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Alt, aber gut? Secondhand, Vintage oder einfach nur gebraucht – viele Namen für alte Dinge, die immer beliebter werden. Nostalgie kann gut für Psyche und Umwelt sein – mit Ausnahmen! Text Leonie Stieber
Laut Schätzungen des Umweltbundesamts werden in Deutschland durch Kleidung jährlich insgesamt 80 bis 400 Tonnen Mikropartikel freigesetzt.
Die Clean Clothes Kampagne ist ein weltweites Netzwerk, das sich für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs- und Schuhproduktion einsetzt. cleanclothes.at
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ährend die Musik-Streaming-Dienste weiter NutzerInnen gewinnen. kommt auch ein anderes Medium immer mehr in Schwung: die Schallplatte mit ihrem nostalgisch anmutenden Charme. Das Revival der Schallplatte ist kein Nischenphänomen der Nostalgiker. Sie ist Teil eines Lifestyles, der Haptisches als etwas Exotisches in einer schon stark digital geprägten Umgebung schätzt. Und es ist ein Milliardengeschäft: Während in Deutschland vor neun Jahren rund 700 000 Exemplare verkauft wurden, stieg die Zahl mittlerweile auf 3,4 Millionen. Auch in Österreich hat sich in derselben Zeit der Umsatz durch Schallplatten verfünffacht. Ähnlich wächst auch das Geschäft mit Secondhand-Textilien: laut der Clean Clothes Kampagne, einem weltweit agierenden Netzwerk für eine faire Bekleidungsindustrie, wächst der Markt für Secondhandkleidung über 20 Mal schneller, als der für neu produzierte Kleidung. Und während der analogen Fotografie vor zwanzig Jahren der Tod prophezeit wurde, bringt Kodak mittlerweile wieder neue Filme auf den Markt.
Alt = umweltfreundlich? Einmal vom Charme der Vintage-Welt in den Bann gezogen besteht die Gefahr, alles alte durch die Rosarote Brille zu betrachten. Doch
gebraucht bedeutet nicht immer automatisch nachhaltig. Wie sieht es zum Beispiel bei Textilien aus? Laut einer Studie des Analyseunternehmens Global Data soll der Markt mit gebrauchter Kleidung bis 2029 erstmals das Geschäft mit neuwertiger Kleidung überholen. Eine große Veränderung, denn die Absatzzahlen für Textilien sind enorm: in Deutschland kaufen KonsumentInnen pro Jahr etwa 26 Kilogramm Textilien, davon sind zwölf bis 15 Kilogramm Bekleidung. Deutschland liegt damit weit über dem weltweiten Durchschnitt von acht Kilogramm. Bei Textilien hat vor allem die Herstellung große ökologische und soziale Auswirkungen. Der Einsatz von Pestiziden beim Anbau der global produzierten Baumwolle ist für rund 20 Prozent des weltweiten Insektizid- und Pestizidmarktes verantwortlich, in der Weiterverarbeitung der Baumwolle werden häufige schädliche Chemikalien verwendet, pro Kilogramm Textilien sind das bis zu einem Kilogramm Chemikalien, informiert das deutsche Umweltbundesamt. Allein der Kauf von Textilien und Bekleidung ist in Deutschland für knapp drei Prozent des durchschnittlichen Ausstoßes an Treibhausgasemissionen pro Person und Jahr verantwortlich. Hinzu kommen enorme soziale Missstände in der Textilproduktion.
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