chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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KONTROVERS MOBILITÄT

KONTROVERS

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b 2035 dürfen in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen verkauft werden. Benzin-, Diesel- und auch Hybridautos stehen damit vor dem Aus. Eine gute Entscheidung? Welche Folgen hat ein Verbot für Südbaden? Die Verhandlungen der Umweltminister in Brüssel dauerten mehr als 16 Stunden. In der chilli-Rubrik KONTROvers argumentieren Andreas Müller, Leiter Abteilung Verkehr, Technik und Umwelt im ADAC Südbaden, und Martin Wietschel, Leiter Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovation Karlsruhe, für und wider.

Fotos: © iStock.com/simonkr; Scharfsinn86

»SCHRÄNKEN MOBILITÄT EIN« WARUM DER VERBRENNUNGSMOTOR NOCH NICHT AUSGEDIENT HAT

Foto: © ADAC

Ein pauschales Verbot von Diesel- oder Benzinmotoren im Straßenverkehr hält der ADAC für falsch – übergeordnetes Ziel zum Erreichen der Klimaschutzziele sollte die effiziente CO2-Minderung sein, nicht die Fokussierung auf eine bestimmte Technologie. Der Verbrennungsmotor hat sein Effizienzpotenzial noch nicht ausgeschöpft und dominiert trotz Hochlauf der Elektromobilität noch lange Zeit den Fahrzeugbestand im Straßenverkehr – national und international. Wir begrüßen daher, dass der Europäische Rat die Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotor über 2035 hinaus gebilligt hat, wenn

„Potenzial noch nicht ausgeschöpft“: Andreas Müller vom ADAC

14 CHILLI JULI/AUGUST 2022

sie mit E-Fuels – sogenannten synthetischen Kraftstoffen aus Wasserstoff als Grundprodukt – klimaneutral angetrieben werden. Nun muss die Kommission umgehend einen Gesetzgebungsvorschlag für die Zulassung von klimaneutral betankten Verbrennerfahrzeugen vorlegen, sonst haben wir faktisch ein Verbrennerverbot. Der ADAC setzt sich beim Klimaschutz für einen technologieoffenen Ansatz bei Antrieben und Antriebsenergien ein, dies schließt einen klimaneutral betriebenen Verbrennungsmotor ein. Wichtig ist aus unserer Sicht, den Verbrennungsmotor in Richtung Klimaneutralität weiterzuentwickeln. Dafür bedarf es geeigneter Anreize. Nicht die Antriebsart, sondern die Antriebsenergie ist entscheidend für klimaneutrale Mobilität. Das bedeutet: Ersatz fossiler Kraftstoffe und fossilen Ladestroms durch erneuerbar und treibhausgasfrei erzeugte flüssige und gasförmige Kraftstoffe und Strom. Die EU-Regulierung für neue Pkw setzt bereits heute einen starken rechtlichen Rahmen, um Fahrzeuge mit geringen CO2-Emissionen in den Markt zu bringen. Bis 2030 werden

voraussichtlich zehn Millionen Pkw in Deutschland – also über ein Fünftel des Bestands – über einen Elektroantrieb verfügen. Vor diesem Hintergrund prüfen derzeit viele Automobilhersteller, ob sie Diesel- oder Benzinmotoren auch langfristig in Europa anbieten sollen. Ein nationales Verbrennerverbot bietet somit weder der Industrie noch den Käufern von Neufahrzeugen zusätzliche Orientierung. Die Bedarfe der Menschen in Südbaden unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von den Bedarfen im ganzen Land. Aufgrund der fehlenden Sicherheiten was die Anschaffung eines vollelektrischen Pkw angeht, wird es in Südbaden nicht möglich sein, alle Vorteile dieser Antriebsart vollumfänglich umzusetzen. Selbst wenn wir in Südbaden die ambitionierten Ziele hinsichtlich Elektromobilität erreichen sollten, werden viele andere Regionen der Welt den Verkehr auch in 20 oder 30 Jahren nicht elektrifizieren können. Im Gegenzug schränken wir aber die bezahlbare, individuelle Mobilität vieler Südbadener ein und verhindern dadurch, dass sie am sozialen Leben teilhaben können. Andreas Müller


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