9 minute read

Der Weg zur Klimaneutralität

Georg Knill

Die Strategie der Industrie als Gestalterin eines umfassenden und nachhaltigen Umbaus des Energiesystems

Advertisement

Der fortschreitende Klimawandel ist eine unverrückbare Tatsache, deren Auswirkungen sich niemand von uns entziehen kann. Das macht eine letztendliche Dekarbonisierung des globalen Energiesystems unumgänglich. Für Europa wird die Klimaneutralität in etwa für die Mitte des Jahrhunderts gesellschaftlich und politisch ins Auge gefasst – und schrittweise auch rechtlich verankert. Kürzlich sind auch die europäischen Ziele für das Jahr 2030 – von 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 auf mindestens minus 55 Prozent – verschärft worden. In weiterer Folge wird sich damit auch das bestehende österreichische Klimaziel von derzeit minus 36 Prozent gegenüber 2005 noch weiter erhöhen. Dazu kommt die Absicht der aktuellen Bundesregierung, Klimaneutralität in Österreich bereits bis 2040 zu erreichen. Das wäre somit nochmals rund zehn Jahre früher, als das auf der gesamteuropäischen Ebene angepeilt wird.

Die Industrie als entscheidender Sektor

Der Industrie kommt eine gestaltende Schlüsselrolle in der Energiewende zu. Sie ist mit einem Anteil von rund 30 Prozent des Endenergieverbrauchs eine relevante Größe im Energiesystem. Noch entscheidender als der unmittelbare Anteil am Energieverbrauch und den damit anfallenden Emissionen ist aber etwas Anderes: Die Wirkung, welche von der Industrie hervorgebrachte Technologien und Produkte erzielen. Diese sind entscheidend, sowohl für die Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs durch höhere Effizienz, aber auch durch die Bereitstellung erneuerbarer Energie zur Deckung des verbleibenden Energiebedarfs. Solche industriell basierten Technologien und Produkte – wie stromsparende Elektrogeräte, Eisenbahnen oder Windräder – sind es, die letztlich eine Dekarbonisierung ohne Wohlstandsverlust ermöglichen werden.

Diese verantwortungsvolle und aktive Rolle der Industrie in der Transformation des Energiesystems entspricht auch dem Selbstverständnis der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen und der Industriellenvereinigung, die sich auch hinter die entsprechenden politischen Ziele auf EU-Ebene stellt.

Klimawandel global bekämpfen

Dabei setzt sich die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie, und besonders die energieintensive Industrie, dafür ein, dass neben der Selbstverpflichtung der EU auch andere Industriestaaten vergleichbare Ambitionen zeigen. Auch die jüngsten Ankündigungen der neuen US-Administration, die Emissionen bis 2030 halbieren zu wollen, bedeuten nur, dass dann die Pro-Kopf-Emissionen so hoch sein werden, wie sie in der EU heute sind. Die EU wird ihre Emissionen bis 2030 hingegen schon wieder halbiert haben. Noch vager fällt die Klimaambition des mit Abstand größten Emittenten, nämlich China, aus. Während die dortige Staatsspitze ankündigen lässt, bis 2060 klimaneutral sein zu wollen, werden gleichzeitig rund 300 neue Kohlekraftwerke errichtet.

Diese Kraftwerke werden über 700 Mio. Tonnen CO2 ausstoßen. Zum Vergleich: Ganz Österreich stößt pro Jahr 80 Mio. Tonnen CO2 aus. Folgerichtig haben die Pro-Kopf-Emissionen in China mittlerweile jene der EU übertroffen. Eine konsequente Mittelfrist-Klimapolitik bis zum Jahr 2030 ist kaum erkennbar.

Angesichts dieser wenig ermutigenden Entwicklungen und eines Anteils der EU von gerade noch 10 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen (Tendenz sinkend) ist es nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine klimapolitische Notwendigkeit, die anderen Wirtschaftsmächte im Pariser Abkommen zu halten. Und es müssen ihnen vergleichbare Klimaschutzziele abverlangt werden.

Marktmacht der EU für globale Klimaambition einsetzen

Dafür hält die IV mittlerweile auch Maßnahmen in Form von Abgaben für grundsätzlich vorstellbar. Diese sollten auf die Treibhausgas-Emissionslast von Importen abstellen und sie finanziell bewerten (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Wenn weltweit weiterhin unterschiedliche Zielvorgaben gelten, während die EU ihre Klimaambitionen erhöht, sollte die Europäische Kommission die schiere Größe ihres Marktes als Machtinstrument einsetzen.

So könnte für ausgewählte Sektoren ein CO2- Grenzausgleichssystem durchgesetzt werden. Damit würde sich sowohl das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen reduzieren als auch ein Beitrag geleistet, um umweltpolitische Zielsetzungen in anderen Teilen der Welt zu realisieren. Ein solches Grenzausgleichssystem würde sicherstellen, dass der Preis von Einfuhren ihren CO2-Gehalt besser widerspiegelt. Jedenfalls aber muss eine solche Maßnahme mit den Regeln der WTO und anderen internationalen Verpflichtungen der EU in Einklang stehen.

Für die IV ist ein solches Grenzausgleichssystem jedoch kein gleichwertiger Ersatz für die bestehende Regelung im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems. Beide Instrumente sind aus standortpolitischen Notwendigkeiten nur ergänzend zu sehen.

Nationale Strategien zu Klimaschutz und Umbau des Energiesystems

Schwerpunkt der Aktivitäten der heimischen Industrie ist jedoch naturgemäß das österreichische Energiesystem. Dies gilt insbesondere für den unmittelbar durch die Produktion verursachten Energiebedarf sowie die damit zusammenhängenden Treibhausgasemissionen. Mit der integrierten Klima- und Energiestrategie der „Mission 2030“ wurde 2018 erstmals eine integrierte Strategie, die sowohl die Energiebereitstellung als auch die damit zusammenhängenden Emissionen betrachtet, vorgelegt. Zwei Bunderegierungen später steht der Integrierte Nationale Energie und Klima Plan (NEKP) angesichts der oben angesprochenen neuen Zielsetzungen vor seiner erneuten Überarbeitung.

Die Industriellenvereinigung erkennt ganz klar die strategische Bedeutung der gennannten Dokumente, insbesondere die gemeinsame Sicht der Energie und Emissionsseite. Das darf aber freilich nicht über ein traditionelles Umsetzungsdefizit der heimischen Energie- und Klimapolitik hinwegtäuschen. Inwieweit die gesetzten politischen Aktivitäten geeignet sind, die Emissionsziele zu erreichen und dabei Versorgungssicherheit und Standortverträglichkeit zu ermöglichen, ist Gegenstand der laufenden politischen Diskussion.

Stromwende allein greift zu kurz

Kritisch aus Sicht der Industrie ist die spürbare politische und kommunikative Fokussierung auf das Ziel, 100 Prozent des Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Quellen bereit zu stellen. Dies mag angesichts einer öffentlichen Wahrnehmung, die weitestgehend in erneuerbarem Strom, in Windrädern und Photovoltaik die Antwort auf den Klimawandel erkennt, politisch nachvollziehbar sein. Dass mit rund 20 Prozent am Energie-Endverbrauch nur ein vergleichsweise kleiner Anteil auf das Stromsystem entfällt, ist in der breiten öffentlichen Debatte nicht bekannt, nicht bewusst oder wird ausgeblendet.

Energieeffizienz entscheidend für Energiewende

Vor diesem Hintergrund einer verengten Wahrnehmung tritt die IV für eine breitere Betrachtung der maßgeblichen Handlungsfelder ein. Mindestens ebenso wichtig wie die Bereitstellung erneuerbarer Energie ist die effiziente Verwendung dieser Energie. Anders formuliert: Der Anteil erneuerbarer Energie (= Erneuerbare Energie/Gesamtenergieverbrauch) kann in zweierlei Hinsicht vergrößert werden – durch die Steigerung der Aufbringung erneuerbarer Energie (der Zähler wird vergrößert) oder aber durch eine Verringerung des Gesamtenergieverbrauchs (der Nenner wird verkleinert).

Energiedienstleistungen in den Mittelpunkt stellen

Voraussetzung für die Steigerung der Energieeffizienz ist ein systemisches Verständnis des Energiesystems, mit Fokus auf die mit Energie verbundenen Dienstleistungen. Diese neue Denkweise, wie ein neues System gestaltet werden sollte, macht das bisherige Ende der Umwandlungskette zum Ausgangspunkt: die benötigten und damit wohlstandsrelevanten Energie-Dienstleistungen. Die optimale Auswahl und Kombination der Anwendungstechnologien reduziert in den meisten Anwendungsfällen drastisch den Energiebedarf, der durch hocheffiziente Umwandlungs- und Bereitstellungstechnologien gedeckt wird. Das Ergebnis sind hocheffiziente Niedrigst-Energiesysteme in vielen Sektoren.

In diesem Verständnis sticht quantitativ der Wärmebereich hervor (Hochtemperatur- (>100 °C) und Niedertemperaturbereich (<100 °C)) mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent der gesamten Nutzenergie der Volkwirtschaft ins Auge. Ziel muss es sein, Energie in mehreren Anwendungs- und Temperaturstufen abzuarbeiten und zuletzt Wärme auf einer niederen Temperaturstufe zu nutzen. Aus Sicht der IV muss daher die Erarbeitung und Umsetzung einer ambitionierten Wärmestrategie ein ebenso zentrales Projekt der Energie- und Klimapolitik sein.

Teile und Partner des Energiesystems integrieren

In den neuen, zunehmend dezentralen Strukturen des Energiesystems verschwimmen die Grenzen zwischen Bereitstellung und Verwendung von Energie (Energieproduzenten und -konsumenten verschmelzen zum „Prosumer“). Energie-Dienstleistungen, Energieerzeugung und -speicherung sind funktional und räumlich zunehmend integriert. Einzeltechnologien werden zu optimierten Systemen und neuen Wertschöpfungsketten kombiniert. Energieträger werden flexibel und bedarfsorientiert eingesetzt. Durch neue Organisationsformen wie Erneuerbaren Energie-Gemeinschaften und Bürgerenergiegemeinschaften wird dieses Verständnis der Integration unterstützt.

Gas spielt eine Rolle in der Energiezukunft

Selbst wenn sich die Bedeutung des Stromsystems durch neue Anwendungen (Elektromobilität, Wärmebereitstellung etc.) erweitern wird, bleiben wir auf absehbare Zeit auch auf andere Energieträger angewiesen. Gas wird daher eine wesentliche Rolle in einer klimaneutralen Energieversorgung spielen, insbesondere als Methan (CH4) oder als Wasserstoff (H2). Auch die Herkunft dieser Gase wird sich aufspalten – in biogene Gase (Biogasanlagen, in denen sowohl Abfälle als auch nachwachsende Rohstoffe vergoren werden) oder in Wasserstoff und daraus synthetisiertes Methan aus erneuerbarem Strom. Auch die Möglichkeit, aus fossilem Erdgas Wasserstoff und Kohlenstoff zu gewinnen – und damit zwei begehrte Rohstoffe – sollte nicht übersehen werden.

Energieautarkie ist für Österreich eine Illusion

Die Frage der Herkunft klimaneutraler Energieträger stellt sich nicht nur in qualitativer, sondern auch in geographischer Hinsicht. Seit einigen

Jahren hat sich in der heimischen Energiepolitik das Thema Energieautarkie verfestigt. Nicht zuletzt aufgrund von Interessen im Zusammenhang mit der Bereitstellung erneuerbarer Energie, findet dieser Gedanke auch Eingang in Strategien und Gesetze. Das ist erstaunlich. Denn selbst unter extrem optimistischen Annahmen bezüglich der Energieeffizienz übersteigt der Energiebedarf das technisch und wirtschaftlich darstellbare heimischen Potenzial deutlich. Auch volkswirtschaftlich ist es kaum verständlich, warum ausgerechnet in einem ein Land mit mittelmäßigem Wind- und Sonnenaufkommen dort der Schwerpunkt der Energiebereitstellung liegen soll.

Kosten und Wettbewerb beachten

Whatever ist takes“ ist aus IV-Sicht nicht der richtige Zugang, um Klimaneutralität in Österreich oder der EU zu erreichen. Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit müssen zusammen gedacht werden. Wenn die EU tatsächlich eine klimapolitische Vorreiterrolle in der Welt übernehmen will, ist das überhaupt nur denkbar, wenn es mit wirtschaftlichem Erfolg, sozialer Stabilität und gesellschaftlicher Akzeptanz auf Basis von Wohlstand und Beschäftigung einhergeht. Kaum ein Land der Welt wird einem Modell nacheifern, das wirtschaftlichen und sozialen Niedergang bedeutet.

Vor diesem Hintergrund ist ein näherer Blick auf den „Green Deal“ der EU-Kommission nicht uninteressant. Bei aller grundsätzlicher Unterstützung seitens der Industriellenvereinigung stimmt die fachliche Grundlage in Form des Impact Assessments der EU-Kommission nachdenklich. Demnach erfordert der Umbau des Energiesystems im betrachteten Zeitraum bis 2030 je nach Szenario rund 4.000 Mrd. Euro. Nach Kalkulation der EU-Kommission lösen diese gewaltigen Investitionen ein kumuliertes zusätzliches Wachstum von plusminus einigen wenigen Zehntelprozentpunkten aus. In anderen Worten: Die neue wirtschaftliche Aktivität wird durch den Wegfall bestehender fossiler Aktivität weitgehend kompensiert. Aus Sicht der Industrie wird es in den kommenden Jahren daher gelten, die EUKommission an deren Versprechen „The European Green Deal is our new growth strategy“ zu erinnern und eine entsprechende Anpassung der Umsetzung des „Green Deal“ einzumahnen.

Innovation auf allen Ebenen vorantreiben

Eine wirtschaftlich erfolgreiche Transformation des Energiesystems und auch die Lösung technischer Fragen sind nur auf Basis von Forschung, Innovation und technologischer Durchbrüche möglich. Die Industrie ist hier nicht nur selbst ein unmittelbarer und wesentlicher Treiber der Entwicklung. Sie setzt sich auch für deutlich erhöhte öffentliche Aufwendungen im Bereich der Energieforschung ein. Es ist daher die konkrete Vorstellung der IV, mit einem ausreichend dotierten Industrie-Dekabonisierungs-Fonds eine Voraussetzung zu schaffen, um Unternehmen der energieintensiven Industrie bei ihrer Transformation zu unterstützen. Ihnen kommt in Österreich allein im Hinblick auf die Anzahl an Arbeitsplätzen eine ganz enorme Bedeutung zu. Jüngste Entscheidungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Nutzung des EU-Recovery Funds (RRF) stimmen jedenfalls durchaus zuversichtlich.

Klima- und energiepolitische Diskussion verbreitern und vertiefen

Abschließend gesagt, brauchen wir eine breit und vertieft geführte Debatte über die Weiterentwicklung des Energiesystems, ohne ideologische Scheuklappen. Nur so werden wir zu echten Fortschritten kommen. Diese Diskussion muss sich auch mit der wirtschaftlichen Machbarkeit und der sozialen Akzeptanz beschäftigen. Denn nur, wenn auf dem Weg zur Klimaneutralität alle diese Fragen gleichberechtigt gestellt werden, werden wir auch eine umfassende, langfristige und nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels finden.

Georg Knill

Präsident der Industriellenvereinigung

Autor:

Geboren am 2. Jänner 1973, verheiratet, 2 Töchter Ausbildung: Volksschule und Realgymnasium, Weiz 1987 - 1992 HTL-Maschinenbau/Betriebstechnik, Weiz Beruflicher Werdegang: 1993 - 2002 Führungsaufgaben innerhalb der KNILL GRUPPE Jeweils 6-monatiger Auslandsaufenthalt in der Schweiz, Großbritannien, Frankreich und Deutschland Diverse operative Geschäftsführungs- und Holdingaufgaben Seit 2002 Geschäftsführender Gesellschafter der KNILL GRUPPE gemeinsam mit Bruder Christian Knill Seit 2014 Aufsichtsratsvorsitzender der Rosendahl Nextrom GmbH Funktionen innerhalb der IV: 2001 – 2008 Vorsitzender der Jungen Industrie Steiermark 2008 – 2012 Vorstand der IV-Steiermark 2012 – 2016 Vizepräsident der IV-Steiermark 2016 – 2020 Präsident der IV-Steiermark Seit Juni 2020 Präsident der Industriellenvereinigung Bund

This article is from: