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Waldbewirtschaftung mit Tourismus

In der stark vom Tourismus geprägten Region Oberengadin ist die Waldbewirtschaftung anspruchsvoll. Die Toleranzgrenze für Eingriffe im Wald ist niedrig und die Ansprüche an den Wald sind gross. Wenn dann auch noch die ökologischen Anliegen berücksichtigt werden, bleibt für die eigentliche Arbeit im Wald nur ein kleines Zeitfenster übrig.

Ralf Fluor

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Die Region Oberengadin ist vom Winter- wie auch vom Sommertourismus stark geprägt. Praktisch die ganze Bevölkerung lebt direkt oder indirekt vom Tourismus. Es wird daher verlangt und erwartet, dass lärmige oder sonst störende Arbeiten in der Zwischensaison ausgeführt werden. Dies betrifft neben dem Hoch- und Tiefbau viele andere Unternehmungen und auch die Forstwirtschaft. Am Beispiel der Gemeinde La Punt Chamues-ch, welche stark vom Tourismus geprägt ist und in der Mitte zwischen dem schillernden Tourismusort St. Moritz und dem Totalreservat Schweizerischer Nationalpark liegt, werden die Auswirkungen des Tourismus auf die Waldbewirtschaftung aufgezeigt.

Allgemeines zur Gemeinde La Punt Chamues-ch

Einwohner 700 Personen Einwohner und Gäste in der Hoch3500 Personen saison * Zweitwohnungen 850 Wohnungen Gesamtaufwand Gemeinde 2018 Fr. 9602377.–Ertragsüberschuss Gemeinde 2018 Fr. 888267.–Aufwand der Gemeinde für TourisFr. 1070355.–mus 2018 – (darin nicht enthalten sind die Aufwände der Destination Engadin/St. Moritz und des Vereins La Punt Ferien) *Hochsaison: Juli und August, erste Hälfte Oktober, Weihnachten-Neujahr, Februar bis Mitte März und je nach Datum über Ostern. Praktisch leer ist das Dorf im Mai und im November.

Hauptaufgaben des Forstamts La Punt Chamues-ch/Madulain

–Pflege der Schutzwälder, der Jungwaldflächen, der Erholungswälder sowie der speziellen

Bio diversitätsflächen der Gemeinden La Punt

Chamues-ch und Madulain. –Holzproduktion: Das jährlich nachwachsende feinjährige Gebirgsholz soll genutzt werden (nachhaltige Nutzung). –Unterhaltsarbeiten an forstlichen Wegen und Strassen, Lawinenverbauungen, Auffangbecken, Unwetterleitdämmen und weiteren

Infrastrukturen. –Überwachung und Entfernung der invasiven

Neophyten (Riesenbärenklau, Lupinen usw.).

Der Revierförster ist Ansprechperson für invasive Neophyten KAFIN. –Naturgefahren: Der Revierförster ist Naturgefahrenberater LNB der Gemeinden, Obmann des Lawinendiensts und Mitglied des Gemeindeführungsstabs. – Politische Gemeinden, Tourismus und Erholung:

Das Forstamt stellt den politischen Gemeinden gegen Verrechnung Forstarbeiter zur Verfügung für die Mitarbeit beim Gemeindestrassenunterhalt, bei der Schneeräumung, beim Abfallwesen, bei der Wasserversorgung, beim Unterhalt der

Brücken und Alpen, der Friedhöfe, beim

Unterhalt von touristischen Infrastrukturen (Wander- und Bikewege, Grillstellen, Spielplätze,

Produktion von Kunstschnee, Eisplätze, Langlauf

Organisation Forst- Werkdienst La Punt Chamues-ch / Madulain

Gemeinde Madulain Gemeindevorstand (Betrieblich und Administrativ) Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden (Fachtechnisch) Gemeinde La Punt Chamues-ch Gemeindevorstand (Betrieblich) Personalchef (Administrativ)

Operativ

Forst- und Werkamt La Punt Chamues-ch / Madulain Ralf Fluor Betriebsleiter/Revierförster

Werk- und Forstamt Madulain Forstwarte Waldarbeiter Gemeindearbeiter

Forstrevier Unternehmer Akkordanten Militär/Zivilschutz/Schulen Forstamt La Punt Chamues-ch Forstwart-Vorarbeiter Forstwarte und Lernende Unternehmer

Abbildung 1: Organigramm des Forst- und Werkamts La Punt Chamues-ch/Madulain

Werkamt La Punt Chamues-ch Strassenmeister/Brunnenmeister Gemeindearbeiter Unternehmer

(Bild: Forstamt La Punt)

loipen etc.) sowie für touristische Events wie

Konzerte, Festanlässe und dergleichen. Das Forst- und Werkamt besteht personell aus einem Revierförster/Betriebsleiter, einem Forstwart-Vorarbeiter, einem Werkmeister, einem Brunnenmeister, drei Forstwarten, zwei Gemeindearbeitern und zwei Forstwart-Lernenden (Abbildung 1).

Auszug aus den Zielsetzungen des Betriebsplans des Forstamts

Tourismus/Erholung sowie Natur- und Landschaftsschutz: –Die Wälder stellen für den Besucher ein gutes

Beispiel für den nachhaltigen Umgang mit der

Natur dar. –Der Waldbesucher ist zufrieden und fühlt sich im Wald sicher und wohl. –Die Schäden durch den Tourismus werden minimiert. –Die negativen Auswirkungen des Tourismus werden auf wenige Standorte konzentriert. –Die bestehenden Wald- und Wildschonzonen werden erhalten und die nötigen Kontrollen durchgeführt. –Äste an Wanderwegen werden geräumt (sofern die Finanzierung gesichert ist). – Rücksichtnahme bei der Durchführung von

Holzschlägen. –Der Natur- und Landschaftsschutz wird bei der forstlichen Pflege berücksichtigt. –Die Wälder der Gemeinde La Punt Chamues-ch weisen eine hohe ökologische Artenvielfalt auf. – Die Artenvielfalt bezüglich Fauna und Flora ist zu erhalten und wo möglich und sinnvoll zu erhöhen. –Förderung und Pflege von Trocken- und Feuchtstandorten. – Stehen lassen von Alt- und Totholz (mind. 10 Bäume pro ha). –Stehen lassen von Spechtbäumen. –Rücksichtnahme bei Holzereiarbeiten während der Brut- und Setzzeit.

Abbildung 2: Das Forstamt bietet etliche Exkursionen und Führungen an. (Bild: La Punt Ferien)

–Führungen, Exkursionen, Informationsveranstaltungen durchführen (Abbildung 2).

Grosse Ansprüche an den Wald

Der Wald soll möglichst naturnah, mit standortgerechten Baum- und Straucharten und mit Naturverjüngung gepflegt und bewirtschaftet werden. Auf die Brut- und Setzzeit sowie auf die Fauna und Flora ist Rücksicht zu nehmen. Zusammen mit den Anforderungen bezüglich Tourismus hat dies zur Folge, dass während folgenden Zeiten gar nicht oder nur beschränkt im Wald gearbeitet werden kann: –April–Juni (Brut- und Setzzeit, Vegetation) –Juli und August, Oktober bis nach den Herbstferien, ab Mitte Dezember bis Mitte März (Tourismus) –Mai bis Mitte Oktober: Wälder in der Nähe des

Nationalparks (Tourismus) –August und September: Pilzsammler und Jagd –Erst ab Mitte Oktober kann rationell und sicher gearbeitet werden. Dies jedoch lediglich bis zum ersten grossen Schneefall. Sehr oft schneit es im

November, sodass viele Arbeiten nicht mehr möglich sind oder mit Mehraufwand gerechnet werden muss. In dieser kurzen Zeit können die Arbeiten nicht bewältigt werden. Die Holzschläge werden daher ganz in den Winter verschoben. Dies ist teurer und mühsamer, aber aus ökologischer Sicht besser. Die Gemeinden sind bereit, die Mehrkosten zugunsten des ökologischen Mehrwerts und der geringeren Störungen in der touristischen Hochsaison zu übernehmen. Alle Wälder können jedoch nicht im Winter bewirtschaftet werden. Die steilen oder abgelegenen Wälder müssen in der schneefreien Zeit gepflegt werden. In diesen Gebieten wird nach der touristischen Hochsaison mit den Arbeiten begonnen. Die Bewirtschaftung erfolgt falls möglich mit dem Seilkran. Der Helikopter wird lediglich eingesetzt, wenn es aus Kostengründen sinnvoll und aus Zeitgründen notwendig ist.

Wälder beim Schweizerischen Nationalpark

Die Gemeinden des Forstreviers La Punt Cha muesch/Madulain besitzen steile und abgelegene Wälder am Eingang zum Nationalpark in der Val Trupchun, welche nur während der schneefreien Zeit bewirtschaftet werden können. Genau in diesem Zeitraum ist der Nationalpark geöffnet und Scharen von Leuten marschieren durch diese Wälder, um in den Nationalpark zu gelangen. Die Nationalparkbesucher verstehen nicht, dass ausserhalb des Nationalparks der Wald bewirtschaftet wird und nur wenige Meter weiter hinten ein totales Bewirtschaftungsverbot gilt und nicht mal eine Blume gepflückt werden darf. Ein Eingriff im Wald an der Grenze zum Nationalpark muss daher besonders

schonend und massvoll mit grosser Rücksicht auf die Natur erfolgen. Bei Holzseilarbeiten in der Nähe des Nationalparks muss ganz besonders gut informiert werden. Plakate und Infoblätter müssen mehrsprachig sein (Deutsch, Italienisch und Englisch). Oft genügen auch diese nicht und werden kaum gelesen. An besonders stark frequentierten Tagen wird ein Mitarbeiter (Praktikant) am Hauptweg zur Verfügung gestellt, welcher vor Ort informiert und Auskunft geben kann. Dies ist zwar teuer, vermeidet jedoch verärgerte Parkbesucher und verhindert böse Leserbriefe in der lokalen Presse.

Nachteile des Tourismus für die Waldbewirtschaftung

Die allermeisten Gäste wollen die Natur geniessen, erleben und sich darin möglichst ungestört bewegen. In Umfragen werden eine intakte Natur, eine gepflegte Kulturlandschaft und schöne Berge als Reisemotiv ins Engadin angegeben. Zudem werden Landschaften als schön taxiert, wenn sie mys

Abbildung 3: Forstschlepper als Geschenk von einem Gast aus La Punt Chamues-ch.

(Bild: Gemeinde La Punt Chamues-ch)

tisch erscheinen und eine gewisse Wildheit aufweisen. Wie zum Beispiel ursprüngliche Moorgebiete, wilde Flussauen oder naturnahe Wälder. Eigentlich entsprechen die Vorstellungen des Gasts ziemlich genau den Zielen des Forsts für einen naturnahen Waldbau. An der Umsetzung hapert es dann: Die Gäste verstehen oft nicht, dass auch ein naturnaher Wald das Produkt einer Bewirtschaftung ist. Eine lärmige Waldbewirtschaftung mit grossen Maschinen stört grundsätzlich und soll möglichst vermieden werden. Wenn schon im Wald gearbeitet werden muss, dann soll dies in der touristischen Zwischensaison erfolgen. Handkehrum will der Gast punkto Sicherheit kein Risiko eingehen müssen. Der Wald soll vor Steinschlag, Murgängen und Lawinen schützen. Der Gast erwartet, dass er immer und uneingeschränkt die touristische Infrastruktur benutzen kann, unabhängig von Schneehöhe, Regenmenge und Schaden gefahr.

Vorteile des Tourismus für die Waldbewirtschaftung

Direkte Vorteile sind uns keine bekannt. Indirekt ist die gute Finanzlage der Gemeinden, welche in erster Linie dem Tourismus zu verdanken ist, auch für die Waldbewirtschaftung von grossem Vorteil. So können viele Arbeiten schonender ausgeführt werden, weil weniger finanzieller Druck besteht. Beispielsweise können ökologisch sinnvolle Arbeiten trotz höheren Kosten ausgeführt werden, Seillinien können so angelegt werden, dass sie fürs Auge weniger stören und wenn es pressiert, kann der Helikopter für Holztransporte eingesetzt werden. Dank der guten Finanzlage sind so Schutzbauten, Waldwege und weitere Infrastrukturen stets gut unterhalten. Im Weiteren erlaubt dies die nötigen Maschinen und Geräte anzuschaffen und mehrere Lernende und Praktikanten werden ausgebildet und Ganzjahresstellen können angeboten werden. Ein weiterer Vorteil einer Tourismusgemeinde: Ein ehemaliger Gast, welcher heute Zweitwohnungsbesitzer in La Punt Chamues-ch ist, hat dem Forst amt einen neuen Forstschlepper geschenkt (Abbildung 3).

Ralf Fluor ist Revierförster der Gemeinden Madulain und La Punt Chamues-ch.

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