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Das Safeguardinstrument

Das Safeguardinstrument26

Seit 2008 ist die Zahl der eingeleiteten Safeguarduntersuchungen innerhalb der G20 stetig gestiegen. Bei der Anzahl der verhängten Maßnahmen ist ein ähnlicher Trend zu beobachten.27 In den vergangenen Jahren und Monaten ist die Diskussion um Safeguards auch in der breiteren Öffentlichkeit in der Europäischen Union angekommen. So wird im Rahmen des Trade Policy Review und in der Diskussion um europäische Open Strategic Autonomy vermehrt über die Nutzung von Safeguards im Handelsschutz gesprochen. Somit rückt dieses bisweilen kaum bekannte und vergleichsweise wenig genutzte Instrument vermehrt in den Fokus der handelspolitischen Schutzdebatte.

Die G20-Länder leiteten zwischen Oktober 2008 und Mitte Oktober 2020 insgesamt 123 Safeguarduntersuchungen ein. In 63 dieser Fälle (51 %) wurden endgültige Maßnahmen eingeführt. Indien leitete mit 39 Untersuchungen die meisten Untersuchungen ein, gefolgt von Indonesien (33), der Türkei (15) und Russland (10). Argentinien, Japan und Südkorea initiierten in der erfassten Zeit keine Safeguarduntersuchungen, und Brasilien, Kanada, China und Mexiko leiteten jeweils eine Untersuchung ein.

Gesamtzahl der unter G20-Ländern Oktober 2008 - Mitte Oktober 2020 Investigations eingeleiteten Safeguarduntersuchungen

140

120

100

80

60

40 33 42 59 66 79 83 89 96 104 116 123

20

0 21

3

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020

Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_okt20_e.xls>, BDI-Analyse. .

26 Der BDI hat eine ausführliche Position zum Safeguardinstrument veröffentlicht. Das Papier ist unter folgendem Link abrufbar: https://bdi.eu/media/publikationen/#/publikation/news/das-safeguardinstrument/. 27 Welthandelsorganisation (2008-2020), G20-Trade Monitoring Berichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_jun20_e.xls> (eingesehen am 24. Juli 2020), BDI-Analyse.

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Gesamtzahl der unter G20-Ländern ergriffenen endgültigen Safeguards

Oktober 2008 - Mitte Oktober 2020 Measures

70

60

50

40

30

20 17 22 30 34 40 42 45 51 57 63 63

10

2 10

0

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: WTO, G20-Handelsüberwachungsberichte, <https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/g20_annex_bis_okt20_e.xls>, BDI-Analyse. .

Status quo

Im Gegensatz zu den geläufigeren handelspolitischen Schutzinstrumenten – Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen – konzentrieren sich Safeguards nicht auf die „Fairness" des Handels, sondern werden angewandt, wenn europäische Wirtschaftsbeteiligte von einem „unvorhergesehenen, starken und plötzlichen" Anstieg der Einfuhren betroffen sind. Das Instrument zielt darauf ab, dem betroffenen Industriezweig eine „vorübergehende Atempause" zu verschaffen, um sich an eine erhebliche Zunahme von Einfuhren anzupassen. Safeguards gehen damit nicht auf ein „Fehlverhalten“ Dritter (wie Dumping oder unerlaubte Subventionen) zurück. Deshalb stehen den von Safeguards betroffen Drittstaaten auch äquivalente handelspolitische Kompensationsmaßnahmen (zum Beispiel Zollerleichterungen in anderen Bereichen) zu. Ein weiterer Unterschied zwischen Safeguards und den anderen beiden handelspolitischen Schutzinstrumenten besteht darin, dass sie nicht auf Einfuhren aus einem bestimmten Land oder bestimmten Ländern angewandt werden, sondern auf Einfuhren aus allen Ländern.28 Darüber hinaus ist die Untersuchung nicht nur auf gleichartige Waren beschränkt, sondern kann auch unmittelbar konkurrierende Waren erfassen. Obwohl die EU im Jahr 2018 eine Reform der Antidumping- und Antisubventionsinstrumente abgeschlossen hat, ist derzeit keine Reform der EU-Safeguards geplant.

Der Rahmen für Safeguards der EU findet sich im WTO-Übereinkommen über Safeguards (Artikel XIX, GATT). Das Abkommen erlaubt es WTO-Mitgliedern, Safeguards zu ergreifen, um einen bestimmten inländischen Wirtschaftszweig vor einem unvorhergesehenen Anstieg von Einfuhren einer Ware zu schützen, die einen ernsthaften Schaden für diesen Wirtschaftszweig verursacht oder zu verursachen droht.

Das Abkommen legt die Anforderungen für Safeguarduntersuchungen fest, einschließlich der öffentlichen Bekanntmachung von Anhörungen, der Möglichkeit für interessierte Parteien, Beweise vorzulegen und der Möglichkeit vorläufiger Maßnahmen, wenn eine ernsthafte Schädigung bereits festgestellt wurde. Die Kriterien für eine ernsthafte Schädigung und die Faktoren, die bei der Bestimmung der

28 Europäische Kommission, Safeguards, <https://ec.europa.eu/trade/policy/accessing-markets/trade-defence/actions-againstimports-into-the-eu/safeguards/> (eingesehen am 30.07.2020).

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Auswirkungen von Einfuhren berücksichtigt werden müssen, sind ebenfalls in dem Abkommen festgelegt. Maßnahmen sollten nur in dem Maße angewandt werden, wie dies zur Verhinderung und Behebung einer ernsthaften Schädigung und zur Erleichterung der Anpassung der heimischen Produktion erforderlich ist. Wird aufgrund einer Untersuchung eine Mengenbeschränkung auf Einfuhren verhängt, sollte diese Maßnahme die Einfuhrmenge nicht unter den Jahresdurchschnitt der letzten drei Jahre senken. Die Maßnahmen sollten nicht länger als vier Jahre gelten. In Sonderfällen können sie auf maximal acht Jahre verlängert werden.

Ausgenommen von den Maßnahmen werden bestimmte Entwicklungsländer, falls zwei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind und zwar, wenn

1. der Anteil der Einfuhren des Produkts aus einem Entwicklungsland an den Gesamteinfuhren des Produkts drei Prozent nicht übersteigt;

2. die Einfuhren des Produkts aus Entwicklungsländern mit einem Anteil von weniger als drei

Prozent der Gesamteinfuhren zusammen weniger als neun Prozent der Gesamteinfuhren ausmachen.

Entwicklungsländer können die Geltungsdauer von eigenen Safeguards um bis zu zwei Jahre über das normale Maximum hinaus auf bis zu zehn Jahre verlängern. Schließlich wurde mit dem Abkommen der Ausschuss für Safeguards (Safeguards Committee) eingerichtet, der die Anwendung überwachen soll.29

EU-Safeguarduntersuchungen

Die Hürden der WTO für den Einsatz von Safeguards sind sehr hoch. So muss die Europäische Kommission nachweisen, dass der Anstieg der Importe dieser Produkte oder Produktgruppen signifikant war, auf unvorhergesehene Entwicklungen zurückzuführen ist und eine ernsthafte Schädigung auf dem EU-Markt verursacht oder zu verursachen droht. Somit ist ein höheres Schadensrisiko als bei Antidumping- oder Ausgleichszöllen erforderlich. Darüber hinaus muss die Kommission über die Verpflichtungen im Rahmen des WTO-Übereinkommens über Safeguards hinaus nachweisen, dass diese Maßnahmen (beispielsweise Zölle oder Einfuhrquoten) im Interesse der Europäischen Union liegen.

Sowohl die EU-Produzenten als auch die Kommission selbst können Safeguarduntersuchungen einleiten. Von Seiten der Hersteller erfordert dies einen hinreichend begründeten Antrag bei den Behörden in einem oder mehreren EU-Mitgliedstaaten. Gelangt die Kommission nach Konsultation der nationalen Behörden zu der Auffassung, dass genügend Beweise vorliegen, eröffnet sie eine solche Untersuchung durch eine Bekanntmachung im Amtsblatt der EU.

Bei den Untersuchungen werden Einfuhrtrends, die Bedingungen, unter denen sie stattfinden und die Gefahr beziehungsweise Ursache eines ernsthaften Schadens für EU-Produzenten untersucht. Sie müssen innerhalb von neun Monaten abgeschlossen werden.

Safeguards können auf unterschiedliche Weise ergriffen werden, beispielsweise in Form erhöhter Zölle oder von Einfuhr- und Zollkontingenten. Werden Einfuhrkontingente verhängt, werden diese in der Regel mindestens auf der durchschnittlichen Höhe der Einfuhren der letzten drei repräsentativen Jahre festgesetzt. In der Vergangenheit hat die Kommission Zollkontingente eingeführt, das heißt, dass auf die Einfuhren, die das Kontingent überschreiten, zusätzliche Zölle erhoben werden. Unter besonderen

29 Welthandelsorganisation, Agreement on Safeguards, <https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/ursum_e.htm#lAgreement> (eingesehen am 30.07.2020).

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Umständen, wie bei den im Jahr 2018 ergriffenen Stahlzöllen, können auch vorläufige Maßnahmen verhängt werden, wenn der Nachweis eines eindeutigen Schadens erbracht wurde.30

Empfehlungen

▪ Um einen fairen internationalen Wettbewerb zu gewährleisten, ist die deutsche Industrie auf effektive und ausgewogene handelspolitische Schutzinstrumente angewiesen, die faire und weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen für die in der EU ansässigen Hersteller, Importeure und Verbraucher sicherstellen.

▪ Grundsätzlich hält die deutsche Industrie das WTO-Übereinkommen über Safeguards für angemessen. Grundsätzlich muss immer die Einhaltung der Vorgaben des Abkommens gewährleistet sein.

– Dabei gilt immer, dass sowohl die Anliegen produzierender als auch einführender Wirtschaftsbeteiligter, also das Unionsinteresse, angemessen berücksichtigt werden müssen.

– Kriterien, die die Anwendung von Safeguards ermöglichen, müssen möglichst differenziert und praxisgerecht definiert sein.

▪ Die (EU-)Safeguards sind ein (besonders scharfes) Instrument, das zur Abwendung massiver und plötzlicher externer Schocks gedacht ist und lediglich in handelspolitischen Notsituationen zum Einsatz kommt. Daher muss von der Europäischen Kommission vor Einführung der Safeguards sorgfältig geprüft werden, ob die hierfür erforderlichen Kriterien erfüllt sind:

– Das Vorliegen der für Safeguards erforderlichen Kriterien sollte produktspezifisch geprüft werden. Begriffe wie „unvorhergesehener Importanstieg“ sollten genauer definiert werden.

– Für die Einführung von Safeguards muss es zu einem unvorhergesehenen und starken Anstieg der Importe gekommen sein. Dieser und die nachweislich negativen wirtschaftlichen Auswirkungen sollten im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen.

– Wechselwirkungen mit geltenden Antidumpingmaßnahmen der EU sollten vermieden werden, da diese die Sicherstellung der Versorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen in einem äußerst dynamischen Marktumfeld gefährden können.

▪ Innerhalb der Europäischen Union spielte das Safeguardinstrument im Handelsschutz bislang eine untergeordnete Rolle. Angesichts der wachsenden Herausforderungen im internationalen Handel für einige Branchen (zunehmender weltweiter Protektionismus, wachsende Überkapazitäten, Mengenumleitungen in den europäischen Markt) sollte die Europäische Kommission die Anwendung von Safeguards dahingehend sorgfältig überprüfen, wann ihre Anwendung helfen kann, ein Level

Playing Field international zu sichern.

– Wenn (zum Beispiel nach Antragstellung) die Voraussetzungen und Kriterien für den Einsatz des

Instrumentes erfüllt sind, muss es nach genauer, ausgewogener Untersuchung konsequent angewendet werden.

30 Europäische Kommission, Measures, <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/april/tradoc_151032.pdf> (eingesehen am 30.07.2020).

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