Radical Cities
ter und Krankheit betroffen sind, ist die größte affektive Realität jedoch eine Zukunft, die sich durch die Beschreibungen ständiger Krisen traumatisch auf die Gegenwart auswirkt.20 Daher sind Vorstellungen von Zukunft oft mit Ängsten, Unsicherheiten und Ohnmachtsgefühlen verbunden. Um diese katastrophale Zukunft und damit auch die Gegenwart zu ändern, müssen Hoffnung und Zuversicht gestärkt und materielle Umstände umgestaltet werden. Um dies zu erreichen, müssen wir uns neue Vorstellungen davon machen, wie das Leben auf der Erde sein kann und ebenso beginnen wieder daran zu glauben, dass Veränderung möglich ist. Imagination ist eine vitale Ressource in allen sozialen Prozessen und Projekten,21 die politisches Handeln als eine aktive Kunst des Lebens ermöglicht.22 Die Versammlung kann ein Ort dafür sein, um Mut zu politischer Innovation, zu Pragmatismus und zum Ausprobieren neuer Formen des Zusammenlebens zu sammeln. Dadurch treten die Teilnehmenden dem gezielten Ausmerzen ihrer Hoffnungen durch die derzeitige Politik der Deregulierung und Prekarisierung entgegen, gestalten Zukunftsvorstellungen und kollektive Horizonte, die wiederum die Basis für kollektive Erwartungen und Handlungen bilden.23 Menschen sind future-maker, die sich durch die Fähigkeit auszeichnen, nach etwas zu Streben und sich Wege zur Erfüllung ihrer angestrebten Ziele auszudenken. Hierdurch wird auch der Status Quo in einer Gemeinschaft stetig ausgehandelt.24 Auch wenn derzeit die Regierenden den Status Quo mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen und ihn als einzige Alternative darstellen, ist dieser keinesfalls ‚natürlich‘ und ‚immer schon‘ gegeben. Ganz im Gegenteil: Es gibt sie noch, die Utopien einer besseren Welt. Jedoch sind sie nur der erste Schritt
in Zukünfte eines besseren Lebens, denn sie dienen allein zur Anregung und Reaktivierung unserer Vorstellungskraft. Notwendiger ist es, neue, pragmatische Dispositive für die Gegenwart zu erdenken, Praktiken, die unser gegenwärtiges Zusammenleben als gutes Leben gestalten. Dadurch werden historisch geformte Grenzen politischer Imagination überwunden25 und neue Formen politischen und sozialen Handelns lokal ermöglicht. Das Recht auf Zukunft realisiert sich in der Gegenwart. Future-maker sollten eine Politik machen, die pragmatisch und von der Sorge um die gegenseitigen Bedürfnisse angetrieben ist. Indem wir uns Zukünfte vorstellen, die für möglichst viele Menschen ein gutes Leben bedeuten, gelingt es auch, sich Wege auszumalen, um diese erreichen zu können. Diese Politik konstituiert eine demokratische Praxis, die die Erwartungen und Herausforderungen der Gegenwart sowie deren implizite Widersprüche handhabt. Daher handelt es sich um eine anti-utopische Politik, die nicht aufgrund einer bestimmten Ideologie verspricht in einer absehbaren Zukunft die perfekte Gesellschaft zu kreieren. Viel eher begründet sie sich auf dem alltäglichen Miteinander und ist daher immer schon antithetisch. Unsere politischen Institutionen müssen diese pluralen Lebensrealitäten in ihre administrativen Logiken inkorporieren und ein Verständnis von Demokratie reflektieren und praktizieren, das von ethischen Prämissen und einem Sinn für das Gemeinsame ausgeht. Vor allem aber braucht es Hoffnung, Engagement und die Fähigkeit, sich andere Zukünfte vorstellen zu können, um diese auch zu erreichen.
20 Appadurai, Arjun (2013): The Future as Cultural Fact. Essays on the Global Condition, London/New York: Verso, S. 299. 21 Ebda., S. 287. 22 Rose, Nikolas (1999): Powers of Freedom. Reframing Political Thought, Cambridge University Press, S. 283. 23 Appadurai, Arjun (2013): The Future as Cultural Fact. Essays on the Global Condition, London/New York: Verso, S. 180. 24 Ebda., S. 286.
25 Ebda., S. 279.