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Rombo“, Esther Kinskys Erdbebenbuch

Kein Ende im Gelände

Mit ihrem vielstimmigen Roman „Rombo“ erinnert Esther Kinsky an das Erdbeben im Friaul von 1976

Es sitzt ein Ungeheuer im Berg und wenn es grollt, dann wackeln die Häuser der Menschen. So erzählt es die Sage vom Erdbebenmonster Orcolato im Monte San Simeone, die Esther Kinsky in ihrem neuem Roman erwähnt. Dessen Titel lautet „Rombo“: So wird bis heute das Donnern genannt, das man im Friaul 1976 vor den vernichtenden Erdstößen vernahm.

Kinsky war jahrzehntelang als Übersetzerin tätig, ehe 2009 ihr Romandebüt „Sommerfrische“ erschien. Vor fünf Jahre übersiedelte die heute 65-jährige Deutsche ins Friaul. Ihre Bewunderung für Pier Paolo Pasolini hat die Cineastin in diese raue Ecke Italiens geführt. Ein Jahr nach dem Tod des Regisseurs starben dort fast tausend Menschen in den Trümmern. Frühere Erkundungen von Land-

Für Kinsky zählt ein poetisch-musikalischer Duktus der Sprache und deren Beschwörungsqualität

scha en in den Romanen „Banatsko“ (2011), „Am Fluss“ (2014) und „Hain“ (2018) hatten Kinskys Literatur das Genrelabel Nature Writing eingetragen, was die Autorin in Interviews allerdings von sich wies: Es ginge ihr nicht primär um Natur, sondern vielmehr ums „Gelände“ und was in diesem als Spur und Text zu finden sei.

„Die Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt“, heißt es einmal zu Beginn des Romans. Kinsky verknüp in „Rombo“ erstmals dramatische Erzählungen mehrerer Figuren miteinander. Sieben Personen schildern im Alter, wie sie die Erdbeben im Mai und September 1976 erlebt haben und was die Naturkatastrophe für ihr Leben bedeutet.

Die naheliegende Annahme, Kinsky hätte dafür Zeitzeugen befragt, ist allerdings falsch. In einem schönen Radiofeature, für das der WDR die Schri stellerin jüngst im Friaul besucht hat, stellt sie klar, dass alles Fiktion ist, auch wenn sie manche Episoden Leuten im Wirtshaus abgelauscht habe. An einer Stelle wird eine Musik-CD mit dem Titel „Le voci del terremoto“, also „Die Stimmen des Erdbebens“, erwähnt. Auch Kinskys sprachlich wenig voneinander abgegrenzte Figuren klingen in ihren Erinnerungen wie ein Chor.

Als Erster tritt der Gemeindearbeiter Anselmo auf, eine vom Leben gezeichnete Figur wie aus einem Film des Neorealismus. Der Alte kümmert sich um den Friedhof und weiß, „welcher Grabplatz im Falle eines Erdbebens am sichersten ist“. Rückblickend war vieles ungewöhnlich an jenem Abend im Mai, als die Region erschüttert wurde. So verhielten sich die Tiere, Vieh und Hunde ebenso wie Vögel, seltsam nervös und laut; eine tote Schlange auf der Dorfstraße wird rückblickend zum bösen Omen.

In den kurzen Texten des Buches wechseln Erzählungen der Dor ewohner mit Passagen über regionale Topografie, Geologie, Pflanzen oder auch Volksmythen. Für Kinsky zählt ein poetisch-musikalischer Duktus der Sprache, auch eine „Beschwörungsqualität“, die sie bei Friederike Mayröcker so bewundert. Mit erstaunlich wenig Pathos zeichnet sie das Verhängnis nach, das über dieser Landscha liegt, die im 20. Jahrhundert ja nicht nur vom Erdbeben, sondern auch von den verheerenden Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg und von Emigration geprägt wurde. Aber was sind schon die Spuren der Menschen im Vergleich zur Reibung tektonischer Platten und jahrtausendealter Gesteinsschichten, die Leben in sich eingeschlossen haben?

Kein Wunder, dass die Fantasien des Dorfvolks immer wieder idealisierend hinunter in die Ebenen und in Richtung Meer streben. Dass die Friulani dennoch am Berg bleiben, liegt nicht zuletzt an der Identität dieser Landscha , wo Teufelssporn und Nieswurz wachsen und der Blick stets von Gesteinsmassiven begrenzt wird.

Von der Struktur her holpert „Rombo“ am Anfang, findet dann aber seinen Rhythmus. Zu den vielen Details, die dieses Buch so besonders machen, zählt etwa ein halbes Dutzend „Fundstücke“ – sachliche Beschreibungen alter Fotografien. Die Abgebildeten sind unbekannt, aber nicht bedeutungslos. Sie stecken im Buch wie Lesezeichen, deren Entdeckung einen neugierig auf die Vergangenheit macht.

NICOLE SCHEYERER

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