WINGbusiness Heft 02 2021

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TOP-THEMA Georg Knill

Der Weg zur Klimaneutralität Die Strategie der Industrie als Gestalterin eines umfassenden und nachhaltigen Umbaus des Energiesystems Der fortschreitende Klimawandel ist eine unverrückbare Tatsache, deren Auswirkungen sich niemand von uns entziehen kann. Das macht eine letztendliche Dekarbonisierung des globalen Energiesystems unumgänglich. Für Europa wird die Klimaneutralität in etwa für die Mitte des Jahrhunderts gesellschaftlich und politisch ins Auge gefasst – und schrittweise auch rechtlich verankert. Kürzlich sind auch die europäischen Ziele für das Jahr 2030 – von 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 auf mindestens minus 55 Prozent – verschärft worden. In weiterer Folge wird sich damit auch das bestehende österreichische Klimaziel von derzeit minus 36 Prozent gegenüber 2005 noch weiter erhöhen. Dazu kommt die Absicht der aktuellen Bundesregierung, Klimaneutralität in Österreich bereits bis 2040 zu erreichen. Das wäre somit nochmals rund zehn Jahre früher, als das auf der gesamteuropäischen Ebene angepeilt wird. Die Industrie als entscheidender Sektor Der Industrie kommt eine gestaltende Schlüsselrolle in der Energiewende zu. Sie ist mit einem Anteil von rund 30 Prozent des Endenergieverbrauchs eine relevante Größe im Energiesystem. Noch entscheidender als der unmittelbare Anteil am Energieverbrauch und den damit anfallenden Emissionen ist aber etwas Anderes: Die Wirkung, welche von der Industrie hervorgebrachte Technologien und Produkte erzielen. Diese sind entscheidend, sowohl für die Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs durch höhere Effizienz, aber auch durch die Bereitstellung erneuerbarer Energie zur Deckung des verbleibenden Energiebedarfs. Solche industriell basierten Technologien und Produkte – wie stromsparende Elektrogeräte, Eisenbahnen oder Windräder – sind es, die letztlich eine Dekarbonisierung ohne Wohlstandsverlust ermöglichen werden. Diese verantwortungsvolle und aktive Rolle der Industrie in der Transformation des Energiesystems entspricht auch dem Selbstverständnis der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen und der Industriellenvereinigung, die sich auch hinter die entsprechenden politischen Ziele auf EU-Ebene stellt. Klimawandel global bekämpfen Dabei setzt sich die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie, und besonders die energieintensive

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Industrie, dafür ein, dass neben der Selbstverpflichtung der EU auch andere Industriestaaten vergleichbare Ambitionen zeigen. Auch die jüngsten Ankündigungen der neuen US-Administration, die Emissionen bis 2030 halbieren zu wollen, bedeuten nur, dass dann die Pro-Kopf-Emissionen so hoch sein werden, wie sie in der EU heute sind. Die EU wird ihre Emissionen bis 2030 hingegen schon wieder halbiert haben. Noch vager fällt die Klimaambition des mit Abstand größten Emittenten, nämlich China, aus. Während die dortige Staatsspitze ankündigen lässt, bis 2060 klimaneutral sein zu wollen, werden gleichzeitig rund 300 neue Kohlekraftwerke errichtet. Diese Kraftwerke werden über 700 Mio. Tonnen CO2 ausstoßen. Zum Vergleich: Ganz Österreich stößt pro Jahr 80 Mio. Tonnen CO2 aus. Folgerichtig haben die Pro-Kopf-Emissionen in China mittlerweile jene der EU übertroffen. Eine konsequente Mittelfrist-Klimapolitik bis zum Jahr 2030 ist kaum erkennbar. Angesichts dieser wenig ermutigenden Entwicklungen und eines Anteils der EU von gerade noch 10 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen (Tendenz sinkend) ist es nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine klimapolitische Notwendigkeit, die anderen Wirtschaftsmächte im Pariser Abkommen zu halten. Und es müssen ihnen vergleichbare Klimaschutzziele abverlangt werden.

Marktmacht der EU für globale Klimaambition einsetzen Dafür hält die IV mittlerweile auch Maßnahmen in Form von Abgaben für grundsätzlich vorstellbar. Diese sollten auf die Treibhausgas-Emissionslast von Importen abstellen und sie finanziell bewerten (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Wenn weltweit weiterhin unterschiedliche Zielvorgaben gelten, während die EU ihre Klimaambitionen erhöht, sollte die Europäische Kommission die schiere Größe ihres Marktes als Machtinstrument einsetzen. So könnte für ausgewählte Sektoren ein CO2- Grenzausgleichssystem durchgesetzt werden. Damit würde sich sowohl das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen reduzieren als auch ein Beitrag geleistet, um umweltpolitische Zielsetzungen in anderen Teilen der Welt zu realisieren. Ein solches Grenzausgleichssystem würde sicherstellen, dass der Preis von Einfuhren ihren CO2-Gehalt besser widerspiegelt. Jedenfalls aber muss eine solche Maßnahme mit den Regeln der WTO und anderen internationalen Verpflichtungen der EU in Einklang stehen. Für die IV ist ein solches Grenzausgleichssystem jedoch kein gleichwertiger Ersatz für die bestehende Regelung im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems. Beide Instrumente sind aus standortpolitischen Notwendigkeiten nur ergänzend zu sehen.

WINGbusiness 2/2021


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