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Nachhaltigkeit: Eine Aufgabe von Generationen für Generationen

Eine Aufgabe von Generationen für Generationen

Hintergrund ► Dass sich das Klima im Laufe der Erdgeschichte immer wieder verändert hat und es auch früher, z.B. zum Ende der Kreidezeit, zu einer deutlichen Erderwärmung kam, ist eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Niemand kann das persönlich bezeugen, aber wir können es heute mit modernster Technik messen. Genauso können wir heute messen, welchen Einfluss der Mensch alleine im vergangenen Jahrhundert auf das Klima gehabt hat, wie seine Lebensweise und sein Konsumverhalten es verändert haben.

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Michael Schotten

Den Klimawandel können wir erleben, wenn wir in Hitzesommern an vertrockneten Feldern oder halbleeren Stauseen vorbeifahren oder die Trümmer von Starkregenereignissen, Stürmen und Überschwemmungen wegräumen, die es früher in unseren Breitengraden, jedenfalls in dieser Häufigkeit und Intensität, nicht gab. Landwirte und Erzeuger erleben es, wenn sie in nicht gekanntem Maße mit Hitze und Dürre, dann wieder mit Kälte, extremen Niederschlägen und Hagel konfrontiert sind. Dies immer häufiger zu Saisonzeitpunkten, die über die Arbeit eines ganzen Jahres entscheiden. Aber nicht nur das Klima in der Natur hat sich gewandelt, sondern auch das in der Gesellschaft. Eine Greta Thunberg hat mit ihrem ikonischen „How dare you?“ alle wachgerüttelt, die vielleicht noch schliefen. Mutig und frech, nachhaltig im Sinne kommender Generationen, wenngleich keineswegs unumstritten. Dabei hätte man längst wach sein sollen – schon vor 50 Jahren hat der ‚Club of Rome‘ seine richtungsweisende Studie ‚The Limits to Growth

Foto: Miha Creative - AdobeStock

Um die Nahrungsmittelproduktion langfristig nachhaltiger zu gestalten, wird an der stärkeren Konzentration auf pflanzliche Produkte kein Weg vorbeiführen.

– Die Grenzen des Wachstums‘ veröffentlicht. Was damals eher nach Science Fiction klang, wurde von der Zukunft längst eingeholt. Kürzlich hat der berühmte Thinktank den Bericht ‚Earth for all‘ nachgelegt. Er trägt den Untertitel „Ein Survivalguide für unseren Planeten“. Das hört sich deutlich dramatischer an als damals, aber der Bericht macht Hoffnung. Uns kann die Kehrtwende glücken, aber wir müssen handeln. Schnell und konsequent. Eine der fünf zentralen Forderungen im ‚Club of Rome‘-Report lautet: Uns muss der Aufbau eines für Mensch und Umwelt „nachhaltigen und gesunden“ Nahrungsmittelsystems gelingen. Dies möchte auch die EU mit ihrem ‚Green Deal‘ erreichen, aber die Umsetzung dieses ‚grünen‘ Masterplans für die Landwirtschaft wird durch die globale Multikrise und die dadurch extrem gestiege-

nen Kosten auf allen Stufen der Wertschöpfungskette gerade erheblich erschwert. Dass wir ‚einen Weg nach Rom‘ finden müssen, steht außer Frage. Aber wie wir letzten Endes dorthin gelangen, ist keineswegs sicher. Dass Lebensmittelverschwendung bekämpft werden muss, um den Nahrungsmittelsektor nachhaltiger zu machen, liegt auf der Hand. Jedes weggeworfene Lebensmittel ist eines, dass zu viel produziert wurde und an anderer Stelle dringend benötigt wird. Der Handel mit frischen Produkten, vor allem solchen mit Kühlbedarf, steht in Zeiten teurer und knapper Energie diesbezüglich vor besonders großen Herausforderungen. Aber auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern muss klar sein, welche Folgen ihre Konsumgewohnheiten haben. Laut Daten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sind im Rahmen einer ‚Farm-to-Fork‘-Betrachtung zwischen 21 % und 37 % der weltweiten Treibhausgasemissionen auf unsere Ernährung zurückzuführen. Verhaltensänderungen beim Einkauf und Konsum sind folglich ebenso vonnöten wie die Vermeidung von Verderb in der Supply Chain.

Weniger tierische, mehr pflanzliche Produkte?

Apropos Ernährung. Konsens unter Nahrungsmittelexperten ist, dass tierische Lebensmittel im Durchschnitt deutlich klimaschädlicher sind als pflanzliche, etwa Obst und Gemüse oder Hülsenfrüchte. Ganz oben auf der Liste der klimaschädlichsten Lebensmittel steht nicht von ungefähr regelmäßig Rindfleisch. So auch in der Studie ‚Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland‘, die das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Jahr 2020 durchgeführt hat. Bei den CO2-Fußabdrücken wurden alle Treibhausgasemissionen berücksichtigt, darunter neben Kohlenstoffdioxid (CO2) auch Methan (CH4) und Lachgas (N2O), und mittels Umrechnungsfaktoren auf CO2-Äquivalente pro Kilogramm in Deutschland gekaufter Lebensmittel bezogen. Ferner wurden die landwirtschaftliche Produktion inkl. aller vorgelagerten Prozesse wie z.B. Düngemittelproduktion, Lebensmittelverarbeitung, die Verpackung samt Entsorgung sowie die Distribution berücksichtigt. Mit einem durchschnittlichen CO2-Äquivalent pro Kilogramm von 13,6 schnitt Rindfleisch im Ranking am schlechtesten ab. Ähnlich schlechte Durchschnittswerte erzielten Wildfleisch (11,5), Butter (9,0) sowie Käse (5,7) und Schweinefleisch (4,6). Die Bilanz für frisches Obst und Gemüse fällt in den allermeisten Fällen wesentlich besser aus. So weisen Äpfel und Birnen durchschnittlich ein CO2-Äquivalent pro Kilogramm von 0,3 auf. Äpfel, die aus Neuseeland importiert werden, haben einen Wert von 0,8. Weitere Beispiele sind Ananas (per Schiff: 0,6), Bananen (0,6) und Avocados, die ebenfalls einen CO2-Fußabdruck von durchschnittlich 0,6 haben. Für peruanische Avocados wurde ein Wert von 0,8 ermittelt.

Auf europäischer Ebene möchte der O+G-Dachverband Freshfel die Standards mehr vereinheitlichen und praxisnäher gestalten.

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‚Schwarze Schafe‘ gibt es auch bei Obst und Gemüse

Bei Gemüse und Salat ist es ähnlich: Hier haben Produkte wie Karotten (0,1), Brokkoli (0,3), Paprika (0,6), Grünkohl (0,3) oder Feldsalat (0,3) im Vergleich zu tierischen Erzeugnissen erheblich geringere CO2-Fußabdrücke. Allerdings gibt es auch bei Obst und Gemüse ‚schwarze Schafe‘. So

weisen alle weiterverarbeiteten oder gefrorenen Erzeugnisse naturgemäß einen höheren CO2-Fußabdruck auf. Die klassische Flug-Ananas wird ihrem schlechten Ruf mit einem Wert von 15,1 vollauf gerecht. Aber auch ‚Wintererdbeeren‘ (3,4) und ‚Wintertomaten (2,9), beides Produkte, die ansonsten in ihrer Saison mit Werten von 0,3 und 0,8 nicht aus dem Rahmen fallen, schneiden nicht sonderlich gut ab. Lebenszyklusanalysen (Life Cycle Assessment) sind noch aussagekräftiger da sie auch Faktoren wie Landnutzung und Wasserverbrauch miteinbeziehen. Schaut man sich zusätzlich den Wasserverbrauch an, dann fällt auch hier der große Unterschied zu tierischen Produkten ins Auge. Laut dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft benötigt man nämlich für die Erzeugung eines Kilogramms Kartoffeln im Durchschnitt rund 290 Liter Wasser. Für ein Kilogramm Rindfleisch wird hingegen die 50-fache Menge benötigt, mehr als 15.400 Liter Wasser. Und für ein Kilogramm Schweinefleisch muss im Vergleich zu Tomaten die 30-fache Menge an Wasser aufgewendet werden.

Was die Konsumenten wollen

Selbst wenn die Klimabilanz bei einigen Obst- und Gemüseprodukten – je nach Transportart- und Distanz und je nach Verarbeitungsgrad und Lagerungsaufwand – höher ausfallen kann, so ist die Differenz zu tierischen Produkten evident. Die EAT-Lancet-Kommission für eine ‚Planetary Health Diet‘ kommt nicht von ungefähr zu dem Schluss, dass eine vorrangig auf Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft basierende Ernährung einer solchen mit einem hohen tierischen Anteil vorzuziehen ist. Gemäß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt diese universelle Referenzkost einen Rahmen vor, „um die zukünftige Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde mit einer gesundheitsfördernden Ernährung zu versorgen.“ Auch im Verbraucherverhalten spiegelt sich der Trend zu pflanzlichen Produkten wider. Der Fleischkonsum ist in Deutschland laut BLE von 62,8 kg pro Kopf im Jahr 2011 um

Foto: Sinuswelle_AdobeStock

Nachhaltigkeit pro Geschmack

Das Mikroklima von Holz schützt Qualität und Geschmack

12 % auf 55 kg pro Kopf im vergangenen Jahr gesunken. Jedoch haben davon vor allem Fleischersatzprodukte profitieren können, obwohl die Klimabilanz auch hier praktisch durchweg schlechter ausfällt als bei Obst und Gemüse. Dass unsere Branche hiervon nicht stärker profitieren kann, liegt neben den Verbraucherpräferenzen, die bekanntlich nur schwer zu ändern sind, eben auch an der Kraft der Industriemarken. Und wohl auch an den deutlich kleineren Marketingbudgets, die unserer Branche zur Verfügung stehen.

Vereinheitlichung von Standards

Aus Sicht der nationalen und internationalen Obst- und Gemüselieferanten, von denen viele durch die bereits genannte Multikrise vor immensen Herausforderungen stehen, sind vor allem die Fülle und Heterogenität an Standards und die damit verbundenen Kosten ein Grund zur Sorge. Eine Studie des Deutschen Fruchthandelsverbandes (DFHV) hatte bereits vor einigen

Jahren ergeben, dass Zusatzkosten z.B. für regionale Zertifikate oder Siegel, aber auch für viele andere Anforderungen, nicht durch höhere Verkaufspreise im Markt ausgeglichen werden. Mehrwert – so das Fazit damals – ist keineswegs mehr wert. Daran dürfte sich in der aktuellen Situation ganz sicher wenig geändert haben. Das Anforderungsprofil des Lebensmitteleinzelhandels ist bei Nachhaltigkeitsthemen ähnlich heterogen wie dies auch in anderen Bereichen der Fall ist. Das jedes Lebensmitteleinzelhandels-Unternehmen hier unterschiedliche Schwerpunkte setzt, ist nicht zuletzt einer fehlenden einheitlichen Regelung und Vorgehensweise geschuldet. Man muss abwarten, wie sich dies in Zukunft weiterentwickeln wird (lesen Sie dazu den nachstehenden Kasten). Letztlich wird dabei wieder einmal die Schnittstelle zwischen Lebensmitteleinzelhandel und Endverbrauchern entscheidend sein. Fest steht aber schon jetzt: Nachhaltigkeit, das ist eine Aufgabe von Generationen für Generationen. 

Wird der Mehrwert auch durch höhere Verkaufspreise im Markt honoriert?

FRESHFEL EUROPE

Standardisierung auf europäischer Ebene angestrebt

Um den steigenden Bedarf an einer standardisierten Methode für den ökologischen Fußabdruck in der Obst- und Gemüsebranche zu bedienen, hat der Europäische Dachverband Freshfel im Frühjahr die ‚Environmental Footprint Initiative‘ lanciert. Die Initiative hat zum Ziel, eine einheitliche Methodik, eine gemeinsame Datenbank und ein digitales Tool für den Fußabdruck bei frischem Obst und Gemüse zu entwickeln, wovon der gesamte Sektor profitieren kann. „Da Freshfel Europe die gesamte Lieferkette vom Erzeuger bis zum Einzelhandel abdeckt, ist der Verband auch bestens geeignet, als Plattform für die Initiative zu dienen. Mehr als je zuvor werden sowohl die Methodik als auch das digitale Tool vom Frischobst- und Gemüsesektor dringend benötigt. Die Nachfrage von Gesetzgebern, B2B- und B2C-Unternehmen nach transparenten und hochpräzisen Daten zur Produktnachhaltigkeit steigt und der Sektor darf nicht ins Hintertreffen geraten, wenn er in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig bleiben will“, erklärte Nicola Pisano, Direktorin für Nachhaltigkeit und Gesundheit bei Freshfel Europe. An der Initiative beteiligt sind Ailimpo, ANPP, Apeel Sciences, Assomela, Bama Gruppen, Bayer AG, BVEO, COLEACP, Dole plc, Greenyard, Fresh Produce Centre, IG International, Interfel und VBT.

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