7 minute read
Anti Coercion Instrument
Teilinstruments vor: Für Unternehmen aus Staaten, die weder das WTO Agreement on Government Procurement noch Freihandelsabkommen mit der EU, die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe enthalten, unterzeichnet haben, sollte im Falle der Beteiligung an öffentlichen Auftragsvergaben in der EU vermutet werden, dass sie wettbewerbsverzerrende Drittstaatssubventionen erhalten.
Anti-Coercion Instrument
Im September 2020 übermittelte die Präsidentin der Europäischen Kommission an den Präsidenten des Europäischen Parlamentes und an die deutsche Ratspräsidentschaft eine Absichtserklärung, in der sie die Arbeitsplanung der Kommission für 2021 skizzierte. Im Zusammenhang mit einer neu gestärkten Wirtschaft wurde hierin ein „Instrument to deter and counteract coercive actions by third countries“ genannt.6 Die Konsultationsphase für ein Anti-Coercion Instrument (ACI) läuft und endet am 15. Juni 2021.
Extraterritoriale Sanktionen, aber auch Maßnahmen gegen europäische Unternehmen im Ausland oder zollpraktische Hemmnisse gegen Importe aus der EU, sind heute mehr und mehr wirtschaftliche Symptome in Folge der wirtschaftlichen Austragung geopolitischer Auseinandersetzungen. Die deutsche Industrie begrüßt das Vorhaben, diesem Trend durch die Schaffung eines reaktiven Instruments zur Abschreckung und Erwiderung geoökonomischer Maßnahmen entgegenzuwirken. Geoökonomie wird dabei verstanden als die Verfolgung geopolitischer Ziele mit wirtschaftlichen Mitteln.7
Status quo
Diese Verschränkung von politischen mit wirtschaftlichen Beziehungen ist zwar nicht neu, jedoch häufen sich die Vorkommnisse. Noch vor wenigen Jahren wurde selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich die wirtschaftlichen Interessen der EU-Mitgliedsstaaten und deren außenpolitische Ziele klar voneinander trennen lassen. Dementsprechend sind bislang die Möglichkeiten der Europäischen Union, Wirtschaftszwang abzuschrecken und mit eigenen Maßnahmen zu erwidern, sehr begrenzt. Bislang existiert lediglich eine Anti-Boykott-Verordnung, auch bekannt als Blockadestatut, als Verfahren, um die extraterritoriale Einflussnahme von Drittstaaten auf europäische Unternehmen abzuwehren.
Die Verordnung (EG) 2271/96 wurde erlassen als Reaktion auf den 1996 Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act (Helms-Burton). Unter Abschnitt III ermöglicht dieses US-Gesetz Bürgern mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, ausländische Firmen vor US-Gerichten wegen der Nutzung nach der Revolution enteigneten Eigentums zu verklagen. Helms-Burton sieht folglich keine Sanktionsschritte im eigentlichen Sinne vor. Durch das Blockadestatut wollte die EU sicherstellen, dass derartige Gerichtsurteile aus Drittstaaten in Europa weder anerkannt noch vollstreckt werden.8 Es war
6 Ursula von der Leyen, Maroš Šefčovič, State of the Union – Letter of Intent to President David Maria Sassoli and to Chancellor Merkel, 16 September 2020, <https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/state_of_the_union_2020_letter_of_intent_en.pdf> (eingesehen am 2.12.2020). 7 Geopolitik und Geoökonomie werden zunehmend als Begriffe verwendet. Oft fehlt eine analytische Trennung der Konzepte, die verständlich beschreibt, in welchem Verhältnis die Konzepte zueinanderstehen. Ohne diese Trennung bleibt jedoch unklar, wie die Verschränkung von internationaler Politik und globaler Wirtschaft negative Externalität für die Wirtschaftsbeteiligten schafft. Eine gängige Definition von Geoökonomie, die klar von Geopolitik unterscheidbar ist, stammt von Robert D. Blackwill, Jenniver M. Harris, „War by Other Means, Geoeconomics and Statecraft“, Cambridge, London: The Belknap Press of Havard University Press, S. 20: „The use of economic instruments to promote and defend national interests, and to produce beneficial geopolitical results; and the effects of other nations’ economic actions on a country’s geopolitical goals.” 8 Um ihrer Ablehnung extraterritorialer Gesetze Nachdruck zu verleihen, formulierten die europäischen Gesetzgeber auch die Möglichkeit eines Clawbacks unter Artikel 6 der EU-Anti-Boykott-Verordnung. Dieser Artikel ermöglicht es betroffenen
12
Absicht der EU, die USA durch die Blockadeverordnung vom Gebrauch von Abschnitt III Helms-Burton abzubringen und diesen stattdessen durch präsidentiellen Erlass auszusetzen.9 Tatsächlich haben sich bis ins Frühjahr 2019 alle US-Präsidenten hierzu bereit gezeigt.
Die EU aktivierte das Blockadestatut unabhängig vom Helms-Burton Act, als die USA im Mai 2018 aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) mit dem Iran ausstiegen.10 Die EU nahm die USamerikanischen Iransanktionen in den Anhang der Blockadeverordnung auf. Diese US-Sanktionen unterscheiden sich in ihrer Extraterritorialität jedoch signifikant von den Bestimmungen aus Abschnitt III des Helms-Burton Act. Heute ist es aufgrund erlassener Sekundärsanktionen natürlichen und juristischen US-Personen nicht mehr gestattet, beispielsweise Geschäfte mit Banken zu betreiben, die ihrerseits wiederum in Geschäftskontakt mit sanktionierten Individuen oder Entitäten stehen. Da sich jedoch jede seriöse Finanzinstitution in US-Dollar refinanzieren muss, kommen solche Sanktionen einem Ausschluss vom Wirtschaftsleben gleich.
Ursprünglich als Mittel gegen US-Gerichtsurteile gedacht, ist die europäische Anti-Boykott-Verordnung nicht dazu konzipiert worden, gegen umfassende Finanzsanktionen wirksam vorgehen zu können. In der Öffentlichkeit wurde die Verordnung damals wie heute weitgehend als symbolischer Akt eingestuft.11 Es besteht daher Handlungsbedarf.
Empfehlungen
Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen sind für die deutsche Industrie grundsätzlich nicht hinnehmbar. Es ist daher zu begrüßen, dass die Europäische Kommission sich dem Thema der Extraterritorialität annimmt und Instrumente entwickeln will, damit Europa zukünftig effektiv, robust und angemessen auf geoökonomischen Zwang reagieren kann. Dabei sind einige Punkte zu beachten:
▪ Die EU sollte bei ihren Diskussionen zu Maßnahmen, mittels derer sie ihre Interessen schützen möchte, ihre wirtschaftspolitischen Ziele nicht aus dem Blick verlieren: ein offenes Europa, das über einen regelbasierten Welthandel mit Partnern in aller Welt verbunden bleibt. Hier sollte eine Abwägung im Geiste des Unionsinteresses Teil des Auslöseimpulses sein. Nur dann wird ein derartiges
Instrument spürbar und nachhaltig Vorteile für Unternehmen generieren.
▪ Da schon die Verabschiedung eines Anti-Coercion Instruments zu Reaktionen in Drittstaaten führen wird, sollte dieses in eine einheitliche EU-Außenpolitik eingebettet werden. Dies ist umso wichtiger,
Europäern, durch Klagen vor US-Gerichten entstandene Schäden auszugleichen. Hierzu sollen Vermögenswerte der Kläger in Europa beschlagnahmt und veräußert werden. Siehe auch: Vaughan Lowe, “Helms-Burton and EC Regulation 2271/96“, in: The Cambridge Law Journal 56 (2), July 1997, S. 250. 9 Jeffrey Lewis, “The Institutional Problem-Solving Capacities of the Council: The Committee of Permanent Representatives and the Methods of Community”, in: Max-Planck Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) Discussion Paper 98/1, February 1998, S. 32. 10 Damit verbunden war ein zügiges Wiedereinsetzen extraterritorialer US-Sanktionen gegen Teheran, die ursprünglich im Verbund mit den europäischen Partnern den Abschluss des Atomabkommens erwirkt hatten. Im Zentrum dieser Sanktionen stand und steht die Absicht, Unternehmen die Geschäftstätigkeit bis zur Unmöglichkeit zu erschweren, indem finanzierenden Banken der Ausschluss vom US-Dollarraum angedroht wurde. Siehe auch: BDI, Iran Sanctions: U.S. Withdrawal from the JCPoA - BDI Position on the Reintroduction of U.S. Economic and Financial Sanctions against Iran, July 2018, <https://english.bdi.eu/publication/news/iran-sanctions-u-s-withdrawal-from-the-jcpoa/>. 11 Mathias Brüggmann, „EU-Schutzmechanismus gegen Trumps Iran-Sanktionen wird zum Fehlschlag“, in: Handelsblatt, 28.1.2019, <https://www.handelsblatt.com/politik/international/blocking-statut-eu-schutzmechanismus-gegen-trumps-iran-sanktionen-wird-zum-fehlschlag/23917690.html?ticket=ST-2751322-UGIpb5urHspyDWYkPpTI-ap5> (eingesehen am 9.2.2021); Deutsche Welle, „Interview Anahita Thoms – EU-Blockade gegen US-Sanktionen, wie wirksam?“, in: Deutsche Welle, 18.5.2018, <https://www.dw.com/de/eu-blockade-gegen-us-sanktionen-wie-wirksam/a-43844483> (eingesehen am 8.2.2021); Niklas Dummer, „Interview Laura von Daniels SWP – Die Nachteile der US-Sanktionen überwiegen heute die Vorteile des USGeschäfts“, in: Wirtschaftswoche, 19.5.2018, <https://www.wiwo.de/politik/europa/us-wirtschafts-expertin-die-nachteile-der-ussanktionen-ueberwiegen-heute-die-vorteile-des-iran-geschaefts/22583752.html> (eingesehen 7.2.2021); Vaughan Lowe, “Helms-Burton and EC Regulation 2271/96“, in: The Cambridge Law Journal 56 (2), July 1997, S. 250.
13
sollte sich, wie derzeit von der Kommission überlegt, das Instrument auf Artikel 207 AEUV stützen. Ein Konsens der EU-Mitgliedsstaaten, beispielsweise nach Abschluss eines Durchführungsaktes, sollte dazu beitragen, dass auch im Anwendungsfall die Union mit einer Stimme spricht.
▪ Ein Anti-Coercion Instrument erscheint besonders dann zweckdienlich, wenn es sich kohärent in die
Gestaltung außereuropäischer Beziehungen einfügen lässt. Idealerweise sollte die Prävention von geoökonomischen Konflikten für die EU im Vordergrund stehen. Bei potenziellen Konfliktbereichen sollte die EU mit internationalen Partnern gezielte und strategische Dialogprozesse vorantreiben.
Nur die Designation des Anti-Coercion Instruments als Mittel zur Reaktion schafft die notwendige
Stabilität und Erwartbarkeit in Konfliktsituationen.
▪ Es ist wichtig, dass die EU eine Strategie entwickelt, die über reaktive Maßnahmen hinausgeht. Das heißt, die EU sollte gezielt eine Politik der strategischen Interdependenz betreiben, die sich auf drei
Grundsätze stützt: Anreize stärken, Abschreckung ermöglichen, Wirtschaftsbeteiligte schützen.
– Um Anreize zu schaffen, sollte die EU ihren Binnenmarkt ausbauen. Hier sind insbesondere die
Kapitalmarkt- und die Bankenunion zu nennen. Eine Digitalisierung des Euro, wie sie die EZB bereits angeschoben hat, sollte fortgeführt werden. Diese Maßnahme wird mittelbaren Einfluss auf die Attraktivität der europäischen Währung haben – ein entscheidender Faktor, da bislang der Euro als internationales Zahlungsmittel weit hinter dem US-Dollar zurücksteht. Auch sollte die EU eine Fakturierung in Euro unterstützen. Bei manchen Geschäften, wie beispielsweise im
Energiesektor, besteht oft keine faktische Notwendigkeit, andere Währungen zu verwenden. Die industrielle Basis und technologische Kompetenz muss über die Industriestrategie gestärkt werden. Investitionen für Infrastruktur und netzbasiertes Wachstum (Energie, Digitalisierung, Mobilität) sollten die Attraktivität Europas als Standort stärken und könnten sinnvollerweise in Europas
Konnektivitätsstrategie integriert werden.
– Abschreckung sollte nicht nur Gegendruck erzeugen, sondern sich an multilateralen Prinzipien orientieren. Gegenmaßnahmen sollten einerseits kurzfristig und konkret der Durchsetzung unmittelbarer Interessen dienen. Zugleich müssen sie in eine legitime und internationale Ordnung eingebettet sein. So ist es wichtig, dass Gegenmaßnahmen im Einklang mit den Prinzipien des
Völkerrechts stehen und WTO-konform sind.
– Ein Schutz der Wirtschaftsbeteiligten darf sich nicht nur auf Abwehrmaßnahmen beschränken.
Mit der Verrechnungsstelle INSTEX hat die EU hierzu einen ersten, wenn auch erfolglosen, Versuch unternommen. Weitere Optionen sollten in Erwägung gezogen und zu einer kohärenten
Strategie ausgearbeitet werden, die geeignet ist, praxisnahe Unterstützungsleistungen konkret und kurzfristig bereitzustellen. Folgende Fragen sind daher im weiteren Prozess zu prüfen:
▪ Können Zahlungskanäle und Finanznachrichtendienste durch internationale Vereinbarungen resilienter gemacht werden?
▪ Sollte ein europäischer Souveränitätsfonds eingerichtet werden, um beispielsweise das
System der Exportkreditfinanzierungen zu europäisieren? Oder sollte ein solcher Fonds besonders solche Projekte stützen, die dem strategischen Unionsinteresse dienen?
▪ Könnte ein solcher Fonds vielleicht auch Finanzhilfen leisten, um Unternehmen zu unterstützen, die unverschuldet – also ohne zuvor absehbares Sanktionsrisiko (Beispiel: JCPoA) – extraterritorialen Sanktionen zum Opfer fallen?