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Öffentliche Ausschreibungen und Vergabeverfahren: Das International Procurement Instrument
Zusammenarbeit, um die aktuellen Hindernisse zu überwinden. Es bedarf aber auch eines wirksamen Instrumentenkastens, um selbstbestimmt agieren zu können.
Zur Gewährleistung der Einhaltung internationaler Handelsregeln und der Durchsetzung europäischer Handelsabkommen braucht die Europäische Union einen ausgewogenen Instrumentenkasten, der den sich ändernden Rahmenbedingungen im internationalen Handel, wie beispielsweise international steigendem Protektionismus oder der Schwächung internationaler Organisationen, entspricht und ein Level Playing Field sicherstellen kann. Hierzu hat die Kommission bestehende Instrumente (beispielsweise die EU-Durchsetzungsverordnung) an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst und zudem angekündigt, neue Instrumente zu schaffen (zum Beispiel ein sogenanntes Anti-Coercion Instrument). Ziel ist es, die europäischen Handelsinteressen zu schützen.
Defensivinstrumente können jedoch nur ein zusätzlicher Weg zur Sicherstellung des Wettbewerbs auf Augenhöhe darstellen. Das wirtschaftspolitische Primat der EU muss auf der Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit liegen. Nur eine dynamische und innovative europäische Wirtschaft kann langfristig global erfolgreich sein und als Vorbild agieren. Dies setzt marktorientierte, industriefreundliche und technologieoffene Rahmenbedingungen voraus. Einen besonderen Schwerpunkt müssen zudem weiterhin offensive Maßnahmen der EU zur Öffnung von Drittmärkten und zur Förderung des gegenseitigen Handels bilden. Dazu gehören der Abschluss und die Inkraftsetzung weiterer Freihandels- und Investitionsabkommen mit wichtigen Wirtschaftspartnern. Darüber hinaus sollte die EU gemeinsam mit anderen interessierten Staaten plurilaterale Wege einschlagen, um marktwirtschaftlich ausgerichtete Länder besser vor den wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen von staatswirtschaftlichen Systemen schützen zu können. Schließlich sollten die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten den Dialog mit staatswirtschaftlichen Drittstaaten nutzen, um zu Wirtschaftsreformen hin zu mehr Marktwirtschaft zu ermutigen und anzumahnen.
Im Folgenden betrachten wir verschiedene handels-, investitions- und wettbewerbspolitische Instrumente der EU und analysieren, inwiefern diese Instrumente bereits ausreichen, um ein internationales Level Playing Field sicherzustellen und wo nachjustiert werden sollte. Nach Implementierung dieser Instrumente sollten sie bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen konsequent angewendet werden.
Öffentliche Ausschreibungen und Vergabeverfahren: Das International Procurement Instrument
Die Vergabe öffentlicher Aufträge stellt national, europäisch und international einen außerordentlich bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Das Gesamtvolumen öffentlicher Aufträge beläuft sich sowohl bei nationaler als auch europäischer Betrachtung in der Regel auf einen Anteil von zehn bis 20 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Insofern sind öffentliche Aufträge zugleich auch von erheblicher Relevanz für wirtschaftliches Wohlergehen, Wachstum, Innovation und Arbeitsplätze.
Essenziell ist insoweit ein auf Transparenz und Gleichbehandlung aller Bieter beruhender Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Ferner ist ein effektiver Vergaberechtsschutz für den Fall von Verletzungen der genannten Prinzipien beziehungsweise dazu geschaffener Vergaberechtsregelungen erforderlich.
Wichtig ist für die anbietende Wirtschaft somit nicht nur der Zugang zu öffentlichen Aufträgen auf ihrem Heimatmarkt, sondern auch zu Vergabemärkten anderer Staaten. Das gilt insbesondere für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft.
Soweit nationale Sicherheitsinteressen im Sinne von Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine Abweichung von diesem Grundsatz gebieten, sind hierfür nach Möglichkeit international bzw. zumindest EU-weit harmonisierte Anwendungsgrundsätze anzustreben. Insbesondere einseitige Ausgleichs- oder Kompensationsverlangen als Nebenbedingung öffentlicher Aufträge sind aus Sicht des BDI abzulehnen oder – falls nicht vermeidbar – im Sinne eines Level Playing Field ausgewogen auszugestalten.
Bereits bestehende Ungleichgewichte der Marktöffnung im Verhältnis zwischen der vergleichsweise eher marktoffenen EU einerseits und oft noch verschlossenen Drittstaaten andererseits haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Das ist einer der Faktoren, die sich negativ auf die angestrebte strategische Autonomie Europas auswirken können. Den gewachsenen Ungleichgewichten hinsichtlich der Marktöffnung will die Kommission mit der Schaffung des International Procurement Instrument (IPI) entgegenwirken. Dieses Instrument zielt auf die Öffnung noch verschlossener Beschaffungsmärkte von Drittstaaten ab. Dazu wird ein Verfahren der EU zur Beanstandung und Verfolgung unakzeptabler Marktabschottungen beziehungsweise unfairer Verhaltensweisen von Drittstaaten vorgeschlagen, das gegebenenfalls zur Sanktionierung von Angeboten mit Herkunft aus diesen Drittstaaten führen kann und damit den Druck auf derartige Drittstaaten erhöht, ihre Märkte zu öffnen.
Status quo
Der Zugang zu nationalen und europäischen Vergabemärkten ist durch das nationale Vergaberecht und – für große Vergaben ab bestimmten Schwellenwerten – durch die EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge sichergestellt, die Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter vorschreiben. Dagegen ist der Zugang europäischer Unternehmen zu Vergaben in Drittstaaten jenseits der EU vielfach noch verschlossen oder zumindest stark erschwert.
Das plurilaterale WTO-Abkommen für Regierungsaufträge (Government Procurement Agreement, GPA), dem die EU mit ihren Mitgliedstaaten angehört, führt zu einer Marktöffnung hinsichtlich großer öffentlicher Aufträge bei einigen, aber bei weitem nicht allen Mitgliedstaaten der WTO: Neben den EUMitgliedstaaten gehören dem GPA bisher im Wesentlichen weitere klassische Industrienationen wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und die Schweiz an. Die meisten Entwicklungsund Schwellenländer sind dem GPA bis jetzt nicht beigetreten, da sie eine verbindlich geregelte Öffnung ihrer Vergabemärkte für ausländische Bieter bislang ablehnen. Dies gilt auch für wirtschaftlich besonders bedeutende, aufstrebende Drittstaaten, wie vor allem China, aber auch für weitere wichtige Staaten wie Russland, Indien und die Türkei. China hat einen bereits vor vielen Jahren in Aussicht gestellten Beitritt zum GPA bis dato wiederholt durch nicht hinreichende und daher für die Mitglieder des GPA nicht akzeptable Beitrittsangebote verzögert.
Über die Marktöffnung im Rahmen des GPA hinaus hat die EU sich in den vergangenen Jahren auch dafür eingesetzt, eine weitere Öffnung der Vergabemärkte in Drittstaaten mittels bilateraler Handelsabkommen zu erreichen, die weiter gehen als das GPA. Auf diese Weise wurden etliche Verbesserungen gegenüber einigen wichtigen Handelspartnern wie Kanada und Japan erreicht. Dies ändert allerdings nichts daran, dass viele wichtige Staaten bisher keinerlei Öffnung eigener Vergabemärkte gegenüber der EU akzeptiert haben.
Insgesamt ist in den letzten Jahren zunehmend ein Missverhältnis der Marktöffnung im Verhältnis zwischen der EU einerseits und wirtschaftlich bedeutenden Drittstaaten mit noch verschlossenen Märkten andererseits entstanden. Dies gilt zumindest in faktischer Hinsicht. Zwar besteht nach den EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge kein Rechtsanspruch eines Unternehmens aus einem Drittstaat auf
Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU, wenn der Heimatstaat des Unternehmens kein entsprechendes Öffnungsabkommen mit der EU abgeschlossen hat. Dementsprechend können Bieter aus solchen Drittstaaten in der EU von der Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss ist aber nicht zwingend vorgesehen.
Etliche EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, haben ihre Vergabemärkte weit geöffnet und schließen Bieter aus Drittstaaten nicht generell aus. In einigen EU-Mitgliedstaaten ist in den letzten Jahren wiederholt Angeboten aus China mit extrem niedrigen, teils sogar dumpingverdächtigen Preisen zum Nachteil europäischer Wettbewerber der Zuschlag erteilt worden, obwohl China weiterhin keinerlei diesbezügliche Marktöffnung gegenüber der EU akzeptiert hat und eigene Märkte weiter in verschiedener Weise gegen ausländische Bieter abschottet. Beispiele dafür finden sich etwa bei öffentlichen Auftragsvergaben in den Bereichen Bau- und Infrastrukturaufträge, Eisenbahn- und Straßenbahnbau in verschiedenen osteuropäischen, aber auch in westeuropäischen Mitgliedstaaten der EU.
Hinzu kommt, dass in etlichen Fällen, in denen Bieter aus abgeschotteten Drittstaaten den Zuschlag erhalten, dies durch Mittel aus EU-Fonds ermöglicht wird und somit vom EU-Steuerzahler aufgebrachte Gelder letztlich Unternehmen aus Drittstaaten mit problematischen Offerten zum Nachteil von Unternehmen aus der EU zugutekommen. Das gilt insbesondere, wenn ausländische Staatsunternehmen als Bieter mit dumpingverdächtigen Niedrigpreisen in der EU auftreten.
Die Vorschläge der Kommission zum IPI und die weitere Diskussion
Zur Überwindung der entstandenen Ungleichgewichte hat die Kommission bereits 2012 einen ersten Vorschlag für ein International Procurement Instrument vorgelegt. Ziel ist es dabei, eine Regelung für den Zugang von Angeboten aus Drittstaaten zu Beschaffungsmärkten in der EU zu schaffen und damit zugleich auf die Öffnung noch verschlossener Märkte in Drittstaaten hinzuwirken. Vereinfacht ausgedrückt, sieht das IPI ein Verfahren zur Prüfung und Beanstandung problematischen vergabe- beziehungsweise handelspolitischen Verhaltens von Drittstaaten vor. Für den Fall, dass die Beanstandung nicht zur Ausräumung der Probleme führt, sieht das IPI Sanktionen gegen Angebote vor, die zumindest zu 50 Prozent aus Drittstaaten stammen, die als abschottend beziehungsweise unlauter agierend eingestuft werden.
Während die genannten Ziele des IPI allgemein begrüßt worden sind, stieß der Vorschlag aus dem Jahr 2012 wegen befürchteter negativer Nebenwirkungen auf vielfache Kritik, auch seitens Deutschlands und der deutschen Wirtschaft. Daraufhin hat die Kommission 2016 einen geänderten Vorschlag präsentiert, der teilweise geänderte Sanktionen (Preisaufschläge von bis zu 20 %) für Angebote aus abgeschotteten Drittstaaten vorsieht. Im Rat der EU begrüßten die IPI-Befürworter den neuen Vorstoß, andere Mitgliedstaaten lehnten ihn vor allem wegen weiterhin befürchteter Probleme bezüglich komplizierter Herkunftslandermittlungen und damit verbundener Rechtsunsicherheiten ab. Dies führte im Rat erneut zu einem Patt.
Während sich Probleme ungleichen Marktzugangs in der Folge weiter verstärkten, hat sich im Jahr 2019 die Überzeugung durchgesetzt, die Beratungen zum IPI im Rat wiederzubeleben und Möglichkeiten einer Überarbeitung des geänderten Vorschlags zu prüfen. Eine wichtige Rolle spielte dabei –auch für den BDI – die Tatsache, dass lange Zeit erhoffte Veränderungen im Verhalten von Staaten wie China nicht eingetreten sind. Vielmehr ist der Eindruck entstanden, dass diese Staaten zunehmend als „systemische Wettbewerber” agieren, die einerseits immer stärker auf EU-Märkte vordringen, andererseits aber nicht gewillt sind, eigene Märkte zu öffnen und insoweit Handlungsbedarf besteht.
Unter der aktuellen, portugiesischen Ratspräsidentschaft ist inzwischen neuer Schwung in die IPIDiskussionen im Rat der EU gekommen. Eine prinzipielle Einigung im Rat wird nun bis Sommer 2021 angestrebt.
Empfehlungen
Der BDI plädiert dafür, die im Jahr 2019 wieder aufgenommenen Verhandlungen im Rat der EU nunmehr entschlossen voranzubringen. Dabei gilt es, die noch vorhandenen Defizite des geänderten Kommissionsvorschlags aus dem Jahr 2016 zu überwinden. Bei der Überarbeitung des IPI muss sichergestellt werden, dass kontraproduktive Wirkungen, Mehraufwand und Rechtsunsicherheiten für EU-Unternehmen und Vergabestellen in der EU vermieden werden.
Bei der Überarbeitung bzw. endgültigen Ausgestaltung des IPI sind insbesondere folgende Zielsetzungen wesentlich:
Praktikabilität des IPI sicherstellen: Gegenüber dem geänderten Kommissionsvorschlag von 2016 unbedingt überarbeitungsbedürftig sind die bisherigen Regelungen zu Sanktionen. Vor allem müssen insoweit die bisher komplizierten Regelungen bezüglich der Anknüpfung der Sanktionen an die – gegebenenfalls nur anteilige – Herkunft von Angeboten aus Drittstaaten geändert werden, um übermäßigen Aufwand und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Wie nun richtigerweise von der portugiesischen Ratspräsidentschaft angestrebt, ist es insoweit vorzuziehen, auf die Herkunft der Bieter statt auf die zollrechtliche Herkunft der Güter, die für das Angebot verwendet werden, abzustellen. Dies ist sowohl für Bieter als auch für öffentliche Beschaffer in der Praxis deutlich einfacher als die bisherige Konzeption nach dem geänderten Kommissionsvorschlag von 2016.
Sinnvoll erscheint auch der Vorschlag für ein sogenanntes Safety net, um zu verhindern, dass die Regelungen des IPI dadurch umgangen werden, dass ein Angebot zwar von einem Bieter aus der EU stammt, jedoch einen überwiegenden Anteil von Waren aus abgeschotteten Drittstaaten umfasst. Nach dem Safety net soll nur der erfolgreiche Bieter vertraglich erklären, dass sein Angebot zu weniger als 50 Prozent seines Wertes aus Waren oder Dienstleistungen aus einem von der Kommission als abgeschottet beziehungsweise unlauter agierend eingestuften Drittstaat stammt. Eine solche Erklärung mag auch für den erfolgreichen Bieter im Einzelfall eventuell nicht ganz einfach sein, erscheint aber deutlich weniger belastend als die bisher für ein jedes Angebot vorgesehene entsprechende Untersuchung der Herkunft des Angebots. Hilfreich erschienen praktische Erläuterungen der Kommission bezüglich einer möglichst praktikablen Ermittlung der Angaben für die Erklärung des erfolgreichen Bieters.
Nationalen Spielraum für Maßnahmen unter dem EU-Beschaffungsrechtsrahmen aufrecht hal-
ten: Das IPI kann ein zentrales Instrument für einen ausgewogeneren Marktzugang im öffentlichen Beschaffungswesen mit einer starken Rolle der Kommission werden. Dabei stellt das IPI gewissermaßen eine Basis für gemeinsame Maßnahmen auf EU-Ebene dar. Es darf jedoch Mitgliedstaaten nicht daran hindern, über das IPI hinausgehende, notwendige Maßnahmen zu erlassen, solang diese mit dem beschaffungsrechtlichen Rahmen der EU vereinbar sind. Daher fordert der BDI:
▪ Streichung einer bisher für das IPI vorgesehenen Vorschrift, die den Mitgliedstaaten verbieten würde, weitergehende Maßnahmen zu erlassen (Art. 1 Abs. 5 des geänderten Vorschlags der
Kommission von 2016) sowie
▪ Streichung einer bisher beabsichtigten Vorschrift, die zur Abschaffung einer bestehenden Regelung der EU-Sektorenrichtinie führen würde, die vorsieht, dass Vergabestellen