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Das Gebäude der Zukunft: jetzt

Foto: TBA llu 2017 © Z+B

Andreas Pfeiler, Sebastian Spaun

Die österreichische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, Klimaneutralität im Jahr 2040 zu erreichen. Ein Zwischenziel auf diesem ambitionierten Weg ist es, den Strombedarf im Jahr 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. Auch der Gebäudesektor muss zu diesen nationalen Klima- und Energiezielen wesentlich beitragen. Das bedeutet einerseits, dass nur mehr Gebäude mit niedrigem Energieverbrauch errichtet werden dürfen, deren Heiz- und Kühlbedarf dann zudem aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden muss. Mit fossiler Energie betriebene Heizungsanlagen werden schon bald der Vergangenheit angehören und müssen durch effiziente CO2-freie Systeme ersetzt werden. Die thermische Bauteilaktivierung (TBA) – mit der massive Betonbauteile zu Energiespeichern werden – ist ein System, mit dem Gebäude energie- und ressourceneffizient geheizt und gekühlt werden können. Dabei werden Rohrregister direkt in Betonteile eingebaut; besonders geeignet sind Geschoßdecken aus Stahlbeton. Beton ist aufgrund seiner hohen Materialdichte ein hervorragender Wärmespeicher und ein sehr guter Wärmeleiter. Durch die gute Wärmeleitfähigkeit kann die Wärme rasch in den thermisch aktivierten Bauteil eindringen (Kühlfall) oder umgekehrt im Heizfall über die große Fläche gleichmäßig abgegeben werden. Somit reichen kleinste Temperaturunterschiede zwischen dem aktivierten Bauteil und der Raumtemperatur, um Gebäude komfortabel in Form von Strahlungswärme heizen bzw. kühlen zu können. NutzerInnen empfinden diese Form des Heizens und Kühlens als besonders wohltuend und komfortabel.

Zunehmende Bedeutung einer effizienten Raumkühlung

Ein großer Vorteil der Bauteilaktivierung ist, dass mit ein- und demselben System geheizt und gekühlt werden kann, die Funktionsweise wird bestimmt durch die Temperatur der Flüssigkeit in den Rohrregistern. Mit der deutlichen Zunahme der Temperaturen im Sommer, aber auch der Zunahme von Tropennächten wird das Thema Vermeidung von sommerlicher Überwärmung immer wichtiger für die Bauwirtschaft. Die Kühlung über die Bauteilaktivierung trägt wesentlich zur Gewährung des sommerlichen Wohnkomforts bei, sie erfolgt geräuschlos und ohne Zugluft und macht Klimageräte und die damit oftmals verbundene Lärm- und Wärmeabgabe, die besonders in Städten zu einer Verstärkung des „Urban Heat Island“-Effekts führt, überflüssig.

Aufgrund der großen Übertragungsflächen können die Systemtemperaturen der Bauteilaktivierung sehr niedrig gehalten werden, die Differenz der Oberflächentemperatur zur gewünschten Raumtemperatur soll zwischen 1 und 6 Grad betragen. Dieser Betrieb in einem relativ niederen Temperaturbereich bewirkt, dass die Energie z. B. mittels Wärmepumpe mit sehr hohen Umwandlungswirkungsgraden erzeugt werden kann. Damit ist die Bauteilaktivierung für die Nutzung erneuerbarer Energien prädestiniert. Die Bauteilaktivierung ermöglicht es weiters, die sommer-

Verlegung der Rohrleitungen © Aichinger Hoch- u. Tiefbau GmbH

liche Abwärme sinnvoll für den Winter zu nutzen: Bei der Kopplung mit Geothermie wird die Abwärme ins Erdreich geleitet und regeneriert dieses. Im Winter wird die Wärme dem Boden wieder entzogen und den Räumen über Wärmepumpe und Bauteilaktivierung zugeführt. So kann auch eine gewisse saisonale Speicherung erreicht werden. Andere Systeme, beispielsweise Mikrowärmepumpen, ermöglichen es, die Abwärme z. B. aus dem Abwasser oder der Abluft der Gebäudelüftung direkt zu nutzen, unter anderem für die Herstellung von Warmwasser.

Gebäude als Speicher für erneuerbare Energie

Auch im Hinblick auf die vermehrte bzw. alleinige Nutzung erneuerbarer Energie hat die thermische Bauteilaktivierung einen weiteren unschlagbaren Vorteil: Beton wird als hocheffizienter Energiespeicher aktiviert. So kann z. B. überschüssiger Strom aus erneuerbaren Quellen in Wärme umgewandelt und in Betondecken zwischengespeichert werden. Das Beladen des Speichers – also z. B. einer thermisch aktivierten Decke – ist auch in unregelmäßigen Zeitintervallen möglich, ohne den thermischen Komfort im beheizten Raum zu stören. Bei einer hohen Anzahl von Gebäuden mit thermisch aktivierbaren Bauteilen kann die Übernahme von Spitzenstrom aus erneuerbaren Energien helfen, Angebotsspitzen zu glätten und im Gegenzug den Strombedarf zu Zeiten niedrigen Angebots zu reduzieren.

Zementindustrie fördert Innovation

Die Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) trägt seit 2008 gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Praxis zur Weiterentwicklung, Standardisierung und Verbreitung der Bauteilaktivierung bei und hat im Lauf der Jahre zahlreiche Forschungs- und Innovationsprojekte initiiert. Am Beginn stand 2008 die Veranstaltungsreihe Expertenforum „Energiespeicher Beton“, es wurden Best-practice-Beispiele vor den Vorhang geholt und der Stand der Technik diskutiert. 2011/12 entstand am Gelände der Bauakademie Salzburg ein Simulationsraum. Mit den gewonnenen Daten wurde ein Rechenkern zur Simulationsberechnung von Gebäuden als Energiespeicher entwickelt. Den bauphysikalischen Grundlagen ging Professor Klaus Kreč, TU Wien, im Projekt „Energiespeicher Beton“ im Forschungsprogramm „Haus der Zukunft“ umfassend auf den Grund, die gleichnamige Publikation liegt mittlerweile in 2. aktualisierter Auflage vor. Wichtige Grundlagen für die Baupraxis lieferte 2016 der Planungsleitfaden „Heizen und Kühlen mit Beton“, herausgegeben im Forschungsprogramm „Stadt der Zukunft“. Er fasst die vorliegenden Erkenntnisse zum Thema „Thermische Bauteilaktivierung“ zusammen und liefert detaillierte Anleitungen für PlanerInnen und Bauausführende sowie Grundlagen für die Aus- und Weiterbildung. Behandelt werden Fragen der Bauphysik, der Konzeption von Gebäuden, der zugehörigen Haustechnik und deren Regelung sowie zur nachhaltigen Energieversorgung. Der Leitfaden entstand anhand der Errichtung eines Pilotprojekts: Bei einem Einfamilienhaus im Weinviertel wurde die Bauteilaktivierung, die bis dahin vor allem mit solarer Unterstützung betrieben worden war, erstmals mit Windenergie gekoppelt. Das Projektteam bestand aus einem erfahrenen Planer, einem lokalen Baumeister als Generalunternehmer, einem Windstromlieferanten und der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie als Koordinator. Im Projekt „Gebäude als Speicher“ wurde das Gebäude zwei Jahre lang einem Monitoring unterzogen, das gezeigt hat, dass 70 Prozent (2016/17) und fast 90 Prozent (2017/18) des Stroms für den Betrieb der Wärmepumpe aus CO2freier und überschüssiger Windenergie generiert werden konnten. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass Gebäude mit Betonbauteilen eine aktive Rolle beim Lastmanagement spielen können.

Reihenhäuser Wohnpark Wolfsbrunn Sommerein @EBSG

Energieflexible Gebäude zur Entlastung der Stromnetze

Auf Basis der vielversprechenden Ergebnisse kam 2018 die Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen sowie in Kopplung mit erneuerbarer Energie in Form von Erdsonden und Windstrom-Management zum ersten Mal auch im sozialen Wohnbau zum Einsatz: in der Wohnhausanlage MGG22 in Wien Stadlau. In Niederösterreich entstand der Wohnpark Wolfsbrunn in Sommerein, dessen Energieversorgung, ebenfalls geplant als netzflexibler Wohnbau, mit Erdsonden und Windstrommanagement erfolgt. Beide Wohnhausanlagen werden aktuell einem Monitoring unterzogen, um bei künftigen Projekten den Anteil der erneuerbaren Energie und die Entlastung der Stromnetze weiter optimieren zu können. So werden Gebäude mit ihren Bauteilen zu dezentralen Speichern im Energienetz. Diesen Beitrag zur erneuerbaren Energiezukunft gilt es, vermehrt zu nutzen, auch der österreichische Klima- und Energiefonds unterstützt seit Ende 2020 mit dem Programm „Energieflexibilität durch thermische Bauteilaktivierung“ die Anwendung

der Speicherkapazität von Bauteilen. Unterstützt werden Planungsdienstleistungen für Geschosswohngebäude mit optimierter Nutzung erneuerbarer Energie bei der Raumwärme bzw. -kühlung mit Bauteilaktivierung.

Optimierung von Steuerung und Regelung

Weiterer Optimierungsbedarf besteht bei der Steuerung der Bauteilaktivierung. Im Green Energy Lab, Österreichs größtem Innovationslabor für eine nachhaltige Energiezukunft, ist die VÖZ in zwei Forschungsprojekten engagiert. Die Projekte werden im Programm "Vorzeigeregion Energie" des Klima- und Energiefonds finanziert. „PNP controls TABS“, geleitet von e7 energy innovation & engineering, beschäftigt sich mit der Entwicklung einer "Open Interface" und einer Code Programmiervorlage für Plug-and-Play-Lösungen sowie einer anlagenübergreifenden Regelung für Wärmepumpen – um diese mit Bauteilaktivierung und anderen Impulsen wie beispielsweise Windenergie zu verbinden. Die Anwendung der standardisierten Regelung soll künftig breit möglich sein. „HYBRID LSC“, unter der Leitung der TU Wien – Energy Economics Group, demonstriert die Nutzung der Flexibilitäts- und Energieeffizienz-Potenziale von "Local Sustainable Communities" für das Energiesystem. Mit LSC soll erneuerbare Energie vor Ort erzeugt, gespeichert und genutzt werden können. Im Fokus stehen Demonstrationsstandorte in Wien, Niederösterreich, im Burgenland und in der Steiermark, welche die Nutzung des Potenzials anhand von Gebäuden mit thermischer Bauteilaktivierung untersuchen. Beim Grazer Standort geht es um die Transformation eines früheren Industriegebiets hin zu einer modernen LSC.

Kreislaufwirtschaft als Treiber für Nachhaltigkeit

Der Fokus auf einen möglichst CO2freien Betrieb von Gebäuden ist nur ein wesentlicher Schritt in Richtung Energie- und Bauwende. Für die Errichtung weitgehend treibhausgasfreier und klimarobuster Gebäude der Zukunft ist eine lebenszyklusbasierte Bewertung der Nachhaltigkeit allerdings unumgänglich. Das Thema Kreislaufwirtschaft, also die Wiederverwendung bzw. Wiederverwertung von Bauteilen und Baustoffen, hat oberste Priorität bei der Nachhaltigkeit von Gebäuden. Bauwerke müssen so gebaut werden, dass sowohl lange Nutzungsdauern der Gebäude als auch die Wiederverwendung der Materialien am Lebensende des Bauwerks (Recycling, Upcycling) ermöglicht werden, Gebäude sind im Sinne des Urban Mining die Materialressourcen der Zukunft. Das birgt große Innovationschancen insbesondere für mineralische Baustoffe wie Ziegel und Beton – ob eben als Speicher für erneuerbare Energie in der Nutzungsphase oder ob als Vorreiter in Sachen Wiederverwertung. Der Fachverband der Stein- und keramischen Industrie, dem auch die österreichische Zementindustrie angehört, hat daher im Frühjahr 2021 gemeinsam mit der TU Graz eine Stiftungsprofessur für „Nachhaltiges Bauen“ ausgeschrieben.

Stiftungsprofessur Nachhaltiges Bauen an der TU Graz

Der Fachverband Steine-Keramik finanziert die Professur nach § 99 des Universitätsgesetzes für die Dauer von drei Jahren, mit der Option auf Verlängerung. Die TU Graz bringt wissenschaftliche Stellen, Administrationsunterstützung sowie Infrastruktur für Forschung und Lehre ein. Die Professur soll wesentlich zum Erreichen der Pariser Klimaziele und damit auch zur Umsetzung des UNAktionsplans Agenda 2030 beitragen. Denn gerade im Bauwesen braucht es, wie auch das Erfolgsbeispiel der Bauteilaktivierung zeigt, die fachübergreifende Bündelung aller Kräfte, von der Material- und Energieforschung über die Architektur bis zum Ingenieursbau.

Anlaufstelle für Baustoff- und Bauindustrie

Mit der neuen Professur im Fachgebiet "Nachhaltiges Bauen" soll eine zentrale Anlaufstelle für die Baustoff- und Bauindustrie an der TU Graz geschaffen werden. Durch die Bündelung der Forschungsaktivitäten zu den Themen Nachhaltiges Bauen sowie Klimaschutztechnologien und Klimawandelanpassung soll diesen neuen Aufgabenstellungen Rechnung getragen werden. In der Lehre soll die zentrale Aufgabe der Professur für "Nachhaltiges Bauen" die Integration der Grundlagen der Nachhaltigkeit in die bauingenieurwissenschaftliche Ausbildung sein. Konkret wird die Verankerung des Themas in allen relevanten Curricula der TU Graz angestrebt.

Die TU Graz beschäftigt sich schon jetzt intensiv mit dem Thema, etwa in der Arbeitsgruppe für Nachhaltiges Bauen am Institut für Technologie und Prüfung von Baustoffen oder im berufsbegleitenden Universitätslehrgang "Nachhaltiges Bauen", der gemeinsam mit der TU Wien angeboten wird. Mehrere Forschungsgruppen befassen sich mit drängenden Nachhaltigkeitsfragen im Bausektor und arbeiten beispielsweise an ökologischen Materialien, autarken Energiesystemen und der Reduktion des CO2-Fußabdrucks oder des Wasserverbrauchs. Die Einrichtung der Stiftungsprofessur "Nachhaltiges Bauen" unterstreicht nun die Nachhaltigkeit von Gebäuden als eigenständige wissenschaftliche Disziplin und soll starke Impulse im Bereich der Wissensvermittlung für Lehre und Baupraxis setzen.

Autoren:

Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Pfeiler

Studium Bauingenieurwesen 19942000 an der TU Wien – Konstruktiver Ingenieurbau Doktoratsstudium der techn. Wissenschaften an der TU Wien 2000-2004 parallel zur Tätigkeit als Univ.Ass. am Institut für Straßenbau- und Straßenerhaltung (heute Department für Verkehrswissenschaften) Doktorat „Erhöhung der Griffigkeit von Asphaltstraßen durch den Einsatz polierresitenter Sande“ Ab 2005: Geschäftsführer Güteschutzverband der österr. Kies-, Splitt- und Schotterwerke und Referent für Bereich Technik im Fachverband Steine-Keramik Seit 2012: Gf im FV Steine-Keramik 2008: Ziviltechnikerprüfung

Seit 2005: CEN-Delegierter TC 154 „Aggregates“ (Delegstionsleiter) Derzeit: Leiter ONK 051 „natürliche Gesteine“

Dipl.-Ing. Sebastian Spaun

Sebastian Spaun (52) ist seit 1.1.2015 Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ). Zuvor war er seit 1998 Leiter der Abteilung Umwelt & Technologie der VÖZ. Nach seinem Studium der „Kulturtechnik und Wasserwirtschaft“ an der Universität für Bodenkultur, das ihn auch an das Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft der TU Wien führte, begann Sebastian Spaun seine berufliche Laufbahn 1995 beim Recyclingpark Wels (Bau und Betrieb einer MVA, aerobe und anaerobe Kompostierung, Kunststoffsortierung, Reststoffdeponie, stationäre Bauschuttaufbereitung). Seine beruflichen Arbeitsschwerpunkte liegen heute in der Decarbonisierung der Zementherstellung, im ressourceneffizienten und nachhaltigen Bauen (z.B. in der Nutzung von Gebäuden als netzflexible Energiespeicher) und in der Schaffung langlebiger Verkehrsinfrastruktur.

Er ist Vorstandsmitglied der Österreichische Bautechnik Vereinigung (öbv), Aufsichtsratsmitglied der Austrian Cooperative Research (ACR) und leitet den Forschungsverein Nachhaltige Betonstraßen.

Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Pfeiler

Geschäftsführer des Fachverbandes der Stein- und keramischen Industrie Dipl.-Ing. Sebastian Spaun

Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ)

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