Das Heft – Ausgabe Nr. 4 (2020) – Oberflächen- und Tiefenstrukturen

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KOMMENTAR

Die (Un-)Tiefen des digitalen Lehrens und Lernens

Das Forschungsprojekt «DigiProf» untersucht Digitalisierungseffekte in mikrodidaktischen Lehr-/ Lernsituationen Von Ulla Klingovsky und Claudia Zimmerli

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ersonalisierte, adaptive Lernformen in digitalen Lehrumgebungen stehen derzeit nicht nur in der Schule als didaktische Norm hoch im Kurs. Doch halten die diskursiven Ankündigungen von differenzierenden, kompetenzorientierten, ko-konstruierenden Aufgabenstellungen in der Unterrichtspraxis das, was sie versprechen? Das aktuelle Forschungsprojekt «DigiProf» der Professur für Erwachsenen- und Weiterbildung der PH FHNW unter der Leitung von Ulla Klingovsky beschäftigt sich mit digitalen Praktiken des Lehrens und Lernens an der Hochschule. Im Zentrum steht zum einen die Analyse der Strukturbedingungen, die den digitalisierten Lehr- und Lernsituationen immanent sind. Zum anderen geht es um die Effekte und Dynamiken, die durch den Einsatz des Digitalen in Lehr-Lernsituationen erzeugt werden. Lehrhospitationen mit Dozierenden - Professor*innen, Dozent*innen und wissenschaftlichen Mitarbeitenden aus fünf verschiedenen Hochschulen der Fachhochschule Nordwestschweiz werden dafür situationsanalytisch rekonstruiert, analysiert und verdichtet. Die Auswertung der Seminarhospitationen zeigt, dass sich differenzierende respektive ko-konstruierende Lernpraktiken in digitalen Lehr- und Lernsituationen nicht «automatisch» einstellen. Erkennbar ist eine

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verstärkte Individualisierung der Lernenden, die der Herausforderung gegenüberstehen, sich sowohl selbstorganisiert als auch selbstverantwortlich in Online-Lernformaten zu bewegen. Dass sie diese Selbststeuerung eigenständig meistern können, wird weitgehend unreflektiert als Prämisse gesetzt und nicht vertieft thematisiert. Ähnliches dürfte für den Bereich der Schule gelten, wo infolge von Lockdown und der Umstellung auf digitale Lernumgebungen das «Abarbeiten» von Aufgabenkatalogen und das Lernen mittels Planarbeit - ein Konzept der 1990er-Jahre ein Revival erlebt haben. Die diskursiv vorgestellten Vorteile des digitalen Lernens lassen sich so in den Tiefendimensionen der Praxis kaum bestätigen.

ULLA KLINGOVSKY ist Leiterin der Professur für Erwachsenenbildung und am Institut Weiterbildung und Beratung der PH FHNW, CLAUDIA ZIMMERLI ist ebenda Dozentin.


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