Schwung der Flamme, sondern er weist auch auf deren inneren Motor hin. Das Spiel der Flammen ist von einem inneren Antrieb bewegt, der als solcher nicht sichtbar ist – ein „Ding“,
das sich „entzieht“. Und Rilke meint, dass der „entwerfende Geist“ sich diesem inneren und unfasslichen „wendenden Punkt“, der den Schwung der Flamme antreibt, verwandt fühlt, ihn „liebt“. So wie dieser innere Punkt das Lodern der Flamme hervorruft, so soll sich der entwerfende Geist gegenüber dem Irdischen verhalten, das er meistert. Es ist zuletzt nicht der äußere Schwung der Flamme, sondern der innere Schwung ihres Antriebs, dem Rilkes Interesse gilt. Aber vielleicht sollte man beides gleichermaßen schätzen. Im späten 18. Jahrhundert hat man gern vom „Geistesschwung des Philosophen“ oder vom „edlen Schwung des Genies“ gesprochen (so beispielsweise Immanuel Kant im Blick auf Platon und Johann Gottfried Herder). Aber ein Geist, der das Irdische nur meistern wollte, ohne es vorher beachtet und geschätzt zu haben, könnte sich arg verrennen. Wir kennen viele Beispiele davon. Adalbert Stifter hat gegen die Auffassung, es müsse nur „Freier Schwung, freies Ermessen, freier Flug des Künstlers“ da sein, und nicht auch Respekt vor dem Wirklichen, in seinen Nachkommenschaften von 1864 einen anderen Rat erteilt: „Macht nur die Wirklichkeit so wirklich wie sie ist, und verändert nicht den Schwung, der ohnehin in ihr ist, und ihr werdet wunderbarere Werke hervorbringen, als ihr glaubt, und als ihr tut, wenn ihr Afterheiten malt und sagt: Jetzt ist Schwung darinnen.“ Ein fürwahr weiser Rat: Der schöpferische Schwung der Innerlichkeit sollte sich mit dem Schwung, der der äußeren Wirklichkeit schon innewohnt, verbinden. Man soll den
Schwung der Dinge nicht selbstherrlich ignorieren, sondern ihn befördern und sich mit ihm verbünden. Der innere Schwung von Personen, Gestaltern, Kunstschaffenden sollte mit dem äußeren Schwung der Phänomene Hand in Hand gehen. Das wäre die Blaupause für eine bessere Welt. Ob wir das nächste Mal, anders als zuletzt, mit einem entsprechenden Schwung ins neue Jahr gehen können? Wolfgang Welsch lehrte Philosophie u. a. an der Freien Universität sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin, an den Universitäten Bamberg und Jena sowie an der Stanford University und der Emory University. 1992 erhielt er den Max-Planck-Forschungspreis und 2016 den Premio Internazionale d‘Estetica. Zuletzt erschien sein Buch Im Fluss. Leben in Bewegung bei Matthes & Seitz.
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ALLES VIBRIERT
Wie bringt man Streichinstrumente am besten zum Schwingen? Cellist Maximilian Hornung und Violinist Alexander Rozhdestvensky über Druck, die richtige Muskelspannung und den Klang im Körper.
Protokolle Florian Heurich Illustrationen Jordy van den Nieuwendijk 5. und 6. Akademiekonzert 44
IN EINEM GROSSEN BOGEN lexander Rozhdestvensky spielt Alexander Glasunows ViolinA konzert a-Moll op. 82
AUS DEM TIEFSTEN INNEREN aximilian Hornung spielt Camille Saint-Saëns' Cellokonzert M Nr. 1 a-Moll op. 33 Musik ist Schwung. Das beginnt schon mit der Schallwelle. Ein Ton ist schwingende Luft. Um Klang zu erzeugen, spielt Schwung also eine große Rolle. Beim Cello und generell bei Streichinstrumenten entsteht der Ton durch die Kombination von drei Dingen: Schwung, Druck und Kontaktstelle. Gerade der Schwung haucht dem Klang Leben ein. Und der Schwung, den man ins Cello hineingibt, kommt auch zurück. Für mich ist es wichtig, die Schwingung des Instruments zu spüren, da ich dadurch Kontrolle über den Klang bekomme. Das ist wie ein elastischer Widerstand, mit dem ich arbeiten kann, um den Klang zu formen. Die Geometrie des Cellospielens hat einen ganz direkten Einfluss auf den Klang. Der Schwerpunkt liegt im Gesäß, und die Energie, die man ins Instrument hineinkonzentriert, kommt aus dem tiefsten Inneren des Körpers. Natürlich ist auch der Bogen geschwungen und die Form des Instruments. Im weitesten Sinne ähnelt sie sogar der Figur eines Menschen. Dadurch, dass der Boden und die Decke gewölbt sind, kann das Cello überhaupt erst richtig klingen. Es entsteht ein sehr menschlicher Klang, den man mit einer Baritonstimme vergleichen könnte. Das Cellokonzert von Saint-Saëns hat für mich einen Sturm-und-Drang-Charakter, als Solist springt man sofort hinein ins Geschehen. Das Stück ist horizontal angelegt, es besteht zwar aus drei Sätzen, es gibt aber keine Unterbrechungen dazwischen. Dadurch kommt die Energie niemals zum Erliegen, es fliegt quasi vor sich hin. Ich empfinde es als großen Spaß, diese Musik zu spielen, sie ist sehr positiv und da man sich im Verlauf des Stücks im Spielgestus kaum umstellen muss, geht das Werk wirklich in einem Schwung durch.
In der Musik geht es darum, sehr intensiv den Moment zu erleben. Etwas zu erleben, das man nicht besitzen kann. Ich denke, darum ging es auch Rainer Maria Rilke, als er vom „Schwung der Figur“ sprach. Übrigens wohne ich im schweizerischen Montreux, nur einen Steinwurf von dem Ort entfernt, wo Rilke gestorben ist. Das ganze Leben besteht aus Bewegung. Das Geigenspiel ist Bewegung. Die Saiten vibrieren, es gibt ein Vibrato. Als Musiker, aber vor allem als Mensch muss man empfänglich sein für diese Vibrationen, rein körperlich, aber auch im übertragenen Sinn als ein Vibrieren des Raums. In der chinesischen Philosophie heißt das Chi, also Energie, Atem. In einem Orchestertutti durchdringt der Klang meinen Körper und erfüllt mich mit Energie, auch wenn ich gerade nicht spiele. Andererseits, wenn ich Musik mache, versuche ich mich so wenig wie möglich zu bewegen. Um etwas zu kreieren, braucht man eine gewisse Muskelspannung, damit man Energie erzeugt. Zu viel Bewegung ist nicht hilfreich beim Spielen. Ich halte das eher für einen optischen Effekt fürs Publikum. Das Violinkonzert von Glasunow hat eine sehr spezielle Form. Manche sagen, es besteht aus drei Sätzen, andere sagen, aus vier. Jedenfalls können die Sätze nicht eindeutig voneinander getrennt werden, sie gehen ineinander über. Ein sehr kompaktes Konzert, das man in einem großen Bogen durchspielt. Es kommt mir immer kürzer vor als andere Violinkonzerte, obwohl die Dauer mehr oder weniger gleich ist. Die Wahrnehmung von Zeit ist nicht immer gleich, sie bestimmt sich durch den Wert des Moments. Er hängt von der Intensität, vom Schwung ab. Es gibt Sekunden, an die wir uns ein Leben lang erinnern, und Jahre, die nur bedeutungslos vorübergehen. Florian Heurich ist Autor, Musikjournalist und Videoredakteur. Er schreibt und produziert Reportagen und Features für BR-Klassik über Themen im Bereich Oper, Gesang, Literatur und Weltmusik und gestaltet die Onlineformate Videomagazin und Opernsteckbrief der Bayerischen Staatsoper.
5. Akademiekonzert Bayerisches Staatsorchester Musikalische Leitung Yuri Simonov Solist Alexander Rozhdestvensky 6. Akademiekonzert Bayerisches Staatsorchester Musikalische Leitung Joseph Bastian Solist Maximilian Hornung Termine im Spielplan ab S. 68 und unter www.staatsoper.de/spielplan
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Ein Pas de deux galt lange als Höhepunkt im Ballett. Hat sich die tänzerische Begegnung mit der Emanzipation des modernen Tanzes erschöpft? Eine Geschichte zwischen Anziehung und Abstoßung.
Text Wiebke Hüster Fotografien Sigrid Reinichs 46
Der Pas de deux in Proben zu L’histoire du soldat mit Carollina Bastos und Ariel Merkuri in der Choreographie von Norbert Graf
AM WENDEPUNKT DES TANZES
You won’t find the answer in the steps themselves. Gelsey Kirkland
Die Erzählung des Pas de deux ist eine Geschichte der Wandlungen. In ihr spiegelt sich das in kontinuierlicher Veränderung befindliche Verhältnis der tanzenden Partner zueinander. Zwischen Anziehung und Abstoßung spielt sich ein im Laufe des 20. Jahrhunderts immer dramatischer gestaltendes Geschehen ab. Dabei sieht es zu Beginn der Moderne fast so aus, als wäre das Auserzählen der tänzerischen Begegnung von Mann und Frau an ein Ende gelangt, als habe sich der Schwung, der aus dem Aufeinandertreffen zweier Körper, zweier Figuren, zweier Kräfte entsteht, erschöpft und laufe ins Leere. Doch nicht allein mit der zunehmenden Befreiung der Frau aus überkommenen Rollenvorstellungen sind diese Veränderungen entstanden. Der Begriff des Balletts selbst verändert sich am Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich. Das Ballett, der Tanz, entwickelt sich in dieser Zeit zu einer führenden Kunst der Avantgarde. Martha Graham, Pionierin der amerikanischen Moderne und Barfußtänzerin
mythologischer Frauengestalten, erkennt keinen Sinn in langen, ausgeführten, poetischen Bewegungssequenzen à deux, wie der amerikanische Tanzkritiker Edwin Denby im Mai 1944 in der New York Herald Tribune schreibt. Die Architektur der Tänze, wie das klassische Ballett sie über Jahrhunderte konstruiert und weiterentwickelt hat, ist nichts, wozu der Modern Dance beitragen will. Denkt man an die 1913 einen Skandal auslösende choreographische und musika lische Uraufführung von Igor Strawinskys Le sacre du printemps durch Vaslav Nijinsky, dann handelt es sich dabei auch um die bahnbrechend neue Konstellation der Figuren: Eine Frau, das Opfer des Frühlingsrituals, steht der Gemeinschaft der sie Opfernden und ihrer Priester allein gegenüber. Die lange Tanzarie, die im Handlungsballett den ausdrucksvollen Höhepunkt des Geschehens darstellt – wie etwa das zentrale Adagio in Peter I. Tschaikowskys Schwanensee –, ist an den modernen Tanz verloren, Geschichte.
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Von nun an, so könnte man sagen, geht es zwischen Männern und Frauen eher um Trennendes als um Vereinendes, eher um das bei Graham Mysteriöse des Sex und weniger um die Idee, dass mit der Vereinigung, der finalen Pose des Grand Pas de deux, das Happy Ever After beginnt wie noch im 19. Jahrhundert. Im modernen und zeitgenössischen Tanz verliert der Pas de deux an Bedeutung. An diesem Wendepunkt des Tanzes erlischt das Interesse der Kunst an narrativen Motiven, an Suspense und Klimax. Martha Graham, Merce Cunningham, Trisha Brown interessieren sich für das Individuum und die Gruppe mehr als je für das Duett als solches. Zunehmend werden Männer und Frauen choreographisch gleichbehandelt. Das aufeinander bezogene Tanzen zweier Figuren bildet eine Konstellation unter vielen. Der Pas de trois wird als die interessantere choreographische Aufgabe betrachtet. Die moderne und postmoderne Tanzkunst interessiert sich für die Themen, die aus ihr selbst entstehen, Balance und Off-
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Balance, das Tanzen auf halber Spitze, Auf- und Abtritte, Raumwege und Dynamiken. Tanz ist Kommunikation, das Gespräch zwischen zweien nur ein ebenfalls auftretender Sonderfall. Um über den Boden zu rollen, braucht man keine Hilfe. Weniger und weniger sind Aufgaben beim Zusammentanzen geschlechtsspezifisch verteilt. Auch wenn alle Choreographen wissen, dass es körperliche Grenzen gibt, bis zu denen kontrafaktisch getanzt werden kann. Keine Frau wird, wie das Mikhail Baryshnikov mit Gelsey Kirkland demonstriert, einen Mann auf einem Arm in der Luft halten. Aber auch George Balanchine, der große Erneuerer neoklassischen Tanzens bis zu seinem Tod im Jahr 1983, macht sich lustig über die romantischen Seherwartungen eines Publikums im 20. Jahrhundert. Zwar verzichtet er nicht in Gänze auf die Aufführung der großen Handlungsballette. Im Gegenteil, er ist längst der Überwinder aller Klischees des klassischen Tanzes, als er im Mai 1965 in seiner Neuinszenierung als Don Quixote der von sei-
ner unerwiderten Liebe und Ballerina Suzanne Farrell verkörperten Dulcinea gegenübertritt. New Yorker Kritiker bezeichnen es als den „interessantesten Misserfolg der Spielzeit“. Innigkeit und Intimität zu schildern, gerade wenn es sich dabei um ein vergängliches oder ganz unmögliches Glück handelt, bleibt ein Topos des klassischen Tanzes. In den 1960er Jahren erregen eine ganze Reihe berühmter neuer Fassungen der Klassiker Aufsehen, die man an ihren Pas de deux messen kann. John Crankos Romeo und Julia ist das vielleicht berühmteste Beispiel, in dem Natürlichkeit im Spiel, Glaubwürdigkeit und Intensität mitreißenden tänzerischen Ausdruck finden. In den darauffolgenden Jahrzehnten bis zu Rudolf Nurejews Tod 1993 erfährt die Renaissance der Klassiker im Westen wesentliche Impulse durch seine Neuinterpretation der männlichen Rollen. Im Grunde setzt Nurejew choreographisch um, was er in der Zusammenarbeit mit Margot Fonteyn zuvor tänzerisch demonstriert hatte. Der männliche Partner ist
nicht einfach nur ein Ersatz für eine rollende Ballettstange, an der sich die Ballerina in Balancen auf Spitze abstützt, bevor sie freisteht, an der sie Schwung holt für Pirouetten und Fouettés, an der sie ihren Schwung abbremst, um den Körper zu wenden und überraschend die Raumrichtung zu wechseln. Mit Nurejew verschiebt sich das Ausstrahlungs- oder Bedeutungskräfteverhältnis der Partner im Pas de deux. Nicht allein die Ballerina tritt ins Licht, ihr Partner tut es auch. Wenn beide wichtig sind, ist der ganze Pas de deux interessanter. Diese erhöhte Spannung resultiert aus dem bewussteren Aufeinander-Einlassen der Tanzenden, und mitunter aus dem deutlichen Gefühl, nun mehr als früher in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Publikums zu stehen. Derselbe mutuelle Emanzipationsprozess lässt sich in den neuen Balletten entdecken, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen – John Crankos Onegin oder Kenneth MacMillans Manon und Mayerling oder Frederick
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Ashtons Sylvia. Letzteres bildet auf der klassischen Seite ein faszinierendes Beispiel für die Verschiebung des Interesses weg vom Pas de deux hin zum Ensemble. Die brillanten Gruppenchoreographien für die modernen Amazonen, das Gefolge der Jagdgöttin Diana, sind ein absoluter Höhepunkt des Balletts. Der postneoklassische Tanz tritt, was den Pas de deux betrifft, die Flucht in die Virtuosität an. Aus der neu entfachten Energie des Paartanzes heraus entwickeln Choreographen spektakulärere Pas de deux denn je, bis hin zu akrobatischen Hebungen. Der niederländische Meister der Neoklassik, Hans van Manen, lässt endlich zwei Männer zusammen tanzen. Und lässt zwei Männer eine Ballerina hin- und herwerfen wie einen Medizinball. Kostbare Last? Da kann der homosexuelle Choreograph nur lachen, und wir mit ihm. Mit dem Tanztheater wird der Pas de deux zum endlosen Quell von Anekdoten über Missgeschicke. Die englischen
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Comedy-Stars Dawn French und Jennifer Saunders lösen in French and Saunders Dancing Academy gemeinsam mit Darcey Bussell und Anthony Dowell in der BBC brüllendes Gelächter aus. Nur Rudolf Nurejews Pas de deux mit Miss Piggy in der Muppet Show ist von vergleichbarer Komik. Wenn auch die Komik daraus entsteht, dass die hohe Kunst des Pas de deux zu Fall gebracht wird, verschliddert, verstolpert, verrutscht, verunglückt: Für das Gegenteil, den geglückten Pas de deux gleich welcher Epoche, gilt nicht, dass es die Schritte sind, die ihn zu Momenten kinästhetisch unvergesslicher Erfahrung machen. Es sind das Timing, die Phrasierung, die Übergänge von einer Position in die nächste, das, was aus dem entstehenden Schwung letztlich wird, das Ende, auf das nach dem Wendepunkt zugesteuert wird, wodurch ein Pas de deux einzigartig und berührend wird. Der Subtext eines noch so alten Pas de deux wird in dem Moment neu geschrieben, in dem zwei Körper von heute ihn tanzend neu erschaffen.
Und auch, worum es im Pas de deux eigentlich geht, beschäftigte die Choreographen bereits seit dem 19. Jahrhundert zutiefst. Ein Pas de deux – zum Beispiel aus dem zweiten Akt von Schwanensee – ist immer ein Herausfinden, was zwei tanzende Körper zusammen tun können, das sie allein nicht könnten. Schwung brachte nicht allein von 1814 an der Walzer, mit dem Paare nicht anders konnten, als sich dicht beieinander zu halten. Erst mit dem Tanzen auf Spitze konnte sich die ganze Dynamik des Paartanzes entfalten. Um die Ballerina auf der Spitze des Standbeins zu drehen, reicht es, wenn ihr Partner einen ihrer Finger hält. Um sie in einen endlosen Wirbel von Pirouetten zu versetzen, steht er hinter ihr und gibt ihr kräftig Schwung mit beiden Händen. Sie nimmt Anlauf und springt hoch, er schultert sie, lässt sie kopfüber Richtung Boden gleiten wie eine Nixe, die ins Meer abtaucht, trägt sie weg, führt sie en promenade, lässt sie ein Grand jeté über seinem Kopf ausführen. Die Möglichkeiten sind schier endlos.
Doch die Diskussionen, die in der Tanzwelt zurzeit geführt werden, werden auch den Pas de deux nicht unberührt lassen. Wenn der Pas de deux nicht Missverständnissen zum Opfer fallen soll, müssen seine Entstehung, Begriffe und Kontexte vermittelt werden. Nichts zwischen Frauen und Männern und dem Verhältnis aller Geschlechter zueinander wird mehr selbstverständlich hingenommen. Alles wird infrage gestellt. Es ist die Herausforderung der Gegenwart an die Ballettwelt, den Dialog zu suchen und gemeinsam Antworten zu finden, die es erlauben, eine große Vergangenheit zu bewahren und eine künstlerische Zukunft zu haben. iebke Hüster ist Tanzkritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und beW richtet außerdem im Deutschlandfunk sowie in anderen öffentlich-rechtlichen Sendern. 2014 erschien ihr Buch Birgit Keil. Ballerina. Glück ist, wenn auch die Seele tanzt (Henschel).
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„WOZU MUSIZIEREN WIR, WENN NIEMAND ZUHÖRT?“ Anlässlich der Uraufführung von Singularity und der Premiere von Lear haben wir die beiden Dirigenten Patrick Hahn und Jukka-Pekka Saraste zum Gedankenaustausch gebeten. Ein Zwiegespräch über Proben in der Pandemie, Sekt in der Pause und darüber, wie relevant Musik fürs System ist.
Interview Carolin Pirich Illustrationen Juliane Noll Premiere Lear, Uraufführung Singularity 52
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MAX JOSEPH Herr
Saraste, Herr Hahn, die aktuelle Situation verlangt gerade von allen Abstand. Wie kommen Sie damit zurecht?
PATRICK HAHN Erstaunlich gut! Ich bin einer der wenigen Glücklichen, der die neuen Möglichkeiten nutzen darf. Nach dem ersten Monat des Stillstands kam der Aufschwung mit neuen Projekten und Streams. Die Streams sind Fluch und Segen zugleich. Es ist toll, dass es sie gibt, aber sie können nur eine Ergänzung sein. JUKKA-PEKKA SARASTE Mittlerweile habe ich mich an die vir tuellen Konzerte gewöhnt. Wir müssen das jetzt eben so machen. Wir können nur abwarten, wie sich die Welt nach der Corona-Zeit verändert haben wird und wie lange diese noch andauert. Aber wir müssen uns jetzt schon überlegen, was die Bedeutung von Kunst und Musik ist, und uns auf die Frage konzentrieren, warum die Menschen ins Konzert kommen und uns hören sollten, ohne überflüssigen Quatsch. PH Da stimme ich zu. Ich frage mich, ob das Ambiente, sich den schicken Anzug oder das schöne Kleid anzuziehen und in der Pause ein Glas Sekt zu trinken, überflüssig ist. Denn auch deshalb kommen die Menschen ins Konzert, für den Austausch. Ist das nur ein sozialer Aspekt, der mit Kunst zusammenhängt? Oder gibt es ihn zusätzlich zur Kunst, unabhängig von ihr? JPS Ein Philosoph hat es so formuliert: Menschen kommen als Individuen in Konzerte, aber sie gehen als eine Gruppe nach Hause. Ich sehen das genauso. Es ist zentral, etwas zusammen zu erleben. Die Kommunikation zwischen Orchester und Publikum empfinde ich als metaphysisch. PH Richtig, diese Verbindung fehlt während der Pandemie. Das Publikum ist Teil einer jeden Aufführung, es verändert den Raum. Wozu musizieren wir, wenn niemand zuhört? MJ Man
hatte den Eindruck, dass Konzerte, Theater- und Opernaufführungen in den vergangenen
„Menschen kommen als Individuen in Konzerte, aber sie gehen als eine Gruppe nach Hause. Es ist zentral, etwas zusammen zu erleben.“ Jukka-Pekka Saraste 54
Monaten in der Frage nach Systemrelevanz nach unten eingeordnet worden sind. Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda hat deshalb ein Buch über die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft geschrieben. Wie system relevant ist Musik? PH Was
für ein Unwort! Was ist ein System? Was ist relevant? Natürlich ist Musik auf eine andere Art relevant als ein Supermarkt. Sie hat Relevanz besonders auch auf einer metaphysischen Ebene. Wie Jukka-Pekka Saraste gerade gesagt hat: Die Leute gehen allein ins Konzert und verlassen es als Gruppe. Theater, Konzerte öffnen die Aufnahmefähigkeit von vielen Menschen, jung und alt. Und das ist systemrelevant. Vom häufig erwähnten Wort „Umwegrentabilität“ durch die Künste müssen wir gar nicht sprechen, das darf man sowieso nicht unterschätzen. Wer würde schon nach Salzburg fahren, wenn dort weder Musik noch Theater noch Museum stattfände? JPS Das Paradoxon und die Komplexität des Lebens kann man nur in Musik erleben. Wenn Sie keine konkreten Lösungen haben, wenn Sie sich in einer Krise befinden: Musik hilft enorm. Nehmen Sie die Reaktion des Publikums auf Dmitri Schostakowitschs Musik während der Kriegsjahre. In der Zeit musste man aufpassen, was man zu wem sagte, über die Realität konnte nicht gesprochen werden. Aber Musik ist nicht eindeutig, mit Musik kann man Zustände erfassen, die nicht in Worte zu fassen sind. Man fühlt sich verstanden. Derzeit gibt es so viele offene Fragen auf die Zustände in der Welt, und ich meine nicht nur die Pandemie. Wir müssen einen Weg suchen, auf dem wir Antworten finden können. PH Selten weiß man genau, was der Komponist sagen möchte. Bei zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten könnten wir nachfragen, aber selbst da bleibt Raum zur Interpretation. Musik ist Ansporn zu selbstständigem Denken.
MJ Abgesehen von den eingeschränkten Auftritten:
Wie hat sich Ihr Leben als Dirigent verändert? JPS Ich
habe festgestellt, wie wichtig meine Projekte mit Symphonien von Anton Bruckner oder Schostakowitsch waren. Es war wichtig für die Musiker, zusammenzukommen. Sie müssen ihre Arbeitsfähigkeit über die Corona-Zeit hinaus retten, das musikalische Niveau der Orchester muss erhalten bleiben. Am Anfang waren diese Streaming-Situationen sehr schwierig, mittlerweile sind sie Normalität. Ich bin kürzlich in Rom mit der Accademia Nazionale di Santa Cecilia aufgetreten, ein Geisterkonzert ohne physische Anwesenheit des Publikums. Aber nach dem Konzert habe ich all die Nachrichten der Zuschauer in den sozialen Netzwerken gesehen. Auch ein Geisterkonzert ist ein Livekonzert, und der Live-Aspekt darf nicht unterschätzt werden.
MJ Herr
Hahn, Sie sind noch am Anfang Ihrer Kar riere. Wie sehen Sie die Aufgabe eines Dirigenten heute?
PH (lacht)
Kann das nicht Herr Saraste besser beantworten? Ich bin 25 Jahre alt, ich befinde mich im Prozess und sammle vielfältige Erfahrungen. Die physischen Bewegungen sind jedenfalls nicht das Wichtigste. Es geht um eine stimmige Interpretation und die Fähigkeit, diese aufs Orchester zu übertragen, ohne seine Sichtweise dem Orchester aufzuzwingen. Man muss die Musiker überzeugen. JPS Ich bin immer sparsamer geworden mit Bewegungen. Das passiert automatisch in einer langen Karriere. PH Das, was in der Interpretation fehlt, wird oftmals physisch wettgemacht. Das steht mir wohl auch noch bevor, sparsamer zu werden. MJ Von Sergiu Celibidache stammt die Aussage: Ein
Dirigent ist ein verkappter Diktator, der sich glücklicherweise mit Musik begnügt. Diese Zeit
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ist vorbei. Wie hat sich der Begriff von Dirigentschaft verändert? PH Der
Dirigent als Diktator, das funktioniert heute nicht mehr. JPS Das stimmt, die diktatorischen Elemente sind verschwunden. Es geht aber immer noch darum, dass der Dirigent eine klare Idee hat. Um diese umzusetzen, können Sie auch Gesten und Bewegungen ausführen. Jedenfalls: Die Vision des Dirigenten muss so stark sein, dass sie Gültigkeit hat und sich dem Orchester vermittelt. Manchmal gelingt das leicht, manchmal nicht. Man kann über technische Fragen diskutieren, nicht aber über die Vision. PH Es gibt zwar keine Diktatoren mehr am Pult, aber Demokratie gibt es auch nicht. JPS Mein Professor hat mir gesagt, du kannst entweder ein guter Dirigent sein oder ein netter Mann. PH Wirklich? JPS Ja. Das war vor 40 Jahren. PH Man muss respektvoll sein. Ich bin meistens jünger als die Kolleginnen und Kollegen im Orchester. Mir steht eine reiche Expertise gegenüber, die ich zulassen muss und sollte. Ich bin kein Streicher, ich werde also den Streichern nicht sagen, wie sie einen Strich ausführen sollten. Ich sage ihnen, welchen Klang ich hören möchte, die technische Umsetzung lege ich dann in die Hand des Konzertmeisters. JPS Ich nehme Anregungen aus dem Orchester auch auf, zum Beispiel, wenn von Solisten die Frage kommt, ob sie etwas mehr Zeit für diese oder jene Phrase haben könnten. Natürlich, man kann die Tempi justieren, aber das muss in der Relation mit dem Werk stehen. MJ Haben
Sie Vorbilder, Herr Hahn?
PH Wichtig ist, niemanden kopieren zu wollen. Aber wenn
Sie darauf bestehen, würde ich Kirill Petrenko nennen, weil ich bei ihm immens viel gelernt habe. Obwohl er
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eigentlich ein eher untypischer Dirigent ist. Seine Art, mit so viel Vertrauen in die Sänger zu arbeiten und dennoch alles unter Kontrolle zu halten, ist beeindruckend. Das ganze Drumherum, PR und Partys interessieren ihn nicht. Musikalisch ist er zu seinen Mitstreitern absolut treu und gleichzeitig kompromisslos. Und die Ergebnisse sprechen ja für sich. MJ Sie
beide bereiten zeitgenössische Werke für München vor, Patrick Hahn mit Singularity eine Uraufführung, Jukka-Pekka Saraste mit Lear eine Oper, die 1978 im Münchner Nationaltheater uraufgeführt wurde. Wie studiert man in einer Pandemie Opern, die noch nicht im ständigen Repertoire sind?
PH Die
Uraufführung ist erst im Juni, der Probenbeginn steht uns noch bevor. Mit dem Klangforum Wien musiziert in dieser Produktion gastweise ein SpezialistenEnsemble für zeitgenössische Musik, was natürlich ein besonders schöner Umstand ist. JPS Wie viele Musiker sind im Orchester? PH Im Cuvilliés-Theater ist der Orchestergraben vergleichsweise klein, aber die Bühne wäre auch zu eng für die Sänger und das Orchester zusammen. Deshalb wurde die Zahl der Musiker coronabedingt begrenzt. Wir wurden auf 15 Instrumentalisten zusammengeschrumpft, weniger als geplant, aber da es sich um eine Uraufführung handelt, konnte das vom Komponisten noch so eingepflegt werden. JPS Wenn wir auf der Bühne sitzen müssen, wäre das Zusammenspiel erschwert. Wir hoffen, dass wir mit dem großen Lear-Orchester im Orchestergraben sitzen dürfen, wie bei der Uraufführung. Mal schauen. PH Dass die Musiker weiter auseinander sitzen, hat teilweise durchaus auch gute Seiten. Es gibt kein Zurücklehnen mehr, jeder Musiker sitzt alleine am Pult, man muss sich sehr genau zuhören und wachsam sein, was die Eigeninitiative der Musiker fordert.
JPS Jetzt
wäre allerdings wieder wichtig, kompakter werden zu dürfen, das Zusammenspiel zu ermöglichen. Es ist wie im Fußball: Es kann jeder allein trainieren, aber wenn man nicht zusammenspielen darf, kann man keine Meisterschaft gewinnen.
MJ Welche Strategien haben Sie, sich die Partituren
zu merken? JPS Die
größte Schwierigkeit haben die Sänger zu meistern. Aribert Reimanns Musik ist unfassbar schwierig in der Tonalität, die Sänger müssen quasi vom Blatt singen, weil man sich die Silben und Tonhöhen kaum merken kann. Das Orchester gibt ihnen keine Unterstützung, auch der Rhythmus ist sehr frei. Der Dirigent muss alles zusammenhalten können. PH In Singularity ändern sich Taktart und Tempo ununterbrochen. Ich beneide die Sänger hier auch nicht, denn aus dem Orchester kommen natürlich nicht die sonst für Opern üblichen Impulse, an denen sich die Sänger orientieren können, um Anknüpfungspunkte zu finden. Wenn ein Sänger in Singularity rausfällt, kommt er wohl nicht so leicht wieder rein. Die Sicherheit der Sänger ist extrem wichtig, und diese Sicherheit muss auch der Dirigent ausstrahlen. MJ Ein Dirigent ist der Partitur immer einen Moment
voraus, er plant, er leitet die Umbrüche ein. Wie stellen Sie sich auf den Wendepunkt oder den Höhepunkt in der Musik ein? Haben Sie den im Vorhinein im Kopf, ist das der Punkt, von dem aus Sie das Tempo und die Dynamik anlegen? PH Ich
studiere die Partitur genau und muss sie so gut wie möglich kennen. Ich suche nach Möglichkeiten, wo wer von wem den Anschluss und Hilfe finden kann, versuche, Zusammenhänge zu finden. Singularity ist als Einheit gedacht, was den Inhalt des Stückes angeht.
„Der Dirigent als Diktator, das funktioniert heute nicht mehr. Es gibt zwar keine Diktatoren mehr am Pult, aber Demokratie gibt es auch nicht.“ Patrick Hahn 57
dramatische Höhepunkt in Lear ist der, an dem König Lear verloren ist und alles zusammenbricht. Da rauf läuft alles hinaus. Die Musik verläuft im Orchester ohne Melodie und Harmonie. Auch alle Gestaltung durch Rhythmus war in den 1970er Jahren verpönt. Heute finde ich das unheimlich erfrischend.
JPS Der
MJ Bei
beiden Opern steht der Umbruch eines gesellschaftlichen Systems im Mittelpunkt. Lear trifft eine falsche Entscheidung, bei Singularity steht durch einen Updatefehler im System die Frage im Raum, ob Künstliche Intelligenz dem Menschen überlegen ist. Was transportiert sich von diesem Umbruch aus der Partitur?
JPS In
der Oper sind die psychologischen Aspekte wichtiger noch als in Shakespeares Drama King Lear. Ich spreche vom Lebensparadoxon, das wir auch in der Pandemie erleben. Wir beobachten, was im Außen passiert, aber was im Gehirn der Menschen vorgeht, den psychologischen Aspekt, den sehen wir noch nicht. Dabei ist der am wichtigsten. PH Die rhythmisch extrem präzisen Angaben und das oftmals roboterhaft-motorische Singen und Sprechen spiegeln einen Geisteszustand wider, der uns auch im realen Leben allzu oft begegnet. Das ist kompositorisch superspannend umgesetzt und wird schon einiges an Gedankenarbeit beim Publikum hinterlassen. sprachen davon, dass es in Lear kaum Halt gibt, keinen rhythmischen, keinen tonalen. Passt insofern diese Oper in die Zeit der Pandemie?
MJ Sie
vorher. Und für die Kunst gesprochen: Alle Künstler, alle Musiker müssen mehr denn je aneinander denken, ob wir uns zusammenschließen können. Wir müssen auch an die jüngere Generation denken, ihr helfen. Musik ist wichtig fürs Leben und Zusammenleben. PH Es wird keinen Tag X geben, an dem alles vorbei ist. Wir werden damit umzugehen lernen müssen. Ganz los werden wir das Virus wohl nicht. Aber was auch nicht umzubringen ist, ist die Kunst. JPS Ich habe von einem Psychologen gelesen, der mit Menschen mit Depressionen gearbeitet hat. Er bestätigt, dass Musik in der Krise hilft. Ich spreche nicht von Eskapismus. Wir brauchen keinen Lear, der uns in die Katastrophe führt, sondern man muss die Katastrophe durch die Musik erleben. Wie in Bernd Alois Zimmermanns Requiem oder in der Musik von Schostakowitsch. PH Interessant. Ich höre eher von einigen Dramaturgen, die sagen, dass wir mehr Leichtes fürs Publikum brauchen. Das Konzert als Pause von der Krise. JPS Gerade das meine ich nicht. Ich habe zum Glück keinen Krieg erlebt, aber eine Krise in Finnland durch die dramatische Konjunktur 1991. Ich war damals Chef dirigent des finnischen Rundfunkorchesters. Die Menschen hatten nicht viel Geld, aber alle Konzerte waren voll. Die Menschen kamen, um tragischste, tiefste Musik zu hören. Durch die Tragödie in der Musik erfährt man eine Katharsis. Das hilft. Carolin Pirich schreibt für das Süddeutsche Zeitung Magazin, das Zeit Magazin und die taz, oft über Menschen und Musik, und ist Moderatorin bei RBB Kultur und beim WDR. Derzeit arbeitet sie an musikalischen Geschichten für ein Kinderbuch.
Mehr über die Bildkünstlerin auf S. 6
Lear gibt es einen Wendepunkt. Die Erwartungen der Autoritäten, die Erwartungen ans Leben, die führen in der Oper in die Katastrophe. Wir wissen, dass Corona ein Ende haben wird, wir wissen eben noch nicht, wann. Aber wir werden diese Schwierigkeit überleben. Das Leben wird nicht mehr das gleiche sein wie
JPS In
Der finnische Dirigent JUKKA-PEKKA SARASTE studierte Dirigieren an der Sibelius-Akademie in Helsinki. Chefdirigent war er u. a. beim Finnish Radio Symphony Orchestra, beim Toronto Symphony Orchestra, beim Oslo Philharmonic Orchestra und beim WDR Sinfonieorchester Köln, beim BBC Symphony Orchestra war er Principal Guest Conductor. Als Gast dirigent leitete er u. a. das London Philharmonic Orchestra, das Orchestre de Paris, das Gewandhausorchester Leipzig, das Royal Concertgebouw Orchestra, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Staatskapelle Dresden, das New York Philharmonic Orchestra sowie das Orchestre Symphonique de Montréal. Nebst der Spätromantik widmet er sich in seiner künstlerischen Arbeit insbesondere dem zeitgenössischen Musikrepertoire. Bei Lear übernimmt er die Musikalische Leitung.
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Mit erst 25 Jahren wurde PATRICK HAHN gerade zum Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen berufen. An der Bayerischen Staatsoper gab er 2017 sein Debüt mit der Kinderoper Kannst du pfeifen, Johanna von Gordon Kampe und wirkte danach als Assistent von Kirill Petrenko an der musikalischen Einstudierung der Neuinszenierungen von Salome und Die tote Stadt mit. Geboren in Graz, hat er Klavier und Dirigieren in seiner Heimatstadt studiert, Meisterkurse bei Kurt Masur und Bernard Haitink besucht, als Dirigent zahlreiche Wettbewerbe gewonnen und mit vielen großen Orchestern gearbeitet. Als Pianist spielte er Konzerte mit dem Mozarteumorchester Salzburg, und an der Staatsoper Hamburg war er als Korrepititor engagiert. Seine erste Oper komponierte er mit zwölf Jahren, und gelegentlich tritt er auch als Chansonnier in Erscheinung.
MÜNCHEN PA L A I S A N D E R O P E R HOFGRABEN 7
W W W. DA N I E L S - S H O P. D E
DIE SPUR DES MENSCHEN Wird die Technik irgendwann intelligenter sein als der Mensch? Werden Künstliche Intelligenzen von da an bestimmen, wo es langgeht? Was führt die sogenannte Singularität im Schilde? Die neue Oper von Miroslav Srnka und Tom Holloway stellt unheimliche Fragen.
Text Bernd Graff Bilder Mario Klingemann Uraufführung Singularity 60
Tantrum, 2020, Generatives Portrait, StyleGAN2 + Flow Algorithmus
Kunst von Maschinenhand: Mario Klingemann lässt seine Werke mittels KI entstehen und verwendet dafür Algorithmen, Codes und Unmengen von Daten, die er aus digitalen Kulturarchiven gewinnt.
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Die Singularität hat eine schlechte Presse. Weltweit muss wesen werden sich miteinander verständigen in Codes, die man nur „Singularity“ sagen, und dann ahnt jeder schon, was wir nicht mehr verstehen, in Geschwindigkeiten, die wir nicht gemeint ist: Es ist der Moment, noch nennt man ihn „hypo- nachvollziehen können. Sie werden uns die Welt entreißen. thetisch“, in dem sich eine Künstliche Intelligenz, eine KI, selGalt diese Vision bis vor einigen Jahrzehnten noch als pure ber so schlau gemacht hat, dass sie klüger ist als alle Men- Science-Fiction, als schaurig-schöner Fiktivstoff, der zu heischen, die jemals gelebt haben, gerade leben und irgendwann meligem Gruseln einlädt, so deuten die realen Erfolge, die seit einmal leben werden. Ab diesem Moment sorgt diese dann wenigen Jahren im Forschungsbereich der KI in immer schnellerer wirklich intelligente Künstliche Intelligenz nur noch für sich Folge gemacht wurden, darauf hin, dass an der Sache tatsächlich selbst, für wen auch sonst, und wird dabei auch noch immer etwas dran ist. Rechnen die Computer, die man in normalen schlauer! Wie soll man das also finden? Nun ja, eben nicht so Kaufhäusern erwerben kann, ja jedes Telefon nicht mittlerweile um toll. Es ist ja auch kaum weniger als das drohende technolo- ein Vielfaches schneller als in den 1950er Jahren die avanciergische Unheil. Man schaudert also, rümpft die Nase und sieht testen Rechenzentren der bedeutendsten Forschungsinstidas Gemeinte auch schon auf sich zukommen wie die Titanic tute? Die Algorithmen, die den Menschen zum Mond gebracht den Eisberg. Niemand weiß wirklich Genaues, aber dass sie haben, sind heute in Wegwerfspielzeug für die Jüngsten vermanchen mindestens unheimlich ist, diese Singularität, das baut. Und hat man nicht selbst schon mit den wie aus dem scheint doch schon mal sicher. Und doch scheint sie unaus- Nichts aufgetauchten Alexa-Siris gesprochen und sich über weichlich. ihre famose Auskunftsfreudigkeit gewundert? Höflich sind sie So wie „Corona“ weltweit zu einem in der Schmuddelecke ja, aber auch ein wenig herablassend. Sie behandeln uns wie lungernden Begriff geworden ist für jene Pandemie, die uns Bedürftige, die mit ein paar lächerlichen Informationen veralle immer noch beschäftigt, so ist Singularität so etwas wie sorgt werden müssen, die wir uns schon lange nicht mehr dessen aufgetakelte Nachbarin, eine im Dunkeln munkelnde selbstständig zusammensuchen können. Unbekannte. Beide sind abscheulich: Corona sowieso. Und Wenn die Entwicklung also in der Geschwindigkeit so weidie Singularität jetzt schon, obwohl sie noch gar nicht ins Licht tergeht, dann steht die Singularität doch bald bevor, vielleicht getreten ist, nur im Verborgenen still vor sich hinwest. Aber sogar unmittelbar. Und darum ist es vermutlich angebracht, irgendwie ist sie auch schon da. Weiß man, was sie da treibt, jetzt einmal zu fragen: Was wird dann eigentlich aus uns? und weiß man, dass sie nicht doch schon längst eingetreten Das ist die Ausgangsfrage für eine Space Opera der junist? Die Antwort auf die erste Frage ist ein klares Nein. Nein, gen Stimmen, deren Uraufführung im Sommer an der Bayeriman weiß überhaupt nicht, was die Singularität im Schilde schen Staatsoper stattfindet. Verfasst haben sie der Kompoführt, und man wird es wohl auch nie wissen. Das sagen jeden- nist Miroslav Srnka und der Librettist Tom Holloway. Die beiden falls die, die es wissen können. Dafür wissen diese aber die sind ein eingespieltes Team: 2011 schufen sie Antwort auf die zweite Frage: Wäre sie eingetreten, die Singularität, Make No Noise, eine Kammeroper, für die Münchdann wüssten wir es alle längst. Das kann man gar nicht nicht ner Opernfestspiele, und 2016 South Pole, bemerken. Der großen Gala der Singularität entkommt man eine Oper, die ebenfalls an der Bayerischen nicht, die verpasst niemand, da muss man gezwungenermaStaatsoper zur Aufführung kam. Für ihren neuesten Streich ßen dabei sein. Daher die schlechte Presse. haben die beiden eng zusammenarbeitenden Künstler nun die Die Vorstellung hat aber auch etwas Schauriges: Irgend- Farce in der kommenden Techniktragödie entdeckt. wann wird der sich ständig beschleunigende technische Das Komische folge der aktuellen Pandemie nur, mache Fortschritt dafür gesorgt haben, dass alle menschlichen deren Ungewissheitenelend gewissermaßen um ein paar Lebensverhältnisse, so wie wir sie kennen, nicht fortgesetzt Facetten reicher, sagt der Australier Tom Holloway in einem werden können. Und zwar deswegen, weil dann eben die Sin- munteren Gespräch, das in Echtzeit von irgendwelchen Comgularität in die Geschichte der Menschheit eingetreten sein putern um den halben Globus übertragen wird. Sagen wir so: wird: Die Technik wird intelligenter geworden sein als der Entstanden ist die Idee zu Singularity lange vor der PandeMensch, ihr Schöpfer. Und von da an bestimmt sie, wo es mie. Ihr Eintreten hat alle Mutmaßungen einer langgeht. Von diesem Moment an wird diese Technik auch fröhlichen Dystopie nur bestätigt. immer schneller noch intelligenter, sie wird sich laufend optiEs gibt ja nicht allzu viele Sciencemieren, sich umfassender vernetzen, als wir uns das jetzt ausFiction-Opern-Komödien in der malen können. Und auch ihre Erscheinungsformen werden Geschichte des Musiktheaters. zunehmen. Alle jetzt noch unverdächtige Materie denkt dann Warum beginnt man also dieses Genre ausgerechnet mit der mit. Jeder Manschettenknopf wird mindestens über das Wis- dräuenden Singularität? Ganz einfach, sagt Tom Holloway, sen eines abgeschlossenen Hochschulstudiums verfügen – in der Oper gehe es um große Gefühle, die irgendwie kommuund das eher nicht in Disziplinen der Human- und Geistes- niziert werden wollen, in den kommenden Technologien geht wissenschaften. Anrufbeantworter werden sich miteinander es darum, wie kommuniziert wird, vor allem aber darum, wer anfreunden und über ihre Besitzer tuscheln, Kühlschränke kommuniziert. Wie also wäre es, sich die Singularität als dieihre frivolen Geheimnisse austauschen. Souveräne Rechen- sen Moment vorzustellen, in dem das alles aufeinanderprallt,
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Selbstportrait mit Mobiltelefon, 2020, Momentaufnahme der Uncanny Mirror installation, 2018
in dem unsere (alte) menschliche Kommunikation sich mit Und darum verlangte es geradezu nach dem zukunftsweiden neuen Codes der Technik in einer einzigen Wolke des ver- senden Kreativduo Srnka / Holloway. Denn die beiden entnetzten Gequatsches verwebt? In dem jeder mit allem und deckten den unauslöschlich humanen Witz, das menschlich alles mit jedem spricht. Gleichzeitig. Ohne Worte. Durch reine Urkomische im Kern ihrer Protagonisten. In deren Singularity Gedanken- und Bit-Übertragung. Was also, wenn wir im ext- sind wir konfrontiert mit beiden Sorten Mensch, die plötzlich remen Fall der Singularität selbst zu kybernetischen Organis- parallel existieren: den Wesen der Cloud, die bestens eingemen würden und damit wieder zu Akteuren, die in dem sofort fügt sind und die Maschinenwelt am Laufen halten, und hochschießenden babylonischen Technoturm kräftig mit- denen, die noch auf ihre finale Installation warten. Vielleicht schwurbeln? „Wir werden dann ja so wunderbar schnell mit- muss man sich Letztere ja dann wirklich wie Neandertaler einander kommunizieren!“, sagt Holloway, „was aber heißt, vorstellen, wie übriggebliebene Aliens in lauter Künstlicher dass wir gar nicht mehr in die Tiefe gehen werden bei unse- Intelligenz. Doch sie werden noch über etwas verfügen, sie ren Gesprächen. Dann schwirren die Bedeutungen nur so besitzen einen wertvollen Schatz, der sie auszeichnet, einüber uns hinweg. Die Leute werden also sehr schnell verletzt zigartig macht und herausragen lässt in der kalten Kalkülsein durch das, was sie aus dem reißenden Informationsstrom welt der Maschinen: Sie werden noch immer Zuneigung, fischen können und nur glauben, verstanden zu haben. Und Zärtlichkeit und Liebe füreinander empfinden. Das schafft sehr verletzend werden sie sein in dem, was sie selbst von keine KI (zumindest noch nicht). Ein wenig wunderlich, ein sich geben“, prophezeit der Künstler. Denn nicht nur Technik wenig verschroben werden diese Überlebensmenschen erfährt eine unglaubliche Beschleunigung – die Missverständ- natürlich sein, ein wenig also so wie: wir. nisse auch. Die Megahertzen im Dreivierteltakt muss man sich also unbedingt als empört vorstellen. Aber sie werden, Bernd Graff ist Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, deren Onlineredaktion er vor 26 Jahren gegründet hat. Er bewundert die Errungennun ja, sensibler sein, die Menschheit 2.0 ist schließlich entschaften in der Erforschung Künstlicher Intelligenz, auch wenn er bisher noch standen. Frage an alle Streber: Welche Opern würde diese keinerlei Intelligenz in aller KI entdeckt hat. Schwarmintelligenz dann wohl mögen? Und, Zusatzfrage: Mehr über den Bildkünstler auf S. 6 Wird ein elektronisches Publikum die auf einer Bühne verhandelten Gefühle noch verstehen können? Dystopisch ausgemalt hat man die Singularität ja nun hinreichend. Immer ganz großes Kino. Zur Mikroebene aber, zur unteren Ebene des banalen Alltags unter den Bedingungen von Singularität, hat man sich bislang noch nicht vorgewagt. Dazu musste man auf Miroslav Srnka und Tom Holloway warten. Denn in trügerischen Normalitäten werden auch weiterhin die wahren Dramen stattfinden – hier werden die Updates, unsere dann, natürlich schiefgehen, hier stürzen die besten Hirne reihenweise ab, in denen Bugs und Viren nisten, die Malware des Denkens. Es besteht Reboot-Bedarf in der Wet-Ware (so nennen Nerds das menschliche Denkorgan). Und überhaupt: Was wird aus den Haustieren? Reichen uns, wie in Srnkas und Holloways neuem Werk, dann elektronische Papageienkanarien, die man mit einem handelsüblichen Kabel über die Buchse am Bürzel auflädt? Die „Trost-Drohne“ wird sie im Stück genannt, sie ist aus Blech, aber sie funktioniert. Wie alles. Belegt aber nicht gerade sie, dass Menschen immer eher emotionale als rationale Wesen bleiben werden? Doch es besteht ja eben auch Hoffnung, sagt Holloway: Weil noch jede Künstliche Intelligenz einmal in den ersten Programmierungen von Menschen ihren Ausgang genommen hat, ist das Menschliche darin untilgbar. Darum bleibt die Spur des Menschen ein Erbe, so etwas wie die DNA in allen weiteren künftigen Programmen. Die Handschrift unserer Spezies, das unauslöschlich Menschliche, das man auch in den Überstrukturen der Singularität wiederfinden wird. Wir sind die Geschichte jeder Über-Intelligenz, heißt das. So schlimm wird es also eventuell doch nicht werden. Vielleicht ist die Zukunft in der Singularität ja gar nicht unmenschlich. Jedenfalls nicht ausschließlich.
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Selbstportrait, 2019, Momentaufnahme der Uncanny Mirror installation, 2018
SINGULARITY – Miroslav Srnka schreibt gemeinsam mit dem Dramatiker und Librettisten Tom Holloway eine musikalische Komödie über den technischen Fortschritt und seine Folgen für das menschliche Zusammenleben. Implantierbare Mikrochips und Nanotechnologie eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation, aber sie machen die Menschheit anfällig für Störungen im vernetzten System. Genau das passiert den Figuren in Singularity. Was geschieht, wenn ein Update außer Kontrolle gerät? Und was, wenn die künstliche der menschlichen Intelligenz überlegen sein wird? Singularity begibt sich auf die Spuren einer gar nicht so unwahrscheinlichen Science-Fiction zwischen Erde und Weltall und bringt auch die komischen Seiten dieses Themas auf die Bühne. Termine im Spielplan ab S. 68 und unter www.staatsoper.de/spielplan
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SCHÖNE NEUE WELT? Wie sieht die Zukunft von Mensch und Maschine aus? Eine visionäre Schilderung des Futuristen und KI-Experten Ray Kurzweil über Nanoroboter, die unsere Gehirne bereisen, und ewiges Leben.
Gastbeitrag Ray Kurzweil Uraufführung Singularity
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Am Anfang des 21. Jahrhunderts stehen wir an der Schwelle zu einer Epoche, in der das, was unser Menschsein ausmacht, bereichert und gleichzeitig enorm gefordert werden wird. Denn unsere Spezies ist dabei, die Ketten ihres genetischen Erbes zu sprengen und so in ungeahnte Sphären vorzudringen, was ihre geistigen Fähigkeiten, materiellen Grundlagen und ihre Lebenszeit angeht. Paradigmenwechsel finden schon heute jedes weitere Jahrzehnt zweimal so häufig statt wie zuvor, und so wird sich während des 21. Jahrhunderts ein Fortschrittssprung ereignen, der so groß ist wie der in den vergangenen 20.000 Jahren. Entwicklungen in der Computertechnik, der Kommunikation, den Biotechnologien (beispielsweise bei der DNA-Sequenzierung), in der Hirnforschung (beispielsweise bei den Hirnscan-Methoden) sowie der Zugewinn des menschlichen Wissens allgemein schreiten noch um einiges schneller voran, sodass sich auch Geldwert, Leistungsfähigkeit und Bandbreite jährlich verdoppeln. Die molekulare Datenverarbeitung durch DNA-Computer wird die Hardware für eine menschenähnliche starke Künstliche Intelligenz noch vor 2030 liefern. Im Bereich der Softwareentwicklung wird man wichtige Erkenntnisse durch das Reverse Engineering, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, gewinnen, das bereits in vollem Gange ist. Und auch wenn die daraus folgenden sozialen Veränderungen und philosophischen Implikationen tiefgreifend und die Gefahren erheblich sein werden, letztlich werden wir mit unseren Maschinen verschmelzen, unendlich leben und um ein Milliardenfaches intelligenter sein als heute – und zwar in den kommenden drei oder vier Jahrzehnten. Unser biologischer Neocortex wird sich mit dem synthetischen Neocortex in der Cloud verbinden. Dazu wird man Nanoroboter einsetzen, die durch Kapillargefäße ins Gehirn reisen und dort drahtlose Informationsübertragung zwischen den Modulen unseres Neocortex und der Cloud herstellen – genauso wie unsere Smartphones heute schon drahtlos mit der Cloud kommunizieren. Und wie das Smartphone wird dann auch unser Neocortex seine Leistung durch die Verbindung mit unzähligen Computern in der Cloud verstärken. Das ist das Szenario für die 2030er und 2040er Jahre. Unser Denken wird sich zu einem Hybriden aus biologischer und nichtbiologischer Hirnleistung in der Cloud entwickeln. Wir werden klüger, musikalischer, witziger etc. Unsere kognitiven Fähigkeiten werden sich mehr und mehr von ihren biologischen Grundlagen entfernen, je weiter wir sie in die Cloud hinein erweitern und je mächtiger die Cloud wird. Backups von digitalen Prozessen sind etwas Selbstverständliches. Und genauso werden wir es auch schaffen, zumindest den Großteil unseres „mind files“ zu sichern. Datengesichert zu sein, bietet zwar keine lebenslange Garantie für die gespeicherten Informationen – jeder, der einmal eine Datei gelöscht hat, weiß das –, zieht aber eine zusätzliche Schutzschicht ein. Statt von Unsterblichkeit spreche ich sowieso lieber von der unbegrenzten Ausdehnung unseres „mind files“. Das „mind file“ ist zudem keine bloß abstrakte Vorstellung: In unseren Hirnen sind Informationen gespeichert, die unsere Erinnerungen, Talente und Persönlichkeit ausmachen. Und diese Informationen sind noch nicht gesichert. Ihr Überleben hängt allein vom Überleben eines Hardwareteils ab. Wenn wir aber in der Lage sind, von unserem „mind file“ eine Sicherungskopie zu erstellen, so bietet uns das einen beachtlichen, wenn auch keinen absoluten Schutz. Ich werde also nicht eines Tages vor Ihnen stehen und sagen: „Ich habe es geschafft. Ich kann ewig leben.“ Denn nichts ist ewig.
Mehr über den Autor auf S. 6 Aus dem Englischen von Sabine Voß
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Spielplan 23.04.2021 – 23.06.2021 Aufgrund der aktuellen Situation kann es immer wieder zu Abweichungen im Spielplan kommen. Unter www.staatsoper.de halten wir Sie über mögliche Änderungen auf dem Laufenden. Stand Spielplan: 09.04.2021 Hinweise zu Ihrem Besuch finden Sie unter: www.staatsoper.de/besuch
APRIL Fr 23.04.21 Sa 24.04.21
19.30 Ballett Der Schneesturm 14.30 Campus Sitzkissenkonzert: Bassettl-Spassettl Parkettgarderobe, Nationaltheater So 25.04.21 11.00 Ballett Dahoam am Platzl 7 Filmische Erinnerungen an 30 Jahre Bayerisches Staatsballett So 25.04.21 19.30 Ballett Der Schneesturm Mo 26.04.21 20.00 Konzert 5. Akademiekonzert: Yuri Simonov Di 27.04.21 20.00 Konzert 5. Akademiekonzert: Yuri Simonov Do 29.04.21 19.00 Oper I masnadieri (Die Räuber) Fr 30.04.21 19.30 Oper Ariadne auf Naxos
MAI So 02.05.21 So 02.05.21 Mo 03.05.21 Mi 05.05.21 Do 06.05.21 Fr 07.05.21 Sa 08.05.21
Sa 08.05.21
Sa 08.05.21 So 09.05.21 So 09.05.21 Do 13.05.21 Sa 15.05.21
So 16.05.21 So 16.05.21 Entdecken Sie unser Streaming-Angebot und erleben Sie, wann immer Sie möchten, Oper, Ballett und Konzert bequem zu Hause. Videos-on-Demand 24h-Tickets ab 4,90 € www.staatsoper.de/on-demand Sie möchten immer auf dem aktuellen Stand zu Spielplan, Besetzungen oder dem Streaming-Programm bleiben? Melden Sie sich jetzt zum Newsletter an: www.staatsoper.de/newsletter
So 16.05.21 Mi 19.05.21 Sa 22.05.21 So 23.05.21 Mo 24.05.21 Di 25.05.21 Mi 26.05.21 So 30.05.21 So 30.05.21
Mo 31.05.21 Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.
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14.00 Campus SpielBallett Schwanensee 18.00 Oper I masnadieri (Die Räuber) 19.30 Ballett Der Schneesturm 19.30 Oper Ariadne auf Naxos 19.30 Ballett Der Schneesturm 19.00 Oper I masnadieri (Die Räuber) 11.00 Campus Sitzkissenkonzert: Oskar und der sehr hungrige Drache Parkettgarderobe, Nationaltheater 14.30 Campus Sitzkissenkonzert: Oskar und der sehr hungrige Drache Parkettgarderobe, Nationaltheater 19.30 Ballett Der Schneesturm 14.00 Campus SpielBallett Schwanensee 18.00 Oper Ariadne auf Naxos 19.00 Oper Ariadne auf Naxos 10.00 Campus Kinder-SpielOper: Die Entführung aus dem Serail (Workshop) 11.00 Extra Premierenmatinee zu Lear 11.00 Konzert 6. Kammerkonzert: OPERcussion goes Paris Uraufführung Allerheiligen Hofkirche 19.00 Oper Falstaff 19.00 Oper Falstaff 19.30 Oper Falstaff 19.00 Oper Lear Premiere 20.00 Konzert 6. Akademiekonzert: Joseph Bastian 20.00 Konzert 6. Akademiekonzert: Joseph Bastian 19.30 Oper Lear 10.00 Extra Operndialog zu Lear 18.00 Oper Lear Auch als Live-Stream auf www.staatsoper.de 16.00 Extra Operndialog zu Lear
JUNI
MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE 2021
Do 03.06.21 18.00 Oper Lear So 06.06.21 11.00 Extra Premierenmatinee zu Singularity So 06.06.21 18.00 Oper Il trittico Mo 07.06.21 19.00 Oper Lear Di 08.06.21 19.30 Ballett Der Schneesturm Fr 11.06.21 19.00 Oper Il trittico Fr 11.06.21 19.00 Campus Singularity Uraufführung Cuvilliés-Theater Sa 12.06.21 18.00 Oper Die Entführung aus dem Serail So 13.06.21 17.00 Oper Il trittico So 13.06.21 19.00 Campus Singularity Cuvilliés-Theater Di 15.06.21 19.00 Campus Singularity Cuvilliés-Theater Di 15.06.21 19.30 Oper Die Entführung aus dem Serail Mi 16.06.21 20.00 Oper The Snow Queen Do 17.06.21 19.00 Campus Singularity Cuvilliés-Theater Fr 18.06.21 19.00 Campus Singularity Cuvilliés-Theater Fr 18.06.21 19.30 Ballett Der Schneesturm Sa 19.06.21 20.00 Oper The Snow Queen So 20.06.21 11.00 Extra Premierenmatinee zu Tristan und Isolde So 20.06.21 18.00 Oper Die Entführung aus dem Serail Di 22.06.21 19.30 Oper The Snow Queen Mi 23.06.21 19.00 Oper Die Entführung aus dem Serail
Der Restkartenverkauf für die Münchner Opernfestspiele 2021 beginnt voraussichtlich am Samstag, 15. Mai 2021, 10.00 Uhr. Alle verbleibenden Karten können telefonisch, online und je nach Infektionslage auch am Schalter erworben werden (Kontakt siehe S. 68). Weitere Informationen zu den Festspielen finden Sie unter: www.staatsoper.de/festspiele
gefördert durch Julia Frohwitter Botschafterin des Bayerischen Staatsorchesters sponsored by
Karin und Roland Berger Avantgarde Partner
Mit freundlicher Unterstützung des Inner Circle der Bayerischen Staatsoper
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DER SCHWUNG DER FIGUR Bildende Künstlerinnen und Künstler interpretieren Rainer Maria Rilkes geheimnisvollen „Schwung der Figur“. Diesmal: JERRY ZENIUK
Mit dem Grafitstift drückt Jerry Zeniuk kreisende Formationen wie Kraftfelder auf die Konturen einer männlichen Gestalt. Zeichengrund ist die schwarz-weiße Kopie einer Grafik von Georg Baselitz. Die Figur kann sich der rotierenden Linienbündel nicht erwehren: Sie docken an Schulter und Brust an, schlingen sich um den kleinen Kopf und die großen Hände und nutzen die Gelenkstellen der Baselitz-Figur, um in der fast schon aggressiven Überschreibung eine schwingende, mehrdimensionale Räumlichkeit zu entfalten. Jerry Zeniuk, 1945 im niedersächsischen Bardowick geboren, gelangte nach seinem Kunststudium an der Universität von Colorado durch den akademischen Austauschdienst nach Berlin. Die Teilnahme an der documenta 1977 machte ihn international bekannt. 1993 erhielt er eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste München. Zeniuk widmet sich vor allem der Wirkmacht von Farbelementen und setzt diese auf unbehandelten Leinwänden miteinander in Beziehung. Die Dynamik entsteht dabei aus den unbemalten Zwischenräumen, welche die vielen Kreise und Tupfen zu- oder auseinandertreiben und so eine meditative Spannung erzeugen.
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© Anish Kapoor. DACS/VG Bild-Kunst, Bonn 2020
ERSTMALS AUF CD KIRILL PETRENKO UND DAS BAYERISCHE STAATSORCHESTER GUSTAV MAHLER SYMPHONIE NR. 7 AB 28.05. ERHÄLTLICH
Die Erstveröffentlichung des neuen exklusiven Labels der Bayerischen Staatsoper: Bayerische Staatsoper Recordings www.staatsoper.de/recordings Im Vertrieb von NAXOS Deutschland