substanz FHS St.Gallen - Nr.2/2019

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Brennpunkt – Raum

Von der «Wühlkiste»

bis zum Szeneclub Lea Müller

L

eere Jugendzentren sind für die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Gemeinden oft ein Schreckgespenst. Dabei ist es ganz normal, dass die Jugendlichen irgendwann fernbleiben und sich ein Generationenwechsel vollzieht, sagen Forscherinnen der FHS St.Gallen. Entscheidend sei, dass Jugendliche sich ihre Räume immer wieder aufs Neue aneignen können. Eine Baracke in einem Industriequar­ tier. Sie steht am Anfang der Erfolgs­ geschichte eines Jugendzentrums in einer Schweizer Grossstadt. Skatende Jugendliche machen den Ort zu ih­ rem Treffpunkt. Die Jugendarbei­ terinnen und Jugendarbeiter stellen sich auf die Skater ein und bauen ge­ meinsam mit ihnen ein Jugendzent­ rum auf. Das Zentrum ist belebt, wird von vielen Jugendlichen besucht, und es finden zahlreiche partizipative Pro­ jekte statt. Nach Jahren des Booms folgt die Flaute: Es kommen immer weniger Jugendliche ins Zentrum und die Offene Kinder- und Jugendarbeit sieht sich mit einem grundlegenden Nachwuchsproblem konfrontiert. Viele Jugendzentren kennen diese Krise: Ein Angebot funktioniert gut,

doch plötzlich kommen keine Jugend­ lichen mehr. Die offene Kinder- und Jugendarbeit gerät dann zunehmend unter Legitimationsdruck.

Schweizweite Studie «Das Konzept des Jugendtreffs wird in der Öffentlichkeit immer wieder angezweifelt», sagt Bettina Brüschweiler, die mit ihren Kolle­ ­ ginnen ­ Ulrike ­ Hüllemann und Jo­ hanna ­Brandstetter im Schwerpunkt «Aufwachsen und Bildung» des Ins­ tituts für Soziale Arbeit und Räume IFSAR-FHS forscht. Dabei sei die «vermeintliche» Krise der plötzlich leeren Jugendhäuser eine ganz nor­ male Entwicklung: «Jugendliche eig­ nen sich Räume an und verbringen dort eine gewisse Zeit – bis diese die Bedeutung für sie verlieren und sie sich neuen Orten zuwenden.» Dann biete sich die Möglichkeit für eine neue Generation Jugendlicher, das Zentrum zu dem ihren zu machen. Der Generationenwechsel sei für

viele Jugendzentren in der Schweiz eine Herausforderung, sagt Ulrike Hüllemann. «Im Kern stellt sich den Jugendarbeitenden die Frage, wie sie einen Ort schaffen und gestalten kön­ nen, den sich die Jugendlichen immer wieder aufs Neue aneignen wollen.» Dazu hat das IFSAR-FHS von 2014 bis 2017 eine ethnografische Studie in der Offenen Kinder- und Jugend­ arbeit in der Schweiz durchgeführt.

Klare und unklare Räume Sechs Fallbeispiele illustrieren un­ terschiedliche Varianten der Orts­ gestaltung. Da ist zum Beispiel die «Wühlkiste», ein Treff, wo die Jugend­ arbeitenden bewusst keine konkreten Angebote für Jugendliche schaffen. Vielmehr stellen sie ein Sammelsu­ rium an Gegenständen und Themen bereit. Die räumliche Gestaltung ist bewusst nicht eindeutig. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das «Dienstleistungszentrum» durch eine klare räumliche Gestaltung aus. ­Jedes

«IM KERN STELLT SICH DIE FRAGE, WIE WIR EINEN ORT SCHAFFEN UND GESTALTEN KÖN­NEN, DEN SICH JUGENDLICHE ANEIGNEN WOLLEN.»

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