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Wiener Zeitung Österreichische Tageszeitung seit 1703 Wien, am 22.07.2020, 260x/Jahr, Seite: 7 Druckauflage: 18 000, Größe: 71,35%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13017651, SB: Ischgl
Es war nicht der Barkeeper Die Gesundheitsagentur Ages legt eine umfassende Analyse des Beginns der Epidemie in Österreich vor. Von Simon Rosner
Die erste positiv getestete Person in Österreich war der epidemiologische Horror. Denn die Frau arbeitete in Innsbruck als Rezeptionistin und hatte Kontakt zu vielen Touristen. Bei 59 wurden Proben genommen, keine war positiv. Die Frau steckte also niemanden an, nur ihr Freund war auch infiziert. Heute weiß man: Die meisten geben das Virus kaum oder gar nicht weiter, einige dafür an sehr viele. Das ist eine spezifische Eigenschaft von Sars-CoV-2. Es kann auch anders ausgehen, wie der Cluster A beweist, den die Gesundheitsagentur Ages in einer Studie ermittelt hat, die von der „Wiener Klinischen Wochen-
schrift“ zur Publikation angenommen wurde. Demnach war ein 41jähriger Wiener am 22. Februar von einem Kurzurlaub in Mailand zurückgekehrt, tags darauf stellten sich bei ihm milde Symptome ein. Drei Tage später, am 26. Februar, wurden der Mann und seine Frau getestet, beide waren infiziert, ebenso der 15-jährige Sohn. Ischgl-Virus-Genom tauchte im Jänner in Frankreich auf Vor dem Test fand ein Abendessen mit einem befreundeten Paar statt, die Symptome waren ja nur mild. Unglücklicherweise handelte es sich dabei um eine Fitnesstrainerin, die Spinningkurse anbietet. Dabei wird in Gruppen auf Rad-Ergometern in Innenräumen
trainiert. Das Ergebnis waren 15 Ansteckungen allein im Spinningkurs. Insgesamt löste der Kurztrip nach Mailand 61 Infektionen aus, und alles passierte innerhalb weniger Tage. Dieser frühe Cluster ist ein anschauliches Beispiel, welche Bedeutung eine schnelle Reaktion von Patienten und Behörden hat. Es vergingen nur vier Tage zwischen dem ersten Symptom und dem Vorliegen des Tests. Genau in dieser Zeit wurde das Virus weitergegeben. Damals wusste man noch wenig über das neue Coronavirus, die Bevölkerung hatte zudem keinerlei Epidemieerfahrung. Heute ist klar, dass Betroffene anders reagieren müssen, schon kurz nach Ansteckung können
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Personen infektiös sein. Wer Krankheitssymptome hat, sollte sich deshalb sicherheitshalber nicht mit anderen Leuten treffen, bis ein Test vorliegt oder das Symptom verschwindet. Auch die Behörden müssen anders und schneller agieren als im März. Das beweist das Beispiel Ischgl. Die Ages hat sich auch diese Cluster angesehen, konnte aber keinen definitiven Indexfall ermitteln. Interessant ist, dass die spezifische Mutation des Virus des Ischgl-Clusters identisch war mit dem eines Falles im französischen Skiort Les ContaminesMontjoie, wohin eine Britin nach einer Konferenz in Singapur bereits am 24. Jänner reiste. Die Ages schließt jedenfalls, dass sich
das Virus deutlich länger vor dem vermuteten Indexfall des „Kitzloch“-Barkeepers in Ischgl verbreitete. Der Barkeeper hatte ab 2. März Symptome, am 7. März wurde er positiv getestet. Island hatte schon am 3. März den Behörden Infektionen, mutmaßlich aus Ischgl, gemeldet. Die Touristen waren bereits im Februar zurückgeflogen, der früheste Zeitpunkt eines Krankheitsbeginns wurde von einem Gast mit 26. Februar angegeben, lange vor dem Barkeeper. Aus Dänemark und Norwegen wurden am 8. März Fälle gemeldet, am 12. März waren in Norwegen bereits 149 Personen mit Bezug zu Ischgl infiziert. Erst zwei Tage später wurde das Skigebiet geschlossen.
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