substanz FHS St.Gallen - Nr.2/2019

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Brennpunkt – Raum

«Oft ist nur das Trottoir öffentlicher Platz»

Nina Rudnicki

E

in biodiverser Bahnhof in Egnach und ein öffentlicher Platz in Muolen statt «Copy-­ Paste-Architektur»: Lineo Devecchi und Patrick Aeschlimann vom Ostschweizer Zentrum für Gemeinden an der Fachhochschule St.Gallen analysieren, wie Gemeinden ihre Lebens- und Wohnräume weiterentwickeln können. Sie unterstützen Gemeinden, die ihr Gemeindeleben wieder auf­ blühen lassen möchten. Ein Ansatz ist, die Gemeinde als Wohnraum zu gestalten. Wie gelingt dies? Patrick Aeschlimann: Wohnen ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Die Frage ist also, wie wollen Leute heute wohnen? Darunter versteht jeder ­etwas anderes. Für die einen ist die Gemeinde dann ein attraktiver Wohn­ raum, wenn sie einen Autobahnan­ schluss hat. Andere verstehen unter Wohnraum viel Grünfläche oder die Nähe zu Wald und Natur. Dann gibt es Gemeinden mit, und Gemeinden ohne historischen Ortskern. Manche Leute wollen ein belebtes Zentrum, anderen ist dies schlicht nicht wichtig.

Braucht es einen Ortskern, damit eine Gemeinde zum Wohn­ raum werden kann?

Lineo Devecchi: Sagen wir es so: Das Dorfleben ist der zentrale Bestandteil eines Wohnraums. Und der Ortskern steht für das Dorfleben. Verschwin­ den Läden, Vereine, Cafés und an­ dere Treffpunkte aus dem Zentrum, sterben auch die Ortskerne. Die Ver­ ödung der Ortskerne ist aktuell ein riesiges Thema in den Gemeinden. Hier hilft paradoxerweise die unge­ liebte Verdichtungsdiskussion: Eine verdichtete Bauweise mit Raum für kleine Angebote wie Treffpunkte und Quartiercafés würde helfen, den Orts­ kern wiederzubeleben.

Gibt es Ostschweizer Gemeinden, denen es gelungen ist, den Orts­ kern wiederzubeleben und Wohn­ raum zu schaffen? Aeschlimann: Ja, als Erstes fällt mir Muolen ein. Dort war auf dem Areal des ehemaligen Restaurants Rössli eine riesige Überbauung geplant. Vorgesehen waren ursprünglich 50 Wohnungen im Stil der sogenann­ ten «Copy-­ Paste-Architektur», also gesichtslose Bauten, die überall ste­ hen könnten. Das gefiel aber der Ge­ meinde nicht. Sie intervenierte und in der gemeinsamen Diskussion mit den Investoren wurden nun fünf Gebäude mit insgesamt 23 Wohnungen gebaut. Ausserdem wurde Rücksicht auf die Umgebung genommen: Die neuen Wohnhäuser passen gut ins Ortsbild und fallen nicht als ­Neubauten auf.

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Zudem gibt es im Erdgeschoss einen Bäcker samt Café. Wichtigstes Ele­ ment ist aber der Rössliplatz, der als öffentlicher Raum für die Bevölke­ rung bestehen geblieben ist. Devecchi: Das Beispiel M ­ uolen zeigt, wie wichtig es ist, dass Gemeinden Wohnraum aktiv mitgestalten. Wich­ tiger Bestandteil solcher Prozesse ist, dass Gemeinden die Bevölke­rung ak­ tiv in die Planung miteinbe­ziehen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Eine Gemeinde ist dann ein guter Wohnraum, wenn es al­ ternative Wohnformen und öf­ fentliche Plätze gibt und die Be­ völkerung miteinbezogen wird? Devecchi: Ja, das sind die Vorausset­ zungen. Wobei in vielen kleinen Ge­ meinden der öffentliche Platz nur das Trottoir ist. Dank der Miteinbeziehung ist Muolen mit dem Rössliplatz eine Alternative gelungen. Für kreative Lö­ sungen braucht es die Ideen und das Engagement der Bevölkerung. Partizi­ pationsprozesse bringen hierfür rele­ vante Diskussionen in Gang.

Wie sollen Gemeinden mit ihren Bewohnerinnen und Bewohnern kommunizieren? Aeschlimann: Die Kommunikation ist bei den Gemeinden derzeit ein grosses Thema. Es gibt ­immer weni­ ger Lokaljournalistinnen und Lokal­ journalisten, die über das ­Dorfleben


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