Behörden Spiegel Juni 2022

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VI / 38. Jg / 23. Woche

Berlin und Bonn / Juni 2022

Von europäischen Nachbarn lernen Dr. Georg Thiel zum Zensus ��������������������������� Seite 6

Mehr Nutzer als Anträge (BS/bhi) Auf dem MV-Serviceportal sind knapp 20.230 Nutzerinnen und Nutzer registriert. Bei dem Online-Service des Landes Mecklenburg-Vorpommern können Bürgerinnen und Bürger Anträge online stellen. Am häufigsten beantragten sie bisher Geburtsurkunden, aber sie meldeten unter anderem auch Hundesteuer und Gewerbe an und ab. Merkwürdig ist, dass bisher nur etwa 18.000 Anträge beim Amt eingegangen sind. Es gibt also mehr Konten, als Leistungen abgefragt wurden. “Manche Menschen haben sich prophylaktisch schon mal angemeldet, für den Fall, dass sie bei der Verwaltung irgendwann mal einen Antrag stellen müssen”, erklärt der Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung, Christian Pegel (SPD), diese Unstimmigkeit. Das sei vorausschauend. Mecklenburg-Vorpommern habe nämlich ein Verfahren zur “Schnelldigitalisierung” entwickelt, um analoge Formulare schneller in digitale umzuwandeln. Adressfeld

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Ausbildung und Digitalisierung gefragt

Als Beamter in der Privatwirtschaft

Innenminister Pegel will Landespolizei M-V in die Zukunft führen �����������������������������������Seite 49

Michael Debie: von der Post zur Kita ���������� Seite 55

Blick nach rechts

Nord-Verbund gestärkt (BS/bhi) Die Innenministerinnen und -minister von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, MecklenburgVorpommern, Hamburg und Bremen haben bei einer gemeinsamen Konferenz mehr Zusammenarbeit beschlossen. So soll es gemeinsame polizeiliche Übungen zur Abwehr von Cyber-Angriffen geben. Hinzu kommen Katastrophenschutzübungen. Damit wollen die fünf Länder trainieren, wie sie zum Beispiel mit Flutszenarien oder Tornados umgehen. Von besonderer Bedeutung für den Norden Deutschlands ist dabei der gemeinsame Küstenschutz. Zudem einigten sich die Minister darauf, das Kleeblatt-Konzept zur Verteilung von Corona-Patienten nicht nur beizubehalten, sondern weiterzuentwickeln. Auf der Konferenz waren auch Vertreterinnen und Vertreter der Bundeswehr anwesend. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine forderte Niedersachsen den Aufbau eines Heimatschutzregimentes im Bundesland.

G 1805

Verfahrensbeschleunigungen im Bundesdisziplinarrecht (BS/Jörn Fieseler) Jeder Rechtsextremist, “Reichsbürger” oder “Selbstverwalter” im Öffentlichen Dienst ist einer zu viel. Dieses Gedankengut ist nicht mit der beamtenrechtlichen Treuepflicht vereinbar. Dessen Träger aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu entfernen, ist dringend geboten: je schneller, desto besser. Der diesbezügliche Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Gesetzesinitiative ist richtig und wichtig. Doch dabei darf es nicht nur um Schnelligkeit gehen. Wer im Öffentlichen Dienst und insbesondere in den Sicherheitsbehörden tätig ist, muss sich mit den Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung ohne innere Distanz identifizieren! Alle Beschäftigten des Staates, egal ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene, haben für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustehen. Entsprechend lässt es die Grund­ entscheidung des Grundgesetzes zur Konstituierung einer wehrhaften Demokratie nicht zu, dass Beamte und Angestellte im Staatsdienst tätig werden, welche die freiheitlich-demokratische, die rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen. “Diesen Personen fehlt die Eignung für die Ausübung eines öffentlichen Amtes”, urteilte schon das Bundesverfassungsgericht. “Jeder Extremismusfall muss klare Konsequenzen haben. Dafür müssen wir in Bund und Ländern alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen – und dort, wo es nötig ist, die rechtlichen Instrumente nachschärfen”, unterstrich Faeser bei der Vorstellung des Lageberichts “Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in den Sicherheitsbehörden” (siehe Seite 3). Zugleich kündigte sie für den Bund einen Gesetzentwurf noch für dieses Jahr an, um das Bundesdisziplinarrecht zu ändern. “Wir werden Verfassungsfein-

Rechtsextremisten stehen nicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein. Wer ihre Sichtweisen teilt oder mit ihnen liebäugelt, hat im Öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Foto: BS/Sven Grundmann, stock.adobe.com

de schneller als bisher aus dem Öffentlichen Dienst entfernen.” Dass die Verfahren zu lange dauern, zeigt ein Beispiel aus Berlin. Dort wurde 2007 gegen einen Polizeikommissar durch die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. 2011 wurde das Verfahren eingestellt. 2012 erhob der Dienstherr Disziplinarklage vor den Verwaltungsgerichten. 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht

letztinstanzlich, den Beklagten endgültig aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen. Trotz solch langer Verfahren schrieb das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) in einem Bericht an die Innenministerkonferenz 2019, dass “mit den bestehenden disziplinarrechtlichen Regelungen angemessen gegen extremistische Bestrebungen im Öffentlichen Dienst vorgegangen werden kann”. Sie seien geeignet und ausreichend, Verletzungen

der politischen Treuepflicht festzustellen und zu ahnden. Der gleichen Ansicht ist Friedhelm Schäfer, Zweiter Vorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, der Verfahrensbeschleunigungen ebenfalls für sinnvoll hält. Mit einer Einschränkung: “Es sollte nicht über die Herabsetzung der Voraussetzungen nachgedacht werden, denn die bestehenden hohen Hürden sind berechtigt. Anlassbezogene politisch motivierte Einschrän-

kungen des Rechtsstaatsgebots sind ungeeignet und rechtlich unzulässig. Der Weg ist deshalb die konsequente Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten bei einer deutlichen Nachschärfung, um gestraffte Verfahren rechtssicher zu ermöglichen.” Dazu sei an den gesetzlichen Anhörungsfristen und weiteren Stellschrauben des Bundesdisziplinargesetzes anzusetzen, um sinnvolle Verfahrensbeschleunigungen zu erreichen. So seien zielführende Änderungen bei der Unterrichtung, Belehrung und Anhörung von Beamtinnen und Beamten, aber auch bei der Pflicht zur Durchführung von Ermittlungen und den Ausnahmen denkbar. “Es kann auch darüber nachgedacht werden, ob der beim Bund und in den meisten Bundesländern bei besonders schwerwiegenden Disziplinarvergehen notwendige Schritt noch gewollt ist, Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht einzureichen. In BadenWürttemberg entscheidet dort immer die Disziplinarbehörde”, so der Fachvorstand Beamtenpolitik im DBB. Zudem weist Schäfer auf einen wichtigen Punkt hin: Der Bund beabsichtige nicht, das Beamtenstatusgesetz zu ändern, sondern nur das Bundesdisziplinarrecht. Das sollte er jedoch tun. Oder aber wegweisende Regelungen treffen, die die Länder anschließend übernehmen.

Kommentar

Krisenkumulation wird zum Systemrisiko (BS) Schwarzmalerei ist derzeit unangebracht, doch ein nüchterner Blick auf die mangelnden Fähigkeiten zur Resillienz, Souveränität und Vorsorge geben mehr als nur Anlass zu ernsthafter Sorge. In dreißig Jahren nach dem Mauerfall ist eine Art hypnotischer Tiefschlaf eingetreten, ein Wohlgefühl, dass die deutsche Politik und, in der Folge, auch die Verwaltung sich nur noch mit sich selbst beschäftigen ließ. Dabei wurden durchaus wichtige Fragen der gesellschaftlichen Integration und eines neuen Konsenses in den Fokus gerückt, doch nun, wo eine Krise nicht auf die nächste folgt, sondern sich Krisen geradezu übereinanderstapeln, stellt sich die Frage, ob das Festhalten an der bisherigen Agenda zukunftsfähig, womöglich zukunftswidrig wenn nicht sogar reaktionär ist? Die unkontrollierbare Dynamik zwischen den Spätfolgen der Corona-Pandemie, die im Herbst erneut an die Tür klopft,

der galoppierenden Inflation, den endlosen Lieferengpässen, den jetzt spürbaren Auswirkungen der Demografie und dem Arbeitskräftemangel, den deutlichen Folgen des Klimawandels, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft – das alles verlangt nach Entschlossenheit, Führung mit mehr Transparenz und Kommunikation. Stattdessen beantwortet die Bundespolitik diese Krisenkumulation, der sie selbst erklärt nicht gewachsen ist, mit einer neuen Bevormundung gegenüber der bürgerlichen Mehrheit. Ein extrem riskantes Vorhaben. Um die politischen Ränder, hier erklärt rechts, einzudämmen, werden Sprache, Traditionen und tradierte Lebensgewohnheiten wie -gewissheiten grundsätzlich infrage gestellt. Wir sind in einer

Multi-Krise, da ist es notwendig, auf unsere wirklichen Verantwortungsträger zu schauen. Die sitzen nicht in hohen Ämtern, sondern sind bei der Feuerwehr, der Polizei, bei der Sozialarbeit und in den kommunalen Ämtern, die trotz Corona geöffnet hatten. Die Krisenkumulation hat erst begonnen. Es bleibt zu hoffen, dass mutige Beamte und Beamtinnen das Richtige tun, ohne sich unnötig durch zeitweise im Amt befindliche Politiker davon abhalten zu lassen, das Gemeinwohl im Auge zu behalten. Zu viele Parteigänger sitzen in Behörden, doch auch sie müssen in der aktuellen Lage das Richtige, nicht das parteipolitisch Sinnvolle tun. Es ist für das Land jetzt erforderlich. Uwe Proll

Der Ärger des Herrn Merz


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