KONTOVERS VIDEOÜBERWACHUNG
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KONTROVERS
ie Videoüberwachung des öffentlichen Raums ist immer ein Streitthema. Auch in Freiburg, wo nun schon seit einem Jahr 16 neue Kameras hängen. Die Ausweitung der Videoüberwachungszone umfasst die Bereiche des „Bermudadreiecks“ sowie die untere Bertoldstraße zwischen Theater und Stadtbahnbrücke. Geplant ist das – zwischen 22 und 6 Uhr – schon lange. Wegen Corona und nächtlichen Ausgangssperren fehlt derzeit aber die Rechtsgrundlage zum Scharfschalten. In unserer neuen Rubrik „KONTROvers“ argumentieren jeweils Protagonisten aus zwei Lagern.
»IRRATIONALE ÄNGSTE«
WARUM SERGIO PAX NOCH MEHR BIG BROTHER FALSCH FINDET
Foto: © Felix Groteloh
Wir als JUPI Fraktion im Freiburger Gemeinderat verurteilen die Anbringung der Überwachungskameras in der Freiburger Innenstadt. Für eine offene und freie Gesellschaft sind Bürgerrechte essenziell. Jede Bürgerin und jeder Bürger Freiburgs hat ein Recht auf Privatsphäre und dies gilt auch im öffentlichen Raum. Dieses Grundrecht wird durch die Überwachung in Teilen der Innenstadt nun zugunsten von einer vermeintlichen Sicherheitsutopie eingeschränkt. Ich sage bewusst vermeintlich, denn die Wirksamkeit von Überwachungskameras,
Sergio Pax, Stadtrat, stellvertretender Vorsitzender der JUPI-Fraktion im Rathaus
14 CHILLI FEBRUAR 2021
um schwere Straftaten zu verhindern, ist wissenschaftlich umstritten. Einzig sicher ist, dass die Aufklärung von solchen in Einzelfällen durch Videoüberwachung verbessert werden kann. Doch Strafverfolgung ist ein sensibles Thema, an diesem Punkt sehen wir den Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte durch die Polizei nicht gedeckt von dem erhofften Effekt auf eine bessere Sicherheitslage. Freiburg ist statistisch gesehen eine sichere Stadt. Auch wenn jede Straftat eine zu viel ist, bleibt die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer eines Verbrechens zu werden, sehr gering. Dieses Auseinanderklaffen von statistischen Zahlen und gefühlter Realität sollte wieder mehr im Fokus kommunalpolitischer Anstrengungen stehen. Denn eine Gesellschaft ohne Kriminalität ist eine konservative Utopie und ein gängiges populistisches Wahlversprechen. Wir würden uns hier von den selbsternannten Retter*innen des Rechtsstaates mehr Ehrlichkeit wünschen. Ein Blick in die Kriminalitätsstatistik zeigt, in den letzten zehn Jahren gab es immer wieder Jahre mit mehr und
auch mit weniger Straftaten. Zu einem Rechtsstaat gehört auch elementar die Unschuldsvermutung dazu. Mit einer flächendeckenden Überwachung wird erstmal jede*r, der sich in dem Sichtfeld der Kameras bewegt, als potenziell Verdächtigte*r geführt. Dies ist mit unserem Begriff eines liberalen Rechtsstaates nicht vereinbar. Gegen Ängste hilft nur Aufklärung. Diese Aufklärung erreicht der Staat allerdings nicht, wenn er kontinuierlich auf repressive Maßnahmen setzt. Denn so bestätigt er die oft irrationalen Ängste vieler unserer Mitbürger*innen, anstatt diese durch einen Abgleich mit der faktischen Realität zu zerstreuen. Eine verantwortungsbewusste Politik muss die Motive für kriminelles Handeln in den Fokus nehmen. Videoüberwachung ist teuer, die Gelder, die hier ausgegeben werden, wären in Maßnahmen, die nachhaltig kriminelle Karrieren verhindern können, wie Sozialarbeit, der Prävention von Armut und besserer Bildungsangebote, weitaus sinnvoller angelegt. Sergio Pax