EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE
CORONA, KAMERADEN UND KREUZE WEIHNACHTEN UND ICH – EIN TRAUERSPIEL JESS JOCHIMSEN ÜBER 2020
Fotos: © J. Jochimsen, Hintergrund: Freepik/kjargpeter
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eihnachten und ich ... ganz ehrlich: Das wird nichts mehr. Für andere mag es ja ein „frohes“ Fest sein, ich dagegen versinke in Agonie, wenn ich nur daran denke. Und das hat erst mal nichts mit diesem vermaledeiten Corona-Jahr zu tun. War bei mir immer schon so. Gleich zu meinem allerersten Weihnachten (also dem ersten, an das ich mich erinnern kann) bekam ich von meinen Eltern einen Stoff-Teddybären geschenkt. Ich weiß das noch genau: Dieser Teddy war flauschig und fast so groß wie ich. Allerdings weniger ro16 CHILLI DEZEMBER 2020/JANUAR 2021
bust. Beim Spielen verlor er schnell ein Ohr und einen Arm, bald darauf beide Beine; die Knopfaugen hingen – sinnlos aus ihren Verankerungen gepuhlt – am Faden, die Holzwolle quoll hervor und binnen weniger Minuten war der Bär nicht mehr als solcher zu erkennen. „Bravo“, sagten meine Eltern, „schon kaputt. Das hast du ja ganz toll hingekriegt.“ Ich war noch klein, aber ich erkannte an ihrem Tonfall, dass sie das gar nicht so meinten. Sie waren bitter enttäuscht und ich: traurig, verwirrt, schuldig. Mein Opa kapierte, wie es um mich stand, und versuchte mich
zu trösten: „Junge, das mit dem Bär“, sagte er, „weißt du, ... der Bär war ein tapferer Kamerad. Er ist gefallen. In einem gerechten Krieg.“ Und dann setzten wir den Bären am zweiten Weihnachtsfeiertag im Blumenbeet der Oma – obwohl die Erde halb gefroren war – mit allen militärischen Ehren bei. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, gingen wir schließlich ins Kino. Auch das erinnere ich noch gut. Der Opa, die Oma und ich. Ins Kino, zum ersten Mal – in Bambi! Und auf dem Nachhauseweg fuhr der Opa ein Reh tot. Auch wenn das Leben danach normal weiterging – das Reh kam in den Kof-