Behörden Spiegel Juli 2022

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Innere Sicherheit

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ehörden Spiegel: Was sind die wichtigsten Punkte, die Bremen im Bereich der Inneren Sicherheit beschäftigen?

Mäurer: Wie bei vielen anderen Bundesländern stecken wir tief in den EncroChat-Verfahren. Dabei geht es um Organisierte Kriminalität. Im Fokus ist der Drogenhandel. Durch unsere geografische Lage sind wir davon besonders belastet. Wir haben vom Bundeskriminalamt ungefähr 500 Datensätze bekommen – von insgesamt 4.000, die in der ganzen Bundesrepublik verteilt worden sind! Da sieht man, dass wir einen riesigen Anteil haben. Hamburg hat 1.000 Datensätze bekommen. Das liegt daran, dass unsere Häfen als Umschlagplatz für den Drogenhandel prädestiniert sind. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Hamburg und Bremen stark gefordert sind. Dieses Thema macht uns aber nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Freude. So haben wir eine große Anzahl von Haftbefehlen vollstrecken können. Die Gerichte haben viele Intensivtäter zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Aber das ist erst der Anfang, die nächsten Datensätze kommen in den folgenden Monaten. Behörden Spiegel: Wie reagiert die Szene darauf? Mäurer: Die Szene wird sich natürlich darauf einstellen. Aber der Überraschungseffekt ist auf unserer Seite. Wir haben nicht nur Haftbefehle vollstreckt, sondern eine Unzahl von hochwertigen Pkws und Immobilien beschlagnahmt. Die Maßnahmen sind breit aufgestellt und sehr wirksam. Wir haben noch nie so viele Toptäter inhaftieren können wie jetzt. Behörden Spiegel: Als wie gerichtsfest schätzen Sie diese Beschlagnahmungen von vermutlich illegal erworbenen Gegenständen ein? Mäurer: Unter den Ländern arbeiten wir eng zusammen. In Bre-

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ie Polizei sammelt personenbezogene Daten in verschiedenen Registern. “Die Auswertung und Zusammenführung aus diesen unterschiedlichen Datenbanken erfolgt bislang manuell und ist hierdurch zeitaufwendig”, heißt es aus dem StMI. Das muss doch einfacher gehen, dachten sich das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) und das StMI. Sie schrieben europaweit aus, was sie sich wünschten: eine Möglichkeit, verschiedene Register gleichzeitig abzufragen. Den Zuschlag erhielt Palantir – “auf Grundlage rein fachlicher Kriterien”, wie das StMI betont. Qua Rahmenvertrag erhält das LKA eine Software zur Verfahrensübergreifenden Recherche und Analyse (VeRA). In Kooperation mit Polizei 2020 sei diese Art der Beschaffung vereinbart worden, heißt es aus dem StMI. Dadurch können außer Bayern auch andere Länder und der Bund Palantir-Software kaufen – ohne weitere Ausschreibung. Da bei großen Beschaffungen EU-weite Ausschreibungen verpflichtend sind, ist dieses Vorgehen üblich. “Hierdurch entfällt das Erfordernis einer neuen ressourcen- und zeitaufwendigen Ausschreibung.” Ob andere Länder oder der Bund den Vertrag nutzen, steht ihnen frei.

Gotham und VeRA Noch im Frühjahr hatte die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag einen Dringlichkeitsantrag gegen die Kooperation mit Palantir gestellt. Erfolglos. Der Autor war Dr. Helmut Kaltenhauser, der digitalpolitische Sprecher der Partei im Landtag.

Behörden Spiegel / Juli 2022

Zwischen EncroChat-Verfahren und DFL Die Richtigen müssen zahlen (BS) Der Bremer Senator für Inneres, Ulrich Mäurer (SPD), steht Rede und Antwort über Organisierte Kriminalität (OK), den Rechtsstreit mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) und wie er zu einer Kompetenzerweiterung für Europol steht. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann. Verfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Fragen schon rauf und runter geprüft hat.

“Die EncroChat-Verfahren machen uns nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Freude.”

Ulrich Mäurer (SPD) ist Innensenator Bremens. Dieses Amt hat der Sozialdemokrat schon seit 2008 inne. Damit gehört er zu den dienstältesten Ressortchefs.

men haben wir die Erfahrungen aus Berlin ausgewertet. Natürlich bleibt immer ein Restrisiko. Wir können nicht von Anfang an sagen, was im Steuersack bleiben wird. Aber ich bin durchaus optimistisch, dass in vielen Verfahren nennenswerte Summen sichergestellt bleiben. Dadurch kann die Szene heftig getroffen werden. Wenn wir den Kriminellen die Grundlagen entziehen und die Immobilien wegnehmen, ist das ein deutliches Signal. Behörden Spiegel: Sehen Sie Möglichkeiten, der Organisierten Kriminalität den Nachwuchs abspenstig zu machen? Mäurer: Es ist schwierig, schließlich ist der Drogenhandel international organisiert. Es gibt Mittelsmänner in verschiedenen Ländern. Der Stoff kommt aus Lateinamerika und wird nicht nur

in Bremen umgesetzt, sondern bundesweit verteilt. Das heißt, es gibt viele Möglichkeiten für die Kriminellen, neues Personal zu gewinnen. Da haben wir nicht die besten Karten, aber die Haftstrafen, die in den letzten Monaten verhängt worden sind, sind nicht ohne. Zehn bis zwölf Jahre Haft senden ein deutliches Zeichen. Behörden Spiegel: Das Land Bremen befindet sich seit Langem im Rechtsstreit mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) über Kosten bei Hochrisikospielen. Wie ist hier der aktuelle Stand? Mäurer: Die Auseinandersetzung mit der DFL ist schon fast historisch. Wir haben fast alle Verfahren gewonnen. Zwar bezweifeln wir nicht, dass zunächst das Innenressort für die Finanzierung der Polizeikosten zuständig ist. Die Grundversorgung muss

Behörden Spiegel: Clan-Kriminalität beschäftigt besonders Berlin und Nordrhein-Westfalen, aber auch Bremen. Wie schätzen Sie die Situation in Bremen ein? Mäurer: Es stimmt, auch wir haben dieses Problem. Durch die EncroChat-Verfahren sind wir da weitergekommen. Wir haben festgestellt, dass eine große Anzahl von Intensivtätern diesen Clans zuzuordnen ist. Daher ist ein erfolgreicher Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Drogenkriminalität auch ein wichtiger Beitrag gegen die Clan-Kriminalität.

Screenshot: BS/Hilbricht

gewährleistet sein und ist vom Steuerzahler zu tragen. Aber ab einer gewissen Größenordnung erwarten wir, dass die DFL sich an den Kosten beteiligt. Wir haben zu normalen Zeiten circa zwei Millionen Einsatzstunden im Jahr nur für die ersten beiden Ligen. Die Gerichte sagen uns, dass es angemessen und richtig ist, dass ein Teil dieser Ausgaben von den Vereinen und der DFL zu tragen ist. Das ist nicht allein die Aufgabe des Steuerzahlers. Behörden Spiegel: Weshalb schwelt der Streit noch? Mäurer: Wir hätten dieses Verfahren längst eingestellt, aber die DFL hat wiederum Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Auf die Entscheidung warten wir noch. Aber ich bin überzeugt, dass wir das Verfahren gewinnen werden, weil das

Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich die Nachwuchssituation bei der Bremer Polizei? Mäurer: Erfreulicherweise sind wir aufgrund unserer Haushaltslage jetzt fähig, große Ausbildungsjahrgänge einzustellen. Das war nicht immer so. Wir hatten viele Jahre, in denen wenig oder gar kein Geld dafür da war. Gegenwärtig haben wir noch eine relativ sichere Bewerberlage. Dennoch müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir den Polizeiberuf künftig attraktiv machen können. Da müssen wir uns auch auf neue Herausforderungen einlassen, denn es wird nicht immer so bleiben, dass viele bei der Polizei arbeiten wollen. Behörden Spiegel: Seit einem halben Jahr haben wir eine neue Bundesregierung und eine neue Bundesinnenministerin, Nancy Faeser. Wie schätzen Sie die Arbeit des Bundes im Bereich der Inneren Sicherheit bisher ein?

Palantir für das LKA Bayern Ein Porsche zum Brötchenholen? (BS/Benjamin Hilbricht) Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (StMI) hat einen Rahmenvertrag mit der kontrovers diskutierten Software-Firma Palantir geschlossen. Die Polizei verspricht sich Effektivität und Schnelligkeit. Datenschützer und die Opposition im Landtag befürchten eine Rasterfahndung. Fehlt die rechtliche Grundlage? Da Palantir mit amerikanischen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat, befürchtet er unter anderem, dass Daten in die USA abfließen könnten. Dagegen sagt das LKA, dass es die Software nur auf Rechnern betreibe, die keinen Anschluss ans Internet hätten. Zudem stünden die Server beim LKA, erfüllten den BSI-IT-Grundschutz und Palantir habe eine No-Spy-Klausel unterschrieben. Das Tool VeRA beruht auf dem Betriebssystem Gotham. “Got­ ham verknüpft und reichert riesige Mengen von Daten nahezu in Echtzeit an und präsentiert sie in einer einzigen Ansicht”, heißt es beim Hersteller. Das Programm sei prinzipiell kompatibel mit Künstlicher Intelligenz (KI). Wenn man Gotham vollumfänglich nutzen will, muss man seine Daten jedoch Palantir überlassen. Dann hätte das LKA keine Administratorrechte mehr und die Verarbeitung wäre nicht mehr on premise. Das LKA Bayern plant laut eigener Aussage weder die Anwendung von KI noch automatisierte Analysen oder Wahrscheinlichkeitsberechnungen für Szenarien. VeRA diene lediglich dazu, ein gemeinsames Register für polizeiliche Datenbanken zu schaffen. “Wenn es nur das wäre, würde ich mir mit VeRA einen Porsche

kaufen, um zum Brötchenholen zu fahren”, widerspricht Kaltenhauser. Strittig ist vor allem, ob VeRA Informationen generiert oder nicht. Das LKA und das StMI betonen, dass Palantir-Programme nur auf Daten zurückgriffen, die die Polizei sowieso gespeichert habe. Nicht mehr und nicht weniger. “Palantir führt Daten aus mehreren Datentöpfen zusammen. Wenn ich das mache, erhalte ich eine neue Information”, widerspricht Kaltenhauser.

Keine Rechtsgrundlage Den Bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten, Prof. Dr. Thomas Petri, besorgt, dass VeRA die Zweckbindung von polizeilichen Abfragen unterlaufe. “Die Polizei hat nicht aus Willkür verschiedene Datenbanken errichtet”, unterstreicht er. Vielmehr sei es ein Verfassungsprinzip, Daten nicht zentral zu erfassen und zu verarbeiten. “Nach meiner Überzeugung haben wir in Bayern keine Rechtsgrundlage für VeRA”, konstatiert Petri. Das StMI habe sich auf das Polizeiaufgabengesetz (PAG) berufen. Darin heißt es, dass die Polizei personenbezogene Daten speichern und verarbeiten dürfe, sofern das zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sei. “Ich

glaube nicht, dass das reicht”, kommentiert der Datenschutzbeauftragte.

Tötungsdelikte verhindert Hessen und Nordrhein-Westfalen setzen bereits PalantirProdukte ein und haben spezielle Gesetze verabschiedet. Seit bald zwei Jahren verwendet das nordrhein-westfälische LKA die “Datenbankübergreifende Recherche und Analyse” (DAR). Auch von Palantir, auch um gleichzeitig in verschiedenen ITSystemen zu recherchieren. Das LKA spricht von einer “deutlichen Zeitersparnis, insbesondere in akuten und ad hoc-Situationen”. Hier sei Zeit entscheidend für das Gelingen oder Scheitern polizeilicher Aktionen. “Mit dem DAR-System konnten bereits Tötungsdelikte verhindert werden”, erklärt das LKA. Die Bilanz des nordrhein-westfälische LKA ist nach eineinhalb Jahren durchweg positiv. Einziger Nachteil: die gefühlsgeladene, sich nicht um die fachlichen Details scherende öffentliche Debatte. Doch die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI) in NordrheinWestfalen stellt fest: “die Software durchbricht regelhaft den Zweckbindungsgrundsatz und durchsucht sämtliche polizeiliche

gespeicherte Daten.” Deswegen habe sie dafür gekämpft, dass das Innenministerium den Anwendungsbereich der Software gesetzlich festschreibt. Inzwischen gibt es eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von DAR in Nordrhein-Westfalen. “Mit dem Vorhandensein dieser Norm ist der Einsatz der Software jedenfalls unter den darin enthaltenen – wenngleich nach unserer Auffassung nicht ausreichend engen – Grenzen zulässig”, urteilt die LDI abschließend.

Rasterfahndung? Auch die Datenschützer Kaltenhauser und Petri in Bayern sorgen sich, dass normale Bürger durch VeRA ohne Anlass in polizeiliche Ermittlungen hineingeraten könnten. Kaltenhauser spricht von einer “Rasterfahndung”, die durch das Zusammenführen bisher nicht verknüpfter Informationen entstehe. Petri hält es daher für wichtig, dass in eine gesetzliche Regelung für VeRA der Einzelfallbezug hineingeschrieben wird. Es müsse genau spezifiziert werden, wann und aus welchen Anlässen VeRA eingesetzt werden dürfe. Das nordrhein-westfälische LKA gibt an, dass es DAR zur “Abwehr, Verhütung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, der

Mäurer: Die Zusammenarbeit mit unserer neuen Bundesinnenministerin macht viel Freude. Viele Themen bewegen uns alle, zum Beispiel sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Das hat bundesweit eine immense Bedeutung gefunden. Dabei geht es nicht alleine darum, diejenigen zu erreichen, die pornografisches Material austauschen. Das Problem ist die reale Gewalt und das brutale Vorgehen gegen Kinder, das mit diesen Bildern einhergeht. Hinzu kommen Probleme wie Hetze und Hass im Internet. Erst jüngst haben wir im Verbund mit anderen Bundesländern Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt. Auch dabei finden wir mit anderen Ländern und insbesondere der neuen Bundesregierung viele Gemeinsamkeiten. Ich glaube, diese Zusammenarbeit wird noch viele Möglichkeiten eröffnen. Behörden Spiegel: Jüngst gab es Streit über eine Kompetenzerweiterung für das Europäische Polizeiamt Europol. Wie stehen Sie dazu? Mäurer: Ich bin überzeugt davon, dass bei den gegenwärtigen Krisen Europol von strategischer Bedeutung ist. Wir können viele Probleme nicht allein in der Bundesrepublik lösen. Die EncroChatVerfahren und die Verfahren im Bereich der Kinderpornografie wären ohne die Kooperation mit unseren Partnern gar nicht möglich gewesen. Insofern wären wir klug beraten, wenn wir diese Kooperation ausbauen und Europol stärken. Behörden Spiegel: Sollte Europol eigene operative Kompetenzen an die Hand bekommen? Mäurer: Ich bin überzeugter Europäer. Deswegen habe ich überhaupt keine Probleme, unsere nationale Eigenständigkeit mit mehr europäischer Integration zu vereinbaren. In einem vernünftigen System kann uns eine Stärkung der operativen Kompetenzen von Europol nur Vorteile bringen.

Abwehr von Gefahren sowie der Verfolgung von Straftaten” nutze. Nicht alle Länder wollen Palantir kaufen. Gegenwärtig lägen "keine fachlichen Anforderungen" dafür vor, heißt es aus dem Sächsischen Staatsministerium des Innern (SMI). Die Polizei im Land nutze andere Software-Produkte, um Daten vergleichend auszuwerten und grafisch darzustellen. “Dennoch beobachtet die sächsische Polizei permanent die Entwicklungen auf dem Markt, um auch künftig allen Anforderungen in diesem Bereich gerecht werden zu können.” Die Sächsische Datenschutzbeauftragte (SDB) sieht für einen möglichen Palantir-Einsatz im Land keine Rechtsgrundlage. Es gebe dazu jedoch einen “unverbindlichen Austausch auf Arbeitsebene” zwischen der Staatsregierung und der SDB. Was bringt die Zukunft? Petris Kritik hat gefruchtet. “Wir haben die rechtliche Einschätzung des Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz zum Anlass genommen, die Einführung einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage für den Ansatz der Software zu prüfen” , heißt es aus dem StMI. Dazu arbeite man eng mit Petri zusammen, was dieser bestätigt. Kaltenhauser plant, eine Anfrage im Landtag zu stellen, wie weit die Prüfung der Rechtsgrundlage ist. Vielleicht verfasst das bayerische Innenministerium bald einen Gesetzesentwurf. Derweil prüft das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Gesetz zum Einsatz von Palantir in Hessen. Und VeRA wird – so viel ist sicher – in Bayerns LKA eingeführt.


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