Beiträge aus der Sicht der Bundeswehr, NATO und EU
Wir müssen den Zugang zu Finanzmitteln für unsere Verteidigungsindustrie sichern Jiří Šedivý, Chief Executive Officer der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA)
Neben der Gefahr, dass ein strenger Regulierungsrahmen geschaffen wird, der der EDITB den Zugang zu Finanzmitteln auf den Kapitalmärkten effektiv verwehrt, hätten diese Vorschläge auch eine normative Wirkung in dem Sinne, dass die Regulierungsbehörde, in diesem Fall die Europäische Kommission, ein klares Signal an die Finanzmärkte senden würde, dass Investitionen in die Verteidigungsindustrie unerwünscht sind. Banken und andere Finanzinstitute haben bereits seit vielen Jahren eine restriktive Investitionspolitik in Bezug auf die Rüstungsindustrie verfolgt. Die betreffenden Vorschläge der Europäischen Kommission würden daher die Gefahr mit sich bringen, dass sich der bereits eingeschränkte Zugang der EDITB zu Finanzmitteln noch weiter verschlechtert. Jiří Šedivý
Foto: European Defence Agency
Es sind wahrlich dramatische und turbulente Zeiten für die Sicherheit und die Verteidigung unseres Kontinents, mit vielen Ungewissheiten und Herausforderungen, die vor uns liegen. Der ungerechtfertigte Angriffskrieg Russlands in der Ukraine mit all seinem menschlichen Leid und seinen potenziellen Auswirkungen auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Im Schatten der Schlagzeilen wird auf EU-Ebene jedoch eine nüchternere Debatte geführt, die sich ebenfalls massiv auf die Verteidigungskraft der EU auswirken könnte: der künftige Zugang der Verteidigungsindustrie zu Finanzmitteln.
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iele Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische, berichten, dass sie Schwierigkeiten haben, sich auf den Kapitalmärkten zu finanzieren und in einigen Fällen sogar andere Finanzdienstleistungen, wie z. B. Versicherungen, in Anspruch zu nehmen. Der Zugang zu Finanzmitteln und Dienstleistungen ist, wie wir alle wissen, entscheidend für die finanzielle Lebensfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. In letzter Zeit wurde viel über bestimmte legislative und politische Vorschläge der Europäischen Kommission zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) im Zusammenhang mit dem Green Deal der EU diskutiert. Obwohl bereits Anstrengungen unternommen wurden, um ihre Auswirkungen auf den Verteidigungssektor zu verringern, hätten diese Vorschläge erhebliche negative Folgen für die industrielle und technologische Verteidigungsbasis Europas (EDITB).
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Politische Kohärenz Niemand stellt die Bedeutung des Green Deal der EU und die dringende Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, in Frage, ganz im Gegenteil. Die EDITB setzt sich seit langem für einen grünen und nachhaltigen Wandel unserer Gesellschaft ein. Doch angesichts eines Krieges in Europa und eines breiten politischen Konsenses darüber, dass die Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten ihre Verteidigungskapazitäten mit Hilfe einer starken, dynamischen und wettbewerbsfähigen europäischen Verteidigungsindustrie dringend modernisieren und stärken müssen, wäre es unvorsichtig und sogar gefährlich, den Zugang dieser Industrie zu Finanzmitteln zu gefährden. Das Fazit ist, dass die EU-Politik kohärent sein muss. Wir können nicht einerseits die europäische Verteidigung mit Hilfe neuer Initiativen wie der Koordinierten Jährlichen Überprüfung der Verteidigungspolitik (CARD), der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) und dem Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) stärken und gleichzeitig EU-Rechtsvorschriften verabschieden, die die Verteidigungsindustrie von den Finanzmärkten ausschließen und ihre allgemeine Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die EU eine strategische Autonomie anstrebt. Darüber hinaus gibt es ernsthafte langfristige strategische Risiken. Denn um eine stärkere europäische Verteidigung aufzubauen und unseren Bürgern eine sichere und stabile Zukunft zu garantieren, brauchen wir eine souveräne und wettbewerbsfähige industrielle und technologische Verteidigungsbasis, die in der Lage ist, modernste Technologien und Verteidigungsfähigkeiten zu liefern. Mit anderen Worten: EU-Bürger und Finanzinvestoren sollten erkennen, dass auch die Verteidi-
Frieden, Sicherheit, Nachhaltigkeit – Beiträge zu einer gesellschaftspolitischen Debatte