chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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Ausgabe März 17. Jahrgang / #165

STREBEN NACH NORMALITÄT Wie eine Regenbogenfamilie in Freiburg ihr Glück findet

KONTROVERS

Kultur nur für Geimpfte? Politiker gegen Pfarrer

KRIMINELL

Corona verhindert Straftaten

KURIOS

Freiburg als Hotspot für Radlercrashs

mit W IR T S C H A F T M A G A ZI N S bib



CHILLI EDITORIAL

GLÜCK, TRÄNEN, MUSKELKATER

ÜBER REGENBOGENFAMILIEN, EMPÖRTE STUDIERENDE UND BRENNENDE BEINE Liebe Leserin & lieber Leser,

Foto: © iStock.com/ David_Sch

das genauer angeschaut. Mit der Lupe hingeguckt die Ehe für alle war 2017 ein Meilenstein für hat auch Volontärin Liliane Herzberg. Ihr Artikel gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland. zeigt: Freiburg ist landesweit die Nummer eins Gleichgestellt in allen Bereichen sind solche Lebei Radunfällen. Experten sagen: Schuld daran bensgemeinschaften dennoch nicht. Das zeigt sind oft die Radler•innen selbst. ein Blick nach Niedersachsen. Dort kämpfen zwei Aufs Rad geschwungen hat sich auch Redakteur Mütter vor Gericht darum, dass beide in die GeTill Neumann und sich sich einen Tag lang als burtsurkunde ihres Kindes eingetragen werden Velokurier probiert – beim gleichnamigen Lieferkönnen. Möglich ist für die nicht leibliche Mutter dienst in Freiburg. Sechs bisher nur der aufwendiStunden transportierte ge Weg einer Adoption. er Päckchen quer durch Heterosexuelle Paare köndie Stadt – im ständigen nen indes doppelt in die Funkkontakt mit den Geburtsurkunde – selbst Kollegen. Anfangs gab’s wenn ein Teil nicht leiblizwei knackige Bergetapcher Vater oder Mutter ist. pen. Am Ende musste er Wie geht es RegenboTribut zollen, als er sich genfamilien in Freiburg ans Hinterrad des Velokudamit? Das hat uns rier-Chefs hängen wollte. eine solche beim SpaAußerdem ans Herz leziergang am Stadtrand Rasant: Radelnde leben in Freiburg gefährlich. gen wir Ihnen die zweierzählt. Die zwei Mütter te Folge unsere Kontrovers-Reihe. Dieses Mal hatten ihren Sohn dabei und haben kurz vor wird gestritten um die Frage: Soll es Privilegien Redaktionsschluss ihr zweites Baby bekommen. für Geimpfte und Getestete geben, um einen Geholfen hat ihnen dabei ein Freund, der mit Kulturneustart zu ermöglichen? Kulturbürbemerkenswerter Offenheit im chilli-Interview germeister Ulrich von Kirchbach tritt gegen berichtet, wie es ist, Vater von Kindern zu sein, Dompfarrer Christoph Neubrand an. Außerdem die zwei Mütter haben. gehen wir dem Mythos MPU auf den Grund. Deutlich weniger Harmonie gibt es rund ums Wie fies sind die Medizinisch-Psychologischen Prüfungsamt der Uni Freiburg. Ein StudierendenUntersuchungen, um den Führerschein wiederverband hat ein 37-seitiges Dokument vorgelegt zubekommen? Zwei Verkehrssünder berichten mit anonymisierten Aussagen Studierender, die exklusiv in diesem Heft. von Erlebnissen mit dem Prüfungsamt berichWir wünschen anregende Lektüre. Bleiben Sie, ten: Von Machtspielchen und Beleidigungen ist bleibt uns gewogen. Und zuversichtlich. dort die Rede. Redakteur Philip Thomas hat sich

Herzlichst, Ihr Till Neumann, Redakteur & die chillisten

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CHILLI INHALT

Foto: © pt

Foto: © privat

HEFT NR. 2/21 10. JAHRGANG

> 10-12 Familienglück: Der kleine Jasper

> 22-23 Ein Tag als Radkurier: Redakteur

hat gleich zwei Mamas und einen Papa.

Till Neumann versucht sich als Velotaxi.

IN EIGENER SACHE

ANALPHABETEN

EDITORIAL

3

GASTKOLUMNE FLORIAN SCHROEDER MEHR KOLUMNEN

7 24, 47, 50

TITEL RAINBOW FAMILYS

10-12

Wie eine Freiburger Familie auf mehr Gleichstellung pocht

FREIBURG

KULTUR TROTZ CORONA

16-17

TRÄNEN IM TREPPENHAUS

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LEBEN MIT TINNITUS

Immer mehr junge Menschen leiden an Ohrensausen – auch eine junge Freiburgerin

IMPRESSUM chilli – Das Freiburger Stadtmagazin

chilli Freiburg GmbH

Paul-Ehrlich-Straße 13, 79106 Freiburg fon / Redaktion 0761-76 99 83-0 fon / Anzeigen 0761-76 99 83-70 fon / Vertrieb 0761-76 99 83-83 www.chilli-freiburg.de

E-Mail für Online- / Printredaktion redaktion@chilli-freiburg.de

Geschäftsführerin (V.i.S.d.P.) Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de

Chefredaktion

Lars Bargmann (bar): bargmann@chilli-freiburg.de

19

JÜRGEN RÖSCH ENTDECKT ROSTIGE RELIKTE

Musik

Festivals

DUO WILLMAN STARTET BELA GURATH ÜBER DEN ENTSCHLEUNIGT PLAN B FÜRS SEA YOU

> 38-49 cultur.zeit: News aus Freiburg

22-23

zu Kultur, Musik, Literatur und Leinwand

RISIKO FÜR RADLER

24-25

REISE

Wie ist es als Velokurier? chillist liefert einen Tag Päckchen per Rad Freiburg verzeichnet die meisten Fahrradunfälle im Land

„BIS SPÄTI“ VOR DEM AUS

28

Dem Nachtkiosk im Stühlinger droht nicht nur ein Alkoholverkaufsverbot

NACHHALTIGKEIT Freiburger Forscher Stefan Pauliuk über nachhaltiges Leben

29

„EINFACH SELBSTBETRUG“

30-31

GEMÜSE-ABO

32-33

Rainer Grießhammer im chilli-Interview

Gartencoop und Regionales: Alternative Konzepte Redaktion

Till Neumann (tln): neumann@chilli-freiburg.de Philip Thomas (pt): philip.thomas@chilli-freiburg.de Tanja Senn (tas): senn@chilli-freiburg.de Liliane Herzberg (herz): herzberg@chilli-freiburg.de

Kulturredaktion

Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de Erika Weisser (ewei): weisser@chilli-freiburg.de Maria Schuchardt (mas): schuchardt@chilli-freiburg.de

Autoren

Heide Bergmann, Maja Bruder (mab), Ulrich von Kirchbach, Christoph Neubrand, Arwen Stock

Gastkolumnisten

Florian Schroeder, Ralf Welteroth

34-36

DRESDEN-GUIDE

26-27

„DIE GROSSEN VIER“

Studierendenverband erhebt schwere Vorwürfe gegen Prüfungsamt

Kultur

BIS DIE BEINE BRENNEN

Wie fies sind die berüchtigten MPUs? Zwei Betroffene berichten

14-15

Kulturbürgermeister und Dompfarrer über Privilegien für Geimpfte

SZENE

MYTHOS „IDIOTENTEST“

CRIME-CITY

Weniger Straftaten auf der Straße, mehr im Internet

20-21

Wie sich Menschen durchschlagen, die nicht lesen und schreiben können

Ein Gang durch die charmante sächsische Hauptstadt

cultur.zeit KULTUR

38-43

MUSIK

44-47

LITERATUR

48-49

Interview mit Bela Gurath über Sea You / Groschengräber am Wegesrand / Massive Raumnot bei der Freiburger Musik­schule / DVD-Tipps / Kulturnotizen Das Elektro-Pop-Duo Willman, 3 Fragen an Rapper Cossu, CD-Tipps Marie T. Martin, Bücher-Tipps

Fotograf Jürgen Rösch Lektorat Beate Vogt Grafik

Druck & Belichtung

Hofmann Druck, Emmendingen

Themenheft dieser Ausgabe

Miriam Hinze (Leitung), Julia Rumbach, Tatjana Kipf

Business im Breisgau

Titel iStock.com/ADragan cultur.zeit Titel © Jürgen Rösch Bildagenturen iStock, pixelio,

14. April 2021

freepik, unsplash

Anzeigenannahme per E-Mail anzeigen@chilli-freiburg.de

Anzeigenberatung

Christoph Winter (Leitung), Jennifer Patrias, Maria Schuchardt, Giuliano Siegel, Fredrik Frisch

Nächster Erscheinungstermin Ein Unternehmen der

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SCHWARZES BRETT

»DAS IST HERZENSARBEIT«

Foto: © Mona Mahmud

Tigrinya, Amharisch oder auch Arabisch: Ahmed Yasin beherrscht insgesamt sieben Sprachen. Von Beruf ist der Freiburger Dolmetscher und hilft traumatisierten Jugendlichen. Mit seiner Arbeit möchte der 55-Jährige Gutes tun und denen helfen, die alles verloren haben. Manchmal ist das hart. Aber wenn er sieht, was er bewirken kann, weiß er, warum er seinen Job gerne macht. „Ich bin in der Hafenstadt Mas­ saua in Eritrea geboren, die war erst Teil der italienischen Kolonie, dann unter britischer Verwaltung und dadurch sehr international. Deshalb bin ich mehrsprachig auf­ gewachsen. Meine Mutter hat Tigrinya gesprochen, mein Vater Tigre, die offizielle Sprache war Amharisch, die in der Schule Arabisch. Das war eine kleine internationale Insel, da waren viele Griechen, Italiener, Engländer, Araber, viele gestrandete Seemänner. Mein Großvater war dort Gouverneur, der hat entdeckt, dass ich sprachbegabt bin und er hat mich unterstützt. Dann gab es Krieg und wir sind gejagt worden. Deshalb wurden wir Flüchtlinge, wir sind nach Italien geflohen und dann nach Deutschland. Wir wurden hier willkom­ men geheißen, uns wurde viel geholfen, und seit 1984 leben wir hier. Jetzt dolmetsche ich vor allem die afrikanischen Sprachen Tigrinya, Tigre, Amharisch und Arabisch. Neben dem Hoch­ arabisch und Schriftarabisch spreche ich auch verschiedene Dialekte der Volkssprache. Jedes Land hat seinen eigenen

Slang. Das habe ich mir über die Zeit hinweg beigebracht. Meistens arbeite ich in Psychi­ atrien und Krankenhäusern mit unbegleiteten Jugendlichen, die viel Schlimmes durchlebt haben. Die Leute haben mehr oder weni­ ger die Hölle erlebt. Viele sind mit Albträumen belastet, haben Kon­ zentrationsprobleme, mit ihnen arbeite ich gerne. Die Deutschen sind sehr hilfsbereit, die Ärzte auch, aber es fehlt die Sprache. Und die Jugendlichen wollen ihre Probleme und ihren Schmerz er­ zählen, aber sie können nicht. Da habe ich meinen Platz gefunden. Für mich ist das Herzensarbeit. Ich finde es toll, wenn ich sehe, dass es ihnen besser geht und sie jetzt zur Schule gehen und unterwegs sind. Das macht mir die größte Freude, die ich überhaupt empfinden kann. Manchmal habe ich auch gedacht, ich schaffe das nicht, wenn ich gesehen habe, wie am Ende sie manchmal sind. Aber dann sehe ich sie wieder umherspringen und lachen vor Freude und mit Freunden. Dann fühle ich, dass ich was Gutes gemacht habe. Ich mache das gerne. Natürlich. Es gab Jugendliche, die sind durchgedreht, die kamen mit niemandem mehr klar. Diese Jugendlichen haben alles verloren, die kennen nie­ manden, können die Sprache nicht und das Einzige, wor­ an sie sich klammern, bin ich. Weil ich die Sprache kann, weil ich ihre Probleme fühle, weil ich ähnlich aussehe, auch geflüchtet bin. Die wollen keine anderen Dolmet­ scher, sondern nur mich. Sie vertrauen mir.“ Aufgezeichnet von Liliane Herzberg

PUTZIGE MÜLLROBOTER

Jeder sieht, was er sehen möchte. Die einen entdecken hier auf dem Foto ei­ nen stinknormalen Wagen der Freibur­ ger Abfallwirtschaft, in dem unser Müll abtransportiert wird. Die anderen se­ hen zwei putzige Kerlchen, die uns fra­ gend anschauen, als würden sie sagen wollen: „Mach hinne, wo bleiben die nächsten Mülltonnen? Wir haben Hun­ ger!“ Der herzerwärmende Aufräum­ 6 CHILLI MÄRZ 2021

roboter Wall·E lässt grüßen. Irgendwie sehen die beiden ja aus wie zwei Ge­ schwister des fleißigen Filmstars. „Der Letzte räumt die Erde auf“, hieß es in dem grandiosen Animationsstreifen aus dem Jahr 2008. So menschenleer wie im Film ist Freiburg trotz Lockdown schönerweise nicht. Aber man weiß ja aktuell auch nicht, was morgen oder übermorgen alles passiert. tln

Foto: © tas


SCHWARZES BRETT

NACHGEWÜRZT!

VORSICHT, BAUM

SCHNELLTESTS BEIM DISCOUNTER

Foto: © pt

Corona-Schnelltests gibt es jetzt bei Aldi und Lidl! Wenn das so wei­ tergeht, heißt es bald: In jedem siebten Ei ist ein Coronatest dabei! Und zwar noch bevor Jens Spahn sie hat. Vielleicht ist es besser so – denn was Jens Spahn hat, das hat so schnell niemand außer ihm. Vielleicht weiß er aber auch nichts von Schnelltests beim Discounter, weil er noch auf die bei Manufactum wartet. Es gibt sie noch, die gu­ ten Dinge, aber halt nicht aus dem Gesundheitsministerium. Oder liegt es nur daran, dass Spahn sich nicht in die Niederungen der Schnelltestbeschaffung begeben möchte, sondern das lieber den Kommunen überlässt? Sollen die sie doch beim Discounter kaufen. Ist doch schön, wenn der Markt das regelt. Dann muss er es nicht machen. Seiten Ankündigung war, es gäbe ab dem 1. März kostenlose Schnelltests für alle. Jetzt sind sie, na ja, nicht ganz kostenlos, und es gibt auch keine, denn so gut regelt der Markt auch wieder nicht: Die Dinger waren natürlich sofort vergriffen. Hoffentlich gibt es noch Klopapier, das trocknet immerhin die Tränen. Spahns Verteidigung: Von Einkaufen sei ja nie die Rede gewesen, er habe nur die Kontingente gesichert. Vielleicht eine Strategie für Sie, wenn Ihre Frau Sie das nächste Mal fragt, ob Sie Einkaufen gewesen seien, einfach zu antworten: Nein, aber ich habe uns die Kontingente gesichert. Vielleicht ist es ja die Strategie der Regierung, nach Schulen und Büros nun auch noch Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken direkt in die Wohnungen zu verlegen, sodass bald jeder eine kleine eigene Stadt zu Hause hat: das kleine Home-Hospital neben der Ho­ me-School und dem Home-Office. Wäre nur schade, wenn die Hospitals dann genauso schlecht funk­ tionieren wie das Schooling, denn Kinder, die nichts gelernt haben, sind kurzfristig weniger gefährlich als Patienten, die sich falsch diag­ nostizieren und für gesund halten, es aber nicht sind. Oder man un­ terrichtet die Kinder direkt im Supermarkt, da gäbe es ja auch noch Desinfektionsmittel, Masken und sogar funktionierende Toiletten. Immerhin begeben sich die Maskenbeschaffer Nikolas Löbel und ­Erich Nüßlein jetzt in politische Quarantäne, nachdem sie positiv auf Korruption getestet wurden. Beide haben ihre Ämter niedergelegt, also ganz anders als Jens Spahn, der sich zwar auch aus der Politik zu­ rückgezogen hat, aber weiter Gesundheitsminister bleiben möchte.

„Meine Tage sind gezählt“, klagt dieses Ge­ wächs im Freiburger Metzgergrün. Die ins Leben gerufene Interessengemeinschaft schließt sich dem Protest mit großen Trans­ parenten an ihren kleinen Häuschen an. Wie auch der Baum sollen die Anwesen im Stadtteil Stühlinger abgerissen und für Verdichtung genutzt werden. Entstehen sollen dort einmal 550 Wohnungen in bis zu viergeschossigen Gebäuden für insgesamt 1100 Menschen. Erste Bäume mussten dem Bauprojekt unter der Aufsicht der Freibur­ ger Stadtbau bereits weichen. Die IG spricht von einem „Blitzangriff“. pt

Foto: © tas

RIESIGES FREIBURG

Foto: © Privat

Freiburg wächst, das weiß jeder. Dass wir jetzt aber schon direkt an den Kreis Lörrach rangexpandiert sind, war der Redaktion nicht bekannt. Zumindest lässt dieses Schild – foto­ grafiert im Stadtteil Hochdorf – es vermuten. Das Kuriose daran: Die Rückseite ist richtig beschriftet. Wo man so steht im Leben? Es bleibt eine Frage der Perspektive. tln

Florian Schroeder, Kabarettist, studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.

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Foto: © privat

MODERNES LEBEN

Eine Familie: Elisa und Gerusa Dürr mit ihrem Sohn Jasper und dem Vater Rudolf Heeg. Die drei leben bei Freiburg. Er in Bonn.

EIN KIND, DREI ELTERN WIE EINE REGENBOGENFAMILIE IHR GLÜCK FINDET von Till Neumann

J

asper hat zwei Mütter und einen Vater. Der Eineinhalbjährige wächst bei Freiburg in einer Regenbogenfamilie auf. Seine Mütter sind lesbisch. Sie haben nach intensiver Suche den für sie idealen Vater gefunden. Dem chilli erzählen die drei Eltern, wie sie das Babyglück teilen und nach Normalität streben. Möglich ist das aber nicht immer. Vor wenigen Tagen ist ihre Familie weiter gewachsen. Mit einer fast unglaublichen Parallele. 10 CHILLI MÄRZ 2021

Eine Mutter schiebt den Kinderwagen, die andere ist hochschwanger. Beide sind ein Paar, verheiratet und ziemlich entspannt an diesem sonnig-kühlen Februar-Nachmittag in Stegen. Elisa Dürr (30) und Gerusa Dürr (36) leben dort vor den Toren Freiburgs als Regenbogenfamilie. So nennt man gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern. Kennengelernt haben sie sich 2010 in Schottland. Die Deutsche und die Brasilianerin verliebten sich, wurden ein

Paar. Nur ein Jahr lang waren sie seitdem getrennt. Geheiratet haben sie gefühlt schon zweimal: 2017 mit einer eingetragenen Partnerschaft. Ein Jahr später dann mit der frisch eingeführten Ehe für alle. „Bei beiden Terminen war es dieselbe Standesbeamtin“, erzählen die beiden und lachen. Ihr Sohn Jasper schläft derweil seelenruhig im Kinderwagen. Seit fast eineinhalb Jahren haben sie ein gemeinsames Kind. Jasper wurde


MODERNES LEBEN

durch eine Samenspende gezeugt. Für Elisa und Gerusa ist klar: „Er hat zwei Mütter und einen Vater.“ Eintragen lassen konnten sie das in die Geburtsurkunde aber nicht. „Das war schon ein komisches Gefühl, wir sind doch verheiratet“, erzählt Gerusa, der das verweigert wurde. Das Gesetz macht eine solche Eintragung für die nicht leibliche Mutter unmöglich. Bis jetzt. In Niedersachen kämpft ein lesbisches Paar um die Gleichstellung mit heterosexuellen Paaren. Denn die können beide Partner in die Geburtsurkunde eintragen lassen – selbst wenn das Kind durch die Samenspende eines Dritten entstanden ist. Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) setzt sich dafür ein. „Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Familien“, sagt Pressesprecher Markus Ulrich. Keine Familie dürfe wegen der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines ihrer Mitglieder diskriminiert werden. „Langwierig und oft entwürdigend“ sei das Verfahren der Stiefkindadoption.

»DAS BISSCHEN ABCHECKEN WAR MERKWÜRDIG« Aus Mangel an Alternativen wählten die Dürrs diesen Weg dennoch. Ein paar hundert Euro habe das gekostet, berichtet Gerusa. Vor allem der Zeitaufwand hat sie gestört. Eine Menge Formulare musste sie ausfüllen und gleich dreimal zum Arzt für einen Komplettcheck. Zudem war eine Frau vom Jugendamt bei ihnen zu Hause, um sich ein Bild von ihrem Leben zu machen. „Ich hatte Angst, dass sie eine Sache findet, die nicht passt“, berichtet Elisa. „Das bisschen Abchecken war schon merkwürdig.“ Mit der Geburt des gemeinsamen Sohnes hat sich die 30-Jährige einen Wunsch erfüllt. „Das war ihr größter Traum“, sagt Gerusa über ihre Frau. Die gebürtige Brasilianerin ist sechs Jahre älter und hat Elisa dennoch den Vortritt gelassen. „Die Entscheidung ist nicht einfach“, berichten die beiden. „Ich wäre so neidisch gewesen, wenn sie es bekommen hätte“, ergänzt Elisa. Sich in die Doppelmutterrolle reinzufinden, war ein Lernprozess. „Man muss flexibel sein, die Gedanken frei machen“, betont Gerusa. Sie hatte bisher nur Beziehungen zu Frauen und wollte schon immer Kinder. „Ich wusste nur nicht wie.“ Elisa hingegen hatte auch schon Gefühle für Männer. Sie findet den Begriff lesbisch gewöhnungsbedürftig. „Ich bin einfach Elisa.“ Die Suche nach dem richtigen Vater war kein Kinderspiel: Eine anonyme Samenspende kam für die beiden Mütter nicht in Frage. „Das wusste ich schon immer“, erzählt Elisa. Denn dann könne das Kind erst mit 18 Jahren erfahren, wer der Vater ist. Zudem koste eine anonyme Spende etwa 800 Euro. Das könne bei mehreren Anläufen sehr teuer werden. „Freunde von uns probieren es schon seit Jahren“, berichtet Elisa. Also suchten die beiden im Bekanntenkreis. Ohne Erfolg. Auch der Weg über die Online-Plattform family-ship misslang. „Wir haben Männer getroffen, aber es war komisch,

fremd“, erinnert sich Dürr. „Wir müssen ihn mögen, eine innere Verbindung sollte es schon geben.“ Zu ihrer Überraschung bot sich ein Freund von Elisa an. „Wir haben einen Antrag bekommen“, nennen die beiden das. Sie wussten sofort: Das passt. „Rudi“ ist ein ehemaliger WG-Mitbewohner von Elisa. „Komplett richtig“ fühle sich das an. Man vertraue sich und habe keinen Vertrag aufsetzen müssen. „Du wirst immer Papa sein“, haben sie ihm gesagt. Selbst Elisas Eltern seien entzückt gewesen: „Zum Glück ist es der Rudi.“ Auch für den 32-Jährigen ist das Kind ein Glücksfall. „Ganz normal“ fühle sich das an, sagt Rudolf Heeg. Er lebt in Bonn und sieht Jasper regelmäßig. Sogar seine Eltern kommen als Oma und Opa vorbei. „Ich bin Papa aus ganzem Herzen und mit allem, was ich in mir trage, habe aber keine eigenen Kinder im Sinne einer Kernfamilie, die unter einem Dach leben“, sagt Heeg (mehr dazu im Interview mit ihm auf Seite 12). Mittlerweile ist Heeg sogar schon zweifacher Vater. Anfang März hat auch Gerusa eine Tochter bekommen. Mit überraschenden Parallelen: Beide Kinder sind zur gleichen Uhrzeit geboren, gleich groß und gleich schwer. „Richtig verrückt“, sagt Elisa. Auch sie wird den Weg einer Adoption gehen. Oder der Fall in Niedersachsen hat Erfolg. Mitte März soll ein Urteil am Oberlandesgericht Celle fallen. Die Klägerinnen sprechen von einer „verfassungswidrigen Diskriminierung“ und wollen notfalls Verfassungsbeschwerde einreichen. Beim Bundesverfassungsgericht heißt es, ein entsprechender Gesetzesentwurf sei schon in Arbeit. Für die Familie Dürr wäre das ein weiterer Schritt „Normalität“. Die ist ihnen wichtig. Dass ihr Lebensmodell noch für Verwirrung sorgt, merken sie aber immer wieder. „Faul“ seien sie, sagen manche. Sie glauben, eine heterosexuelle Beziehung sei anstrengender. „Du gehörst in die Männerwelt“, sagen andere zu Elisa. Auf der Arbeit hat sie sich daher nur vorsichtig geoutet. Und stellte fest: „Es war für alle okay.“ Till Neumann

HOCHMOTIVIERTE ELTERN „Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt“, heißt es beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es rund 12.000 solche Familien mit Kindern in Deutschland. Seit 2017 ist die Ehe für alle in Kraft. Um beide Eltern rechtlich anzuerkennen, ist jedoch bisher nur der aufwendige Weg einer Adoption möglich. Internationale Studien zeigen seit vielen Jahren, dass Kinder in Regenbogenfamilien nicht benachteiligt sind. Eine niederländische Studie von 2020 kommt sogar zum Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien bessere schulische Leistungen liefern. Das liege auch daran, dass Regenbogeneltern in der Regel „hochmotiviert“ seien.

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»LEBENSLANGE BEZIEHUNG« RUDOLF HEEG IST SAMENSPENDER FÜR EIN LESBISCHES PAAR

chilli: Herr Heeg, warum haben Sie sich dem lesbischen Paar als Vater angeboten? Heeg: Schon vor mehr als fünf Jahren hatte mich Elisa mehr scherzhaft danach gefragt, damals war das für mich unvorstellbar, aber das Thema war seitdem in meinem Unterbewusstsein. Als die beiden geheiratet haben und mir von ihrer Suche nach Samenspendern erzählt haben, fühlte sich ihre relativ anonyme Suche irgendwie komisch an. Da mir dieses Gefühl etwas überheblich vorkam, habe ich das nicht kommuniziert, sondern mir die Frage gestellt: Warum eigentlich nicht ich? Auch nach tagelanger Suche habe ich nichts gefunden, was dagegensprechen könnte. Also habe ich mich als möglichen Vater ganz vorsichtig ins Gespräch gebracht. Daraus sind lange Gespräche entstanden, auch Zweifel und Ängste gekommen, und wir konnten sie alle offen ausräumen. Wichtig ist mir, dass ich das nicht „für“ Elisa 12 CHILLI MÄRZ 2021

und Gerusa gemacht habe. Das hätte mir nicht gereicht, mir selbst zu vertrauen, dass ich dieser lebenslangen Beziehung zu Jasper gewachsen bin. chilli: Wie fühlt es sich an, Vater zu sein und dazu zwei Mütter zu haben? Heeg: Ganz normal. Für mich in meinem persönlichen Alltag ist die Vaterschaft eher der Unterschied zwischen „haben“ und „sein“: Ich „bin“ Papa aus ganzem Herzen und mit allem, was ich in mir trage, „habe“ aber keine eigenen Foto: © privat

Z

wei Frauen, die gemeinsam Eltern werden möchten. Das geht nicht ohne einen männlichen Spender. Rudolf Heeg ist einer davon. Er hilft zwei Müttern aus Freiburg, ihr Glück zu verwirklichen. Gerade ist der 32-Jährige so zum zweiten Mal Vater geworden. „Ganz normal“ fühle sich das an, berichtet er im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann.

Zweifacher Vater: Rudolf Heeg

Kinder im Sinne einer Kernfamilie, die unter einem Dach leben. Ich finde es super, dass Jasper und Nahla Morena drei sie liebende Elternteile haben. Ich bin sehr dankbar, dass uns Eltern eine sehr tiefe, liebende Freundschaft verbindet, die zu beiden Müttern natürlich anders, aber für mich absolut gleichwertig vertraut ist.

chilli: Wie würden Sie die Verbindung zu den Kindern beschreiben? Heeg: Sehr vertraut. Und das vom ersten Moment an. Wenn ich sie sehe, dann bin ich einfach da, nehme sie auf den Arm und sie sind mein Sohn und meine Tochter. Ich habe da keine Berührungsängste und habe auch von den beiden bislang noch keine ablehnende ängstliche Reaktion gespürt, auch wenn wir uns monatelang mal nicht gesehen haben. Bei anderen Babys habe ich manchmal Sorge, etwas falsch machen zu können und gebe die Kinder dann irgendwann gerne den Eltern zurück. Mit den Kleinen habe ich immer nur ein Gefühl von: „Auf geht’s, komm, lass uns die Welt entdecken!“ chilli: Könnten Sie sich vorstellen, so auch andere Mütter zu unterstützen? Heeg: Nein, zumindest nicht im Sinne einer Unterstützung. Denn für mich ist das ja auch keine „Unterstützung“ von Elisa und Gerusa. Wenn es nur das wäre, dann würde ich mich selbst nicht wertschätzen. Was wir teilen, sind so viele verschiedene Formen von Liebe, und in dieser Konstellation lebe ich so viele Anteile meiner eigenen Liebeskraft, das ist weit mehr als eine „Unterstützung“. Noch mal eine solche Konstellation mit zwei Müttern? Nein, mit wem denn? Das ist für mich aktuell unvorstellbar. Aber das habe ich vor über fünf Jahren auch gesagt.

Foto: © iStock.com/LeManna

MODERNES LEBEN INTERVIEW



GESELLSCHAFT KRIMINALITÄT

MEHR CYBERKRIMINALITÄT UND GEWALT GEGEN POLIZEI E

xakt 21.122 Straftaten wurden 2020 in Freiburg registriert. Der niedrigste Wert in den vergangenen zehn Jahren. Das geht aus der aktuellen Kriminalstatistik der Polizei hervor. Insgesamt registrierte das Präsidium 2025 oder 8,7 Prozent weniger Verbrechen als 2019. Diebstähle, Drogendelikte, Betrugsfälle, Gewalt- und Straßenkriminalität gingen zurück. Sexualstraftaten und Gewalt gegen Polizei und Helfer nahmen hingegen zu. Zum zweiten Mal in Folge verpasst Freiburg den zuvor jahrelang abonnierten unrühmlichen Titel als kriminellste Stadt in Baden-Württemberg. Pro 100.000 Einwohner wurden im Stadtgebiet 5532 Straftaten aufgenommen, 2019 waren es 6117. „Bei allem, was wir bislang im Positiven erreicht haben, wissen wir aber auch, dass wir noch immer zu den am stärksten durch Kriminalität belasteten Polizeipräsidien im Land gehören“, sagt der Freiburger Polizeipräsident Franz Semling. Auch in den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Lörrach und Waldshut waren die Zahlen rückläufig. Insgesamt zählte das Polizeipräsidium Freiburg 58.690 Straftaten und damit den geringsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Aufgeklärt werden konnten 63,2 Prozent aller Delikte. Im Jahr leergefegter Straßen gingen vor allem die Straftaten im öffentlichen Raum zurück. 2020 wurden 28.193 Delik-

te verzeichnet, im Jahr zuvor waren es noch 31.215. Das entspricht einem Rückgang von fast zehn Prozent und einem Fünf-Jahres-Tiefstwert sowie der besten Entwicklung unter allen Großstadt-Polizeipräsidien im Bundesland. „Bürgerinnen und Bürger können sich durch unsere Arbeit überall und zu jeder Zeit sicher fühlen“, bilanziert Semling. Derweil liegt die Freiburger Aufklärungsquote von derlei Delikten mit 59 Prozent knapp im Landesdurchschnitt (59,1 Prozent). Auf einem Zehn-Jahres-Tiefstand liegen auch sogenannte Straftaten gegen das Leben wie Mord und Totschlag. Im Einsatzgebiet des Polizeipräsidium Freiburg gingen diese Taten um 29 Prozent – dem höchsten prozentualen Rückgang in ganz Baden-Württemberg – auf insgesamt 19 Fälle zurück. In 63 Prozent blieb es beim Versuch. „Dennoch ist jeder Fall ein Fall zu viel. Unsere hohe Aufklärungsquote von knapp 95 Prozent zeigt, dass wir mit unserer professionellen Ermittlungsarbeit ein klares Zeichen setzen. Derartige Täter kommen bei uns nicht ungeschoren davon“, betont der Leitende Kriminaldirektor Arno Englen. Ebenfalls rückläufig ist die Zahl erfasster Drogendelikte im Stadtgebiet. Schlug die Polizei 2019 noch 2249-mal gegen Rauschgiftkriminalität zu, gab’s im vergangenen Jahr noch 2026 Zugriffe. In Zeiten ausgefallener Urlaubsreisen, Lockdowns und verstärkter Arbeit im Home-Office sank auch die Anzahl der Wohnungseinbrüche in Freiburg um rund 58 Prozent auf

»TÄTER KOMMEN NICHT DAVON«

14 CHILLI MÄRZ 2021

Fotos: © iStock.com/ adl21 , sestovic; unsplash

INSGESAMT IST DIE ZAHL DER STRAFTATEN IM PANDEMIEJAHR ZURÜCKGEGANGEN


GESELLSCHAFT KRIMINALITÄT

einen absoluten Tiefstwert: Nur 123 Einbrüche sind registriert, bei etwas weniger als der Hälfte blieb es beim Versuch. Im pandemiefreien Jahr 2019 waren es noch 292 Einbrüche.

»MEHR SEXUELLE STRAFTATEN« Auffallend viele Fälle von häuslicher Gewalt, wie andernorts vielfach berichtet, wurden laut Polizeisprecher Michael Schorr im Bereich des Freiburger Präsidiums nicht aufgenommen. Ein Prozent mehr, insgesamt 1453, angezeigte Straftaten registrierte die Polizei in diesem Bereich. Immer mehr Verbrechen finden mittlerweile am Laptop statt. Im Bereich der Computerkriminalität hatte das Polizeipräsidium mit 985 Fällen einen Anstieg um 177 Straftaten oder 22 Prozent zu verzeichnen. Besserung in diesem Felde ist laut Englen erst mal nicht in Sicht: „Das ist ein Deliktsbereich, der uns auch in den nächsten Jahren massiv in Atem halten und einen Schwerpunkt unserer Arbeit bilden wird.“ Besorgniserregend sei auch der Anstieg von Gewalt gegen Polizeibeamte und Angehörige von Hilfsorganisationen. 579 Übergriffe auf Beamte und elf auf Angehörige von Hilfsorganisa-

tionen markieren den unrühmlichen Höchststand der Zehn-Jahres-Statistik. Das entspricht den zweithöchsten Werten im gesamten Land. „Das sind alarmierende Zahlen. Es kann und darf nicht sein, dass diejenigen, die die Gesellschaft vor Übergriffen schützen und stets dann zur Stelle sind, wenn Hilfe am dringendsten benötigt wird, zur Zielscheibe von Hass und Gewalt werden“, sagt Semling. Er verspricht, „dies auf allen Ebenen konsequent zu verfolgen und mit aller Härte zu bestrafen“. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen sie um 13,5 Prozent zu. Das entspricht dem Landesniveau (13,8 Prozent). In Emmendingen und im Breisgau-Hochschwarzwald liegen die Werte bei 28,7 sowie 34,5 Prozent. Insgesamt zählte die Polizei Freiburg hier 1040 Delikte, 915 von ihnen konnten aufgeklärt werden. Auch hier verlagern sich viele Verbrechen ins Netz: Im öffentlichen Raum gingen Sexualdelikte um 1,6 Prozent zurück, jedoch gibt es einen deutlichen Anstieg bei der „Verbreitung pornografischer Schriften“, etwa durch Whatsapp-Gruppen. Gerade bei Kindern sei ein Anstieg um 60 Prozent erkennbar, auch bei jugendlichen Tätern zeigt die Kurve mit 35 Prozent steil nach oben. „Diese Entwicklungen, insbesondere bei den ganz jungen Menschen, ver-

Seltenes Bild: Weniger Wohnungseinbrüche in Freiburg

folgen wir mit wachsamem Blick“, sagt Semling, der mit digitalen Präventionsangeboten an die Schulen gehen will. Laut seinem Kollegen Schorr ist die Freiburger Polizei für das digitale Zeitalter gerüstet: „Wir sind in diesem Bereich sehr gut aufgestellt und verfügen über hoch qualifiziertes Personal.“ Philip Thomas

GESAMTSTRAFTATEN IM JAHR 2020 Freiburg: 21.122 Fälle (-2.025 / -8,7 Prozent) Breisgau-Hochschwarzwald: 10.963 Fälle (-1.089 / -9 Prozent) Emmendingen: 6.187 Fälle (-101 / -1,6 Prozent) Lörrach: 14.384 Fälle (-2255 / -13,6 Prozent) Waldshut 6.034 Fälle (-534/ -8,1 Prozent) (Quelle: Kriminalstatistik 2020, Polizeipräsidium Freiburg)


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KONTROvers

eine Kultur: Am 13. März „feierte“ dieses „Dogma“ in Freiburg schon sein Einjähriges. Und ein verlässliches Ende dieses Zustands – für die meisten wohl eher dieser Unzumutbarkeit – ist aktuell nicht in Sicht. Bei den Öffnungsszenarien gilt es unter anderem die Frage zu beantworten, ob Kultur für Geimpfte und frisch Getestete wieder möglich sein soll. In unserer neuen Rubrik „KONTROvers“ argumentieren jeweils Protagonisten für und wider.

»Mutig, nicht übermütig«

Warum Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach für grünes Licht für Geimpfte und Getestete ist

Ja, wir brauchen wieder Kunst und Kultur und ja, wir brauchen das auch, solange es noch Corona-Fälle in unserer Stadt gibt. Es ist jetzt wichtig, mutig zu sein und trotzdem nicht übermütig zu werden; Perspektiven zu bieten und dennoch Vorsicht walten zu lassen. Dass das an sich kein Widerspruch ist, zeigen die Museen und Theater mit intelligenten Konzepten für Öffnungen. Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist,

Foto: © Julia Rumbach

Ulrich von Kirchbach: seit 2002 Kultur- und Sozialbürgermeister von Freiburg

16 CHILLI März 2021

ohne Infektionsgefahr Kunst und Kultur zu genießen. Wir haben die Schnelltests, die immer besser verfügbar und leichter anzuwenden sind, und es gibt immer mehr Menschen mit Impfschutz. Die Menschen brauchen jetzt Zuversicht und Perspektive. Jede und jeder sollte die Möglichkeit haben, ohne Risiko Veranstaltungen zu besuchen. Das ist mein Wunsch für dieses Frühjahr und ich denke, dass das vielen Menschen helfen wird, die letzte Phase mit Einschränkungen und täglichen Corona-Meldungen besser zu bewältigen. Die Kultur fehlt und das Leben muss zurückkommen. Und das wird vor allem geschehen, wenn etwa die Theater wieder Angebote haben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Kunst- und Kulturszene so viel Durchhaltevermögen und Kreativität gezeigt und viele digitale Formate umgesetzt hat. Aus der Not sind so neue Ideen entstanden. Gleichzeitig haben die Kunst- und Kulturschaffenden hart daran gearbeitet, mit Hygienekonzepten Öffnungen zu ermöglichen. Das muss jetzt belohnt

werden. Die Lage für die Kulturschaffenden spitzt sich zu, und die Menschen haben Hunger nach der Kultur. Sie lechzen förmlich danach, denn das Digitale hat sich allmählich abgenutzt. Es wird auch nach der Pandemie nur eine Ergänzung bleiben. Und das ist auch gut so. Meiner Meinung nach sollte deshalb Geimpften der Besuch von Theatern und Veranstaltungen möglich sein. Natürlich gelten auch für diese Hygienebestimmungen und Abstandsregeln. Wir müssen auch Personen, die nicht geimpft werden dürfen oder noch kein Impfangebot haben, eine Perspektive bieten. Die Teilhabe an Kunst und Kultur ist wichtig und das muss für alle gelten. Die Menschen könnten über eine App oder eine Bescheinigung nachweisen, dass sie vor Kurzem einen negativen Schnelltest gemacht haben. Ich freue mich auf die Rückkehr der Kunst und Kultur aus dem Digitalen ins Analoge. Mit Impfungen, Hygienekonzepten, Kontaktnachverfolgung und Tests wird uns das verantwortungsbewusst gelingen. Ulrich von Kirchbach


Kontovers Veranstaltungen

Nis prenis doluptat et: doloreicit eosandelique a dicit offictium verum sum utas. que a dicit offictium verum sum utas.

Fotos: © Michael Bamberger

»Das wäre nicht gerecht«

Fotos: © freepik, iStock.com/ ozgurcankaya

Warum Dompfarrer Christoph Neubrand gegen grünes Licht für Geimpfte ist

Um es vorweg zu sagen: Sobald es für mich möglich ist, lasse ich mich impfen! Wenn ich sehe, wie viel Leid Covid-19 in diese Welt gebracht hat, dann finde ich dies nicht nur des Eigenschutzes wegen wichtig, sondern auch, um der Pandemie Millionen Stopp-Schilder in den Weg zu stellen. Trotzdem bin ich dagegen, dass es sozusagen die „grüne Ampel“ für jene gibt, die geimpft sind, oder die „rote Ampel“ für jene, die (noch) nicht geimpft sind. Als Kirche bieten wir im Sinne des Gesetzgebers viele sehr unterschiedliche Veranstaltungsformate an: Gottesdienste in sehr unterschiedlicher Art, Gruppen für Kinder, Jugendliche, Frauen, Senioren, zur Vorbereitung auf Erstkommunion, Firmung. Gespräche mit Trauernden; Eltern, deren Kind getauft werden soll, Paaren, die heiraten wollen, Sitzungen … Ich mache mich stark dafür, dass das, was sicher möglich ist, auch getan wird und getan werden darf, und ich weiß, wie viel Kraft die Durchsetzung von Hygienekonzepten braucht. Es braucht jetzt und sicher noch lange

Abstand halten, Hände desinfizieren, Mund-Nase-Bedeckung und das ein oder andere mehr. Wer soll da in Zukunft zusätzlich zu den Hygienemaßnahmen, die es ja trotzdem braucht, kontrollieren: Geimpft, also herein. Nicht-geimpft, also die Tür bleibt zu? Ehrenamtliche werden dies nicht tun wollen und können, Hauptamtliche nicht tun dürfen, und über allem steht ja auch der Datenschutz. Und wie viel Stress wird es geben, wenn jemand nicht hinein darf, obwohl er nicht krank ist, nicht in Quarantäne … Und dann ist ja noch das Thema: Darf ich jemanden bestrafen, der etwas noch nicht hat, obwohl er es noch gar nicht haben kann, weil es noch gar keinen Impftermin für diesen konkreten Menschen gibt? Das ist aus meiner Sicht nicht vermittelbar und auch nicht gerecht. Und solange nicht zu 100 Prozent klar ist, dass Geimpfte sicher nicht Virenübertragende sein können, sind diese ja immer auch noch ein – wenn auch begrenzteres – Risiko für andere.

Deshalb plädiere ich dafür, dass sich möglichst viele Menschen möglichst zügig impfen lassen; dass Veranstalter auch weiterhin auf die Einhaltung der Hygienekonzepte achten; dass wir uns an dem freuen, was möglich ist, und nicht immer auf das schielen, was jetzt noch verboten ist. Nicht zuletzt gilt es, nicht ängstlich zu sein, aber vorsichtig zu bleiben und ich sage: „Behüt’ Sie Gott!“ Christoph Neubrand

Foto: © Erzdiözese Freiburg

Christoph Neubrand: seit 1. Oktober 2019 ­Dompfarrer am Freiburger Münster

März 2021 CHILLI 17


HOCHSCHULE STUDIERENDE

TRÄNEN IM TREPPENHAUS

FREIBURGER STUDIERENDENVERBAND KRITISIERT PRÜFUNGSAMT DER UNIVERSITÄT

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ie Gemeinsame Kommission der Philologischen und Philos­ophi­ schen Fakultät (GeKo) der Freiburger Universität ist berüchtigt. Seit Jahren beklagen Studierende Gängelei und Papierkrieg im Prüfungsamt. Der Studierendenverband Links.SDS Freiburg zitiert nun in einem 37-seitigen Dokument anonymisierte Quellen, die von Machtspielchen, Beleidigungen und studiumsbehindernden Zuständen an der Werthmannstraße sprechen. Die Universität zeigt sich von dem Schwarzbuch irritiert. Die Vorwürfe wiegen schwer. „Die GeKo hindert mich persönlich, ein Mas­ terstudium in Freiburg zu belegen, sie ist ein Grund, die Uni zu wechseln“ oder „Ich wurde am Ende des Gesprächs beleidigt“, heißt es in dem Dokument, das der Studierendenverband Links.SDS Freiburg unlängst veröffentlicht hat. Darin bekommt das Prüfungsamt von

Foto: © pt

Ort des Geschehens: Eingang zur GeKo an der Werthmannstraße

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seinen Studierenden keine guten ­Noten: In einer vom Verband beigefügten Um­ frage bewerteten 127 der insgesamt 147 Teilnehmenden ihren Kontakt zur GeKo als schlecht oder sehr schlecht. „Es wurde nicht mal alles gedruckt“, sagt die Studierende Melissa B. (Name der Redaktion bekannt), die selbst Mit­ glied im SDS ist. „Die Probleme sind seit Jahren bekannt, deswegen haben wir uns entschlossen, die Sammlung zu veröffentlichen“, kommentiert ihr SDS-Mitstreiter Sebastian F. (Name der Redaktion bekannt). Tatsächlich sind Tränen im Treppenhaus der GeKo, die an der Universität für rund 50 Studienfä­ cher verantwortlich ist, keine Seltenheit. Der Konflikt zwischen Studierenden und Verwaltungsapparat schwelt seit Jahren. Bereits im Januar 2012 entlud sich der Streit in einem Buttersäurean­ schlag auf das Gebäude des Prüfungs­ amts an der Werthmannstraße. Ein Verdächtiger wurde laut Polizeisprecher Michael Schorr nie gefunden, „Bürokra­ tie stinkt“ und „Abgelehnt“-Schmiere­ reien am Tatort legen allerdings nahe, dass es sich bei dem Täter oder den Tä­ tern um Studierende gehandelt hat, die im Clinch mit dem Prüfungsamt lagen. Das tut auch Yasmin B. (Name der Re­ daktion bekannt.) Die Studentin ver­ suchte vergangenes Jahr, ihr Hauptfach im zweiten Semester zu wechseln. „Ich habe mich auf einen bürokratischen Akt eingestellt, habe aber nicht damit gerechnet, dass es psychisch so belas­ tend wird“, berichtet sie gegenüber dem chilli. Für den Wechsel habe sie wegen fehlender Unterlagen eine Frist­ verlängerung beantragen wollen. Nach zwei unbeantworteten Mails ans Amt habe sie die Sprechstunde der Kommission angerufen. „Ich wurde von der Sachbearbeiterin fertiggemacht und

musste heulen. Von einem Telefonat war ich noch nie so schockiert“, sagt sie. Wenige Stunden später sei der Verlängerung stattgegeben worden. Wegen einer nicht bestandenen Prü­ fungsleistung muss B. nochmals beim Prüfungsamt vorstellig werden. „Ich kann mir nur vorstellen, was mich dort erwartet“, erzählt sie.

»ICH MUSSTE HEULEN« Die Universität zeigt sich von den An­ schuldigungen des SDS irritiert. Im Doku­ ment sind bloß die Namen der Ankläger vollständig anonymisiert. „Das Papier vermischt berechtigte Kritik mit verlet­ zenden Unterstellungen“, kommen­tiert Dietmar Neutatz, Vorsitzender der GeKo. Zahlreiche Vorschläge der Stu­ dierenden halte er aber für durchaus „bedenkenswert“. Situationen, die als verletzend empfunden werden, müss­ ten vermieden werden. „Wir erwarten aber, dass polemische Angriffe und Un­ terstellungen unterbleiben“, so der De­ kan der Philosophischen Fakultät. Der SDS habe laut Nicolas Scherger, Presse­ sprecher der Universität, bereits einge­ räumt, dass Schuldzuweisungen gegen Einzelpersonen nicht dienlich sind. Ein Arbeitskreis aus Studierenden und Professoren soll nun die Wogen glätten und Reformen diskutieren. Das erste Treffen steht laut SDS noch aus. Rechtli­ che Schritte seitens der Hochschule sei­ en laut Scherger derweil nicht geplant. Allerdings habe die Uni den SDS „darauf hingewiesen“, dass die Broschüre aus dem Netz genommen werden sollte. Der Verband plante bis zum Redaktions­ schluss nicht, das Dokument zu löschen. Philip Thomas


GESUNDHEIT TINNITUS

»KEIN ARZT HAT MIR GEHOLFEN« WIE EINE JUNGE FRAU MIT TINNITUS LEBT

Foto: © freepik

beiten, dass er egal wird. Und das kann man lernen.“ Der Mediziner setzt bei seinen Therapien auch auf Hypnose. Vreni hat Hilfe erst bei einer Osteopa­ thin gefunden: „Das war der Schlüs­ sel zur Besserung.“ Im Rückblick sagt sie: „Kein Arzt hat mir gehol­ fen.“ Ihr Eindruck ist: „Die Schulme­ dizin kann mit Tinnitus überhaupt nix anfangen.“ YouTube-Kanäle wie „Zwangs­Neurotiker“ oder „Tinnitus­Sprechstunde“ seien hilfreicher gewe­ sen. Iva Speck empfiehlt zudem die Website der Deutschen Tinnitus­-Liga. Anfangs war der Tinnitus für Vreni eine Qual, nahm ihr die Lebensfreude. Heute kann sie mit ihm umgehen: „Ich höre ihn nur noch abends, wenn ich ruhig sitze.“ Yoga und Spaziergänge helfen. Mittlerweile weiß sie: Wenn es lauter wird, wird es auch wieder leiser. Till Neumann *Name von der Redaktion gekürzt Foto: © Uniklinik Freiburg

Es traf sie beim Filmschauen auf der Couch. „Aus dem Nichts kam ein lauter Piepton“, erzählt Vreni. Die 32-Jährige ist im März 2020 heftig erschrocken. Total beängstigend und schmerzhaft sei das gewesen. Ihr Freund saß mit auf dem Sofa, er hat ihn nicht gehört. Warum es sie erwischt hat, weiß die Stu­ dentin bis heute nicht. Sie kann nur mut­ maßen: Schon vor dem Tinnitus litt sie an Neuralgie. Nervenschmerzen, die sich anfühlten wie Nadelstiche. Und: Rund zwei Wochen vor dem Schockerlebnis schmerzten ihre Ohren, als ihr Zumba­ lehrer die Musikanlage zu laut drehte. Was danach passierte, ließ Vreni verzwei­ feln: Als sie zum Hausarzt geht, interes­ siert sich der vor allem für ihre Neuralgie. „Ich habe mich allein gelassen gefühlt, es kann nicht sein, dass das alles ist“, berich­ tet sie. Also ging sie zum Neurologen und zum HNO-Arzt. Auch dort fühlte sie sich nicht ernst genommen. „Sie haben be­ stimmt Stress“, hätten die Ärzte gesagt und ihr Psychopharmaka verschrieben.

Tinnitus ist behandelbar, ­verschwindet aber nicht immer vollständig, bestä­ tigt Iva Speck, HNO-Assistenzärztin an der Uniklinik Freiburg. „Wir würden uns auch wünschen, sagen zu können: Hier ist das Medikament, dann ist ihr Ohrgeräusch weg”, sagt die 31-Jährige. Wichtig sei, den Patienten die Angst zu nehmen und Mythen zu entlarven. „Wenn man googelt, kommt man häu­ fig zu falschen Ergebnissen.” Speck ist überzeugt: Ärzte können viel tun. Unter anderem behandelbare Ursachen abklären, zum Beispiel, ob ein gutartiger Tumor am Hörnerv vorliegt. Als erfolg­ versprechenden Ansatz zur Linderung empfiehlt die Uniklinik eine kognitive Ver­ haltenstherapie:„Die Patienten lernen, mit dem Tinnitus umzugehen”, erklärt Speck. „Dekatastrophisieren” nennt sie das. Die Expertin bestätigt, dass junge Menschen immer häufiger an Hörmin­ derung und Tinnitus leiden. Das liege auch an zu lauter Musik aus Kopfhö­ rern. Sie empfiehlt daher die 60-60-Re­ gel: Höchstens 60 Prozent Lautstärke am Smartphone für 60 Minuten. An­ sonsten gelte: Stress rausnehmen. Den Ansatz verfolgt auch Uwe H. Ross mit seiner Praxis in Freiburg. „Wich­ tig ist, gelassen zu bleiben“, sagt der 59-jährige Arzt. Habe man eher Gelas­ senheit statt Ärger oder Angst mit dem Syndrom, steige die Wahrscheinlich­ keit, es loszuwerden. Dass der Tinnitus verschwinde, sei jedoch selten. Daher gilt für Ross: „Man muss darauf hinar­

Foto: © privat

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ting, Phil Collins, Keanu Reeves. Sie alle litten oder leiden an Tinnitus. Doch das schmerzhafte Geräusch im Ohr trifft nicht nur Stars: 1,5 Millionen Menschen in Deutschland ­haben laut der Berliner Charité chronische Ohrgeräusche. Gerade die Zahl junger Patienten steigt deutlich an. Zu ihnen zählt auch Vreni*. Die Freiburgerin hat das Syndrom seit fast einem Jahr und sagt: Mir hat kein Arzt geholfen.

Leben mit Ohrensausen: Vreni (links) hat seit einem Jahr Tinnitus. Expertin Iva Speck von der Uniklinik Freiburg hilft Betroffenen.

MÄRZ 2021 CHILLI 19


GESELLSCHAFT

»DAS STIGMA IST GEWALTIG« ANALPHABETEN IN FREIBURG: BIS ZU 20.000 MENSCHEN MIT GERINGER LITERARITÄT

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chätzungsweise 6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben und gelten als Analphabeten. Ihre Angst, in der Leistungsgesellschaft entdeckt zu werden, ist groß. Gründe für das Handicap gibt es genug. Aber auch Erfolgsgeschichten und Wege aus der Schriftlosigkeit sind vielfältig. „Können Sie das bitte kurz ausfüllen?“ Ein Satz, vor dem sich viele Analphabeten fürchten. Wie viele in Freiburg genau leben, ist schwer zu bestimmen. „Es sind mehr, als man denkt“, sagt jedenfalls Daniel Mühl, Leiter des Bereichs Grundbildung an der Volkshochschule Freiburg, der derzeit rund 40 unterrichtet. Er schätzt, dass im gesamten Stadtgebiet 15.000 bis 20.000 Menschen mit geringer Literarität wohnen. Laut einer 2019 von der Universität Hamburg veröffentlichten Studie besitzen drei von vier einen Schulabschluss, mehr als 60 Prozent haben einen Job, trotzdem möchte so gut 20 CHILLI MÄRZ 2021

wie jeder Analphabet unerkannt bleiben. Deutschland ist eine Wissensgesellschaft, sozialer Aufstieg ist mit Bildung verbunden. „Das Stigma ist gewaltig, sich Hilfe zu suchen, erfordert wahnsinnigen Mut“, so Mühl. Den Begriff „Funktionaler Analphabet“ lehnt er ab. „Das sind keine dummen Menschen, gering Literarisierte nutzen bloß andere Mechanismen“, betont der Bildungshelfer. Viele hätten eine problematische Schulzeit erlitten, sich danach aber Systeme aufgebaut, die um Lesen und Schreiben herumführen. „Ich bin da jedes Mal überrascht“, sagt der 35-Jährige. Ihr Aufwand sei oft immens. Mühl habe schon erlebt, dass Analphabeten alle rund 1500 Fragen der deutschen Führerscheinprüfung auswendig lernten. „Diese Strategien stoßen allerdings an Grenzen, wenn sich Dinge wie Orientierungspunkte oder Fahrpläne ändern“, sagt er. Auch Adrian Eppel vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung weiß um die starke Stigmatisierung.


GESELLSCHAFT

Fotos: © iStock.com/Juanmonino, Pannonia; privat

„Statt Hilfe zu suchen, schämen sich viele“, sagt er. Bei einigen gehe die Angst vor der Entdeckung so weit, dass sich die Betroffenen vor Behördengängen selbst an den Händen verletzten, nur um keinen Stift halten zu müssen. Er nimmt die Gesellschaft in die Pflicht: „Ein Mensch mit geringer Literarisierung sollte angesehen werden, wie jemand, der nicht gut Kopfrechnen kann.“ Um das Stigma zu bekämpfen und Wege aus der Schriftlosigkeit anzubieten, sei es wichtig, den Betroffenen auf Augenhöhe zu begegnen. Das wünscht sich auch Lamin S., der 2014 aus Gambia nach Deutschland kam. In Westafrika habe der Geflüchtete ausschließlich die Grundschule besucht. „Die Sprache hier ist ein bisschen schwierig“, sagt der bei der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg angestellte. Nach Feierabend drückt der 31-Jährige daher zweimal die Woche die Schulbank in der Freiburger Volkshochschule. „Das läuft gut“, sagt er. Bei Briefen und Formularen müsse ihm aber nach wie vor seine Freundin helfen. Die Sprache in der Post vom Amt für Migration und Integration sei stellenweise schwieriges Beamtendeutsch. Seinen Alltag meistere er in der Regel ganz gut. Scham aufgrund seiner geringen Literarisierung empfindet er nicht. „Die Leute sind deswegen manchmal nur ein bisschen überrascht“, sagt er. Für Menschen mit anderer Herkunftssprache ist das Stigma laut Mühl nicht so stark ausgeprägt. Bei Muttersprachlern sei das anders. Schätzungsweise 300.000 erwachsene Menschen in Deutschland können bloß einzelne Buchstaben lesen oder schreiben. Eine von ihnen war Ute Holschumacher. Aufgewachsen mit acht Geschwistern,

ging die heute 58-Jährige nach der 8. Klasse von der Sonderschule ab, ohne lesen und schreiben zu können. „Ich bin damals durchgerasselt“, berichtet sie. Mit 18 wurde sie Mutter. Um ihre Tochter versorgen zu können, habe sie als Zimmermädchen gearbeitet. „Da fingen die Probleme an“, erinnert sie sich. Die junge Mutter habe etwa Etiketten auf benötigter Babynahrung nicht entziffern können: „Ich konnte nicht in die Drogerie. Also bin ich zum Arzt gegangen,

»ICH HATTE VIELE TRICKS« damit der mir erklärt, was ich brauche.“ Um beim Behördengang keine Formulare ausfüllen zu müssen, habe auch sie sich den Arm verbunden. „Ich hatte viele Tricks“, sagt sie. Im Krankenhaus habe sie Dokumente unterschrieben, von denen sie nicht wusste, was drinsteht. Bei der Bank hätten sich Schulden gehäuft, weil die Analphabetin keine Überweisungen schreiben konnte. „Das war die Hölle“, erzählt sie. 17 Jahre lang arbeitete Holschumacher als Küchenhilfe in Stuttgart. Dort habe sie aus ihrer geringen Literarität keinen Hehl gemacht. Das Handwerk habe ihr keine Probleme bereitet: „Ich musste dort nichts lesen. Es hat immer allen geschmeckt.“ Heikel wurde es nur, wenn sie in einer anderen Küche aushelfen und den Weg dorthin finden sollte: „Ich konnte Straßenschilder nicht lesen.“ Schon sich durchzufragen, habe Überwindung gekostet: „Ich habe auf der Hermannstraße nach der Hermannstraße gefragt. Das war demütigend.“

Bloß einen kleinen Kreis weihte sie in ihr Geheimnis ein: Ihre Tochter, die Abitur gemacht hat, habe ihr bei Anträgen geholfen: „Ich wollte sonst keine Hilfe.“ Andere Teile ihrer Familie ließ sie im Unwissen. Ihr eigener Enkel habe sie allerdings irgendwann durchschaut. „Der hat gemerkt, dass meine Gute-Nacht-Geschichten nicht die sind, die seine Mutter aus demselben Buch vorliest“, sagt die Großmutter. Später habe er seine Oma direkt gefragt, ob sie nicht lesen könne. „Der meinte das gar nicht böse“, erinnert sie sich. Im Alter von 51 Jahren hatte Holschumacher genug vom Versteckspiel. „Ich habe im Jobcenter einfach gesagt, dass ich nicht lesen und schreiben kann.“ Es sei eine der besten Entscheidungen des Lebens gewesen. Einen zweijährigen Aufbaukurs und vier Jahre Volkshochschule später schreibt Holschumacher kurze Texte und liest ganze Bücher. „Das ist unglaublich befreiend für mich“, sagt sie. Geübt habe sie, wo es nur ging: Mit 52 Jahren schrieb Ute Holschumacher ihrer Tochter die erste Geburtstagskarte. Philip Thomas

INFO:

ALFA-Telefon Hotline: 0800 53 33 44 55 Grundbildung an der VHS Freiburg Tel.: 0761 368 95 10

Hat sich nicht abgeschrieben: Ute Holschumacher lernte im Alter von 51 Jahren Lesen und Schreiben..

MÄRZ 2021 CHILLI 21


REPORTAGE Fahrradkurier

Zügig unterwegs: Till Neumann kriegt per Funk den nächsten Auftrag als Velokurier rein. Seine Tour ging nicht nur durch Freiburg.

Bis die Beine brennen

Wie chilli-Redakteur Till Neumann einen Tag als ­Fahrradkurier in Freiburg erlebte

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Fotos: © Philip Thomas, Till Neumann

an sieht sie an vielen Ecken mit Rucksäcken durch Freiburg flitzen: Fahrradkuriere. Wie stressig ist so ein Job? Was transportieren die eigentlich? Und für wen? Das wollte chilli-Redakteur Till Neumann herausfinden. Er hat einen Tag beim „Velokurier Freiburg“ angeheuert. Zum Start kletterte er gleich zweimal Berge hoch. Am Ende ließen ihn die Beine aber im Stich. Transport bis zu 300 Kilo. Lieferung in 30 Minuten. Das verspricht der Velokurier auf seiner Website. Wie das möglich ist, möchte ich an diesem Montag selbst erleben. Von 13 bis 19 Uhr geht meine Schicht. Falls ich keine Power Bank habe, soll ich eine Freiburg-Karte mitbringen, schreibt Velokurier-Chef Christoph Hammann-Kloss. Landkarte lesen? Auf dem Rad? Wenn’s schnell gehen muss? Das kann heiter werden. Mit geladener Power Bank, meinem Crossrad und etwas Verpflegung komme ich zum Velokurier-Headquarter. Eine Garage in der Wiehre voller Velos. Vor Ort sind Christoph und zwei Kollegen zu Gange. „Na, hast du Bock?“, fragt mich Fahrer Tobias. Er ist seit zweieinhalb Jahren dabei und macht das hauptberuflich. Tobias sagt: „Es lebt davon, dass man die Kunden kennt: Ist der Aufzug schneller? Oder die Treppe? In welchen Stock muss ich?“ Zwei, drei Monate brauche man, um richtig reinzukommen. Am Anfang seien auch Kleinigkeiten schwierig, zum Beispiel wenn der Schweiß aufs Handydisplay tropft. Dann bekomme ich meine Ausrüstung: ein wasserdichter Rucksack inklusive Funkgerät. Dazu gibt’s die ersten zwei Rou22 CHILLI März 2021

ten: Ich soll einen Blumenstrauß vom Hauptbahnhof zur Frauenklinik bringen. Micha erklärt mir: Bei jeder Station bitte kurz Bescheid geben, ob alles läuft. Also ab aufs Rad. Ich trete in die Pedale. In der „Blumenoase“ im Hauptbahnhof sage ich: „Hallo, hier ist der Velokurier, ich hole die Blumen für die Frauenklinik.“ Wenige Sekunden später habe ich den Strauß in der Hand. Ich eile zum Rad und sage ins Funkgerät an meiner linken Schulter: „Hallo Micha, Till hier, die Blumen sind im Rucksack.“ Auch an der Frauenklinik läuft’s reibungslos. Die Dame an der Rezeption nimmt die Blumen entgegen. Per Funk folgt die Info: „Du musst dich für die zweite Tour nicht beeilen.“ Die Arztpraxis in der Konviktstraße hat erst in 20 Minuten offen. Alles entspannt. Ich radel in die City, finde den Arzt problemlos. Dort gibt’s eine Lieferung für ein Zahnlabor in Wittnau. Als ich in Merzhausen rechts abbiege und dem Radweg nach Wittnau folge, merke ich schnell: Hier wird’s steil. Im kleinsten Gang schaufel ich mich nach oben. Macht aber nix. Berge fahre ich gerne. Die kurze Hose bei sonnig-kühlem Wetter macht sich bezahlt. Mir wird warm. Kurz vor dem Zahnlabor knattert das Funkgerät: „Till, stopp, wo bist du?“ Ich antworte: „Gerade angekommen, warum?“ Micha berichtet von einem Notfall und lässt mich die Ware abgeben. Die Dame im Zahnlabor klärt auf: Die Prothese ­einer Patientin ist gebrochen, ich müsse noch mal zum Arzt in der Konviktstraße und dann wieder hoch zu ihnen. „Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns heute noch mal sehen“, sagt die ­Wittnauerin und lacht.


REPORTAGE fahrradkurier

Ich springe aufs Rad und hänge mich an den Funk. „Soll ich die Tour noch mal fahren?“ „Fahr erst mal runter, dann schauen wir weiter“, antwortet Micha. Jetzt schaltet sich auch der Chef ein: „Was war da los?“ „Es ging mal wieder schneller als gedacht“, sagt Micha. „Oder wir waren einfach zu schnell“, kontert Christoph. Von meinem Tempo sind die beiden überrascht. Micha fragt: „Till, willst du öfter für uns fahren?“

Radweg? Viel zu steil Zurück in Freiburg hole ich erneut die Ware beim Arzt und kläre mit Micha, ob ich noch mal hochfahre. „Wie du magst, du kannst auch vorher was anderes ­fahren“, bietet er an. Ich antworte: „Kein Ding, ich übernehm das.“ Auf dem Weg über die Merzhauser Straße funken wir weiter: „Wie fahrt ihr eigentlich nach Wittnau? Radweg oder Straße?“, frage ich in die Runde. Wir plaudern und ich stelle fest: Außer mir nimmt keiner den Radweg. Viel zu steil, sagen die Kollegen. Christoph fährt das sogar mit einem ­Fixie ohne Gangschaltung. Brutal. Obwohl ich die Straße nehme, dauert der zweite Anstieg länger. Die Beine sind nicht mehr ganz so frisch. Noch bevor ich ankomme, fragt Micha: „Till, wie weit bist du?“ Bei der Übergabe merke ich zu allem Übel, dass ich einen Bock

geschossen habe: In meinem Rucksack liegt noch ein Plastikbeutel mit Sachen für den Arzt in der Konviktstraße. Vorhin vergessen abzugeben. Vor lauter hin und her. Auf der Rückfahrt nach Freiburg beichte ich mein vergessenes Päckchen. Die Kollegen reagieren entspannt. „Das sind Stammkunden, wenn es dringend ist, melden sie sich.“ Dass ich langsamer und schusselig werde, liegt wohl auch daran, dass ich weder Essen noch Trinken dabeihabe. Mein Proviant ist am Velokurier-Hauptquartier. Anfängerfehler. Dann geht’s von einem Labor im Vauban zu einem Arzt in der Wiehre. Zur ersten Station fahre ich mit dem Handynavi. Einhändig radeln. Suboptimal. Ich verstehe, warum selbst sportliche Anfänger lange brauchen. Christoph erzählt mir später: Unfälle gibt es bei den Fahrern selten. Nur für die Einsteiger sei’s „mega gefährlich“. Unerfahrenheit trifft auf Übermotivation. Plötzlich aufgehende Autotüren seien das Schlimmste. In seinem Team gebe es aber höchstens mal einen Arm- oder Rippenbruch. Mich haut’s glücklicherweise nicht hin. Nach erfolgreicher Übergabe mache ich einen kurzen Stopp am Headquarter. Was trinken, einen Apfel essen. Die Kraft kommt zurück. Dann hole ich zwei Päckchen bei einer Apotheke und begleite Micha bei seiner Tour. Tiefenentspannter Typ mit Dreads und den typisch rot-weißen Velokurier-Kniesocken. Als er mich später wieder alleine losschickt, muss ich die Adresse suchen. Kurz später funkt er mich an: „Ich habe das Päckchen schon.“ Wow, das ging schnell. Auch der Rest des Abends zeigt das: Ich begleite Christoph bei Sprint-Touren mit 30-Minuten-Lieferung. Oder anders gesagt: Ich hechle dem 41-jährigen studierten Forstwissenschaftler hinterher. Schon beim Antritt brettert er locker zehn Meter weg. Er sagt netterweise: Er ist noch nicht viel gefahren heute und daher frisch. Gemeinsam holen wir unter anderem wertvolle DNA-Proben an der Uniklinik und bringen sie zum Hauptbahnhof-Serviceschalter. Dort gehen sie per Express mit dem ICE nach Köln. Ich hingegen bin fix und foxi. Beim Feierabendbier in der Velokurier-Garage sitze ich auf einem Fahrradsattel-Sitz und staune, dass die Kollegen nach dem Fahren rauchen. Micha und Christoph

erzählen vom überschaubaren Verdienst der Kuriere (12 bis 14 Euro inklusive Provision) und ihren kuriosesten Transporten: eine ­zusammengeknotete Urinprobe und eine Hautprobe im ­durchsichtigen Beutel. Als ­Kampfradler wollen sie Kuriere nicht sehen: „Wer sich darauf einlässt, macht sich ­kaputt“, sagt ­Christoph. Unter seine Instagram-­Posts schreibt er jedes Mal „#ballernabermitvernunft“. Der Kurier-Experte ist stolz darauf, dass seine 21 Fahrer (davon drei ­Frauen) alles mit dem Rad transportieren. Nur wenige Anbieter in Deutschland würden das so machen. Große Lasten bis 300 Kilo fährt sein Team mit E-Lastenrädern. Auch Umzüge würden so gestemmt. Das Schönste für ihn am Job: der Mikrokosmos mit seinem Team. Den verlasse ich jetzt und rolle heim. Dort falle ich todmüde ins Bett. Mir ging’s wohl wie vielen anderen Kurier-­ Greenhorns: Am ersten Tag haben sie sich ein wenig übernommen. Es macht aber auch einfach Laune. Erst recht mit Funkkontakt. Till Neumann

In aller Eile: Die Aufträge kritzelt Till Neumann während der Fahrt auf seine Hand.

Velokurier-Chef: Christoph Hammann-Kloss (41) leitet den Laden seit 2011.

März 2021 CHILLI 23


Szene Verkehr

Rote Laterne bei den Radcrashs Freiburg ist Fahrradunfallstadt Nummer eins

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Foto: © iStock.com/ KatarzynaBialasiewicz

ie Zahl der Velounfälle in Baden-Württemberg nimmt seit Jahren zu. In einem landesweiten Ranking stand Freiburg im ersten Halbjahr 2020 auf Platz eins. Grund dafür sollen vor allem der Zuwachs von ungeübten Fahrrad- und Pedelec-Lenkenden sowie waghalsige Fahrerei sein. Die Polizei setzt deshalb in Zukunft stärker auf Verkehrsüberwachung. Im vergangenen Jahr sind in Freiburg vier Menschen beim Radfahren tödlich verunglückt, in ganz Südbaden waren es sieben. Das macht betroffen und unsicher. Auch bei allen nicht-tödlichen Unfällen sind die Zahlen des Freiburger Polizeipräsidiums im Jahr 2020 bedrückend: So verunglückten in Südbaden 1708 Biker·innen – das sind 4,3 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Außerdem 330 Pedelec-Fahrer·innen, damit rund 42 Prozent mehr. In der Green City verunfallten 728 Radelnde, das sind zwar 6,4 Prozent weniger als im Vorjahr, bei den E-Biker•innen aber stieg die Zahl um 23 Prozent auf 91 Unglücke. „Im Zehn-Jahres-Vergleich beobachten wir, dass die Unfälle bei den Fahrrädern schon seit längerer Zeit konsequent nach oben gehen“, erklärt Polizei-Verkehrsreferent Jerry Clark. Das liege vor allem am zunehmenden Radverkehr. Zudem gebe es keinen signifikanten Rückgang an Autos – mehr Verkehr, mehr Unfälle.

Wenn’s kracht und Radelnde Hauptverursacher·innen sind, liegt das laut Statistik – wenn sich die Ursache klar bestimmen lässt (was bei 298 Fällen nicht so ist) – meist an Alkohol (24 Fälle), nicht angepasster Geschwindigkeit (20) oder beim falschen Einfahren in den fließenden Verkehr (20). Bereits bei fünf Unfällen mit Verletzten in drei Jahren an einem Ort meldet das polizeiliche System einen Fehler, und das Garten- und Tiefbauamt (GuT) wird kontaktiert. Eine dieser Stellen ist die Einmündung Greiffeneggring auf die B31, sagt Clark. Dort gebe es sehr viele Unfälle mit Fahrradfahrenden, die häufig in Konflikt mit rechtsabbiegenden Autos geraten. „Die Stelle steht im Fokus und wurde der Stadt als Unfallhäufung gemeldet.“ Im GuT zuständig für die Infrastruktur ist Georg Herffs, Leiter der Verkehrsplanung. Zufrieden ist er nicht: „Wir analysieren Unfallschwerpunkte und versuchen, dort gezielt Verbesserungen zu erreichen, und trotzdem kriegen wir die rote Laterne nicht los, wir sind seit Jahren eine Stadt mit sehr vielen Rad­ unfällen.“ Dieses Jahr seien durch die Pandemie zwar Pendler weggefallen, dafür aber viele Freizeitradler hinzugekommen. Die seien unsicherer und verursachten eher mal einen Unfall, auch alleine, berichtet der Experte. Dass Pedelecs häufiger in der Statistik auftauchen, liege daran, dass sie mehr benutzt

MEINE SORGEN schäfchenzählerei

Die Impfstrategie der Bundesregierung geht nicht gerade unter die Haut. Das ist potenziell Teil eines perfiden Plans: Umfragen zufolge sagt ein Drittel der Deutschen „Nein“ zur Nadel. Statt zur Herdenimmunität geht’s für uns folgerichtig Richtung Schlachtbank, derweil sich „obrigkeitshörige Schlafschafe“ und „querdenkende schwarze Schafe“ in der Wolle haben. Was also tun, um der Allgemeinheit das Antidot 24 CHILLI März 2021

schmackhaft zu machen? Gewinncodes in jeder zehnten Spritze? Zwei Impfungen zum Krankenkassenpreis von einer? Sollten tatsächliche Tiere in der Impfreihenfolge vor uns gesetzt werden? Immerhin ist die Bereitschaft, Medikamente über Billigfleisch aufzunehmen, hierzulande weit verbreitet. Nein, das Zauberwort lautet künstliche Verknappung: Die Playstation, die überall ausverkauft ist? Muss ich ha-

ben! Das iPhone in begrenzter Auflage? Her damit! Impfstoff Limited Edition? Wo muss ich unterschreiben? Anders kann ich mir diesen Vakzin-Mangel jedenfalls nicht erklären. Nach Schäfchenzählerei in allen Instanzen wird nun auch die Suche nach einem Sündenbock verschleppt. Bei dem Thema ist politisch schließlich Vorsicht geboten: Beim Wörtchen „Impfpflicht“ ist die Ansteckungsgefahr ausgesprochen hoch. pt


SZENE Kolumnen

wieder vorkommen, oft mit tödlichen Folgen.“ Hier könne man mit einfachen technischen Mitteln viele Leben retten. Trotz hoher Unfallzahlen ist laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums der Anteil der zufriedenen Fahrradfahrer•innen in Freiburg hoch: Zwischen 70 und 90 Prozent – je nach Stadtteil – haben angegeben, sehr zufrieden oder zufrieden zu sein. Damit sie in Zukunft auch sicherer sind, will die Polizei neben Prävention verstärkt auf Verkehrs­ überwachung setzen. „Also der Bereich, der wehtut, wie Kontrollen und Bußgelder“, sagt Polizeisprecher Clark. „Zum Beispiel bei Rot über die Ampel fahren, Handy benutzen und so weiter.“ Den Radelnden soll so geholfen werden: Das Gefahrenbewusstsein soll gestärkt werden. Auf beiden Seiten.

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Bessere Luft

Die Luftqualität in Freiburg wird jedes Jahr besser. Das zumindest suggeriert eine Verkehrsmessstation an der Schwarzwaldstraße. Laut Regierungspräsidium (RP) wurde dort ein Jahresmittelwert von 30 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter erfasst. Bereits 2019 lag diese Marke mit 36 Mikrogramm unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm – 2018 waren es noch 50 Mikrogramm. Laut RP ist zwar ein Corona-Effekt erkennbar, zu verdanken sei das Ergebnis aber Maßnahmen wie der Ausweitung von Umweltzonen. Diesel-Fahrverbote und eine Pförtnerampel auf der B31 seien damit erst mal vom Tisch.

OUT

Dicke Luft

Der EHC kommt nicht zur Ruhe. Im Oktober legte die Freiburger Stadtspitze die Pläne für ein neues Stadion auf Eis, vor Weihnachten berichtete das chilli-Magazin über ein juristisches Nachspiel zwischen dem Eishockeyverein und ­seinem ehemaligen Sportlichen Leiter Daniel Heinrizi, und nun verlässt Erfolgstrainer Peter Russell überraschend das Wolfsrudel. Der Schotte, der unter Heinrizi geholt wurde, führte den Abstiegskandidaten in die Playoffs, hat seine Ausstiegsklausel gezogen und wechselt zur kommenden Saison zu einem direkten Konkurrenten in der DEL2.

Foto: © tln

Foto: © tln

Liliane Herzberg

Heißer diskutiert als so manche Moden werden diesen Frühling nur die Zahlen 35 und 50. Doch nicht nur Corona-Inzidenzwerte sorgen in Freiburg für Schnappatmung. chilli-Trendchecker Philip Thomas verrät, wo Freiburger verschnaufen können und wieso um die ehemalige Franz-­ Siegel-Halle ein kräftiger Wind weht..

Foto: © freepik.com

Alkoholkonsum oft Unfallursache

IN & OUT

p

werden. „Außerdem fahren sie oft auch weitere Strecken, das heißt, sie haben eine höhere Verkehrsleistung und das spezifische Unfallrisiko ist damit größer.“ Herffs spürt oft eine Erwartungshaltung: Wenn er mehr machen würde, wäre auch das Fahrradfahren sicherer. Aber das sei schwierig, denn: „Am Ende des Tages kann die Infra­ struktur auch nicht alles lösen.“ Deshalb appelliert er an die Bevölkerung, bewusster zu fahren: „Wenn man die Radfahrer in Freiburg beobachtet, frage ich mich schon oft, wo das persönliche Risikobewusstsein ist.“ In vielen Fällen sei es leider so, dass der Fahrradfahrer der Unfallverursacher ist. Veränderung wünscht sich auch Frank Borsch, Pressesprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC in Freiburg: „Unsere Infrastruktur ist immer noch zu stark auf das Auto ausgerichtet, während es in der Stadt rasant an Wichtigkeit verliert. Entsprechend müssen wir den Raum neu aufteilen.“ Um die Radelnden in Zukunft noch besser zu schützen, wünscht er sich Radwege in ausreichender Breite, getrennt von Fußwegen und Fahrradstraßen. „Ganz wichtig sind aber auch Abbiegeassistenten bei Lkws“, fordert Borsch. „Der Laster, der beim Rechtsabbiegen ein Rad übersieht, das wird sonst immer

Lösungsvorschlag: Für die Sicherheit der Menschen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, soll die Infrastruktur noch stärker verbessert werden.

März 2021 CHILLI 25


MYTHOS »IDIOTENTEST«

WIE FIES SIND MEDIZINISCH-PSYCHOLOGISCHE-UNTERSUCHUNGEN?

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ie gelten als teuer, nervenaufreibend und knallhart: MPUs. Wer seinen Führerschein wegen Cannabis oder Alkohol am Steuer verliert, kommt an den Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen kaum vorbei. Doch sind die „Idiotentests“ wirklich so unfair, wie Gerüchte glauben machen? Das chilli hat mit Betroffenen und Expertinnen gesprochen. Zwei sind gegen die Wand gefahren. Die Gerüchteküche brodelt zum Thema MPU. Ein Beispiel: Beim „Idiotentest“ bittet die Gutachterin den Verkehrs­ sünder, zwei Kugeln aufeinanderzule­ gen. Wenn er sie auch nur berührt, ist er durchgefallen. Eine solche Aufgabe hat Alexander Maurer (Name geän­ dert) bei seiner MPU nicht bekommen. Dennoch sagt der 25-Jährige aus dem Freiburger Umland: „Es war absolut un­ angenehm.“ Er hat die MPU im Oktober in Freiburg gemacht – und in den Sand gesetzt. Das Komischste war das Gespräch mit der Gutachterin. „Sie hat mich in 60 Minuten nicht ein Mal angeschaut“, sagt Maurer. Dafür sei sie mit Tippen beschäftigt gewesen. „Ich konnte über­ haupt keine Verbindung herstellen“, sagt der Maschinenbau-Azubi. Grund der MPU war eine Polizeikon­ trolle. Die Beamten fanden Longpapes und fünf Gramm Cannabis in seinem 26 CHILLI MÄRZ 2021

Auto, eine Urinprobe fiel positiv aus. Also musste er mit aufs Revier. Das Ergebnis eines Bluttests lag unter der Grenze von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter. Dennoch bekam Maurer drei Monate später Post von der Führer­ scheinbehörde: Will er seinen Führer­ schein behalten, muss er innerhalb von zwei Monaten zur MPU antreten. Erst kam der Schock. Dann informierte er sich bei einer Verkehrspsychologin. Sie riet, den Test zu machen. Maurer hatte seit der Polizeikontrolle nicht mehr gekifft und dachte: „Das schaf­ fe ich.“ Zwei Stellen in Freiburg bieten

»DAS IST SICHER VERARSCHE« die MPU an: die TÜV SÜD Life Service GmbH und die ias Aktiengesellschaft. Maurer entschied sich auf Empfehlung von Freunden für die ias. Bei der Untersuchung musste er schrift­ lich Fragen zu seinem Vergehen beant­ worten. Ein Arzt checkte, ob er körperlich fit ist und eine Gutachterin befragte ihn zu Drogenkonsum und Lebensumstän­ den. Für drei Stunden zahlte er 790 Euro. Noch vor Ort hieß es, dass er eigentlich Dokumente vorlegen müsse, um zu be­ stehen: einen Abstinenznachweis, den

Nachweis einer MPU-Vorbereitung und ein psychologisches Gutachten. „Ich wusste davon nix“, sagt Maurer. Er lief unvorbereitet ins offene Messer. So geht es auch anderen: Laut Bundes­ anstalt für Straßenwesen gab es 2019 mehr als 86.000 MPUs in Deutschland. 38 Prozent fielen durch. Das Ärgerlichste für Maurer: In der Frist von zwei Monaten ist es kaum möglich, die Bedingungen zu erfüllen. „Ich bin sicher, dass das Verarsche ist“, sagt er. „Sie haben eine MPU angeord­ net, die man nicht bestehen kann.“ Kein Einzelfall, wie Experten bestätigen. Die einzige Option wäre, die Frist zu bre­ chen und später anzutreten. Einen Mo­ nat nach dem Test kam das Gutachten der ias. „Das war komisch formuliert, ich habe es nicht verstanden“, sagt Maurer. Eine Verkehrspsychologin be­ stätigte: Er ist durchgefallen. Seitdem weiß Maurer: Ohne Vorbereitungskurs hat er keine Chance. Expertin dafür ist Renate von Lucadou von der Suchtberatung Freiburg des agj Fachverbands. Seit 13 Jahren coacht sie Menschen für MPUs und sagt: „Un­ vorbereitet in die MPU zu gehen, ist ein großes Problem.“ Die Psychotherapeutin macht sich bei einer Erstberatung ein Bild und empfiehlt meist einen Kurs: Zehn Termine à 90 Minuten kosten 500 Euro. Ziel ist vor allem eine Bewusstwer­ dung: „Es geht um die eigene Geschichte


SZENE VERKEHR

gesetzt: „Ich dachte, ich lüge das Gelbe vom Ei herunter“, erzählt der 26-Jähri­ ge. „Das checken die direkt.“ Eines der schlimmsten Gespräche seines Lebens sei das gewesen. Haber war mit THC im Blut erwischt worden. Er lag mit 1,1 Nanogramm nur knapp über dem Grenzwert und hatte als Vorbereitung lediglich im Netz re­ cherchiert. „Saudumm“ findet er das im Nachhinein. Ein Psychologe sagte ihm danach: „97 Prozent der MPUler ohne Vorbereitung fallen durch.“ Mittlerweile hat Haber die zweite MPU bestanden. 4500 Euro hat er seit dem Führerschein-Verlust gezahlt: 800 Euro für sein Vergehen. 1750 Euro für zwei MPUs. 1300 Euro für 13 Vorberei­ tungstermine und 600 Euro für den Abstinenznachweis per Urintest. Ganz mit der Wahrheit gehalten hat es der Student auch bei der zweiten MPU nicht. In Sachen Alkoholkonsum und Freundeskreis log er. Denn die Gutach­ ter würden erwarten, dass er sich neue Freunde suche, um vom Konsum loszu­ kommen. Dazu ist Haber nicht bereit. Er sagt: „Ohne Lügen wäre es nicht gegan­ gen.“ Von sieben Bekannten weiß er: Sie haben alle gelogen – und es geschafft. Lügen, um die MPU zu meistern? Andrea Ruppe hält das für einen „My­ thos“. Die Psychologin erstellt seit 2007 psychologische Gutachten und ist seit 2013 Leiterin der ias-Begutachtungsstel­ le für Fahreignung in Freiburg. Sie sagt:

Alexander Maurer hat seine MPU-Vor­ bereitung inzwischen abgeschlossen. Er hat dabei auch in Theaterstücken Situationen simuliert. „Ich fühle mich vorbereitet“, sagt der 25-Jährige. Er hat sich vorgenommen, im zweiten Anlauf nur noch die Wahrheit zu sagen. Auf die Frage „Warum sind sie hier?“ wird er nicht antworten, „um meinen Füh­ rerschein zu kriegen“. Denn dann falle man durch. Wichtiger sei, sich wirklich zu ändern. Die 2500 Euro Lehrgeld, die er bisher gezahlt hat, tun weh. Noch mehr ärgert ihn aber, als „Schwerver­ brecher dargestellt zu werden“, obwohl er unter dem Grenzwert lag. Der Groll verfliegt wohl erst, wenn die zweite MPU geschafft ist. So geht es Daniel Haber. Er hat den Füh­ rerschein wieder und sagt: „Die MPU erfüllt ihren Zweck.“ Auto fahren mit Alkohol oder THC würde er nie wieder.

Till Neumann

Foto: © privat

4500 EURO FÜR ZWEI ANLÄUFE

„Mit Ehrlichkeit und Offenheit kommt man am weitesten.“ Ausschließen, dass ein Gutachter nicht jede Lüge enttarnt, kann sie dennoch nicht. Für Ruppe sind unvorbereitete Kandi­ daten wie Maurer und Haber seltene Fälle. „Zu uns kommen viele sehr gut vorbereitete Leute.“ Ihr ist wichtig, vor­ ab aufzuklären. Daher bietet die ias kos­ tenlose Infoabende an. Ruppe ist über­ zeugt: „Wer gut vorbereitet ist, hat hohe Chancen auf ein positives Gutachten.“ Die zu erstellen sei alles andere als Willkür: „Das läuft alles nach klaren Vorgaben“, betont Ruppe. Qualifizierte Psychologen seien zuständig und hät­ ten nicht das Ziel, „jemanden in Stress zu bringen“. Die Bundesanstalt für Stra­ ßenwesen (BAST) überwache ihre Ar­ beit zudem engmaschig. Der 56-jährigen Gutachterin macht die Arbeit Spaß, sie sei „sinnvoll im Sin­ ne des Kunden“. Schließlich ginge es um die Verkehrssicherheit und die Unter­ suchung helfe, sich zu ändern: „In der Regel steckt ein Problem dahinter, wenn der Führerschein weg ist“, sagt Ruppe. Sie berichtet von positiven Rückmeldun­ gen: „Kunden sagen uns, die MPU war das Beste, das mir passieren konnte.“ Dass die MPU „Idiotentest“ genannt wird, ärgert Ruppe nicht. „Damit müs­ sen wir leben, das gibt es doch in je­ dem Beruf.“ Und der Test mit den zwei Kugeln? „Ob es das in den 70er-Jahren gab, weiß ich nicht. Heute sicher nicht.“ Mit den Grundlagen und der Quali­ tät der MPUs in Deutschland ist sie hochzufrieden. Kurz gesetzte Fristen wie bei Alexander Maurer seien „völlig korrekt.“ Der Kunde müsse abwägen, ob eine MPU möglich ist. Selbstverant­ wortung sei gefragt. Renate von Lucadou sieht das an­ ders: „Die Frist ist völliger Quatsch.“ Sie suggeriere, dass eine positive MPU möglich sei, was häufig nicht stimme. Den Ärger über das Verfahren mit all seinen Kosten und der Komplexität kennt sie gut. Manchmal gibt sie ihren Vorbereitungsgruppen daher fünf Mi­ nuten, um Dampf abzulassen. „Ich ver­ stehe es“, sagt Lucadou. Auch mit dem erzwungenen Freundeskreis-Wechsel hat sie Erfahrung. „Viele sagen mir, die einzige Verbindung zum Freundes­ kreis sei der Konsum.“ In solchen Fäl­ len sei eine Trennung nötig.

Erstellt Gutachten: Andrea Ruppe von der ias-Begutachtungsstelle in Freiburg.

Foto: © brawa photo-studio

und das eigene Verhalten, die Selbstre­ flexion und die dann vollzogenen Verän­ derungen“, sagt die 46-Jährige. Die Gutachter nimmt Lucadou in Schutz: „Die sitzen nicht da und fragen sich: Wie kann ich den Nächsten in die Pfanne hauen?“ Der Zeitdruck sei hoch. Das Tip­ pen am Laptop könne irritierend sein. Entscheidend sei, das Gespräch ernst zu nehmen: „Wenn da jemand larifari-mäßig mit einer wurschtigen Haltung hingeht, schätzen das die Gutachter gar nicht.“ Ein Lied davon kann Daniel Haber (Name geändert) singen. Er hat seine erste MPU vor drei Jahren in den Sand

Coacht Verkehrssünder: Renate von Lucadou von der agj-Suchtberatung in Freiburg.

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SZENE FREIBURG ANZEIGEN

»BIS SPÄTI« VOR DEM AUS STREIT UM ALKOHOLVERBOT – AUCH IM GEMEINDERAT

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rst kam der nicht verlängerte Mietvertrag des Freiburger Nachtkiosks „Bis Späti“. Dann ein Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr aus dem Rathaus. Aufgeben möchte das 13-köpfige Kollektiv dennoch nicht. Es kämpft juristisch gegen das Verbot und hofft auf einen neuen Standort. Nicht nur am Kiosk im Stühlinger kochen die Emotionen hoch. Auch im Gemeinderat gibt’s einen Schlagabtausch: Aufgrund des drohenden Alkoholverbots für den „Späti“ hat die JUPI-Fraktion einen offenen Brief an Oberbürgermeister Martin Horn geschickt. Sie bittet darin, das Alkoholverkaufs­ verbot ab 22 Uhr zurückzunehmen. Die Gemeinderatsmitglieder kritisieren, die Verwaltung wür­ de „in einem Konflikt noch mal nachtreten“. Eine kleine Grup­ pe Anwohner·innen habe ihren Willen, wie so oft, durchge­ setzt. Die Freien Wähler antworten: „Unsere Fraktion verwahrt sich gegen den Eindruck, dass es in dieser Stadt eine ‚gekaufte Gerechtigkeit‘ gibt.“ Leider würden in dem Brief die schützens­ werten Belange von in der Nachbarschaft lebenden Menschen nicht mit einem Wort erwähnt. Eine „einseitige Sicht“ sei das. Esther Hauth, Sprecherin des „Späti“, macht die Lage betrof­ fen: „Statt kreativer Lösungen gibt es geschäftsschädigende Verbote, die Freiburger·innen erneut einen Platz des Nacht­ lebens nehmen.“ Für sie ist klar: Das Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr wäre ein „Todesurteil für unseren Laden“. Mehr als die Hälfte des Umsatzes generiere der Kiosk mit dem Verkauf von Bier und Co. Daher hat sich das Kollektiv Heiko Melcher als Anwalt genom­ men. Der hat bereits erreicht, dass das Alkoholverbot nicht seit dem 15. März greift, sondern erst, wenn das Urteil fällt. Das soll am 24. März passieren. Hintergrund sind Beschwerden von Menschen aus der Nachbarschaft – und konkret die Klage eines Anwohners. Seit der Eröffnung im Mai 2019 gibt es Diskussio­ nen um Lärm am Kiosk und dem nahe liegenden Lederleplatz. Zu alledem kommt, dass der Späti-Vermieter den Vertrag nicht verlängert hat. Offenbar auf Druck des klagenden Anwoh­ ners, wie Hauth berichtet. Mitte Juni muss der Laden an der Eschholzstraße damit schließen – Alkoholverkauf hin oder her. Ob es weitergeht, weiß Esther Hauth nicht. Ideal wäre eine Gaststätte in zentraler Lage. Auf Unterstützung vom Rat­ haus hoffen sie nicht. Und die Vermieter-Suche ist bei den Lärmdiskussionen nicht einfacher geworden. Der Rückhalt ist für Hauth aber da: „Hier stehen die Interessen einer ­kleinen Gruppe Anwohner·innen gegen die einer große Gruppe glücklicher Kund·innen.“ Till Neumann

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SCHWERPUNKT NACHHALTIG LEBEN

PLASTIKFREI IST KEINE NACHHALTIGE STRATEGIE

STEFAN PAULIUK ÜBER DIE KÖNIGSDISZIPLIN VERZICHT

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Fotos: © Freiburg Cup, Naomi Radke

elche Emissionen, Umweltauswirkungen und Langzeitfolgen haben neue Produkte, Techniken und Materialien? Das untersucht der Juniorprofessor Stefan Pauliuk mit seiner Arbeitsgruppe „Industrial Ecology“ an der Universität Freiburg. Er publiziert in Fachmedien und in einem Blog – und gibt dabei Einblicke in die hochkomplexe Berechnung von Ökobilanzen. 13. Januar 2021: „Warum ist es so wichtig, Plastikverpackung zu vermeiden“, lautet der Titel dieses Blog-Eintrags von Pauliuk. „Das frage ich mich allerdings auch“, antwortet er sich selbst. Nachhaltigkeit könne man nicht auf eine einfache Formel wie beispielsweise „Plastikfrei leben“ herunterbrechen. Dass die Zusammenhänge hinter dem Schlagwort „Nachhaltigkeit“ hochkomplex sind, veranschaulichen Pauliuks Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen auf dem Online-Kanal „State of Affairs – A blog on sustainability and the science behind it“. Ob über das Recyclingpotenzial von Metall, den besseren Nutzen von Materialien, regionale, nachhaltige Ernährung, den Klima-Fußabdruck der Deutschen oder die Ökobilanz von Autos mit Batterie- oder Brennstoffzellen: Pauliuk postet einmal im Monat, in manchen Artikeln gibt er auch Einblicke in die Studien der Mitarbeiter und Doktoranden der relativ jungen Fachrichtung. Seit 2015 leitet er die Arbeitsgruppe für Energie- und Stoffstrommanagement an der Uni Freiburg und lehrt an der Fakultät

für Umwelt und Natürliche Ressourcen. „Ich habe mich nach meinem Physikstudium den Umweltwissenschaften zugewendet, weil ich hier meine persönlichen Interessen und meine fachlichen Kompetenzen in dieses für die Gesellschaft so wichtige Forschungsthema einbringen kann.“ 1982 in Herzberg in der damaligen DDR geboren, studierte er Physik an den Universitäten Chemnitz und Jena. Danach promovierte er im Fach „Industrial Ecology“ an der Uni Trondheim in Norwegen, wo er bis zum Wechsel nach Freiburg als Post-Doc arbeitete.

KUNSTSTOFFE IM VORTEIL Dem „plastikfreien Leben“ attestiert er – abhängig vom verpackten Produkt und abgesehen vom Verzicht auf mehrfach Verpacktes – keine wirklich gangbare und auch effektive Nachhaltigkeitsstrategie. Dafür hätten Kunststoffe im modernen Leben zu viele Vorteile und es gebe für einen umweltfreundlichen Lebensstil deutlich wichtigere Hebel als Kunststoffverpackungen. Welche Hebel sind das? Laut Pauliuk helfen vor allem „die großen Vier“: autofrei leben, keine übergroßen und überheizten Wohnungen, weniger Fleisch und weniger fliegen. Die Königsdisziplin sei aber das Vermeiden oder der Verzicht auf Konsumhandlungen. Wie im Kleinen, so im Großen kann Pauliuk auch im Transport-, Gebäude- und Industriesektor mit seinen

Modellen das Sparpotenzial von Emissionen, die Langzeitfolgen von Materialeffizienzstrategien und neuen Produkten abschätzen. Und bilanziert die weitaus größeren Hebelwirkungen für Umweltund Klimaschutz. „Ist weniger mehr?“ – in diesem Blog-Eintrag nimmt Pauliuk die Primärproduktion von Materialien wie Stahl, Kunststoffen oder Zement unter die Lupe: Deren Herstellung verursacht 23 Prozent aller Treibhausgasemissionen. „Eine relativ einfache Lösung ist, die Materialien effizienter zu nutzen“, so Pauliuk. „So könnte man, dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgend, weniger Materialien aus natürlichen Rohstoffen herstellen und stattdessen mehr recyceln – Materialeffizienz also.“ Es dreht sich somit darum, alles nicht nur zu Ende zu denken, sondern auch die Ursprünge unter die Lupe zu nehmen. Arwen Stock

Forscher Stefan Pauliuk: „Das frage ich mich selbst auch.“

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SCHWERPUNKT NACHHALTIG LEBEN

»DAS IST EINFACH SELBSTBETRUG« RAINER

GRIESSHAMMER ÜBER 65.000 PLASTIKTÜTEN UND EINEN FLUG NACH TENERIFFA

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erhalten und Verhältnisse bedingen sich gegenseitig. Davon ist der Freiburger Umweltexperte und Autor Rainer Grießhammer überzeugt. Im Interview mit chilli-Redakteurin Tanja Senn verrät er, wie jeder Einzelne zu mehr Klimaschutz beitragen kann – und wo individuelles Handeln an seine Grenzen stößt. chilli: Von selbst gemachtem Shampoo bis zur Resteküche: Es gibt tausende Tipps, wie man seinen Alltag nachhaltiger gestalten kann. Was können solche Kleinigkeiten bewirken? Grießhammer: Wenn man aktiv wird, sollte man versuchen Sachen umzusetzen, die möglichst viel bringen. Ich habe mal die zehn wichtigsten Maßnahmen zusammengestellt, die jeweils ein paar hundert Kilogramm CO2 einsparen.

chilli: Die Tipps hören sich alle so positiv an. Aber eigentlich geht es doch vor allem um Verzicht: kein Fleisch, kein Auto, keine Flugreisen. Grießhammer: Ich versuche immer, die positiven Aspekte herauszustellen. Wenn man zum Beispiel seinen Ernährungsstil ändert, dann lebt man nicht nur gesünder, es kann auch billiger sein. Oder wenn man in der Stadt öfter das Rad nimmt, spart man Zeit und muss keinen Extrasport machen. Viele Maßnahmen bringen noch andere Vorteile neben dem Klimaschutz. Richtiger Verzicht, finde ich, spielt nur bei Fernflügen eine Rolle – nach Teneriffa kann man eben nur fliegen. 30 CHILLI MÄRZ 2021

Foto: © iStock.com/sarayut

chilli: Zum Beispiel? Grießhammer: Heizenergie sparen, indem man die Raumtemperatur um ein Grad senkt, Heiznischen dämmt oder automatische Heizventile einbaut. Strom spart man, indem man Lampen durch LEDs ersetzt, Zeitschaltuhren verwendet oder im Kühlschrank die Temperatur auf sieben Grad hochsetzt. Andere Maßnahmen sind die Umstellung der Ernährung, der Übergang zum Carsharing oder innerdeutsch mit der Bahn statt mit dem Flugzeug zu reisen.


SCHWERPUNKT NACHHALTIG LEBEN

chilli: Auf Plastiktüten zu verzichten, reicht aber nicht. Grießhammer: Das ist zur Müllvermeidung gut, bringt aber nichts für den Klimaschutz. Ein Ferienflug nach Teneriffa hat den gleichen Klimaeffekt wie die Produktion und Verbrennung von 65.000 Plastiktüten. Viele fühlen sich schon als Umweltschützer, weil sie den Müll trennen, ab und zu in den Bioladen gehen und ein paar Glühlampen durch LEDs ersetzt haben. Aber gleichzeitig haben sie eine große Wohnung, ein großes Auto, fliegen regelmäßig in den Urlaub. Das ist einfach Selbstbetrug. chilli: Demgegenüber stehen die Menschen, die sagen: Ich kann als Einzelner doch eh nichts ändern, da ist die Politik gefordert. Grießhammer: Es stimmt beides: Verhalten und Verhältnisse bedingen sich gegenseitig. Ein Beispiel sind energieeffiziente Haushaltsgeräte. Von denen gibt es jetzt so viele, weil engagierte Menschen die gefordert und gekauft haben. Deswegen wurden sie von der Industrie entwickelt und später im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie vorgeschrieben. Ohne die Nachfrage wäre das viel später gekommen. Ganz klar ist, rein durch Verhaltensmaßnahmen und ohne politische Änderungen wird Klimaschutz nie erfolgreich sein. Es braucht beides.

chilli: Die Corona-Krise trägt dazu bei, dass auch viele Betriebe merken: Umweltschutz und Kosteneinsparungen können Hand in Hand gehen. Denken Sie, die Effekte bleiben nach der Krise? Grießhammer: Vor einigen Jahren ist ja mal dieser isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen ausgebrochen. Da konnte in Europa auch ein paar Wochen lang nicht geflogen werden. Damals gab es bei vielen Unternehmen schon Videokonferenzen, aber danach sind sie doch zu ihrer vorigen Routine zurückgekehrt. Es war einfach nicht lange genug, um die Infrastruktur aufzubauen. Das hat sich jetzt geändert: Die Unternehmen haben dafür gesorgt, dass ihre Mitarbeiter zu Hause Laptops haben oder auf die nötige Software zugreifen können. Zudem hat es eine deutliche Verbesserung der Videokonferenz-Systeme gegeben. Ich denke, vieles davon wird im Kern erhalten bleiben.

Foto: © Arne Bicker

chilli: Also ganz ohne Verzicht im Alltag geht es nicht? Grießhammer: Eigentlich schon. Viele denken, wenn ich mich umweltfreundlich verhalten will, muss ich die ganze Zeit irgendetwas machen. Tatsächlich bringen aber Einmal-Entscheidungen die größten Effekte. Wenn man umzieht, ist zum Beispiel die Frage: Große oder kleine Wohnung? Gedämmt oder nicht gedämmt? Wie weit ist der Arbeitsplatz entfernt? Oder wenn man – auch als Mieter – Maßnahmen durchführt, um die Heizenergie zu senken: Das macht man einmal und muss die nächsten zehn Jahre nicht mehr daran denken. Das sind Dinge, bei denen man oft gar nicht bemerkt, was für starke Auswirkungen sie haben. Ansonsten ist wichtig, sich nicht alles auf einmal vorzunehmen, sondern zu schauen: Was fällt einem leicht?

RAINER GRIESSHAMMER Zur Person: Rainer Grießhammer war 30 Jahre lang Geschäftsführer des Öko-Instituts in Freiburg. Heute leitet er die Stiftung „Zukunftserbe“ sowie die „Amber Foundation“ und ist Honorarprofessor für Nachhaltige Produkte an der Uni Freiburg. Zudem hat der 67-Jährige mehrere Bücher zum Thema Umweltschutz veröffentlicht – das neueste 2019 unter dem Titel „#klimaretten“. Vergangenes Jahr hat er das Bundesverdienstkreuz für seine Leistungen für das Gemeinwesen erhalten.

APP GEHT’S!

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pps und Online-Initiativen bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, den eigenen Alltag ein Stückchen nachhaltiger zu gestalten. Hier drei Vorschläge: TAUSCHBÖRSEN Das Computerspiel ist schon hundert Mal durchgedaddelt, das Buch gelesen und die Hose passt nicht mehr? Warum nicht einfach gegen etwas Neues tauschen, statt es wegzuwerfen? Diese Idee steckt hinter Online-Tauschbörsen wie „Tauschticket“ oder „Tauschgnom“. Im kleinen Stil gibt es solche Initiativen auch regional – etwa die Verschenk- und Tauschmärkte auf den Homepages des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald oder des Landratsamts Ortenaukreis. RESTEKÜCHE Ein Sandwich vom Vortag oder ­Sushi, das nicht aufgehoben werden kann: Die App „To good to go“ will Lebensmittel von Supermärkten, Cafés oder Restaurants vor der Tonne retten. Über sie erwirbt man für ein paar Euro die „Magic Bag“ – eine Überraschungstüte mit älteren, aber einwandfreien Lebensmitteln, die man bei dem gewählten Laden in seiner Nähe abholt. Auch in der Region machen zahlreiche Betriebe mit. FAIR-FASHION Klamotten vom Flohmarkt, aus dem Second-Hand-Laden oder von ausgewiesenen Öko-Labels sind sicher die umweltfreundlichste Variante, um sich einzukleiden. Doch was, wenn man auf Mode von großen Marken nicht verzichten will? Dann kann man zumindest checken, welche Hersteller einigermaßen ökologisch produzieren. Die App „Good on you“ ermöglicht es jedem Smart-phoneNutzer, mit ein, zwei Klicks Vergleiche anzustellen. Manko: Das Programm ist nur in Englisch und mit vorheriger Registrierung nutzbar. chilli MÄRZ 2021 CHILLI 31


SCHWERPUNKT NACHHALTIG LEBEN

WEG VON AGRARKONZERNEN GARTENCOOP WÄCHST UND GEWINNT KLIMASCHUTZPREIS

Kisten mit Lauch, Radicchio, Grünkohl, Butterrüben, Rotkohl, Pastinaken, Möhren stapeln sich in dem kleinen Lagerraum. Es duftet nach frischer Petersilie und Sellerie. Am Morgen wurde das Bio-Gemüse in der Gartencoop bei Tunsel, in der Nähe von Bad Krozingen, geerntet, abgewogen und in Kisten gepackt. Im Car-Sharing-Transporter ging’s zum Umschlagplatz in Freiburg, wo es in Fahrrad-Anhängern zu den 18 Verteilpunkten gebracht wurde. Wie jeden Donnerstag holt Svenja Fugmann ihre Gemüseration am Tennenbacher Platz ab. Seit zehn Jahren ist sie Mitglied der Gartencoop: „Die Idee, die Ernte zu teilen, egal, was es gibt, Verantwortung zu übernehmen, ein Teil der Gemeinschaft zu sein und möglichst klimaneutral zu wirtschaften, haben mich überzeugt. Ich dachte damals: Das ist mein Projekt.“ Sie, ihr Mann und ihr vierjähriger Sohn ernähren sich aus der Coop-Kiste und möchten nicht mehr darauf verzichten. 32 CHILLI MÄRZ 2021

Denn es ist auch „ihr“ Gemüse und es schmeckt besonders gut. Die wöchentliche Lieferung der Gartencoop ist mehr als eine Abo-Kiste: Als Mitglieder in der Gartencoop sind die Fugmanns nicht nur Konsumenten, sie teilen sich die Arbeit, das Risiko und die Ernte. Mehr als 300 Initiativen der „Solidarischen Landwirtschaft“ gibt es bundesweit, rund um Freiburg sind es vier. Die Idee ist einfach: Erzeuger und Verbraucher schließen sich zusammen und wirtschaften dadurch kostengünstig, ökologisch, regional und selbstbestimmt. So auch die Gartencoop, die 2010 gegründet wurde und heute 300 Mitglieder hat. Im vergangenen Jahr erntete sie den Klimaschutzpreis der Stadt Freiburg.

Kurze Wege, wenig Maschineneinsatz, viel Handarbeit: Eine nachhaltige Humuswirtschaft und solidarisches Handeln sind wesentlich für die Coop. Die Mitglieder zahlen eine einmalige Einlage von 400 Euro sowie einen monatlichen Beitrag nach Selbsteinschätzung. Über die Finanzen und alle wichtigen Fragen des Betriebs wird basisdemokratisch beschlossen. An fünf halben Tagen im Jahr helfen die Mitglieder beim Jäten, Ernten und Packen von Gemüse und übernehmen Fahrradtransporte. „Alles ist gut

»KRUMM, KÖSTLICH, WERTVOLL« In Tunsel hat die Coop zehn Hektar Land gepachtet und eine Hofstelle mit Lagerräumen gemietet. Sieben fest angestellte Gärtner und Gärtnerinnen arbeiten vor Ort. Auf dem Freiland und in unbeheizten Folientunneln bauen sie 70 verschiedene Gemüsekulturen, Kartoffeln und Getreide an. Alles samenfeste Sorten. Auch eine Streuobstwiese gehört dazu.

Hofstelle in Tunsel: 70 verschiedene Gemüsekulturen im Angebot.

Fotos: © cc-by-sa/Gartencoop Freiburg

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anzjährig frisches, saisonales Bio-Gemüse, geerntet vor den Toren der Stadt – die Gartencoop Freiburg liefert wöchentlich kistenweise gesunden Genuss für mehr als 300 Haushalte. Die Mitglieder können dann „ihr“ Gemüse genießen: Sie sind nicht nur Konsumenten, sondern packen selbst mit an.


SCHWERPUNKT NACHHALTIG LEBEN

Heide Bergmann

VOM REDEN INS TUN KOMMEN BEWUSSTER EINKAUFEN IN DER REGION

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achhaltig, regional, saisonal: Immer mehr Menschen versuchen, ihre Ernährung bewusst zu gestalten. In der Region gibt es verschiedene Konzepte, die es den Käufern ermöglichen, Herkunft, Herstellung und Transportwege ihrer Lebensmittel genau nachzuvollziehen. Ein Überblick.

Marktschwärmer

Marktschwärmer gibt es überall dort, wo jemand motiviert ist, etwas zu verändern. In Freiburg war das Barbara Schneider: „Ich wollte vom Reden ins Tun kommen“, erzählt die 45-Jährige. So hat sie sich im Mai 2017 aufgemacht, Landwirte zu suchen und ihr Projekt zu starten. Mittlerweile verkaufen die Landwirte ihre Erzeugnisse jeden Donnerstag von 17.30 bis 19 Uhr in der Marktschwärmerei im Turmcafé „Hier und Jetzt“ an der Zähringerstraße. Info: www.marktschwaermer.de

Regionalwert Frischekiste

Die Regionalwert Frischekiste liefert direkt zu den Kunden nach Hause. „Bei uns gibt es quasi alles, wir sind ein Bioladen auf Rädern. Wenn möglich, sind die Produkte Verbandsware, sonst Bio, aber es gibt keine konventionellen Artikel“, sagt Geschäftsführer Valentin Oswald. Beim Bestellvorgang können Kunden Spannendes über Herkunft, geschichtliche oder botanische Fakten die Produkte lesen. Hauptlieferant ist die Gärtnerei Querbeet in Eichstetten. Info: www.regionalwert-frischekiste.de

Piluweri

Säen, ziehen, ernten: Wer bei der Demeter-Gärtnerei Piluweri bestellt, kriegt hochwertiges biodynamisches Obst und Gemüse nach Hause geliefert. Die Gärtnerei aus dem Markgräflerland steht für Qualität und Demeter-Produkte: „Wir bauen nur so viel an, wie wir auch brauchen, wir haben einen

eigenen Kompost und Mist, den wir verwerten. Der Grundgedanke ist, dass alles in einem geschlossenen System bleibt, ohne chemische Pflanzenmittel“, erklärt Sarah Bernhard aus dem Piluweri-Team. Info: www.piluweri.de

Cowfunding

Fairer, nachhaltiger Fleischkonsum? Ja, das geht – „bei Cowfunding ist das Tierwohl großgeschrieben“, erklärt Barbara Schneider, die Marketingfrau des Projekts. Es gibt nur Produkte von alten Nutztierrassen, die Landwirte werden fair bezahlt, die Tiere genießen Auslauf auf der Weide und werden erst geschlachtet, wenn sie vollständig verkauft sind. Die bestellte Ware gibt es jeden Freitag ab 10 Uhr in der Wiehre-Filiale von Metzger Schmidt in Freiburg. Per Post zuschicken lassen geht auch. Info: www.cow-funding.de

Obstkiste Freiburg

Vom Großmarkt direkt zum Kunden nach Hause, dafür steht die Obstkiste. „Dort, wo es möglich ist, lege ich Wert auf regionale Bio-Produkte. Aber ich möchte eine vielfältige Kiste anbieten, deshalb gibt es bei mir im Winter nicht nur Lauch, Chinakohl und Weißkraut. Das unterscheidet mich von den anderen Anbietern“, sagt Betreiber Georg Obermaier. Es gibt auch vegetarische Koch-Kisten mit Rezepten vom Koch des Freiburger Restaurants Herrmann. Info: www.obstkiste-freiburg.

Foto: © Sarah Bernhard

organisiert“, erzählt Fugmann, „und in zehn Jahren Routine geworden. An Erntetagen wird gekocht. Es ist immer eine tolle Atmosphäre. Jung und Alt sitzen dann zusammen, manche bringen ihre Kinder mit. Es ist bunt mit so vielen verschiedenen Menschen.“ Als Kooperative ist die Gartencoop weitgehend unabhängig von den Marktmechanismen und hat keinen Druck, sich auf wenige, marktfähige Sorten zu spezialisieren. So baut sie auch alte, fast vergessene Sorten an wie Palmkohl, Vulkanspargel oder Kiwano und erhält so die biologische Vielfalt. Samenfeste Sorten zu verwenden hat noch einen Vorteil: Man kann sie nachbauen und muss den Samen nicht zukaufen. Auch das ist Fugmann und den Coop-Mitgliedern wichtig. „Es geht darum, den Agrarkonzernen etwas entgegenzusetzen und ihren großen Teil ein bisschen kleiner zu machen.“ Geschmacklich überzeugen diese Sorten allemal. „Wenn man an samenfeste Sorten gewöhnt ist, dann schmeckt einem das gewöhnliche Gemüse, zum Beispiel im Restaurant, nicht mehr.“ Bei der Ernte in Tunsel wird auch nicht so perfektes Gemüse verwertet. In die Kisten kommt das, was es gerade gibt: im Winter meist Lagergemüse, im Sommer große Mengen an frischem Salat, Tomaten oder Gurken. Den Inhalt der Kiste nicht auswählen zu können, war für Fugmann anfangs noch ungewohnt: „Ich hatte noch nie Pastinaken gesehen, Rüben oder Haferwurzeln. Aber dann hab’ ich gelernt, wie man sie kocht. Jetzt ist es normal. Ich bekomme die Kiste, guck rein und weiß, okay, am Wochenende gibt es das und das.“ Als Umweltpädagogin im Leitungsteam der Freiburger Ökostation hat Svenja Fugmann häufig mit Fragen dazu zu tun, wie sich der ökologische Fußabdruck verkleinern lässt. „Ein wichtiger Punkt ist, beim regionalen Erzeuger einzukaufen. Auch Lebensmittel nicht zu verschwenden. Einfach den Blick ändern und Gemüse kaufen, das nicht der Norm entspricht. Auch mal krummes nehmen, zu großes, zu kleines, es ist trotzdem wertvoll.“


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re sden, Florenz an de r E lbe. Wer durc h die sächsische L flanie rt, spazie rt du ande shaupt stadt rc h ein Museum. Üb er 9000 K ulturdenkmä Denkmalliste de r S le r sind in de r tadt ve rzeichne t. D as ku ltu re lle W ah rzeichen ist die ge reiche Sempe rope r. sc hic ht sDas natürliche die E lbe. „E s gib t imme r noch Investoren, di sie könnten Bauantr e meinen, äge an de r E lbe st ellen, die ve rste hen‘s älte re r H err an de ei nf ac h nic ht “, erzählt ein r Carolabrücke und sc hütt elt den K opf. Bauen in den Elb-Aue n ist in Dresden etwa so erwünscht wie ein Abstieg der SG Dynamo in die vie rte Liga. Über 30 Kilometer und teilw eise mehr als 400 Me ter breit säumen Wiesen die Elbuf er. Auf Freiburg bezo gen wäre das eine bebauungsfreie Zone vom Martinsto r bis zur Zasiusstraße in der Wieh re. Nicht nur der Autor kennt keine andere Stadt in Europ a, die mitten im Herze n so viel unverbauten Freiraum hat. Der Großteil der Flä chen steht unter Landschaftssc hutz. Für jeden Besu cher sollte es ein Muss sein, ma l mindestens von de r Augustusbrücke – die ältest e der Stadt, erstmals 1275 erwähnt – bis zum Bla uen Wunder, der Losch witzer Brücke, zu radeln . Dort lohnt sich unbe dingt eine Fahrt mit der weltweit ältesten Be rgschwebebahn auf de n Weißen Hirsch. Vom Dach der Bergstation bietet sich ein herrlich er Panoramablick auf Dresden und sein Elb tal, das 2004 von der Unesco als Welterb e ausgezeichnet und nur fünf Jahre später, noch während des Baus der Waldsc hlößchenbr üc ke de swegen wieder von der Liste gestrichen wurde. In Freiburg wü rden die Stadtmarketingbeau ftragten angesichts eines sol chen Ereignisses direkt kolla bieren,

dt: Entlang der Elbe Der Fluss und die Sta n. mitten durch Dresde

reifen zieht sich ein Grünst

in Dresden (altsorbisch für Sumpf- oder Auwa ldbewohner) nahm die Stadtg esellschaft das mehr he itli ch – mit einem Schulterzucken hin. Zurück am anderen Ufer, mit dem Rad ho ch zur Brühlschen Terrasse – oder wie manche sagen: dem Balkon Europas. Die ufernah e Flaniermeile liegt an der Altstadt und erstreckt sich üb er etwa 500 Meter en tla ng der Elbe zwischen Augustusund Carolabrücke. W ir erspähen einen freien Tisch au f der Dachterrasse de s Radeberger Spezialausschanks im alten Brückenmeister eihaus. „Sie haben Glück, heute ha ben wir den ersten Ta g geöf fnet“, sagt der Kellner. W ir genießen Speis un d Trank und schauen den an- un d ablegenden Tourist enschiffen zu, die weiter unten an der Uferkante navig ieren.


Reise OSTDEUTSCHLAND

Architektonische Perlenkette : Die Brühlsche Terra in der Dresdner sse Altstadt.

Weiter geht’s zur Semperoper am Theaterplatz. Be i einer geführten Tour, bei de r man für eine Fotolizenz noch etwas Kleingeld parat haben so llte, erzählt eine Kunsthistorikerin die wechselvolle, nicht un dramatische Geschichte des Haus es. Das erste Semper-Haus verw andelte sich 1869 zu Asche, einfac h, weil Kerzen als Beleuchtung unbewachter Bereiche während de r Aufführung keine glänzende Idee waren.

Berlin

Dresden

ung: 2005 wurde die Symbol der Versöhn wiedereröf fnet. Frauenkirche feierlich

1878 wurde der Bau im Stil der italienischen Hochrenaissance wiedereröffnet – kurioserweise stam mte auch der aus der Feder von Go ttfried Semper, der ind es wegen seiner Beteiligung am Dr esdner Maiaufstand 184 9 ins Ausland geflohen war. Do ch die Dresdner wollte n trotzdem, dass er es wieder ma cht, und so setzte die Planung vor Ort Sempers Sohn M anfred um. Am 13. Fe bruar 1945 wurde die Oper dann ern eut zerstört, zunächst nur notdürftig wieder saniert, ex akt 40 Jahre später ab er, noch vor der Wende, in ihrer Originalbauweise – mal abgesehen von den marmor-im itierenden Stuckarbeit en – ein drittes Mal wiedereröffn et. Auch die barocke Fra uenkirche zählt zu de n Wahrzeichen der zweitgrößten Sta dt Sachsens. Sie war am 15. Februar 1945 endgültig in sic h zusammengestürzt, führte während der DDR-Zeit ein mahnendes Dasein als Ruine. 60 Jahre später, am 30. Oktober 2005, feierte sie nach dem gut 180 Millionen Eu ro teuren Wiederauf bau mit Weihegottesdienst und Festa kt ihr neues 

Prächtig

saniert:

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al der Se mperop er

März 2021 CHILLI 35


tography Fotos: © bar, iStock.c om/ 13threepho

Mediterranes Fla

ir: Der Zwinger-I

nnenhof ist eine

Ruheoase mitten in

 Dasein – als Symbolder Versöhnun g. Spenden aus aller Welt hatten es mö glich gemacht. Vor de r Frauenkirche steht indes ein M ann: Martin Luther in Bronze.

der Stadt..

Grüne Gewölbe im Re sidenzschloss, die Sa mmlung der Schatzkammer der W ettiner Fürsten von de r Renaissance bis zum Klassizis mus – die umfangre ich ste Kleinodiensammlung Europ as.

Zwingend sollte auch ein Besuch im Zwing er sein, der so gar nicht wie ein Zw inger ist: weitläufig, lus tvoll, Orangenbäumchen hier, W Die Stadtoberen und asserspiel dort, Glocke der Stadtrat von Dresd nt ürmchen en, die sächweiter hinten – hach sis che Landesregierung , auch ein Nymphenb – und bei der Sempero ad gib t es. August der Starke war es per auch die SED von Erich Ho – man trifft in der Al necker – haben beim tstadt immer W ied wieder auf seine Spur era uf bau sehr viele richtige En en –, der die Anlage An tscheidungen getroffe fang des 18. n. Jahrhunderts bauen ließ. Auch hier hatte übrigens Gottfried Semper seine Die vermutliche co Finger im Spiel, denn olste bewirtete Dach nach seinen terrasse der Entwürfen wurde vo Stadt ist die auf dem n 1847 bis 1855 noch Lebendigen Haus. In ein Galeriegede bäude zur Elbseite hin r Bar Felix lässt sich die Abends arrondiert. onne – mit Sand unter den Füßen – sehr lange blicken un d taucht das Florenz an Auch die darstellende der Elbe in ein rotes Licht. Kunst kommt in Dresd en nicht zu kurz: Es gibt 50 Musee n. Das bekannteste ist sicher das Lars Bargmann

36 CHILLI März 2021

bahn geht’s den Hoch hinauf: Per Bergschwebe ch. Hirs Elbhang hinauf zum Weißen


chilli astrologie

Das »bierernste«

chilli-Horoskop

Die Frühjahrs-Flirt-Edition von Hobby-Astronaut Philip Thomas

Widder 21.03. – 20.04. Endlich ist der Winter vorbei. Zeit für Frühlingsgefühle. Blöderweise haben du und dein Darling im Lockdown das gesamte Ersparte für Pizza und Streamingdienste verbraten und nun knurrt der Magen. Viele sagen, man könne bloß von Luft und Liebe leben. Nach ein paar Tagen stellt ihr allerdings fest: Nur Schmetterlinge im Bauch machen auch nicht satt.

Stier 21.04. – 21.05. Flirten in Pandemie-Zeiten: Es ist kompliziert. Corona-konforme Dates im Park mit Maske und Abstand machen einfach wenig Sinn. Aber immerhin musst du vor Online-Treffen nicht mehr deine Freundin für einen Anruf einspannen: Falls ein Video-Date schiefläuft, ziehst du einfach den Stecker und schiebst das Malheur später auf den Router.

Zwilling 22.05. – 21.06. Nach dem ersten Date gilt die eiserne Regel: Erst nach drei Tagen sollte man sich wieder bei der neuen Flamme melden. Dein Schwarm hat dir allerdings schon direkt am nächsten Tag geschrieben! Das liegt entweder an deinem unnachahmlichen Charme – oder an der Tatsache, dass du sein nigelnagelneues Auto angefahren hast.

Krebs 22.06. – 22.07. Von Dating-Apps wie Bumble und Tinder hast du die Nase voll. Der romantische Romeo entpuppt sich beim ersten Treffen als tyrannischer Tybalt, statt einer bildhübschen Blondine erscheint jemand mit Haaren auf den Zähnen. Du sattelst um auf Liefer-Apps. Die Fahrer dort haben schließlich nicht nur einen Job und ein Auto – sondern auch Pizza!

LÖWE 23.07. – 23.08. Funfact für Freunde ungefragter Online-Avancen in Zeiten von Corona: Das unaufgeforderte Versenden von egal wie gutaussehenden Geschlechtsteilen gilt nach Paragraf 184 des Strafgesetzbuches als „unerlaubte Verbreitung pornografischer Schriften“. Immer mehr Freiburger (+46 Prozent, 36 Fälle im Vergleich zu 2019) gehen mit den erhaltenen Bildchen zur Polizei.

JUNGFRAU 24.08. – 23.09. Endlich hast du die perfekte Partnerin gefunden. Sie steht auf die gleichen Filme, hat denselben Humor und mag die Musik, die du auch hörst. Dazu sieht sie noch gut aus und hat ständig Bock auf Sex. Aber ein bisschen aufgeblasen ist sie ja schon. Wenn es dir zu bunt wird, kannst du einfach mal die Luft rauslassen und die Gute unterm Bett verstauen.

50 CHILLI märz 2021

Waage 24.09. – 23.10. Altersunterschiede in einer Beziehung sind so eine Sache, können sich aber auch als profitabel erweisen, wie Schlagerbarde Michael Wendler (48) und seine Angebetete Laura (20) eindrucksvoll beweisen: Sie lebt in einem schicken Haus in Florida und er hat mit „Sie schiebt den DJ!“ den Hit für 2051 praktisch schon in der Tasche.

Skorpion 24.10. – 22.11. Jede Teenie-Generation hat ihre eigene Dating-App. 2004 trafen sich hormongepeinigte Teenager mit Myspace, 2006 war es SchülerVZ, 2009 gingen sie zu Facebook und nach ihrem Soziologie-Bachelor schließlich auf Elitepartner. Auch Tinder und TikTok sind längst wieder out. Heutzutage lernen sich die coolen Kids mit der Corona-Warn-App kennen.

schütze 23.11. – 21.12. Die Vorbehalte beim ersten Treffen nach tagelangem Texten sind in diesem Frühling unterschiedlich ausgeprägt. Die Angst vieler Frauen, einem vereinsamten, kettensägeschwingenden Serienmörder zu begegnen, ist nichts im Vergleich zur blanken Panik der meisten Männer, ihr Date könnte nach dem Lockdown ein paar Kilo zu viel auf den Rippen haben.

steinbock 22.12. – 20.01. Nach monatelanger Isolation und deinem – eher unfreiwilligen – Vampir-Look schmeißt du dich für die Öffentlichkeit in Schale. Schlaghose, Bandana und Rollkragenpullover sitzen soweit, aber bei der Schuh-Wahl bist du dir unsicher: Trägst du schwarze oder weiße Socken zu den schicken Sandalen? Du willst schließlich nichts falsch machen!

wassermann 21.01. – 20.02. Dein Date im Park lief eigentlich ganz gut: Du warst witzig, charmant und konntest sogar mit deiner Modelleisenbahn und deiner Sammlung ausgestopfter Schildkröten punkten. Nur der erste Kuss ging dann irgendwie daneben: Du dachtest eben, in dir kommen Frühlingsgefühle hoch. Konnte ja keiner ahnen, dass es bloß Heuschnupfen war.

fische 21.02. – 20.03. „Flirts“ in der Arbeitswelt können übel ausgehen. Gegen den Chefredakteur eines bekannten Boulevardblattes wird verlagsintern gerade wegen Nötigung und Mobbing ermittelt. Der Boss und stolze Brusthaarträger bestreitet die Vorwürfe. In diesem Horoskop gilt erst mal die Unschuldsvermutung. Das ist hier schließlich nicht die Bild-Zeitung.




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