Fazit 175

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Wenn ich sehe, wie sich zwei Männer auf der Straße küssen, werde ich sie schlagen.

Jair Bolsonaro, Staatspräsident von Brasilien

Fotos: Fazit/Kanizaj, Foto Bernard Holub/CreativeCommons

In den 18 Jahren mit Siegfried Nagl als Bürgermeister hat sich Graz als Wirtschafts-, Kultur- und Forschungsstandort prächtig entwickelt. Gibt es einen Dank der Wähler? Am 26. September wird gewählt Am 26. September wird nicht nur der deutsche Bundestag gewählt, sondern auch in Österreich wird die längere Wahlpause für zwei vor allem für die ÖVP bedeutsame Wahlgänge unterbrochen. An diesem Tag finden bei uns nämlich in Oberösterreich Landtagswahlen und in Graz die Gemeinderatswahl statt. Jetzt haben ganz sicher jene Recht, die meinen, dass wegen des großen Einflusses der Deutschen auf die EU die deutsche Bundestagswahl für uns Österreich wesentlich wichtiger ist als heimische Regional- oder gar Kommunalwahlen. In Oberösterreich wird jedoch indirekt auch über die Zukunft von Sebastian Kurz als Bundeskanzler entschieden. Sollte die ÖVP nämlich wie zuletzt überall bei Landtagswahlen auch in Oberösterreich dazugewinnen, würde man das im Umfeld des Kanzlers auch als Beweis werten, dass das Dauerfeuer im Zuge des IbizaAusschusses, mit dem die Opposition ihre Kurz-muss-weg-Kampagne betreibt, wirkungslos verpufft. Freilich ist es für Kurz damit noch lange nicht ausgestanden. Denn schließlich könnte er wegen einer vermeintlichen Falschaussage vor besagtem Ausschuss tatsächlich angeklagt und sogar strafrechtlich verurteilt werden. Auf alle Fälle braucht nicht nur der oberösterreichische VP-Landeshauptmann Thomas Stelzer ein Plus am 26. September, sondern auch Kurz, um damit jeglichen innerparteilichen Widerstand im 16 /// FAZIT AUGUST 2021

Zuge der öffentlichen Kritik an seiner Person weiterhin im Keim zu ersticken. Und auch die Grazer Gemeindesratswahl hat sowohl eine landes- wie auch eine bundespolitische Dimension. Die ÖVP ist nämlich immer nur dann auf Landesebene erfolgreich, wenn sie in Graz gut abschneidet. Und aus Sicht der Bundes-ÖVP ist das Grazer Ergebnis ein Indikator für die Urbanität der Volkspartei. Graz ist nämlich die mit Abstand größte Stadt des Landes, der ein ÖVP-Bürgermeister vorsteht. Gleichzeitig ist Graz in Bezug auf das Wählerverhalten äußerst volatil. Bei überregionalen Wahlen gab es zuletzt schwarze, rote und sogar grüne Mehrheiten. Dazu kommt die Sonderrolle der KPÖ. Überall sonst in Österreich sind sich die Wähler einig, dass diese Partei wegen der totalitären Massenmorde im Namen ihrer Ideologie so klein wie möglich gehalten werden muss. In Graz aber bilden die Kommunisten das zweitgrößte Lager. Sie haben nicht nur die SPÖ zum großen Teil aufgesaugt, sondern punkten auch bei Bürgerlichen und Freiheitlichen. In Graz heißt es: Alle gegen Siegfried Nagl Im Fazitgespräch dieser Ausgabe kann Bürgermeister Siegfried Nagl mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz aufwarten. Tatsächlich hat sich die steirische Landeshauptstadt in den 18 Jahren mit Nagl als Bürgermeister prächtig entwickelt. So ist Graz seit Jahren als Lebensraum so attraktiv, dass es die mit Abstand am schnellsten wachsende Großstadt Österreichs geworden ist. Die Grazer Bevölkerung ist in den letzten 20 Jahren um ein Viertel auf knapp 300.000 Menschen gewachsen. Und die Stadt hat sich auch vom Typus her stark verändert. Aus der Pensionistenstadt im Südosten wurde eine dynamische mitteleuropäische Metropole. Graz beherbergt zahlreiche Universitäten und Hochschulen. Gemeinsam mit einer innovativen Industrie existiert hier eine der größten F&E-Communitys unter allen europäischen Großstädten. Aber natürlich sind nicht nur Expats gekommen, sondern

auch Tausende südosteuropäische und arabische Armutszuwanderer. Wie überall konnten sich diese bis jetzt nur zum Teil integrieren. Und gemeinsam mit dem Bevölkerungsanstieg und der extremen Bautätigkeit führt das zu Veränderungen, die von der Grazer Opposition als Wahlkampfmunition genützt werden. Viele Grazer haben ein Problem damit, dass die Stadt in die Höhe wächst. In neuen Stadtteilen – wie etwa der Smart City hinter dem Bahnhof oder Graz Reininghaus – wittern sie Betonburgen und Satellitenstädte. Dabei ist die Smart City auf einer Industriebrache entstanden, die heute stärker bepflanzt und begrünt ist, als sie es in den letzten 100 Jahren jemals war. Viele Grazer sorgen sich um ihre Lebensqualität. Sie ärgern sich über den zunehmenden Verkehr und die vielen Baustellen. Und obwohl Nagl große Zuversicht für seine fünfte Bürgermeisterkandidatur ausstrahlt, muss die ÖVP im Wahlkampf alles tun, damit diese Stimmung das klassisch bürgerliche ÖVP-Publikum nicht erfasst. Die Gemeinderatswahl birgt für Nagl jedenfalls ein durchaus schwer abschätzbares Risiko. Die VP muss verhindern, dass der Grazer Boom für sie zum Bumerang wird Die steirische Industrie hat die Corona-Krise hinter sich gelassen und das zieht den gesamten Grazer Handel mit. Anstelle von Arbeitslosigkeit ist immer öfter vom Fachkräftemangel die Rede. Graz boomt, weil die Unternehmen brummen. Doch selbst diese wirtschaftliche Frohbotschaft wird immer öfter kritisch gesehen. Bei den ökonomisch ungebildeten Anhängern der jungen Fridays-for-Future-Generation ist jede Form von Wachstum höchst umstritten, weil sie darin zuerst einen Beitrag zur Vernichtung der globalen Lebensgrundlagen sehen und nicht erkennen können, dass es ohne Innovation und Wachstum nicht gelingen wird, die Klimakrise einzudämmen. Aber nicht nur die Wähler haben sich verändert, auch Nagl selbst hat im Bürgermeisteramt fast 20 Jahre persönliche Ent-


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