Gefährdete Erholung | Impulse für die Weltwirtschaft gesucht 08/09/2020
Diese Muster der Gesundheitsmaßnahmen führten zu einem harten Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität. Konjunkturell musste das Vereinigte Königreich den härtesten Einbruch unter den großen europäischen Volkswirtschaften verkraften. Die Wirtschaftsleistung ging im zweiten Quartal 2020 um 20,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zurück. Der private Verbrauch brach um 23 Prozent ein und die Bruttoanlageinvestitionen sanken um ein Viertel, jeweils gegenüber Vorquartal. Die Bautätigkeit brach sogar um ein Drittel ein. Im ersten Halbjahr schrumpfte die britische Wirtschaft um gut 22 Prozent, nur Spanien traf es noch etwas härter. Im Juni setzte die Erholung ein. Durch die Wiedereröffnung einzelner Wirtschaftsbereiche und Prozessumstellungen zeigte sich ein Anstieg um 8,7 Prozent im Vergleich zur Vorperiode, allerdings konnte dieser Anstieg die Einbrüche aus April und Mai nur teilweise kompensieren. Nahezu unverändert blieb die Arbeitslosenquote mit 3,9 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass sich die Anzahl der Beschäftigten um 220 Tausend verringert hat. Ferner sorgten staatliche Stützungsprogramme (Furlough Scheme) für einen stark dämpfenden Effekt in der Statistik: Im Juni erhielten ca. 7,5 Millionen Beschäftigte staatliche Lohnzuschüsse. Hiervon waren mehr als drei Millionen Menschen länger als drei Monate freigestellt. Die Regierung führte neben dem Kurzarbeitergeld auch ein Garantieprogramm für Liquiditätshilfe in Höhe von 330 Milliarden Pfund Sterling ein. Für das laufende Jahr rechnet die Regierung mit einem Haushaltsfehlbetrag von 300 Milliarden Pfund Sterling; dies entspricht 15 Prozent des BIP. Die Staatsverschuldung erreichte bereits im Juni einen Gegenwert von ca. 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, erstmals seit 1963. Anders als in Deutschland gab es allerdings keine Anpassung der allgemeinen Umsatzsteuersätze; die Regierung hat jedoch u.a. die Anwendung des reduzierten Umsatzsteuersatzes auf besonders betroffene Bereiche temporär ausgeweitet. Dazu zählen u.a. weite Teile der Gastronomie und Hotellerie sowie der Freizeitwirtschaft und Kulturveranstaltungen. Die Änderungen gelten bis Mitte Januar 2021. Im Fokus der politischen Diskussion steht derzeit die Fortsetzung des sog. Furlough Scheme, dem britischen Kurzarbeit-Programm. Hierbei erhalten Selbstständige und Gewerbetreibende auf Antrag Lohnersatzleistungen in Höhe von 80 Prozent für Gehälter bis max. 2.500 Pfund pro Mitarbeiter. Dieses kostenintensive System soll nunmehr schrittweise zurückgefahren und am 31. Oktober 2020 auslaufen. Anders als zum Programmauftakt dürfen die betroffenen Angestellten mittlerweile auch in Teilzeit weiterbeschäftigt werden. Ferner zahlt die Regierung Prämien an Unternehmen, die ihre Mitarbeiter frühzeitig aus dem Furlough zurückholen. Angesichts der unvorhersehbaren Einschränkungen ist allerdings umstritten, ob alle betroffenen Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder rechtzeitig beschäftigen können. Schwer zu prognostizieren sind die Effekte aus der Beendigung der Brexit-Übergangsphase zum Jahresende. Durch das Corona-Krisenmanagement verlaufen die Vorbereitungen in einigen Betrieben schleppend. Daher kann ein weiterer Einbruch in der Wirtschaftsleistung für das kommende und laufende Jahr nicht ausgeschlossen werden. Insofern rechnen wir mit einem Einbruch der Wirtschaftstätigkeit in diesem Jahr in knapp zweistelliger Größenordnung. Der IWF rechnet mit einem Rückgang in der Größenordnung von 10,2 Prozent, die OECD mit 11,5 Prozent (im Szenario mit einem Lockdown). Jedwedes Aufflackern des Infektionsgeschehens dürfte insbesondere die Schwäche der Dienstleistungsbranchen und des privaten Verbrauchs zementieren. Die Erholung der britischen Wirtschaft bleibt in besonderem Maße gefährdet.
Regionaler Ausblick Die Pandemie hat sich auch in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ausgebreitet. Starke Unterschiede bestehen nicht nur in den Infektionslagen, sondern auch in der gesundheits- und wirtschaftspolitischen Strategie gegen die Pandemie. So gibt es mittlerweile ausgesprochen schwierige
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