30 minute read

Keine Energiewende ohne Wärmewende

Foto: Power Tower © Energie Graz - Der „Power Tower“ als Herzstück des Energiemodells Reininghaus beherbergt Wärmespeicher und eine PV-Anlage zum Betrieb der Wärmepumpen

Boris Papousek, Christoph Hochenauer

Fernwärme als Schlüssel für die städtische Energiewende

Ausgangssituation in Städten

Etwa ein Drittel des österreichischen Energieeinsatzes entfällt auf die Raumwärme- und Warmwasserversorgung. Während der Stromverbrauch bereits zu rund 70 % aus erneuerbaren Quellen gedeckt ist, wird die Wärmebereitstellung noch wesentlich von fossiler Energie bestimmt. Neben dem Verkehrsbereich ist die Wärmewende entscheidend für den Erfolg beim Klimaschutz.

Erschwerend für die Wärmewende ist, dass dafür jeder Hauseigentümer separat angesprochen werden muss. Er soll eine Entscheidung treffen, die wirtschaftlich vertretbar ist und den Klimaschutz voranbringt. Das gilt für Eigenheimbesitzer ebenso wie für Vermieter und Wohneigentümergemeinschaften. Wesentliche Bestandteile einer klimafreundlichen Wärmeversorgung sind die Reduktion der eingesetzten Energiemenge, also die Steigerung der Energieeffizienz, sowie die Umstellung auf CO2-freie Energieträger.

In Städten spielt die leitungsgebundene Fernwärmeversorgung dafür eine Schlüsselrolle – nicht zuletzt auch zur Verbesserung der Luftgüte, da diese vor Ort emissionsfrei ist. Im Gegensatz zu ländlichen Gebieten sind Flächen knapp, die Wärmedichten hoch und lokale Verbrennungsprozesse unerwünscht. Für die Fernwärme spricht die Flexibilität bei der Einbindung verschiedener Quellen erneuerbarer Energie und Abwärme aus Industrieanlagen und KraftWärme-Kopplungsanlagen. Im Fernwärmenetz kann ein Ausgleich von Einspeisungen mit unterschiedlichen Temperaturen und zu verschiedenen Zeiten erfolgen und die räumliche Distanz zwischen Ort der Erzeugung und der Verwendung relativ einfach überwunden werden.

Die Entwicklung in Graz

Durch Erschließung neuer Gebiete und den Fernwärmeausbau konnte die Energie Graz das Fernwärmenetz in den letzten 12 Jahren um 148 km auf 432 km erweitern. Im gleichen Zeitraum ist es gelungen, die Zahl der versorgten Wohnungen mehr als zu verdoppeln. Noch im heurigen Jahr werden 80.000 Wohnungen in Graz mit Fernwärme versorgt, was einem Anteil von über 50 % entspricht. Ziel ist es, in den nächsten Jahren die Marke von 100.000 fernwärmeversorgten Wohnungen zu erreichen. Darüberhinaus sind zahlreiche Gewerbebetriebe und öffentliche Einrichtungen an die Fernwärme angeschlossen. Bei einer Anschlussleistung von 745 MW betrug die Wärmeaufbringung im Jahr 2020 ca. 1.160 GWh.

Durch die in den letzten Jahren verstärkte Nutzung der Fernwärme konnte für die Stadt Graz ein maßgeblicher Beitrag zur Verbesserung der Luftgüte geleistet werden. So werden jährlich rund 35 t an Feinstaub, rund 170 t Stickstoffoxide eingespart und jährliche CO2Emissionsreduktionen im Ausmaß von rund 60.000 t verwirklicht.

Ausbau und Betrieb des Fernwärmenetzes im Großraum Graz erfolgen gemeinsam von Energie Graz und Energie Steiermark. Die Energie Steiermark sorgt für die Wärmeerzeugung, den Transport von Wärme über die 20 km lange Leitung von Mellach nach Graz und versorgt einige Umlandge-

meinden direkt. Die Energie Graz hat den Ausbau, die Verteilung und den Betrieb in der Stadt Graz über. Was die Aufbringung der Wärme betrifft war die Welt bis vor wenigen Jahren eine einfache: Sie kam in den 30 Jahren davor vor allem aus dem Kraftwerkspark Mellach des Verbunds auf Basis von KraftWärme-Kopplung.

Aufgrund der nach 2013 stark gefallenen Strompreise wurde der weitere Betrieb derartiger Anlagen in Frage gestellt. Eine Arbeitsgruppe zur Wärmezukunft mit Energie Steiermark Wärme, Energie Graz, Holding Graz, Grazer Energieagentur, Land Steiermark setzt sich unter der Leitung des Grazer Umweltamtes ab diesem Zeitpunkt intensiv mit einer Neuausrichtung der Fernwärmeaufbringung und Wärmeversorgung für Graz auseinander. Das künftige System soll einen größtmöglichen Anteil an Alternativenergie – Erneuerbare Wärme, Abwärme und Umweltwärme – enthalten und die Energieeffizienz bei Gebäuden, den Heizungen bei den KundInnen sowie im Fernwärme-Gesamtsystem steigern. Die Versorgungssicherheit wurde durch Errichtung von Reserve-Erzeugungskapazitäten auf Erdgas-Basis erhalten.

Seit 2015 ist die Wärmeaufbringung für die Fernwärme im Großraum Graz im Wandel: Statt eines Systems mit einem zentralen Kraftwerk umfasst die Fernwärmeversorgung in Graz mittlerweile zahlreiche innovative und ökologisch wertvolle Projekte und ist damit Vorreiter bei der Ausgestaltung der städtischen Wärmewende. Es ist gelungen, den Anteil der Aufbringung aus erneuerbarer Energie und Abwärme (ohne Kraft-WärmeKopplung) von rund 70 GWh auf rund 270 GWh fast zu vervierfachen bzw. von weniger als 5 % auf derzeit rd. 23 % zu erhöhen.

Folgende Projekte haben u.a. zu dieser positiven Entwicklung beigetragen: „ Mit dem solaren Speicherprojekt HELIOS wurde die Altdeponie Köglerweg im Südosten von Graz zu einem Standort ökologischer Energiegewinnung umfunktioniert: Das Deponiegas wird in einem dafür ausgelegten Blockheizkraftwerk zur Gewinnung von Strom und

Wärme genutzt. Die aus dem

Blockheizkraftwerk und der 2.000 m² großen Thermosolaranlage gewonnene Wärme kann direkt in das Netz eingespeist oder vorübergehend gespeichert werden. Dafür steht ein 26 m hoher und 2.500 m3 großer Wasserspeicher zur Verfügung, der die

Abdeckung der Bedarfsspitzen in den Morgenstunden unterstützt.

Für dieses Projekt heimste die

Energie Graz 2018 sowohl den „Energy Globe Styria Award“ als auch den „Österreichischen Solarpreis“ ein. „ Für den neuen Stadtteil auf den

Reininghausgründen hat die

Energie Graz ein innovatives

Konzept für die Wärmeversorgung für rund 12.000 BewohnerInnen erstellt. Dieses beinhaltet ein Niedertemperaturnetz, Abwärme aus der Marienhütte, zwei

Großwärmepumpen und in der ersten Ausbauphase zwei Wasserspeicher mit je 300 m³ im Power

Tower. Im Zentrum steht dabei der Power Tower, sein Äußeres wird für die Stromproduktion aus

Photovoltaik genützt, im Inneren wird Wärmeenergie gespeichert. „ Seit 2018 wird die Nutzung von

Abwärme aus der Papier- und

Zellstofffabrik SAPPI in Gratkorn durch die Kooperation mit Bioenergie Edler und Sappi sowie die

Errichtung der entsprechenden

Auskopplungsanlagen samt einer ca. 9 km langen Transportleitung nach Graz ermöglicht. Damit werden mittlerweile ca. 150

GWh oder rund 14 Prozent des jährlichen Fernwärmebedarfs in

Graz gedeckt. Das entspricht dem

Wärmeenergiebedarf von rund 20.000 Haushalten. „ Auf dem Weg zu einer klimaverträglichen Wärmebereitstellung verwirklicht die Energie Graz auch innovative, quartiersbezogene Energiekonzepte, die die

Vorteile dezentraler Wärmequellen mit denen zentraler Energieversorgungssysteme kombinieren. Bei der Smart City Graz oder beim Campus Eggenberg werden

Wärmepumpen in Kombination mit bodennaher Geothermie und einer PV-Anlage auf den Dächern des Bauprojektes eingesetzt. In Kombination mit einem Fernwärmeanschluss kann eine ökologisch nachhaltige Energieversorgung erzielt werden.

Weiters ist zu erwähnen, dass im Kraftwerkspark Mellach seit Sommer 2020 keine Steinkohle mehr verfeuert wird. Die Kraftwerksanlagen werden jetzt mit Erdgas, das spezifisch weniger CO2 verursacht, zur Stromnetzstabilisierung betrieben. Nach einer vertraglich bedingten Unterbrechung der Wärmelieferung im Winter 2020/21 haben Energie Steiermark und der Verbund vereinbart, dass ab der Heizperiode 2021/22 wieder verstärkt hocheffiziente KWK-Wärme in einem Ausmaß von bis zu 600 GWh/a zugeführt wird.

Über den Fernwärmeausbau hinaus ist die weitere Steigerung der Energieeffizienz ein wesentliches Ziel der Stadt Graz und der Energie Graz in Richtung Klimaneutralität. Dazu werden maßgeschneiderte Dienstleistungen angeboten wie die Wartung & Betreuung von Heizungsanlagen, Anlagenoptimierung & Effizienzsteigerung, Monitoring und die Identifizierung von Wärme- und Wasserverlusten im Netz durch flächendeckende Thermografieaufnahmen.

Perspektiven und Herausforderungen

Durch den weiteren Ausbau der Fernwärme auf 100.000 Wohnungen ist - unter Berücksichtigung von thermischen Sanierungen und Effizienzsteigerungen an bestehenden Fernwärmeanlagen - ein Netto-Anstieg um 100 bis 120 MW an Anschlussleistung und eine erforderliche Wärmebereitstellung von rund 1.300 GWh/a für Graz in den nächsten Jahren zu erwarten. Bereits die Umstellung von derzeit noch mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungen auf Fernwärme ist eine Klimaschutzmaßnahme, weil die CO2-Intensität der Fernwärme deutlich geringer und die Energieeffizienz höher ist.

Aber wie kann es gelingen, die Wärmeaufbringung für ein Fernwärmenetz dieser Größenordnung weiter zu dekarbonisieren? Dazu stehen fol-

Helios: Das solare Speicherprojekt Helios, ein Großspeicher zur Aufnahme von Wärme aus thermischen Solaranlagen und Deponiegasnutzung © Energie Graz

gende Optionen zur Verfügung, die parallel weiterverfolgt werden müssen:

1. Erneuerbare Energie und Abwärme

Hier sind die Nutzung dezentraler Energiequellen wie Solarenergie, industrielle Abwärme, der Einsatz von Großwärmepumpen mit verschiedenen Abwärmequellen aus Industrie, Abwässer oder Erdsonden, die Biomasse wie auch der Einsatz von Großspeichern zur besseren Nutzung dieser Energieträger zu nennen.

Die Nutzung von Abwärme aus industrieller Prozessenergie oder aus der Stromerzeugung sollte dabei prioritär verfolgt werden, da es sich dabei um Energie handelt, die ansonsten ungenutzt in die Umgebung abgeführt werden müsste. Auch mit den Kapazitäten erneuerbarer Energie ist hauszuhalten, gerade in einem urbanen Umfeld, wo nur begrenzte Flächen und Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es gerade für Städte, dass bei der Endfassung des Erneuerbaren-Energie-Ausbaugesetzes (EAG) die Abwärme als CO2-freie Wärme anerkannt wird; entstehen doch durch deren Nutzung keine zusätzlichen CO2-Emissionen.

Die Energie Graz ist dabei, gemeinsam mit Kooperationspartnern weitere ökologische Erzeugungsprojekte intensiv voranzutreiben: „ Erweiterung des solaren Speicherprojekts «Helios»: Die Verdoppelung der bestehenden Kollektorfläche ist für dieses Jahr bereits in

Umsetzung. Ein weiterer Ausbau der thermischen Solaranlage um 2.000 m² auf 6.000 m² ist konkret in Vorbereitung. Damit entsteht die zweitgrößte thermische

Solaranlage Österreichs. „ Mit den Projektpartnern BWS und Sappi wurde ein Erweiterungsschritt für eine zusätzliche

Abwärmenutzung aus dem Papier- und Zellstoffwerk Sappi unter Zuhilfenahme einer Wärmepumpe vereinbart (plus 40

GWh/a). „ Beim Stahl- und Walzwerk Marienhütte ist geplant, noch verfügbare Abwärme mit einem Temperaturniveau von 70-75°C für das Niedertemperaturnetz Reininghaus zu nutzen. Damit können weitere 15 GWh/a CO2-freie

Wärme bereitgestellt werden.

Weitere Potenziale werden u.a. in folgenden Projekten gesehen und derzeit für eine künftige Umsetzung evaluiert: - Abwasserwärmenutzung aus der Kläranlage der Stadt Graz in Gössendorf: Der Wärmeinhalt vom gereinigten Abwasser soll mittels modernster Wärmepumpentechnologie auf ein für die Fernwärme nutzbares Temperaturniveau angehoben und ins Fernwärmenetz eingespeist werden (45–55 GWh/a). - Beim Projekt BioSolar Graz handelt es sich um eine Großsolaranlage in Verbindung mit einem Langzeitspeicher und einem Biomassekessel. Mit diesem Vorhaben, das von der Energie Steiermark verfolgt wird, sollen 10-15 % des Wärmebedarfs für die Fernwärme bereitgestellt werden. - Abwärmenutzung bei der Karl Franzens Universität: Dabei soll Abwärme aus dem Wärme-/Kälteverbund der Universität der Grazer Fernwärme zugeführt werden.

Für die nächsten fünf Jahre hat die Energie Graz weitere 66 Millionen Euro an Investitionen für den Fernwärmeausbau und für alternative Versorgungsanlagen vorgesehen.

2. Hocheffiziente Kraft-Wärmekopplung:

Ein Eckpfeiler der Grazer Fernwärmeversorgung war und ist die Nutzung von Abwärme aus dem Kraft-Wärme-Kopplungsprozess im Kraftwerkspark Mellach. Die bei der Stromerzeugung entstehende Abwärme kann mit geringem Mehraufwand bzw. geringen Einbußen beim Stromoutput auf einem geeigneten Temperaturniveau für die Fernwärmenutzung ausgekoppelt werden.

Wie erwähnt ist im Jahr 2020 das „Steinkohlezeitalter“ zu Ende gegangen und ab dem Winter 2020/21 wird wieder hocheffiziente KWK-Wärme auf Gasbasis mit bis zu 600 GWh dem Fernwärmesystem zur Verfügung gestellt werden. Durch diese Brennstoffumstellung und der „doppelten“ Nutzung von Erdgas bei der Kraft-Wärme-Kopplung sinkt der bereits niedrige CO2-Emissionsfaktor der Fernwärme nochmals um ca. 40 %.

Auch wenn es sich dabei um die Nutzung von Abwärme aus einem mit fossiler Energie betriebenem Kopplungsprozess handelt, ist es sowohl thermodynamisch als auch volks- und betriebswirtschaftlich sinnvoll diese zu nutzen, solange das Kraftwerk zur Stromerzeugung in Betrieb ist. Ansonsten müsste die anfallende Wärme zur Gänze in die Umgebung abgeführt werden.

3. Innovative, lokale Energiekonzepte

Auch innovative gebäude- bzw. quartiersbezogene Energiekonzepte werden weiter forciert, die lokale Ressourcen wie Erdwärme oder Grundwasser mit Wärmepumpen nutzen und in einem integrierten Konzept mit Fernwärme, Photovoltaik, Speicher und Elektromobi-

lität bündeln. Ein Vorteil: Konzepte dieser Art können auch zur Klimatisierung der Gebäude in den Sommermonaten genutzt werden.

4. Dezentrale erneuerbare Wärmelösungen

In dünner besiedelten Stadtgebieten mit einer hohen Zahl an Einfamilienhäusern, in denen leitungsgebundene Energieträger unverhältnismäßig teuer oder technisch nicht möglich sind, können auch dezentrale Heizungsformen auf Basis Erneuerbarer eine gute Lösung darstellen. Zur Verfügung stehen Technologien wie die Wärmepumpe, die Umgebungswärme aus der Luft (oder dem Erdreich) nutzt und mit Ökostrom betrieben wird, oder auch moderne Pellets-Heizungen mit niedrigen Schadstoffemissionen. Wichtig für die Energieeffizienz ist die gute Abstimmung auf das Gebäude; bei älteren Bestandsgebäuden sind oft vorausgehende Sanierungsmaßnahmen sinnvoll. Auch die Energie Graz wird unter dem Namen „Wärmepumpe +“ solche Lösungen für Heizen und Warmwasser anbieten.

Die zukünftige Rolle von Gas für die Raumwärme wird derzeit kontroversiell diskutiert. Auf der einen Seite muss auf Erdgas als fossiler Energieträger längerfristig verzichtet werden. Auf der anderen Seite steht mit den Gasnetzen eine leistungsfähige und sofort nutzbare Infrastruktur zur Verfügung, die auch mit erneuerbar erzeugtem „grünen Gas“ auf Basis Biomethan oder Wasserstoff betrieben werden kann. Für die Entscheidung, in welchen Bereichen bzw. zu welchen Einsatzzwecken grünes Gas zur Anwendung kommen soll, wird es darauf ankommen, in welchem Ausmaß und zu welchen Kosten grünes Gas hergestellt werden kann und welche Alternativen in den jeweiligen Sektoren zur Verfügung stehen. Derzeit finden in Graz keine Neuerschließungen von Gebieten mit Gas statt.

Resümee

Die Situation für eine klimaneutrale Wärmeversorgung in urbanen Räumen ist komplex, da wenig Fläche zur Verfügung steht und der Energiebedarf hoch ist. Nur mit einem Bündel an Maßnahmen wird es gelingen, den Wärmemarkt weiter zu dekarbonisieren. Ziel ist ein intelligentes, vernetztes System mit einer leitungsgebundenen Wärmeversorgung als Kern, das alle Optionen aus lokalen CO2-freien Quellen und der KraftWärme-Kopplung einschließlich der verbesserten Energieeffizienz von Gebäuden bestmöglich nutzt.

Autoren:

Dipl.-Ing. Boris Papousek, EMBA HSG

Boris Papousek absolvierte das Studium der Technischen Physik an der Technischen Universität in Graz. Nach einem Forschungsaufenthalt am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg (BRD) war Herr Papousek von 1994-1997 bei der Energieverwertungsagentur (E.V.A.) in Wien tätig. Zur Umsetzung des „Kommunalen Energiekonzepts KEK Graz“ wurde 1997 die Grazer Energieagentur (GEA) gegründet, bei der Herr Papousek die Geschäftsführung übernahm. 2005 wurde Herr Papousek zum Chairman des „ManagEnergy“ Beratungsgremiums der Europäischen Kommission gewählt und war Sprecher der regionalen Energieagenturen in Österreich. Zwischen 2003 und 2015 vertrat er Österreich im Demand Side Management Programm-ausschuss der Internationalen Energieagentur (IEA). Von 2009-2011 führte Herr Papousek ein postgraduales Executive MBA Studium an der Universität St. Gallen in der Schweiz durch. Seit 2016 ist Herr Papousek Geschäftsführer bei der Energie Graz.

Univ.-Prof. Dr. Christoph Hochen-

auer studierte an der TU Graz Maschinenbau und promovierte im Bereich der Feuerungstechnik. Nach mehreren Stationen in der Industrie und im akademischen Bereich wurde er 2012 zum Professor für Wärmetechnik an der TU Graz berufen. Seit 2007 hat er bereits mehr als 30 Millionen € an Drittmitteln für Forschungsprojekte akquiriert; davon mehr als 18 Millionen € alleine in den letzten 5 Jahren. Insgesamt hat er bereits mehr als 200 FFG-, FWF-, EU- und Industrie-finanzierte Forschungsprojekte erfolgreich durchgeführt und dabei mehr als 400 Publikationen in Journalen und Konferenz-Tagungsbänden veröffentlicht (davon rund 200 in peerreviewed journals). Prof. Hochenauer ist u.a. als Reviewer für mehr als 20 Fachzeitschriften (peer-reviewed journals) tätig. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind: • Wärmetransport in Öfen durch Konvektion und Strahlung • CFD Simulationen von Feuerungen und Rauchgasreinigungsanlagen • Fluid-Struktur Interaktionen: Gekoppelte CFD und FEM Simulationen • Hochtemperatur Brennstoff- und Elektrolysezellen (SOFC und SOEC)

Dipl.-Ing. Boris Papousek, EMBA HSG

Geschäftsführer bei der Energie Graz Univ.-Prof. Dr. Christoph Hochenauer

Professor für Wärmetechnik, TU Graz

Gunter Nitsche

Die Abgrenzung von Patentrecht, Markenrecht und Urheberrecht – dargestellt am Beispiel von ‘Rubik’s Cube’ (Teil II)

Teil 1 erschienen in WINGbusiness Heft 01/2021 Deskriptoren: Patentrecht; Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Rubik’s Cube Normen: PatG; UrhG; UWG; MSchG; RL (EU) 2015/2436; VO (EG) Nr. 40/94; VO (EU) 2017/1001; Pariser Verbandsübereinkunft; WTO-Abkommen; WUA; RBÜ; WTO-Abkommen

1 Einleitung

Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde aufgezeigt, dass die Erfindung des „Zauberwürfels“ im Jahr 1976 beim Patentamt in Budapest patentrechtlich geschützt wurde. Nach Ablauf der patentrechtlichen Schutzfrist von 20 Jahren stellte sich im Hinblick auf die große Nachfrage nach den „Cubes“ die Frage, ob Ernő Rubik weiterhin Schutz für seine Erfindung genießen kann. Zu diesem Zweck wird in diesem zweiten Teil der Untersuchung auf das Wettbewerbsrecht und das Markenrecht eingegangen.

2 Wettbewerbsrecht

Das große Interesse an dem „Zauberwürfel“ hat dazu geführt, dass vielfach von weiteren Herstellern gleichartige Würfel auf den Markt gebracht wurden, mit denen der Originalwürfel kopiert wurde. Das wirft die Frage auf, ob sich Ernő Rubik auf das durch das UWG begründete Verbot der „sklavischen Nachahmung“ berufen kann. Nach der Judikatur liegt eine unlautere Geschäftspraktik dann vor, wenn jemand ohne eigenen ins Gewicht fallenden Schaffensvorgang das Arbeitsergebnis eines anderen ganz oder doch in erheblichen Teilen übernimmt, um so dem Geschädigten, der für die eigene Leistung Mühe und Kosten aufwenden musste, Konkurrenz zu machen. Der Mitbewerber macht sich in diesem Fall der „schmarotzerischen Ausbeutung“ fremder Leistung schuldig. Von einer solchen glatten Übernahme ist nicht nur dann auszugehen, wenn das Ergebnis einer fremden Leistung durch einfaches Kopieren verwertet wird, sondern auch dann, wenn der Schöpfer des Arbeitsergebnisses um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird, ohne dass der Dritte für die Herstellung des nachgeahmten Produktes eine eigene Leistung erbringen müsste. [1] Bei der glatten Übernahme einer fremden Leistung „wird ohne jede eigene Leistung, ohne eigenen ins Gewicht fallenden Schaffensvorgang, das ungeschützte (dh keinen Sonderrechtsschutz genießende) Arbeitsergebnis eines anderen ganz oder zumindest in erheblichen Teilen glatt übernommen, um so dem Geschädigten mit dessen eigener mühevoller und kostspieliger Leistung Konkurrenz zu machen. Eine solche glatte Übernahme von fremden Leistungen ist in der Regel […] unlauter iSd § 1.“ [2] Dass die Nachbildung bis an die Grenze der unmittelbaren Leistungsübernahme reichen müsste, ist für den Tatbestand der sklavischen Nachahmung nicht erforderlich. Eine Abweichung in einzelnen, nicht wesentlichen Teilen hindert die Qualifikation als unlautere Geschäftspraktik nicht. [3]

In Deutschland war bereits einmal der Versuch unternommen worden, den Nachbau des Zauberwürfels unter Berufung auf § 1 UWG gerichtlich verbieten zu lassen. Denn die sklavische Nachahmung ist wettbewerbsrechtlich unzulässig, wenn das nachgeahmte Produkt eine wettbewerblich relevante Eigenart aufweist. Dafür ist die äußere Gestaltung des Würfels, die für den Kaufinteressenten erkennbar ist, entscheidend. Wenn es hingegen um die Anleitung zu technischem Handeln geht, kommt ein Unterlassungsanspruch des Herstellers des Originalproduktes nur dann in Betracht, wenn ein diesbezüglicher Sonderrechtsschutz besteht. Das OLG Frankfurt entschied daher zu Recht, dass der identische Nachbau eines Produktes, das von einem Mitbewerber auf den Markt gebracht wurde, grundsätzlich auch dann nicht wettbewerbswidrig ist, wenn das Originalprodukt einen hohen Bekanntheitsgrad aufweist. [4]

Dieser Entscheidung des OLG Frankfurt ist auch für Österreich zu folgen. [5] Der Nachbau des „Zauberwürfels“ erfüllt die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 1 UWG wegen der unlauteren Geschäftspraktik der sklavischen Nachahmung nicht. Auszugehen ist davon, dass das Nachahmen eines fremden Produkts, das keinen Sonderrechtsschutz genießt, grundsätzlich nicht rechtswidrig ist. Aus dem Enumerationsprinzip, das zum Ausschließungsrecht des Berechtigten nach dem UrhG, dem PatG, dem MSchG, dem MuSchG oder dem Recht der Unternehmenskennzeichen führt, ist abzuleiten, dass die Übernahme einer fremden gewerblichen Leistung außerhalb der geschützten Bereiche frei ist. Jeder muss in Kauf nehmen, dass die Ergebnisse seiner Arbeit von Dritten genützt werden, sobald sie diesen bekannt werden. Nur dann, wenn ein Sonderrechtsschutz besteht, gilt etwas anderes. Sonst verbleibt es dabei, dass ohne das Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall eben die Arbeitsergebnisse, mögen sie auch mit Mühe und Kosten verbunden gewesen sein, jedem Dritten im Interesse des Fortschritts zur Verfügung stehen. [6]

Solche besonderen Umstände sind beim Nachbau des „Zauberwürfels“ durch die Mitbewerber nicht zu sehen. Es liegt im Wesen des Patentschutzes, dass nach Ablauf der maximalen Schutzdauer die Öffentlichkeit schon aufgrund der Offenbarung der Erfindung Zugang zu dem Wissen hat, dessen wirtschaftliche Nutzung bisher dem Patentinhaber allein vorbehalten war. Wäre das Arbeitsergebnis des Erfinders Ernő Rubik ohne zwingenden Grund in identischer Form nachgemacht worden, hätte das Argument der sklavischen

Nachahmung als unlauterer Geschäftspraktik Gewicht gehabt. Der „Zauberwürfel“ funktioniert jedoch nur dann auf die in der Patentschrift vorgesehenen Weise, wenn der Kern des Würfels so gestaltet ist, wie dies im Patentanspruch formuliert ist. [7]

Folglich liegt für die Mitbewerber ein notwendiger Grund vor, den „Zauberwürfel“ nach Ablauf der patentrechtlichen Schutzfrist in identer Form nachzumachen und nicht bloß als Anregung zu eigenem Schaffen zu benützen. Jede gegenteilige Rechtsmeinung würde dazu führen, dass die Generika-Hersteller ihre Nachbauprodukte nach Ablauf der patentrechtlichen Schutzfrist nicht mehr nach der chemischen Formel für das patentrechtlich geschützte Originalpräparat herstellen dürften.

3 Markenrecht – Judikatur

Es liegt nahe, beim Schutz für den „Zauberwürfel“ nach Ablauf der patentrechtlichen Frist an die Formmarke zu denken. Dem Markenschutzgesetz 1970 [8] war die Formmarke unbekannt. „Marke“ konnte jedes besondere Zeichen sein, das dazu diente, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von gleichartigen Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Durch die Markenrechts-Novelle 1999 [9] wurde § 1 MSchG geändert: Marken konnten nunmehr alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen ließen [10], insbesondere auch die Form der Ware selbst, soweit sie geeignet war, diese Ware von Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die entscheidende Frage lautete also: Unterscheidet sich die Form von „Rubik’s Cube“ von Würfeln anderer Unternehmer? Wenn ja, konnte Ernő Rubik oder ein von ihm ermächtigter Unternehmer den „Zauberwürfel“ als Formmarke schützen lassen. Die Auswirkung wäre enorm. Denn der markenrechtliche Schutz besteht bei entsprechender Verlängerung nach Ablauf der jeweiligen Zehnjahresfrist auf ewige Zeiten weiter. [11] Darüber hinaus besteht bei der Markenanmeldung kein Erfordernis der Neuheit des Zeichens. Es genügt, dass das Zeichen unterscheidungskräftig ist.

Für das Bestreben, nach Ablauf des Patentschutzes für die Erfindung den Schutz einer Formmarke zu erwerben, gibt es bereits Präzedenzfälle in der Judikatur. Im Jahr 2014 wurde von der Firma CAPRI SUN AG für das nichtalkoholische Fruchtgetränk „CapriSun“, das in einem Standbeutel aus Polyester, Aluminium und Polyethylen verkauft wird, eine Formmarke angemeldet. [12] Wenn die Ware ein Getränk ist, das begrifflich keine eigene Form hat, kann die Formmarke aus der Verpackung bestehen. Die Formmarke wurde antragsgemäß eingetragen. Von einer Mitbewerberin wurde bei der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts die Löschung dieser Marke beantragt, weil die Marke ausschließlich aus der Form der Ware bzw. der Verpackung bestehe, die zur Herstellung der technischen Wirkung erforderlich sei. Damit verstoße die Eintragung gegen § 4 Abs 1 Z 6 MSchG. Derartige Standbeutel seien bereits seit den 1940er – Jahren patentrechtlich geschützt worden. Diese Patente seien selbstverständlich längst abgelaufen. Das OLG Wien als Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung, wonach die angefochtene Formmarke zu löschen sei.

In seiner Begründung wies das OLG Wien darauf hin, dass die rechteckige Form des Standbeutels mit geraden Kanten technisch bedingt sei und dass damit der Löschungsgrund des Art 4 Abs 1 lit e der Markenrichtlinie [13] erfüllt sei. Damit soll verhindert werden, dass der Schutz des Markenrechts seinem Inhaber ein unbefristetes Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware gewährt. [14] Dem Argument der CAPRI SUN AG, die Oberfläche des Standbeutels, die eine aluminiumfarbene Struktur aufweise, habe keine technische Funktion, hielt das OLG zu Recht entgegen, dass nur solche Merkmale, die den Gesamteindruck der Marke bestimmen, die Registrierung rechtfertigen können. Auf nichtwesentliche Merkmale, mögen diese auch ohne technische Funktion sein, könne die Registrierung nicht gestützt werden.

In einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem es um die Verpackung von Schwedenbomben in einer durchsichtigen Kunststoffverpackung gegangen war, wodurch die Ware für den Kunden sichtbar gemacht wurde, hatte der OGH die Zulässigkeit der Registrierung als FormGoldhase von marke bejaht, weil die Hauswirt Durchsichtigkeit der Blisterverpackung das wesentliche Merkmal der als Formmarke der Schwedenbomben angemeldeten Verpackung war. [15]

Der OGH war auch beim Streit zwischen dem Markeninhaber Lindt&Sprüngli und dem burgenländischen Schokoladeproduzenten Hauswirth um den Schutz für den „Goldhasen“ mit der Anerkennung der Wirksamkeit von Formmarken großzügig. Lindt&Sprüngli hatte einen sitzenden, goldfarbenen Schokoladehasen beim EUIPO [16] als Formmarke für die Klasse 30 (Schokolade & Schokoladewaren) mit Schutzdauerbeginn 08.06.2000 schützen lassen. Hauswirth verlor das Verfahren. Der OGH erließ die beantragte einstweilige Verfügung, mit der Begründung, der „Goldhase“ von Hauswirth sehe dem markenrechtlich geschützten „Lindt&Goldhasen“ verwechselbar ähnlich. Der Gesamteindruck des geschützten „Goldhasen“ werde vor allem durch dessen sitzende Haltung, die Goldfarbe und die rote Schleife um den Hals geprägt. Alle diese Merkmale seien auch beim Goldhasen von Hauswirth verwirklicht, sodass Verwechslungsgefahr bestünde. [17] Die Formmarke, auf die Lindt&Sprüngli ihren Unterlassungsanspruch stützten, erfülle die für den Markenschutz erforderlichen Voraussetzungen. Insbesondere verfüge sie über ausreichende Unterscheidungskraft.

Hingegen wies das EUIPO die Anmeldung eines weiteren „Goldhasen“ aus Schokolade mit rotem Band durch Lindt&Sprüngli als Formmarke im Jahr 2004 wegen fehlender Unterscheidungskraft des Zeichens zurück. Sowohl das EuG als auch der EuGH bestätigten die Entscheidung des EUIPO. Dem „Goldhasen“ komme keine Unterscheidungskraft im Sinn des Art 7 Abs 1 lit b VO [EG] 40/94 zu, und zwar weder hinsichtlich der einzelnen Elemente, nämlich der Form eines Goldhase von sitzenden Hasen, der

goldenen Verpackungsfolie oder dem roten Band mit Glöckchen, noch hinsichtlich der Gesamtbeurteilung. [18]

Hauswirth hat aus dieser EuGH Entscheidung keine weiteren rechtlichen Schritte für sich abgeleitet. Einem Antrag auf Nichtigerklärung der Unionsmarke beim EUIPO wären sehr gute Erfolgsaussichten zu prognostizieren. Hauswirth hat jedoch den klassischen „Goldhasen“ nach der OGH-Entscheidung aus dem Jahr 2004 nicht mehr in seinem Sortiment.

Über den Schutz einer Formmarke hatte der EuGH auch im Zusammenhang mit dem Versuch der Stokke AS, den „Tripp-Trapp“ Kinderstuhl als Formmarke schützen zu lassen, zu entscheiden. Über Klage der Mitbewerberin Hauck GmbH & Co. KG stellte der EuGH fest, dass ein Eintragungshindernis für solche Zeichen besteht, die ausschließlich aus der Form einer Ware bestehen, die eine für die Produktgattung typische Eigenschaft aufweist und nach der der Verbraucher aufgrund der Beschaffenheit der Ware ebenfalls beim Mitbewerber suchen würde. „Das Verbot der Eintragung rein funktioneller Formen […] oder solcher, die der Ware einen wesentlichen Wert verleihen […] hat das unmittelbare Ziel, zu verhindern, dass das ausschließliche und auf Dauer angelegte Recht, das eine Marke verleiht, dazu dienen kann, andere Rechte, für die der Unionsgesetzgeber eine begrenzte Schutzdauer vorsehen wollte, zu verewigen“ [19]

4 Markenrecht – Rubik’s Cube

Auch für den von Ernő Rubik konstruierten „Zauberwürfel“, der aus 27 kleinen Holzwürfeln bestand, wurde vom britischen Unternehmen „Seven Towns Ltd.“ [20] am 1. April 1996 beim EUIPO [21] in Alicante die Eintragung als Unionsmarke für „dreidimensionale Puzzles“ in der Klasse 28 des Abkommens von Nizza [22] beantragt. Vom EUIPO wurde die Würfelform des „Rubik’s Cube“ mit einer Gitterstruktur auf jeder der sechs Würfelseiten als Formmarke unter der Nr 162 784 für den „Zauberwürfel“ eingetragen. Diese dreidimensionale Unionsmarke wird inzwischen von der „Rubik’s Brand Ltd.“ gehalten. Im Hinblick auf die hohe Nachfrage am Spielzeugmarkt und mit dem Ziel, selbst auch den „Zauberwürfel“ herzustellen oder herstellen zu lassen, beantragte der deutsche Spielzeughersteller „Simba Toys“ [23] am 15.11.2006 beim EUIPO die Löschung der Unionsmarke. Dieser Antrag wurde am 14.10.2008 von der Nichtigkeitsabteilung des EUIPO zurückgewiesen. Am 23.10.2008 legte „Simba Toys“ gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Mit Entscheidung vom 01.09.2009 bestätigte die Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung. Daraufhin erhob „Simba Toys“ am 06.11.2009 vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg (EuG) Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer und auf Nichtigerklärung der Formmarke.

Im ersten Rechtszug wurde die Klage von „Simba Toys“ abgewiesen. Das EuG war ebenso wie das EUIPO der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Registrierung des „Zauberwürfels“ als Formmarke erfüllt seien. [24] Das EuG begründete in seiner Entscheidung vom 25.11.2014 die Klagsabweisung damit, dass keiner der acht geltend gemachten Klagsgründe gerechtfertigt sei. [25] Die auf jeder Seite des Würfels erkennbare Gitterstruktur habe keine technische Funktion, sondern stelle ein dekoratives Element dar, das einen Herkunftshinweis für diese Formmarke darstelle. Wenn in der Form der betreffenden Ware ein wichtiges, nicht funktionelles Element verkörpert werde, sei die Eintragung als Formmarke zulässig. Aus der Darstellung könne nicht darauf geschlossen werden, dass der Würfel aus beweglichen Teilen bestehe, mit denen Drehbewegungen ausgeführt werden können. [26] Die Drehbarkeit als unsichtbares Element müsse unberücksichtigt bleiben. Denn man könne der Marke, wie sie im Register eingetragen ist, nicht ansehen, dass der Würfel drehbar ist und durch gegenseitiges Drehen der Würfelseiten das Puzzle gelöst werden kann. [27] Gegen die Entscheidung des EuG, mit welcher der Antrag auf Nichtigerklärung der Marke in Form eines Würfels mit Seiten mit einer Gitterstruktur abgewiesen worden war, richtete sich das Rechtsmittel von „Simba Toys“ mit dem Antrag, die Entscheidung des EuG aufzuheben und die Formmarke für nichtig zu erklären, weil die wesentlichen Merkmale der Marke selbst die technische Funktion der mit der Marke gekennzeichneten Ware erfüllen.

Am 26.01.2015 erhob „Simba Toys“ Klage gegen die Entscheidung des EuG, womit dieser die Eintragungsfähigkeit des „Zauberwürfels“ als Formmarke für „Seven Towns“ bejaht hatte. In seiner Entscheidung vom 10.11.2016 drehte der EuGH die vorangegangenen vier Entscheidungen um und folgte der von „Simba Toys“ von Anfang an vertretenen Rechtsmeinung, dass Zeichen, die ausschließlich aus der Form der Ware bestünden, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei, gemäß Art 7 Abs 1 lit e der Gemeinschaftsmarkenverordnung [28] von der Eintragung im Markenregister ausgeschlossen seien. Der EuGH hob das Urteil des EuG und die Entscheidung der Beschwerdekammer auf und verurteilte „Seven Towns“ und das EUIPO zur Tragung der Kosten der Klägerin. Sowohl das EUIPO als auch das EuG hätten falsch entschieden. Vielmehr hätte auch die Drehbarkeit der Ebenen berücksichtigt werden müssen, weil sich aus der Gitterstruktur, die auf jeder der Würfelseiten sichtbar war, deutliche Hinweise dafür ergaben, die zu einer vertieften Prüfung der funktionellen Merkmale des Zeichens hätten führen müssen. [29] „Auch die inneren Werte zählen“ [30]

Damit aber noch nicht genug. Denn aufgrund der EuGH-Entscheidung vom 10.11.2016 musste auch das EUIPO neuerlich entscheiden. Am 19.06.2017 erklärte das EUIPO die Formmarke, die aus dem „Zauberwürfel“ mit schwarzen Linien und kleinen Quadraten auf jeder Seite des Würfels und sechs unterschiedlichen Farben bestand, für nichtig. Damit folgte das EUIPO, was vorhersehbar war, nicht mehr seinen eigenen Entscheidungsgründen, sondern den Argumenten des EuGH. Es ordnete die Löschung der Eintragung der Formmarke an. „Nach alledem ist festzustellen, dass diese Form nicht als Unionsmarke eingetragen hätte werden

dürfen, weil die wesentlichen Merkmale zur Erreichung der technischen Wirkung erforderlich sind, die in der Drehbarkeit des Würfels besteht.“ [31] Dagegen erhob nunmehr die neue Markeninhaberin, Rubik’s Brand Ltd. [32], Klage vor dem EuG. Am 24.10.2019 entschied das EuG, und zwar ebenfalls in Übereinstimmung mit der EuGH Entscheidung vom 10.11.2016: Zwar sei die Entscheidung des EUIPO insoweit fehlerhaft, als die unterschiedlichen Farben auf den sechs Seiten des Würfels keineswegs ein wesentliches Merkmal der streitigen Marke seien. Doch komme es darauf nicht entscheidend an. Die vorliegende Würfelform stelle das Erscheinungsbild der konkreten Ware dar, für welche die Eintragung beantragt wurde, nämlich des als „Rubik’s Cube“ bekannten, dreidimensionalen Puzzles [33]: „Hinsichtlich der Beurteilung der Funktionalität der wesentlichen Merkmale der streitigen Marke ist das Gericht wie das EUIPO der Auffassung, dass das wesentliche Merkmal, das in den schwarzen Linien besteht, die sich horizontal und vertikal auf jeder Seite des Würfels kreuzen und jede dieser Seiten damit in neun kleine Würfel gleicher Größe unterteilen, die in drei Reihen von jeweils drei angeordnet sind, erforderlich ist, um die angestrebte technische Wirkung zu erreichen.“ [34]

Gemäß Art 56 der Statuten des Europäischen Gerichtshofes [35] hätte innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zustellung der angefochtenen Endentscheidung des Gerichts ein Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden müssen. Dies war nicht der Fall. Damit ist die markenrechtliche Thematik nach 23 Jahren endgültig entschieden. „Ein Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware bestehet, ist nicht eintragungstauglich, wenn nachgewiesen wird, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale dieser Form nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind. […] Durch den Nachweis, dass es andere Formen gibt, mit denen sich die gleiche technische Wirkung erzielen lässt, [kann] nicht das Eintragungshindernis oder der Grund für die Ungültigerklärung nach dieser Vorschrift ausgeräumt werden.“ [36] Der EuGH hat in der Entscheidung „Rubik’s Cube“ ein Bekenntnis zur zeitlichen Begrenzung des Schutzes für technische Funktionalitäten abgelegt. Dem ist zu folgen. Technische Wirkungen können primär durch ein Patent [37] geschützt werden. Nur in Ausnahmsfällen ist es möglich, über das UWG mit dem Vorwurf der „sklavischen Nachahmung“ oder über das UrhG mit der Berufung auf den Charakter der technischen Erfindung als „Werk der bildenden Künste“ eine Verlängerung des durch Zeitablauf erloschenen patentrechtlichen Schutzes zu erwirken. Wenn kein Sonderrechtsschutz besteht, ist die Benutzung der Erfindung frei. Markenrechtlicher Schutz kann in Sonderfällen durch Registrierung der Form der Ware erworben werden, weil es im Markenrecht kein Neuheitserfordernis gibt. Allerdings kann das wesentliche Merkmal nicht in einem funktionalen Element liegen, selbst wenn dieses von außen nicht direkt sichtbar ist.

Literatur:

[1] OGH 12.08.1996, 4 Ob 2202/96v. [2] Kraft/Steinmair in Kraft/Steinmair (Hrsg), UWG Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Praxiskommentar2 (2019) § 1 UWG Rz 133; ebeso RIS-Justiz RS0078341: „Wer ohne jede eigene Leistung, ohne eigenen ins Gewicht fallenden Schaffensvorgang das ungeschützte Arbeitsergebnis eines anderen ganz oder doch in erheblichen Teilen glatt übernimmt, um so dem Geschädigten mit dessen eigener Mühe voller und kostspieliger Leistung Konkurrenz zu machen, macht sich in jedem Fall einer schmarotzerischen Ausbeutung fremder Leistung schuldig und verstößt damit gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG“ [3] Wiltschek/Horak, UWG8.0102 § 1 E 1262 (Stand 1.3. 2019). [4] OLG Frankfurt 08.11.1981, 6 U 98/81. [5] Der OGH hat die sklavische Nachahmung eines „Zauberwürfels“ bejaht, weil er dem Gegner der gefährdeten Partei vorgeworfen hat, dieser habe das Original bewusst nachgeahmt, sodass die Gefahr von Verwechslungen herbeigeführt wurde. Der Vorwurf betraf die vermeidbare Herkunftstäuschung. Hätte der Gegner der gefährdeten Partei also darauf hingewiesen, dass es sich nicht um den Originalwürfel („Rubik’s Cube“), sondern um ein Nachbauprodukt handelt, wäre die Entscheidung wohl gegenteilig ausgefallen. Vgl. OGH 23.06.1981, 4 Ob 360 = Öbl 1981, 115 (Schönherr). [6] OGH 12.08.1996, 4 Ob 2202/96v. [7] OGH 23.02.1993, 4 Ob 106/92. [8] Markenschutzgesetz 1970, BGBl 260/1970 idF BGBl I 91/2018. [9] BGBl I 111/1999. [10] Das Erfordernis der „grafischen Darstellbarkeit“ wurde durch die MarkenschutzgesetzNovelle 2017 beseitigt. § 1 Markenschutzgesetz lautet nunmehr: Marken können Zeichen aller Art sein, insbesondere Wörter, einschließlich Personennamen, oder Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Farben, die Form oder Verpackung der Ware oder Klänge, soweit solche Zeichen geeignet sind, 1)Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden und 2)im Markenregister in einer Weise dargestellt zu werden, dass die zuständigen Behörden und das Publikum den Gegenstand des ihrem Inhaber gewährten Schutzes klar und eindeutig bestimmen können. [11] Voraussetzung ist gemäß § 33a Abs 1 MSchG die ernsthafte, kennzeichenmäßige Benutzung der Marke. [12] Anmeldenummer: 1714/2014, Registrierungsnummer: 280588. [13] Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl L 2015/336. [14] Keschmann in Kucsko/Schumacher (Hrsg), marken.schutz² § 4 MSchG Rz 282. [15] OGH 11.05.2012, 4 Ob 61/12t. [16] Damals noch als „Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM)“ bezeichnet. [17] OGH 30.11.2004, 4 Ob 239/04g = RdW 2005/265. [18] EuGH 24.05.2012, C-98/11 (Chocoladefabriken Lindt&Sprüngli AG/HABM). [19] EuGH 18.09.2014, C-205/13. [20] „Seven Towns“ in London wurde von dem in Transsylvanien (damals zu Ungarn gehörig) geborenen Tom Kremer gegründet und nach dessen Geburtsort in Siebenbürgen benannt. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als “one of the most highly acclaimed toy invention companies in the world” und verwaltete damals die Rechte am Zauberwürfel. [21] Damals noch als „HABM“ bezeichnet. [22] Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für Fabrik- oder Handelsmarken vom 15. Juni 1957, BGBl 388/1969 idF BGBl I 2/2008. [23] Das Unternehmen Dickie-Simba Group mit Sitz in Fürth entstand aus der Fusion von

Simba Toys und Dickie Toys im Jahr 1993 und verwaltet u.a. bekannte Marken wie Märklin, Majorette oder Bobby-Car. [24] EuG 25.11.2014, T-450/09. [25] Die Verfahrensdauer betrug also mehr als fünf Jahre! [26] EuG 25.11.2014, T-450/09. [27] SMD Group – RECHT NEWS, Zehn Jahre Streit um den Rubik’s Cube < https://www.smd-group.info/publications/publication_12_2016. pdf > [28] Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl L 1994/11 aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke, ABl L 2009/78, diese ebenfalls aufgehoben und ersetzt durch die Unionsmarkenverordnung: Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke, ABl L 2017/154. [29] EuGH 10.11.2016, C-30/15P. [30] Hesse, Der Würfel ist gefallen?, IntellectualProperty Magazin, 1/März 2020, 22. [31] EuG 24.10.2019, T 601/17 = wbl 2020/67. [32] Das Unternehmen von Rubik’s Brand Ltd. hat seinen Sitz an der identen Adresse wie Seven Towns Ltd. Es bezeichnet sich als „marketing agency“. [33] Bei dieser Ware handelt es sich um ein Spiel, dessen Ziel es ist, ein farbiges dreidimensionales Puzzle in Form eines Würfels mit sechs Seiten von unterschiedlicher Farbe wiederherzustellen. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass Reihen kleinerer Würfel unterschiedlicher Farben, die Bestandteile eines größeren Würfels sind, solange vertikal und horizontal um eine Achse gedreht werden, bis die neun Quadrate jeder Seite dieses Würfels die gleiche Farbe haben. [34] EuG 24.10.2019, T-601/17; Pressemitteilung Nr 131/19 des Gerichts der Europäischen Union. [35] PROTOKOLL ÜBER DIE SATZUNG DES GERICHTSHOFS DER EUROPÄISCHEN UNION, BGBl III 4/2003 idF BGBl III 171/2013. [36] Thiele, Der Zauberwürfel des Schutzes dreidimensionaler Gestaltungsformen, ecolex 2017, 232. [37] Oder durch ein Gebrauchsmuster als „kleines Patent“.

Autor:

Prof. Dr. Gunter Nitsche (of Counsel): Juristisches Studium an der Karl Franzens Universität in Graz; seit 1988 Gastprofessor an der Technischen Universität Graz; ständiger Berater der Stadt Graz; Vortragender für die Rechtsanwaltskammer, die Kammer der Notare und die Kammer der Wirtschaftstreuhänder; Funktionen als Mitglied des Vorstandes mehrerer Privatstiftungen und als Mitglied des Aufsichtsrates mehrerer Aktiengesellschaften; seit 2009: Of Counsel bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH

Prof. Dr. Gunter Nitsche

Gastprofessor an der TU Graz WINGbusiness Impressum

Medieninhaber (Verleger) Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure Kopernikusgasse 24, 8010 Graz ZVR-Zahl: 026865239

Editor Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Siegfried Vössner

E-Mail: voessner@tugraz.at

Redaktion/Layout Chefin vom Dienst & Marketingleiterin: Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at

Redakteure Dipl.-Ing. Sigrid Weller BSc.

E-Mail: sigrid.weller@tugraz.at Dipl.-Ing Thomas Draschbacher, BSc.

E-Mail: thomas.draschbacher@tugraz.at Dipl.-Ing. Florian Schierlinger-Brandmayr

E-Mail: florian.schierlinger-brandmayr@tugraz.at Dipl.-Ing. Theresa Passath, BSc.

E-Mail: theresa.passath@unileoben.ac.at Dipl.-Ing. Dominik Ehmann, BSc.

E-Mail: dominik.ehmann@tugraz.at Dipl.-Ing. Andreas Kohlweiss, BSc

E-Mail: andreas.kohlweiss@tugraz.at

Anzeigenleitung/Anzeigenkontakt

Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795,E-Mail: office@wing-online.at

Druck Druckhaus Scharmer GmbH, Europastraße 42, 8330 Feldbach Auflage: 1.800 Stk. Titelbild: (c) Adobe Stock Foto

WING-Sekretariat Kopernikusgasse 24, 8010 Graz, Tel. (0316) 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at WING-Homepage: www.wing-online.at

Erscheinungsweise 4 mal jährlich, jeweils März, Juli, Oktober sowie Dezember. Nachdruck oder Textauszug nach Rücksprache mit dem Editor des „WINGbusiness“. Erscheint in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit den einschlägigen Instituten an den Universitäten und Fachhochschulen Österreichs. Der Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Wirtschaftsingenieur): Wirtschaftsingenieure sind wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Ingenieure mit akademischem Studienabschluss, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre technische und ökonomische Kompetenz ganzheitlich verknüpfen. WING - Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure ist die Netzwerkplattform der Wirtschaftsingenieure. ISSN 02567830

This article is from: