Beiträge aus gesellschaftspolitischer Sicht
Anforderungen an eine nachhaltige und resiliente Krisenbewältigung Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und Inhaber des Lehrstuhls „Technik- und Umweltsoziologie“ an der Universität Stuttgart
Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn
Foto: Privat
In den jüngsten Umfragen zu den wichtigsten Problemen in Deutschland gibt es drei eindeutige Spitzenreiter: die Invasion der Ukraine durch Russland, die Corona-Pandemie und die Sorge vor Klimawandel und Umweltschäden. Alle drei Krisen machen die Verwundbarkeit der deutschen Bevölkerung gegenüber globalen Bedrohungen sichtbar.
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ine aktuelle Erhebung aus Österreich (siehe Diagramm) zeigt zudem auf, dass diese Bedrohungen auch als zusammenhängend gesehen werden. Als Konsequenz der Ukraine-Krise sehen viele Menschen die Versorgung mit Energie und Lebensmittel, die Preisstabilität und die wirtschaftliche Stabilität bedroht.
Resilienz – das Zauberwort Die meisten Politikerinnen und Politiker sind sich einig, dass die jetzt aufgetretenen Engpässe vor allem bei der Energieversorgung durch eine Kombination von Diversifizierung von Importen (Stichwort: Lieferketten Souveränität) und einer Beschleunigung der Energiewende, aber auch anderer Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit überwunden werden müssen. Unabhängigkeit von wenigen Exportländern, Mehrfachabsicherung von Lieferketten, Redundanz bei der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, Diversifizierung von Warenströmen und Ertüchtigung der eigenen kritischen Infrastruktur sind nur einige der Forderungen, die als Lehren aus
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den gegenwärtigen Krisen gezogen werden. Das Zauberwort in dieser Debatte heißt „Resilienz“. Resilienz stellt einen wichtigen Aspekt einer nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft dar (Renn 2020; vgl. auch Folke et al. 2016; Biggs et al. 2015). Resilienz wird dabei als Forderung angesehen, die Funktionalität von Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, die für den Fortbestand humaner Lebensbedingungen in Gegenwart und Zukunft entscheidend sind. Sowohl Nachhaltigkeit als auch Resilienz enthalten nach diesem Verständnis die Forderung nach Erhalt von etwas, was dem Gemeinwohl dienlich ist. Das Hauptziel ist die Aufrechterhaltung einer Entwicklung, die sich innerhalb der ökologischen und gesellschaftlichen planetarischen Grenzen bewegt (Randers et al. 2018). Zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Dienstleistungen gehören Stabilität, Friedenssicherung und eine angemessene Infrastruktur, um mit Bedrohungen wie der Corona Pandemie oder Invasionen durch Dritte adäquat fertig zu werden.
Resilienz und Nachhaltigkeit – das Konzept für die Bewältigung von Krisen Dafür stehen die Begriffe Resilienz und Nachhaltigkeit: Im Hinblick auf die Resilienz sollte die Funktionalität kritischer Dienstleistungen auch dann erhalten bleiben, wenn das System unter Stress steht; im Hinblick auf die Nachhaltigkeit sollten menschenwürdige und friedliche Lebensbedingungen für die gegenwärtige Generation und für zukünftige Generationen erhalten bleiben (IRGC 2018). Dazu gehören die Respektierung der Grenzen natürlicher Ökosysteme und Ressourcen, ausrechender Gesundheitsschutz für alle Menschen und das Streben nach friedlichen Formen der Konfliktlösung, aber auch die Gewährleistung einer wehrhaften Demokratie, wenn dieses Streben nach friedlicher Konfliktlösung von anderen untergraben wird (Robertson 2017, S. 3-4). Besonders wichtig ist dabei, eine ausgewogene Politikgestaltung in allen Politikfeldern vorzunehmen. Gefragt ist ein Abgleich nach Effektivität, Effizienz, Resilienz und sozialer Gerechtigkeit unter der Randbedingung der Einhaltung planetarer Grenzen sowie ausreichender inneren und äußeren Sicherheit. Eine nachhaltige Resilienzstrategie erfordert ein proaktives Risikomanagement und eine antizipative Gefahrenvorsorge. Es ist wichtig, mehrere parallele Szenarien zu betrachten, die mögliche Entwicklungen und Kontexte sowohl im Bereich
Frieden, Sicherheit, Nachhaltigkeit – Beiträge zu einer gesellschaftspolitischen Debatte