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E lt e r na l ltag

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Letzte Chance

Text Ursel Nendzig

Ui, das wird knapp. Alle Erziehungsversäumnisse in zwei Wochen nachholen? Soll noch einer sagen, Elternsein sei kein Sport.

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

illustrat ion Nana Mandl

Z

schwungvolles Schließen zwei Holzehn Jahre Elternalltag. Deren Inhalt meine Eltern­ türen dermaßen geschrottet, dass das schaft und deren Inhalt wiederum das Kind ist. In Schloss herausgebrochen ist. Es ist also, zwei Wochen wird es zehn Jahre alt sein, eine wo wir schon dabei sind, dringend nö­Dekade. Ein bisschen flasht mich dabei der Getig, ihm die Benützung von Schnallen danke, dass ich dieses Jahr vierzig werde und damit nahezubringen. Oder gar überhaupt die ein Viertel meines Lebens als Mutter verbracht habe. ganze Empathie? Zieht man die ersten zwanzig Jahre als eigene KindEr hat – nächster Punkt – noch imheit und Jugend ab, bleiben gerade einmal zehn Jahmer kein Gespür dafür entwickelt, wann re, die ich allein, ganz für mich erwachsen war. man einfach einmal – wie man in Wien so Meine wiederum zehn Jahre ältere und auch schön sagt – gusch sein sollte. Wir sagen ­circa zehnmal weisere Schwester hat mir einmal scherzhaft, er könne später problemlos als gesagt, dass man in den ersten zehn Lebensjahren ­Geräusch arbeiten. Es vergeht keine Sekunein Kind erziehen kann. Danach muss man sich de, in der er nicht pfeift, singt, auf seiner Gidrauf verlassen, dass man alles richtig gemacht tarre zupft, Comicgeräusche nachahmt oder hat. Den richtigen Samen gesät hat, sozusagen. mit den Nägeln auf dem Sofakissen kratzt. Man kann dann hie und da etwas korrigieren, Dann gibt es beim Thema Höflichkeit ein hier eine kleine Grenze errichten, dort ein paar unvollendete Baustellen. Er findet es tatbisschen den Rucksack nach Drogen durchsuchen – aber der Job ist im Grunde gemacht. » Man kann dann hie und da Das bedeutet: Mir bleiben zwei Wochen für unvollendete etwas korrigieren, hier eine Erziehungsprojekte am großen kleine Grenze errichten, dort Sohn. Und selbstverständlich gibt es eine Liste dieser Projekte, ein b ­ isschen den Rucksack nach lauter Dinge, bei denen meiDrogen durchsuchen – aber der ne mahnenden/ermutigenden/ Job ist im Grunde gemacht.« erpresserischen Worte bisher einfach nicht und nicht fruchten wollten. sächlich angemessen, »Moin« zu sagen, ganz egal, ob Fangen wir bei der Rücksichtnahme das ältere Pärchen von gegenüber, eine Bankberatean – oder besser deren Fehlen. Das marin oder seine gesamte Volksschulklasse auf Microsoft nifestiert sich zum Beispiel im Gehen, Teams zur Begrüßung bereitsteht. In diesem Projekt das mehr ein maximal lautes Tramwürde ich auch gerne noch das Modul »Kraftausdrücke« peln ist. Ich verstehe nicht, wie ein zu einem moderaten Abschluss bringen. Ich gebe zu, ich Kind, das keine dreißig Kilo wiegt, bin ein beschissenes Vorbild, aber trotzdem muss er ja ein ganzes Haus und alle darin Wohnicht bei jeder verfickten Gelegenheit fluchen! nenden zur Erschütterung bringen Es macht nichts, wir haben ja noch zwei Wochen. Und kann. Das Gleiche übrigens beim zur Not haben wir ja noch einen kleineren Sohn, zweieinTürenschließen. In den zehn Jahhalb Jahre to go, die Zeit läuft. ren seines Lebens hat er durch


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