wirtschaft Start-ups
Starten groß durch: Die drei Gründer Max Gulde (m., mit Kind), Raumfahrtingenieur Marius Bierdel (li. daneben) und Business Manager Christian Mittermaier (4. v. re.) und ihr Team wollen im Februar 2022 ihren ersten Satelliten zur ISS (li.) schicken.
Ein groSSer Schritt für die Menschheit Freiburger Start-up will landwirtschaftliche Daten aus dem All senden
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Fotos: © ConstellR, Airbus
oran ESA und NASA bislang gescheitert sind, will nun ein Freiburger Start-up umsetzen: Satelliten, die Bauern vom Weltall aus melden, ob ihre Pflanzen gewässert oder gedüngt werden müssen. Schon in wenigen Jahren soll das dazu beitragen, den globalen Hunger zu bekämpfen. Rund 400 Kilometer über der Erde schwebt der Mini-Satellit durchs Weltall. Von wo aus das menschliche Auge gerade einmal Kontinente und Weltmeere erkennt, sieht er einzelne Felder – und im Endeffekt sogar die nur Mikrometer großen Zellen der Pflanzen, die hier wachsen. Verschließen sich diese, weil die Pflanze Stress hat – etwa durch zu wenig Wasser, Dünger oder Pilzbefall –, steigt die Temperatur auf dem Feld an. Das bemerkt der Satellit und meldet es an die Erde. Hier gehen diese Daten – aufbereitet und verknüpft mit weiteren Faktoren – an den Bauern. Der kann direkt handeln und sorgt so für das optimale Wachstum seiner Pflanzen. Das ist die Vision. Die Entwickler dieses Satelliten sitzen weder bei der NASA noch bei der ESA, sondern übergangsweise in ein paar alten Büroräumen in der Freiburger Innenstadt. Nach etwas Dauerhaftem sucht das Start-up ContsellR GmbH noch nicht – zu rasant ist das Wachstum der kleinen Firma. Was vor einem Jahr als Neugründung von vier Wissenschaftlern begonnen hat, ist mittlerweile auf 16 Mitarbeiter angewachsen. Bis Anfang nächsten Jahres sollen es etwa doppelt so viele sein. Wer trotzdem erwartet, ein hochmodernes Spacecenter vorzufinden, wird enttäuscht. Das einzige Ungewöhnliche in den Büros sind die Maispflanzen, die in Kübeln wachsen. Sie dienen als 30 CHILLI April/Mai 2021
erstes Versuchsobjekt. Der Satellit selbst wird in den Reinräumen des Ernst-Mach-Instituts gebaut. Im Februar 2022 muss er fertig sein. Dann wird er ins All geschossen, wo er an der ISS andocken soll. Das Besondere an ihm: Er ist nicht größer als eine Schuhschachtel. Und darum deutlich günstiger. Während ein normaler Satellit zwischen 850 Millionen und 1,3 Milliarden Euro kostet, hat es für die Miniaturausgabe nur eine gute Million gebraucht. Das macht eine ganz andere Technologisierung möglich, erklärt Max Gulde, einer der noch aktiven drei Gründer: „Der Space Sektor ist extrem konservativ. Das ist auch logisch: Wenn man etwas für mehrere Milliarden baut und keine Chance hat, es zu reparieren, wenn es einmal im All ist, dann muss man von der eingesetzten Technologie felsenfest überzeugt sein.“ Das Resultat: Die Technik im Weltraum hinke der auf der Erde um rund zehn Jahre hinterher. Vertreter der New-Space-Bewegung, zu denen auch ConstellR gehört, wollen das ändern. Indem sie Satelliten auf das Nötigste beschränken, machen sie sie kleiner und billiger. „Wir schicken eine erste Satellitengeneration hoch, von der wir wissen, dass sie nicht perfekt ist“, erklärt Gulde die Idee. „Die ist nach drei Jahren passé und dann kommt die nächste, die doppelt so viel kann.“ NASA und ESA seien daran bisher gescheitert: Bereits seit den 90er-Jahren sei bekannt, dass die Berater von Landwirten händeringend nach Temperaturdaten aus dem All suchen. Seit dieser Zeit versuchen die Agenturen, Missionen zu starten – bislang erfolglos. „Die aktuellen Missionen werden nicht vor Ende der 20er-Jahre starten“, glaubt der Physiker, „doch das ist viel zu spät.“