Schule Oberhuber

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Ausstellungsmacher

Schule Oberhuber Rektor, Der Künstler, und sein Programm

Cosima Rainer, Eva Maria Stadler (Hrsg.)

Schule Oberhuber Der Künstler, und

Cosima Rainer, Eva Maria Stadler (Hrsg.)

Ausstellungsmacher Programm

Künstler, und sein Programm

Rektor,

Der

Gerald Bast, Rektor

10 In der Schule Oberhuber

Cosima Rainer, Eva Maria Stadler

16 Hochschuleinrichtung. Von der Hochschule für angewandte Kunst zur Schule Oberhuber

Eva Maria Stadler

32 Oswald Oberhuber. Stegreifstück und Scheideweg

Thomas D. Trummer

44 Möglichkeitsräume – und die, die es noch werden wollen.

Oswald Oberhuber in Venedig und Gent

Julienne Lorz

64 Schule Oberhuber. Eine Sammlung als Programm

Cosima Rainer

75 Schule in der Schule. Narrative in der Ausstellungskonzeption

Robert Müller, Cosima Rainer

83 Schule Oberhuber. Eine Sammlung als Programm. Ausstellungsansichten und Werktexte

150 Franz Čižek und die Kunstpädagogik an der k. k. Kunstgewerbeschule

Laura Egger-Karlegger

154 Zur Ausbildung von Künstlerinnen an der frühen k. k. Kunstgewerbeschule

Eva Marie Klimpel

159 Die Wiener Kunstgewerbeschule und die Wiener Werkstätte

Lilien Feledy

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Vorwort

Archiv hineinhören

Kathrin Heinrich

171 Bazon Brock über Oswald Oberhuber

Bazon Brock

177 Oswald Oberhuber. Fragment gegen System

Bazon Brock

184 Der falsche Hase. Hakenschlagen auf Kunstrasen

Bazon Brock

193 Einheit durch Verschiedenheit. Jenseits von transmedial und interdisziplinär

Bazon Brock

199 Kunstsammlung und Archiv x Angewandte Fotografie

209 Glacéhandschuh, Besuchszeit und Belichtungsmesser – Oder: Diskurselemente einer Unzeitgenossenschaft

Georg Petermichl 214

219 Resümee einer Rektorstätigkeit

Oswald Oberhuber

166 Ins
Abbildungsverzeichnis 218 Impressum
Autor:innen 215

Oswald Oberhuber war die Antithese zum Typus des Spezialisten. Er hat die Grenzen zwischen Disziplinen gebrochen und Disziplinen verbunden. Er war Maler, Grafiker, Modeschöpfer, Gestalter von Möbelskulpturen, Ausstellungsmacher, Galerist, Kunsttheoretiker, Museologe, Hochschullehrer und Rektor der Universität für angewandte Kunst

Wien. Auch seine Schüler:innen hat er dazu ermutigt, Disziplinengrenzen und Konventionen gering zu schätzen und kunstkategorisierende Ismen zu verachten. In einem emanzipierten Verständnis von Lehre und Studium hat er seinen Studierenden zugetraut, sie ermutigt, sich selbst eine Meinung zu bilden und verändernd zu wirken.

„Wäre ich ein Historiker oder Soziologe“, sagt Oberhuber, „so könnte ich mein Unterfangen der permanenten Veränderung erklären durch wissenschaftliche Genauigkeit. Aber so bleibt mir nur die intuitive Unredlichkeit einer Erfahrung im Umgang mit Kunst, und ich schrecke nicht davor zurück, diese Undeutlichkeit zu propagieren, denn das ist mein Mittel, deutlich zu sein.“

Permanente Veränderung war schon seit den 1950er-Jahren Oberhubers Credo – lange be-

7 Vorwort

vor „Change“ zum oft verwendeten, aber oft genug inhaltsleeren Slogan wurde. Veränderung hat er auch und gerade an der Angewandten praktiziert und dadurch die Angewandte zu dem gemacht, was sie heute ist: eine weltoffene, der Zukunft zugewandte Institution mit dem Mut, sich selbst zu verändern, und mit dem Anspruch, über die eigenen Mauern hinaus und auch jenseits der Grenzen des Systems Kunst Wirkung zu entfalten.

„Nur die lebendige Gegenwart kann Lehrmeister für die Kunst sein!“

Als Rektor hat Oswald Oberhuber die Angewandte personell und inhaltlich geöffnet. Er hat bedeutende Persönlichkeiten wie Joseph Beuys und Karl Lagerfeld an die Angewandte geholt und damit die Atmosphäre an dieser Institution nachhaltig verändert. Er hat die Kunstsammlung der Angewandten systematisch auf- und ausgebaut. Er hat Museologie an der Angewandten als Lehrund Forschungsfeld installiert, und in seiner Rektoratszeit wurde an der Angewandten Europas erste Medienkunst-Klasse errichtet. An der Bestellung von Maria Lassnig als Österreichs erster Malerei-Professorin durch die damalige, für die Hochschulen zuständige Ministerin Firnberg war Oberhuber ebenso beteiligt wie an der Tatsache, dass Herta Firnberg den Oskar-Kokoschka-Preis begründete und die Angewandte mit dessen Durchführung betraute. Darüber hinaus war er ein begnadeter hochschulpolitischer Stratege.

„Wenn wir von Politik reden, so besteht die Lust des Künstlers darin, unverschämt sein zu können. Das ist sozusagen meine Art von Politik. Ein Künstler kann noch immer versuchen, gewisse Wahrheiten einzubringen – so sie Wahrheiten sind, so es das überhaupt noch gibt.“

8 Gerald
Bast, Rektor

Er konnte witzig, sarkastisch und unverschämt sein, wie es ihm gerade richtig erschien.

Gerade auch im Umgang mit Politik und Bürokratie wechselte er lustvoll die Perspektiven, um so seinen Gesprächspartnern den argumentativen Teppich unter den Füßen wegzuziehen – aber ohne sie bloßzustellen. Provokation war für ihn die Einladung, sich auf einen Diskurs mit ihm einzulassen.

Genau so, provokant und charmant, lebt

Oswald Oberhuber (1931–2020) in unseren Köpfen und im kollektiven Gedächtnis der Angewandten weiter. In diesem Sinne freut es mich besonders, ihm die vorliegende Publikation Schule Oberhuber, herausgegeben in der Edition Angewandte, widmen zu können.

Mein Dank gilt den beiden Herausgeberinnen Cosima Rainer und Eva Maria Stadler, sowie allen Autor:innen, die an der Entstehung dieses Bandes mitgewirkt haben – und nicht zuletzt

Oswald Oberhuber selbst, für alles was er für unsere „Schule“ war und sein wird.

9 Vorwort

Cosima Rainer, Eva Maria Stadler

Die Begegnungen mit dem ungewöhnlichen und charismatischen Künstler Oswald Oberhuber (1931–2020) waren für uns beide immer wieder sehr eindrucksvoll. Oberhubers Denken und Handeln begleitet uns nun auch in unseren aktuellen Tätigkeitsfeldern an der Universität für angewandte Kunst Wien. Für Cosima Rainer, Leiterin von Kunstsammlung und Archiv, ist es das Erbe der Kunstsammlung, die Oberhuber gründete und die es zu erforschen und den Studierenden und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen gilt. Für Eva Maria Stadler, Professorin für Kunst- und Wissenstransfer, ist es der hohe Stellenwert der Lehre, der Oberhuber antrieb und der ihn bis zuletzt neugierig und offen für neue Tendenzen der Kunst bleiben ließ.

Die vorliegende Publikation Schule Oberhuber. Der Künstler, Rektor, Ausstellungsmacher und sein Programm beleuchtet erstmals die programmatische Verschränkung der vielen scheinbar disparaten Praktiken Oswald Oberhubers. Seine Positionierung im internationalen Kunstfeld und Kritik am konservativen Nachkriegskanon, sein Wirken

10 In der Schule Oberhuber

als Rektor, Kurator und Begründer der Kunstsammlung der Universität für angewandte Kunst

Wien werden hier nicht nur einzeln behandelt, sondern zueinander in Beziehung gesetzt. Wir möchten zudem zeigen, dass Oswald Oberhubers wegweisende und vielschichtige Praxis, durch die er die damalige Hochschule für angewandte Kunst in Wien von den 1970er- bis in die 1990erJahre prägte und den kunstpolitischen Diskurs in der Öffentlichkeit mitgestaltete, bis heute nicht im Geringsten an Relevanz verloren hat. Im Zentrum der Publikation steht die Dokumentation der Ausstellung Schule Oberhuber. Eine Sammlung als Programm, in der die Kurator:innen Cosima Rainer und Robert Müller 2022 erstmals eine neue Kontextualisierung der umfassenden Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit Oswald Oberhubers vorgenommen haben. Die Textbeiträge von Thomas D. Trummer und Julienne Lorz befassen sich mit Oberhubers Positionierung in der jüngeren österreichischen Kunstgeschichte bzw. mit Oberhuber als Gestalter von Möglichkeits- und Erfahrungsräumen am Beispiel seiner Beiträge zur Biennale in Venedig und zu Jan Hoets Chambres d’Amis in Gent. Sie verdeutlichen Oswald Oberhubers außergewöhnliche künstlerische Haltung und sein kulturpolitisches und reformorientiertes Verständnis von Kunstvermittlung. Die bis heute lohnenswerte Auseinandersetzung mit der von Oberhuber initiierten Kunstsammlung und dem Universitätsarchiv bietet für zeitgenössische Künstler:innen und Studierende neue Perspektiven, die sie auch im Rahmen des Projekts Schule Oberhuber ausgelotet haben. So haben Studierende der Klasse Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien unter der Leitung von

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Oswald Oberhuber, wir, du, sie, alle Oswald Oberhuber,
alle feiern ein halb-jahrhundert oberhuber, 1981 Oberhuber, Plakat Ich protestiere gegen Oberhuber der andauernd herummanipuliert und intrigiert, Oberhuber, 1968

Maria Ziegelböck und Georg Petermichl Objekte

aus der Sammlung der Angewandten neu interpretiert und fotografisch in Szene gesetzt. Und Marei Buhmann und Marie Yaël Fidesser haben in ihrem multimedialen Werkzyklus Ja was machen wir mit den Stimmen? im Universitätsarchiv schlummernden Protokollen und Autografen hörbare und körperliche Präsenz verliehen.

Unter der Prämisse der ‚Permanenten Veränderung‘ arbeitete der Künstler Oswald Oberhuber direkt am und gegen den Nerv des Kunstbegriffs der Moderne. Dabei hat er eine Position eingenommen, die eingefahrene Konventionen und kanonische Verfestigungen grundsätzlich infrage stellt. Er setzte sich produktiv und subversiv mit dem hochgradig auf Repräsentation beruhenden Kunstsystem auseinander und scheute sich nicht, dessen blinde Flecken künstlerisch zu dekonstruieren. Als „Alleskönner“ wirkte er sowohl durch seine individuelle künstlerische Produktion als auch durch seine Fähigkeit, Netzwerke zu knüpfen und kollektive Bewegungen zu stärken. Bereits seit den 1980er-Jahren war Oswald Oberhuber zudem richtungsweisend in der Bearbeitung kunsthistorischer Themen, deren Bedeutung erst heute umfänglich erfasst wird –etwa das der eminenten Bedeutung der Frauen in der Wiener Werkstätte, der vergessenen und verfolgten Künstler:innen der Wiener Moderne oder der Vernetzungen der „österreichischen“ Avantgarde im zentraleuropäischen Raum. Man kann Oberhuber somit als Ausnahmekünstler bezeichnen, der neben seiner eigenen künstlerischen Arbeit zur Wiederentdeckung zahlreicher politisch wie kunsthistorisch marginalisierter Künstler:innen beitrug.

14 Cosima
Rainer, Eva Maria Stadler

Es ist kaum zu überschätzen, wie sehr seine künstlerischen, hochschulpolitischen und kuratorischen Initiativen ineinandergriffen, um eine unterdrückte Kunstgeschichte zum Vorschein zu bringen, die nach den Repressionen der NS-Herrschaft und einer konservativen, geschichtsglättenden Nachkriegszeit erst mühsam erarbeitet werden musste. Aus diesem Blickwinkel zeigt Oberhubers unermüdliches Engagement an der Angewandten, beim Aufbau der Studiensammlung und bei der Intensivierung der Ausstellungstätigkeit und des Kunstdiskurses, in seiner Gesamtheit gesehen eine außergewöhnliche Stringenz und Hartnäckigkeit. Oberhubers rastloser Gestaltungswille reichte dabei bis zu so profanen und „kleinen“ Formen wie den zahlreichen von ihm selbst gestalteten und hier dokumentierten Plakaten, mit denen er ein lebendiges Programm an Ausstellungen, Vorträgen oder Konzerten propagierte. Mit der künstlerischen Verschränkung so vieler Bereiche des Tuns und Handelns hat Oberhuber seinem Denken nicht nur einen in seiner Wandelbarkeit kohärenten, sondern auch einen lustvollen Rahmen gegeben, in dem nicht zuletzt Selbstironie und Selbstkritik immer wieder einen prominenten Platz einnahmen.

15 In der Schule Oberhuber
Besonderer Dank geht an Silvia Herkt, die uns als Leiterin des Universitätsarchivs wertvolle Hinweise gegeben hat.

HOCHSCHULEINRICHTUNG. VON DER HOCHSCHULE

FÜR ANGEWANDTE KUNST

ZUR SCHULE OBERHUBER

EVA MARIA STADLER

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Seine Hände waren buchstäblich zupackend. Gleichviel ob es sich um hochschulpolitische Entscheidungen oder seine künstlerische Ausdrucksweise handelte. Mit entschlossenem Strich skizziert Oberhuber die Hochschuleinrichtung [ Abb. 1 ]: einen Schrank, dessen Frontseite durch eine ornamentale Struktur mit Rahmen, Sockel und Kopfabschluss gegliedert ist, nur – der Schrank ist weit mehr als ein Schrank. Er ist Architektur, Waschbeckenverbau, Skulptur, Säule, und eben: Hochschule.

Im Jänner 1970 hatte der Österreichische Nationalrat das Kunsthochschul-Organisationsgesetz verabschiedet, das die Kunsthochschulen den wissenschaftlichen Hochschulen gleichstellte. Darin wurde in §1(3) festgehalten: „Ziele der Kunstlehre sind insbesondere die Ausbildung der künstlerischen Fähigkeiten bis zur höchsten Stufe, die Heranbildung des hochqualifizierten künstlerischen, künstlerisch-pädagogischen und künstlerisch-wissenschaftlichen Nachwuchses, die künstlerische, die künstlerisch-pädagogische und die künstlerisch-wissenschaftliche Berufsvorbildung sowie in diesem Zusammenhange auch die Vermittlung einer umfassenden Bildung. Diese Ziele sind zu verfolgen durch Unterweisung und durch Auswertung der Ergebnisse der Erschließung der Künste und der Forschung.“1 In die Zeit, in der die Angewandte unter Hochschule für angewandte Kunst firmierte, fielen die beiden Amtsperioden von Oswald Oberhuber (1979–1987 und 1991–1995), die er als Rektor in ganz besonderer Weise prägte.2

Als Künstler, Professor und Kurator verfolgte Oberhuber die im Kunsthochschul-Organisationsgesetz festgelegten Aufgaben und Ziele der Hochschule auf allen nur denkbaren Ebenen. Zentral war für ihn dabei die Fähigkeit, aus allem etwas zu ersehen.3 Die Gegenwärtigkeit der Geschichte zu erkennen, ermöglicht das Arbeiten mit der Erfahrung des Moments. Oberhuber spricht von „Erfahrungseinsichten“.4 Und auf diesen Erfahrungseinsichten beruhte Oberhubers künstlerische Vorgangsweise, die es ihm erlaubte, in allem und jedem ein künstlerisches Potential zu ersehen bzw. den kritisch gestalterischen Blick auf die ästhetischen und politischen Zusammenhänge zu werfen, in denen er unmittelbar tätig war. Dies umfasste die „Hochschuleinrichtung“ genauso wie die Lehre. So lag es nahe, einen Schrank zu entwerfen, wenn ein Schrank benötigt würde.

Die Auseinandersetzung mit Möbeln durchzieht Oberhubers Werk wie ein roter Faden. Es ist die Ambivalenz von Funktionalität und abstrakter Form, an der sich der Künstler abarbeitete. Peter Weibel spricht in Bezug auf die Möbel-

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Abb. 1  Oswald Oberhuber, Möbelentwurf für die Hochschuleinrichtung (Waschbeckenverbau), 1983

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Abb. 2  Oswald Oberhuber, Sitzende Frau, 1949

skulpturen5 Oberhubers von dessen Interesse für die Syntax der Skulptur. Nachdem sich die Grammatik der Skulptur spätestens mit den Entwicklungen der Minimal Art und der Konzeptkunst radikal verändert hatte, und die semantische Unterscheidung von Skulptur (sculpere = schnitzen, meißeln) und Plastik (plasséin = kneten, formen) hinfällig wurde, weil nicht allein die Machart eines Objekts Aufschluss gab, sondern vielmehr der Kontext in dem es realisiert wurde, rückten die Koordinaten des Raumes ins Zentrum der ästhetischen Befragungen.

Oberhuber begann sich schon bemerkenswert früh von der bildhauerischen Tradition der menschlichen Figur zu distanzieren und schuf mit der informellen Skulptur ein Pendant zur Malerei. Der gestische Ausdruck im Plastischen wurde mehr und mehr von der Assemblage abgelöst, um mit auskragenden Formen in den Raum vorzudringen. Oberhubers Interesse für das Informel speiste sich aus dem Wissen über die Kunst der Avantgarde, das er sich in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über das Angebot des Französischen Kulturinstituts in Innsbruck aneignen konnte. Für Oberhuber hatte das Französische Kulturinstitut unter der Leitung von Maurice Besset künstlerische, aber auch politische Perspektiven eröffnet. Die Kunst bot die Möglichkeit, sich radikal von den dogmatischen Herrschaftsformen zu lösen, die auch nach dem Krieg noch alle Lebensbereiche durchzogen hatten. Das Infragestellen von vermeintlich Unverrückbarem wurde für ihn zur zentralen Aufgabe. So wurde auch das Informel zu einer bestimmenden Ausdrucksweise, mit der die Konventionen von Skulptur und Malerei auf den Prüfstand kamen. Für Oberhuber bedeutete dies zudem einen enormen Befreiungsschlag. Bereits in der zweiten Hälfte der 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts fertigte er eine Vielzahl von Skulpturen, die sich in zunächst expressiver und schließlich mehr und mehr dadaistischer Manier von der repräsentativen Form lossagten.

Aus dem Jahr 1949 stammen zwei Versionen der Skulptur Sitzende Frau, einmal ein Drahtgestell, auf dem Oberhuber mit Stoff und Gips die Umrisse einer Sitzenden formte [ Abb. 2 ]. 6

Aus dem selben Jahr datiert der Bronzeguss der Sitzenden. Oberhuber, der sich noch in Ausbildung befand, machte sich sichtlich mit den klassischen Techniken und Fertigkeiten der Bildhauerei vertraut. Ebenfalls aus dem Jahr 1949 stammt aber auch eine Reihe von Skulpturen, die auf den Prozess der Fertigung vertrauen. Aus Holzwolle, einem Kabel, Stoff und Gips entstand ein Objekt, bei dem man an ein Herz denken

19 Hochschuleinrichtung.

5  Oswald Oberhuber, Zerwuzeltes Seidenpapier wieder glatt gestrichen, 1964

Abb.
Abb. 6  Oswald Oberhuber, ohne Titel, 1994
Abb.  8 Oswald Oberhuber, Das sich permanent verändernde Bild, 1956 22
Abb. 7  Oswald Oberhuber, Bomben Hände, 2002

es nicht nur einer stetigen Wachsamkeit gegenüber Regelwerken, denen wir im alltäglichen Gebrauch begegnen, den Regeln von Gesetzen und Gewohnheiten, sondern auch des spielerischen und konzeptionellen Umgangs damit. Es genügte Oberhuber nicht, Regeln zu suspendieren, vielmehr interessierte er sich für die Bedingungen, die Regeln hervorbringen. In den siebziger und achtziger Jahren sind es die Nachwirkungen der Gesetze von Konzeptkunst und Minimal Art, die Oberhuber in den Blick nimmt. Ihre Dogmatik einerseits und ihre Loslösung vom Material und Gegenstand andererseits veranlassen Oberhuber, dem künstlerischen Prozess selbst mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Indem er Tendenzen der Kunstgeschichte auf den Prüfstand stellt, werden sie hinterfragt und konterkariert. Eine zentrale Rolle spielt dabei für ihn der Humor, denn in der sozialen Bedeutung des Lachens liegt ein Moment der Unangepasstheit, wie Henri Bergson es beschreibt.12

1964 betitelt Oswald Oberhuber eine minimalistisch anmutende Papierarbeit: Zerwuzeltes Seidenpapier wieder glatt gestrichen [ Abb. 5 ]. Mehrere Strategien, die für die Arbeitsweise des Künstlers charakteristisch sind, werden hier lesbar. Zum einen ist es der Sprachwitz im Umgang mit dem österreichischen Dialekt, mit der Betonung des Buchstäblichen, der Deckungsgleichheit von Wort und Geste. Und zum anderen rückt er die banale Machweise der Papierarbeit in den Fokus und demystifiziert damit den kreativen Akt, den Duchamp 1957 in dem berühmten gleichnamigen Manifest ebenfalls nicht am Werk, sondern an Gründen, die außerhalb des Werks liegen, festmacht.13

In der banalen Geste des Wuzelns oder Knüllens eines Blatts Papier liegt die für Oberhuber so wichtige Kraft der Hände. Von einem „Denken mit Händen“ 14 spricht Cosima Rainer, wenn sie Oberhubers Werk beschreibt. Und „Hände sagen alles“ schreibt Oberhuber in einem kleinen Katalog, in dem er eine Reihe von Zeichnungen abbildet, die ausschließlich Hände zeigen.15 Über die Jahrzehnte sind Hände ein Motiv, das Oberhuber immer wieder zeichnet, malt, das er comicartig paraphrasiert und in teils übergroßen Skulpturen verräumlicht [ Abb. 6 / 7 ].

Im Druck der Hände auf die Form beschreibt Vilém Flusser die Geste des Machens, die die Form des Gegenstandes verändert, und mehr noch, die durch „diese neue Form, die der gegenständlichen Welt aufgeprägte ‚Information‘“16 die menschliche Grundverfassung überschreitet. Denn in der Entgegensetzung der Hände, die sich endlos spiegeln, aber nie

23 Hochschuleinrichtung.

MÖGLICHKEITSRÄUME – UND DIE, DIE ES NOCH WERDEN WOLLEN.

OSWALD OBERHUBER IN VENEDIG UND GENT

JULIENNE LORZ

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Betrachtet man Oswald Oberhubers Œuvre, so fällt auf, dass „Raum“ schon früh in seinen Werken, wie etwa seinen Skulpturen der 1950er-Jahre, auftaucht. Doch der Künstler verweilt nicht im Objekt, sondern dehnt „Raum“ auf das Bildliche und Konzeptuelle, wie auch das Architektonische aus. Dabei nimmt der Ausstellungsraum, sei es im Kontext der Galerie oder des Museums, in all seinen Möglichkeiten, Flexibilitäten und Deutungshoheiten, den Status eines eigenständigen Sujets an, das Oberhuber in buchstäblich hunderten von Ausstellungen herausfordert, ausprobiert und vor Augen führt.1 Sein scheinbar unstillbarer Ausstellungsdrang ist gut vereinbar mit seinem Text Die permanente Veränderung in der Kunst2 von 1958, wobei der Titel als Manifest zu verstehen ist; sowie mit der Idee, dass der Ausstellungsraum gewissermaßen der ultimative veränderliche Raum – und somit Möglichkeitsraum – ist oder potenziell werden kann. Letztere kommt auch in seinem Text zur Ausstellung Oberhuber. Räume (1978) zum Ausdruck: „Räume sollen nicht nur ausgenützt werden zum nützlichen Anfüllen, denn Räume sind mehr als Nutzflächen. Räume sind Hinweise und Möglichkeiten charakteristische Denkmale in der Zeit zu setzen. Diese Zeichen sind nicht Architektur, sondern selbständige Ergänzungen oder Unterstreichungen zum Erkennen räumlicher Volumen.“3

Oberhuber hebt hier die Eigenständigkeit des Raumes hervor, wobei es das Raumvolumen als ein ganz eigenes, unabhängiges Element wahrzunehmen gilt. Dabei kann Raum –oder Räume – über den physischen Raum hinaus verstanden werden bzw. nicht nur wörtlich (baulich oder architektonisch) sondern bildlich wie konzeptionell. Übertitelt mit Räume. Eine Auswahl ist dabei auch das Layout der obigen Aussage Oberhubers interessant [ Abb. 1 ]. Gesäumt von schwarz-weißen Kontaktabzügen, sieht man oberhalb des Texts vier aufeinanderfolgende Aufnahmen vom Kopf und den Schultern des Künstlers aus schrägem Winkel, während dieser ein Gespräch zu führen und zu denken scheint. Darunter platziert sind acht Aufnahmen, die aus verschiedenen Blickwinkeln einen kargen Raum dokumentieren, in dem eine große, fleckig wirkende Stoffbahn von der Decke herabhängt, die den Raum wie eine Wand teilt und vor der in gleichmäßigen Abständen einzelne, leuchtende Glühbirnen hängen. Der Text des Künstlers wird durch die Fotografien somit treffend gerahmt und kommentiert. Sie unterstreichen, dass Räume jenseits ihrer Nützlichkeit als architektonische Gefäße Möglichkeiten für eine autonome Wahrnehmung von Raumvolumen bieten, und dass im Gespräch sowie im Text formulierte Gedanken konzeptionelle

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Abb. 1  Erste Seite des Ausstellungskatalogs Oberhuber Räume, Galerie Krinzinger, 1978

Abb. 2  Oswald Oberhuber, Ausstellungskonzept Die Galerie in Ruhe – Die leere Galerie, Galerie nächst St. Stephan, 1970

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Möglichkeitsräume –und die, die es noch werden wollen.

Räume eröffnen. Dieser Eindruck wird weiter durch die Beispiele von Oberhubers räumlichen Arbeiten im Anschluss an diese Eingangsseite des Katalogs verstärkt: darunter das Konzept zu bzw. Dokumentationsfotos von der Ausstellung Die Galerie in Ruhe – Die leere Galerie (1970) in der Galerie Nächst St. Stephan in Wien, in der der kahle oder „nackte“ Raum der Galerie Rahmen und zugleich Protagonist ist [ Abb. 2 / 3 ].

Ähnliche Ansätze zur Sichtbarmachung der institutionellen Rahmung von Kunst verfolgten etwa auch Künstler wie Yves Klein oder Michael Asher. Ersterer mit seiner Ausstellung

Le Vide (1958) in der Pariser Galerie Iris Clert [ Abb. 4 ]. Klein stellte den leeren, weiß gestrichenen Galerieraum aus, der von der Straße aus aber als pure Farbe wahrgenommen werden sollte: die Fenster waren außen mit Kleins charakteristischem Blau bemalt und der Eingang von einem riesigen Theatervorhang in derselben Farbe gerahmt. Die Galerie wurde dabei selbst zum Träger von Kleins Malerei. 1974 entfernte Asher für seine Ausstellung in der Claire Copley Gallery, Los Angeles, eine Wand, die den Ausstellungsraum vom Büro und Lager trennte, um die meist verborgene Verbindung zwischen Kunst und Kommerz transparent zu machen [ Abb. 5 ]. Auch hier ist der Raum per se, mit all seinen Konnotationen im Kontext einer Galerie, der zentrale Akteur.4

Mit seinen künstlerischen Beiträgen zum österreichischen Pavillon bei der 36. Biennale von Venedig (1972) sowie zu Jan Hoets Ausstellungsprojekt Chambres d’Amis in Gent (1986) beschreitet Oswald Oberhuber allerdings eigene Wege in der Erkundung von „Möglichkeitsräumen“, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.

1972 war Wilfried Skreiner, damals Direktor der Neuen Galerie Graz im Landesmuseum Joanneaum, als Kommissar für die Auswahl der Künstlerbeiträge zum österreichischen Pavillon in Venedig zuständig. Skreiner lud Oswald Oberhuber, den er bereits von Ausstellungen in Graz kannte, und den Architekten und Künstler Hans Hollein ein. Oberhuber wie auch Hollein beschlossen, mehrere neue Werke zu schaffen, die sowohl im Inneren des Pavillons als auch im Außenbereich ausgestellt wurden, wobei sie unterschiedliche Ansätze darin verfolgten, beides – Innen und Außen – miteinander zu verbinden. Hollein tat dies im wörtlichen Sinne: Durch eine schmale, von weißen quadratischen Fliesen umrahmte, türähnliche Öffnung in einer der Gebäudewände konnten Betrachter:innen den Ausstellungsraum mit Holleins aus den gleichen Fließen bestehenden skulpturalen Objekten verlassen und über einen schmalen Holzsteg zu einer stoffüberdachten

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Plattform
Abb. 4  Yves Klein, La Spécialisation de la sensibilité à l'état de matière  Abb. 3  Ausstellungansicht Die Galerie in Ruhe – Die leere Galerie,
5  Michael Asher,
Copley Gallery Inc., Los Angeles, 1974
Abb.
Claire

en sensibilité picturale stabilisée, Galerie Iris Clert, 1958

durch die Galerie zu den Büro- und Lagerräumen)

première
Galerie nächst St. Stephan, 1. März 1970   (Blick

OSWALD OBERHUBER, MUSEUM IM MUSEUM , 1978, RAUMINSTALLATION, VERSCHIEDENE MEDIEN (SCHENKUNG OSWALD OBERHUBER, 1978/79), MUMOK, WIEN

Mit der Großskulptur Museum im Museum realisiert Oswald Oberhuber eine materielle Form seiner eigenen Kunstgeschichtsschreibung. Die wie ein begehbarer Ausstellungsraum gebaute hölzerne Installation zeigt über 40 Originalarbeiten, die für Oberhuber die zentralen Tendenzen der („österreichischen“) Moderne vermitteln. Mit der als Schenkung konzipierten Installation übergibt der Künstler dem Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien auch die meisten der darin gezeigten Werke.

Museum im Museum beinhaltet Arbeiten folgender Künstler:innen: Ferdinand Andri, Herbert Bayer, Camilla Birke, Uriel Birnbaum, Alfred Buchta, Friedl Dicker-Brandeis, Trude Fischl, Leopold Forstner, Carry Hauser, Raoul Hausmann, Josef Hoffmann, Adolf Hölzel, Lajos Kassák, Friedrich Kiesler, Erika Giovanna Klien, Anton Kolig, Carl Krenek, Berthold Löffler, Gertrude Neuwirth, Alexander Olbricht, Max Oppenheimer, Heinz Reichenfelser, Johanna Reismayer-Fritsche, Georg Adams Teltscher, Ernst Wagner, Julius Zimpel, Bruno Zuckermann, Franz von Zülow.

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SCHULE IN DER SCHULE. NARRATIVE IN DER AUSSTELLUNGSKONZEPTION

ROBERT MÜLLER, COSIMA RAINER

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Schule Oberhuber erschließt die bedeutende Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien über die Tätigkeit ihres Initiators Oswald Oberhuber und dessen vielfältige Rollen: als Hochschulrektor und -Lehrer, Ausstellungsgestalter, Künstler, Kurator und kunstpolitischer Akteur prägte er die Hochschule für Jahrzehnte, richtete die Sammlung ein, und deren Ausstellungen maßgeblich aus.

Als erste umfassende Sammlungspräsentation ohne sein Mitwirken konzipiert, war Oberhubers Praxis dennoch stets zentraler Ausgangs- und Bezugspunkt der Ausstellung. Vor allem seine paradigmatische Installation Museum im Museum (1978) stand am Anfang unserer Überlegungen, die schnell die Form einer „Inversion“ annahm. In dieser „Schule in der Schule“ kreuzen sich multiperspektivisch Erzählstränge, Blicke und historische Konstellationen: Für uns als Kurator:innen galt es, sowohl Oberhubers Revision des Nachkriegs-Kanons und seine Perspektive auf eine erweiterte „österreichische“ Avantgarde als transnationale Bewegung aufzuzeigen, als auch dessen Engagement zur Aufarbeitung der Werke während des NS-Regimes vertriebener und ermordeter Künstler:innen herauszuarbeiten, und seine reformorientierten Aktivitäten als Hochschulrektor aus der Perspektive eines Künstlers nachzuvollziehen, der mit dem Konzept der ‚permanenten Veränderung‘ eine radikal kunst- und institutionskritische Position beschreibt. So verfolgte unsere Auswahl und Kontextualisierung von Arbeiten einerseits das Ziel, die Besonderheit einer aus der Produktion und für Produzent:innen als Rezipient:innen gedachten (Künstler-)Sammlung hervorzuheben, und andererseits, die jeweiligen Arbeiten weniger als (Meister-)Werke zu erschließen, sondern sie dem Paradigma der Veränderung entsprechend in ihrer Scharnier- und Weichenfunktion zu verstehen und deren transitorischen Charakter lesbar zu machen. Ihre reichhaltigen formalen, zeitlichen und konzeptuellen Bezüge sollten sich –wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise – in der Ausstellungsgestaltung widerspiegeln, wobei einige der Motive hier im folgenden besondere Erwähnung finden sollen.

Die Ausstellung ist weder streng chronologisch noch gegenchronologisch strukturiert. Sie behauptet und verfolgt keine linearen Entwicklungen, sondern thematisiert die Widersprüchlichkeit der künstlerischen Moderne(n). Die Kunstgewerbeschule eignet sich hierfür angesichts ihrer progressiven Ausrichtung um 1900, ihrer aktiv gestaltenden Rolle im Dienste des Nationalsozialismus, und der in ihrem Kontext auftretenden formalen wie personalen Schnittmengen zwischen diesen politisch-ideologischen Tendenzen als gutes Beispiel.

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Robert Müller, Cosima Rainer

So basieren die einzelnen Räume weniger auf Themen oder Motiven denn auf assoziativen Konstellationen, die anhand einer Auswahl aus über 60.000 Sammlungsobjekten und Archivalien nicht nur ein Bild der konzeptuellen Bewegungen Oberhubers als Sammler nachzuzeichnen versuchen, sondern auch Überlegungen zu Genese und Variation der Vor- und Zwischenkriegsavantgarden des 20. Jahrhunderts im Kontext der Kunstgewerbeschule anregen.

Zentrale Klammer zwischen den Räumen waren dabei die in ihnen präsenten und jeweils für sie ausgewählten Möbelskulpturen, die Oberhuber als Ausstattung für die Hochschule entwarf, und die in die Wegachsen der Ausstellung positioniert wurden, um Oberhubers Präsenz innerhalb der Sammlung auch physisch spürbar werden zu lassen. Bisweilen strahlen sie etwas Melancholisches aus, wie etwa der so betitelte Aktensarg, oder vermitteln den Eindruck gebrochener Dominanz, wie etwa ein für Festakte und Vorträge (auch von ihm) gebrauchtes Rednerpult. Zudem ergänzen Oberhubers selbstentworfene Ausstellungs- und Veranstaltungsposter die Klammerfunktion seiner Möbel, dokumentieren dessen bereits früh eingeforderte Programmatik und bilden wichtige Momente der Hochschulgeschichte ab.

Insgesamt wirft die Raumkonzeption mittels Brechungen und Spiegelungen zentrale Fragen auf: etwa die nach der im Begriff der ‚Stunde Null‘ mitschwingenden Fiktion des Bruchs und Neubeginns der Nachkriegszeit, sowie nach geschichtsprägenden Modellierungen von Tradition und Kontinuität am Beispiel von Architektur [ Raum 1 ]; oder Fragen nach der Genese ungegenständlicher und abstrakter Formationen [ Raum 2 ], nach der Rolle der Figuration innerhalb der Avantgarde

[ Raum 3 ], nach einer Reflexion auf die universitäre Ausstellungs- und Publikationspraxis innerhalb der Sammlung

[ Raum 5 ], nach der Fiktion einer „Schulausstellung“, die das Jahr 1925 als – ebenso fiktive – Zäsur nähme [ Raum 4 ], und nach dem Flächendekor als Relais zwischen Figuration und Abstraktion [ Raum 6 ].

Keine dieser verräumlichten Themensetzungen sollte explizit in den Vordergrund treten, sodass sie trennscharf formuliert auf einzelne Räume und Arbeiten begrenzt oder unbefragt appliziert werden könnten. Stattdessen sollten sie stets implizit durch eine auf einzelne Arbeiten fokussierte und über diese und ihren unmittelbaren Kontext hinausreichende Erfahrung vermittelt werden. Auch ging es in der Herstellung von Konstellationen weniger um Vollständigkeit oder gar „Reinheit“ im formalen wie inhaltlichen Sinne. Das Verfahren sollte

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Ausstellungskonzeption
Schule in der Schule. Narrative in der
DER ANGEWANDTEN IM HEILIGENKREUZERHOF 4. MAI–2. JULI 2022 83
SCHULE OBERHUBER. EINE SAMMLUNG ALS PROGRAMM. UNIVERSITÄTSGALERIE

Karlinsky, Entwurf für

Oskar Strnad, Totenmaske und Hand von Rudolf von Larisch, 1934 (Fenster) / Otto Rudolf Schatz, CARE-PAKET , 1946 /

Stoffmuster, um 1925 (Panel rechts)

Raum 1
Elisabeth
ein
Raum 1 Otto Rudolf Schatz, CARE-PAKET , 1946 85

Raum 1 (Podest) Otto Prutscher, Figurenständer für den Salon der Villa von Theodor Flemmich, 1915 / Oskar Strnad, Armlehnstuhl, 1912–13 / Josef Hoffmann, Stuhl, 1927 / Oswald Oberhuber, Ablage für die Quästur, 1985 / Abteilung Robert Obsieger, Modell für einen Kachelofen, 1938–47 (Sockel)

Raum 1
Emma Reif, Abteilung Paul Kirnig, Fotoalbum von Emma Reif aus der Zeit der Kunstgewerbeschule, 1935–43
1
Raum
Elisabeth Karlinsky, Entwurf für ein Stoffmuster, um 1925 / Abteilung Robert Obsieger, Modell für einen Kachelofen, 1938–47 / Otto Franz Erich Wagner, Abstrakte Komposition, undatiert
Raum 1
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Otto Franz Erich Wagner, Abstrakte Komposition, undatiert

(Panel) Elsa Engel-Mainfelden, Österreichischer Werkbund Neues Bauen. Int. Bauausstellung, 1929 / Margarete Schütte-Lihotzky, Toilettenschrank für

Raum 1

Säuglinge für eine Wohnung ohne Badezimmer , 1935–36 / Friedl Dicker-Brandeis, Franz Singer, Entwürfe für Raumgestaltungen, Arbeitsplatz, Sitzbänke, beide um

1930 / Maria Likarz-Strauss, Entwurf für eine Wandmalerei; Entwurf für eine Kaminecke, beide undatiert; Entwurf für Wandbemalung einer Bar, 1926 / Hilde

Schmid-Jesser, Aelita begrüßt das nächtliche Erscheinen der Erde , um 1927

Josef Hoffmann, Oswald Haerdtl, Entwurf für ein

Eisenbahnabteil der Österreichischen Bundesbahnen, Innenansicht, 1926–35 / Elisabeth Pfanhauser, Wir sparen Energie im Winterhalbjahr 1942 ; Wir sparen Energie im Winterhalbjahr 1943 , beide 1938–43 / Abteilung Robert Obersieger, Modell für einen Kachelofen, 1938–47 / Oswald Oberhuber, Vergessen gibt es nicht , 1989

1
Raum
91
Oswald Oberhuber, Ausstellungsplakat Abbild und Emotion. Österreichischer Realismus 1914–1944 , 1984 Oswald Oberhuber, Ausstellungsplakat Schule und Werkstätte –Emmy Zweybrück , 1989 144
Oswald Oberhuber, Ausstellungsplakat Die Gefühlsabstraktion. Ungegenständliche Kunst in Österreich 1913–1935 , 1988

ZUR AUSBILDUNG VON KÜNSTLERINNEN AN DER FRÜHEN K. K.

KUNSTGEWERBESCHULE EVA MARIE KLIMPEL

154

Bereits mit der Gründung der Wiener k. k. Kunstgewerbeschule (1867) war der Zugang für Frauen gegeben, und das zwei Jahre, bevor die allgemeine Bürgerschule für Mädchen eingeführt wurde. Als erste von 70 Fachschulen der Donaumonarchie ermöglichte diese Vorläuferinstitution der heutigen Angewandten Künstlerinnen eine Professionalisierung kreativer Tätigkeiten. Für Frauen blieb die künstlerische Ausbildung zunächst auf die sogenannte Allgemeine Abteilung (eine Vorbereitungsklasse, die mit dem Vorkurs am Bauhaus vergleichbar ist) beschränkt. Bemerkenswert ist, dass die meisten Schülerinnen – darunter so bekannte Künstlerinnen der Čižek-Klasse wie Erika Giovanna Klien, Marianne My Ullmann, Elisabeth Karlinsky oder die spätere Architektin Margarete SchütteLihotzky – aus dem gehobenen Bürgertum stammten.1 Künstlerinnen wie Friedl Dicker, deren Begabung trotz ihrer kleinbürgerlichen Herkunft Förderung erfuhr, bilden die Ausnahme. Dass die Statuten der Kunstgewerbeschule von Anfang an geschlechtsneutral formuliert wurden, war Ausdruck der Reformen, die Österreichs Kunstindustrie international konkurrenzfähig machen sollten. Argumentiert wurde dieser Schritt nicht mit der Förderung zukünftiger Künstlerinnen, sondern mit deren billiger Arbeitskraft.2 Wegbereitend für die Gründung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie und der daran angeschlossenen Kunstgewerbeschule war Rudolf Eitelberger3, dessen Frau Jeanette Mitglied im sogenannten Frauenerwerbsverein war. Eitelberger benannte die geschlechtsspezifischen Vorurteile und das mangelnde Ausbildungsangebot für Mädchen und Frauen, sah deren Tätigkeitsbereich als zukünftige „angewandte“ Künstlerinnen aber trotzdem – oder gerade deswegen – nicht in Baukunst, Bildhauerei oder Malerei, sondern im Malen von Ornamenten und in der Arbeit mit Textilien.4

1872 stellten 20 Kunstgewerbeschülerinnen den Antrag, die gleichen Möglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen zu erhalten. Das bewog Eitelberger dazu, die Wahl eines kunstgewerblichen Fachs zur Verpflichtung für weibliche Bewerberinnen zu machen, um ihre Hinwendung zur bildenden Kunst zumindest zu bremsen.5 Ab 1886/87 wurden gar keine neuen Schülerinnen mehr aufgenommen. Erst 1899, mit der Berufung des Secessionisten Felician von Myrbach zum Direktor, wurden Frauen auch über die allgemeine Abteilung hinaus zu den Fachklassen zugelassen. Die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung war ein weiteres Anliegen Myrbachs, weshalb ab 1901 Zeichenkurse für (zunächst nur männliche) Lehramtskandidaten angeboten wurden. Myrbach stellte neben Franz

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Gruppenbild der Abteilung für Ornamentale Formenlehre, um 1923/24 156

anonymisierten Rollen der im Universitätsarchiv bewahrten

Stimmen als auch in jene remixender DJs. Der in der Ausstellung von Porträts umgebene Aktensarg von Oswald Oberhuber ist dabei ihr Pult. Die Textilfragmente der gleichnamigen Installation sind in schürzenartige Uniformen umgewandelt.

„Archivinhalte auszustellen, setzt das Archiv außer Kraft“, halten Ebeling und Günzel fest. Denn: „Die Entbergung der ehedem im Archiv eingelagerten Objekte ändert deren Status grundlegend, auch wenn sie sich materiell nicht verändern.

Zugleich verlieren sie jedoch die Macht, die sie im Archiv besaßen, schließlich entfalten sie sich gerade im Verborgenen.“2

Indem Ja, was machen wir mit den Stimmen? Verborgenes freilegt und ihm buchstäblich eine Stimme gibt, tritt der Werkzyklus nicht nur mit der gegenwärtigen Vergangenheit von Kunstsammlung und Archiv der Angewandten in einen Dialog, sondern zielt darauf ab, den Dialogcharakter der Archivalien erfahrbar zu machen und die Zuhörenden zur Reflexion auf diesen zu ermutigen. Die Erweiterung um die Performance in der Ausstellung Schule Oberhuber vollzieht diese Konfrontation mit dem Publikum ebenso direkt wie verspielt. Dabei situiert sie die Archivstimmen nicht nur im Kontext der Universitätsgeschichte, sondern weist ebenso auf die Vielzahl der Stimmen hin, die die Ausstellung selbst in sich birgt.

170
Kathrin Heinrich
2
S. 21.
1 Knut Ebeling und Stephan Günzel (Hg.), Archivologie: Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Kadmos, Berlin 2009, S. 22–23 (Einleitung).
Ebd.,

BAZON BROCK ÜBER OSWALD

171
OBERHUBER BAZON BROCK

Zur Finissage der Mühlausstellung in Harald Falckenbergs Harburger Versuchsanlage „Phoenix“ sprach auch der große Werner Hofmann über seine Zeit als Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts am Wiener Südbahnhof. Hofmann trat dort 1959 an; 10 Jahre lang konnte er die Wiener Szene aus nächster Nähe studieren. Von Falkenbergs Gästen im September 2005 um eine knappe Bewertung der damaligen Wiener Affären gebeten, fragte Werner Hofmann nur lakonisch: „Und warum taucht hier nie der Oberhuber auf?“

Ich möchte versuchen, Werner Hofmann zu antworten. In den 70er Jahren habe ich häufiger mit Oberhuber über den von Weibel später so genannten Wiener Aktionismus sprechen können. Der Anlass dazu waren die immer stärker werdenden Abweichungen zwischen der Propaganda für Wien als Nachkriegseldorado der Kunstentwicklung und meinen persönlichen Erinnerungen an die Karrieren von Rainer, Hollegha, Mikl, Hundertwasser, Prachensky, an die Seancen der Literaten und Theaterheroen Artmann, Konrad Beyer, Rühm, Qualtinger, Bronner, Merz einerseits und die der Aktionisten um Mühl, Brus, Schwarzkogler andererseits. Oberhuber war sehr viel stärker noch als Rühm und Weibel in der Lage zu verstehen, warum mir Mühls Mannen als matte Gestalten erschienen – und matt ist noch ein Euphemismus. Um die angebrachten harten Urteile zu mildern, sage ich, es war mir nach dem Ende des Deutschen Herbsts 1977 nur noch peinlich, immer wieder mitansehen zu müssen, wie lächerlich, studentenulkig und armselig die aktionistischen Exkrementierungen waren. Sollten bei jenen gemütlichen Aktionsabenden in guter Gesellschaft tatsächlich Freiheitspathos, Antiimperialismus, soziale Utopie zur Geltung gebracht worden sein, dann bestenfalls als säuisches Wohlbehagen in der Wiener Kultur, wobei zu diesem Wohlbehagen der Wiener allemal die Attitüde der Volksbelustiger zu rechnen ist, die Samenraub und Braune Hosen, Gattenmord und Sodomie als Zeichen orgiastischer Lebensfreuden glaubhaft machten. So ähnlich müssen die Kameradschaftsabende der Kaltenbrunner-Truppe ausgesehen haben – und Oberhuber wusste das von Anfang an. Er hat sich deshalb stets der erpressten Kameraderie von Ulknudeln entzogen und durfte dann eben nicht mehr in den Ruhmestafeln der harten Männer Wiens erwähnt werden. Oberhuber verstand Formen des Action Painting, Action Teaching, der Action Music von den Informellen der 50er Jahre her. Zehn Jahre vor den Aktionisten hatte er die Dynamik der enthemmten Gestaltungsgesten von Künstlern zwischen Pollock und Matthieu auf Objektbühnen gelenkt. Oberhuber rettete aus diesen Wirbeln der Entformung

172 Bazon Brock

die informelle Plastik: ein großartiger, aber wegen der späteren aktionistischen Vermühlungsorgien kaum beachteter Hochleistungsbeitrag zur Kunst des Informell. Was machte das Informell zur Kenngröße der Nachkriegskunst, die selbst die Arbeiten eines John Cage, eines Rauschenberg und Allan Kaprow noch markiert? Zum ersten Mal war es mit dem Informell gelungen, eine Zeichenrepräsentation hervorzubringen, die in gar keiner Weise beim Künstler oder Betrachter auf irgendwie bestimmbare innere Vorstellungen oder Begriffsarbeit bezogen werden konnte. In den natürlichen Formen der Vermittlung von Bewusstsein an Kommunikation über jegliche Sprachen bilden Kognitionen, Imaginationen und Repräsentationen stets eine Einheit. Jede Begriffsbildung des Denkens wird sofort mit inneren Anschauungen begleitet, denen Worte, Gesten, Bilder zugeordnet werden können. Dem Informell gelang die vollständige Entkoppelung der Kognitionen und Imaginationen von den Repräsentationen; entstanden waren zum ersten Mal Zeichen ohne Bedeutung und ohne Psychoaffektationen (denn normalerweise kann gerade das scheinbar Bedeutungslose, Unbekannte und Unzugängliche affektsteigernd wirken). Mit dieser Zumutung der Zeichen ohne Bedeutung und Affektauslösung konnten sich die Wiener nicht anfreunden. Sie wollten wenigstens maulen oder besser noch hassen oder von Aberwitz unterhalten sein, wie das am großartigsten Karl Kraus vorgeführt hatte. Oberhuber, als einziger genuiner Plastiker des Informellen, konnte man da höchstens als stummen Gast im Hintergrund akzeptieren. Diese erzwungene Distanz ermöglichte ihm den guten Überblick über das Geschehen. Was er dann in den 60er Jahren sah, erschien ihm als nicht allzu amüsante, aber in ihrem Alternativ- oder Subkulturpathos doch unangenehme Variation der 50er Jahre, also der action informelle.

Aber und doch auch: Peter Weibel überliefert die großartigste Selbstkennzeichnung Mühls. Weibel habe Mühl während einer Aktion aufgefordert, doch einmal richtig auf seine Aktionspartner einzudreschen, anstatt nur mühsam diesen Eindruck zu schauspielern. Und da habe Mühl geantwortet: „Das kann ich nicht, Peter, ich bin doch ein Künstler.“ Diese, in vielen Varianten, als Bonmot über die Salonrevolutionäre herumgetratschte Antwort, die aber ein Ausdruck wahrer Menschlichkeit ist, nahm Oberhuber sehr ernst, philosophisch ernst. Gilt der Satz auch, wenn man sagt: „Klau doch mal richtig!“ oder „Lieb’ doch mal ehrlich!“ oder „Lüg’ doch mal wirklich!“ oder „Fälsch’ doch mal echt!“? Hier entwickelte Oberhuber wittgensteinschen Witz und nestroysche Komik, wenn

173 Bazon Brock über Oswald Oberhuber

GLACÉHANDSCHUH, BESUCHSZEIT UND BELICHTUNGSMESSER –

ODER: DISKURSELEMENTE EINER

UNZEITGENOSSENSCHAFT

GEORG PETERMICHL

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