3 minute read

ATB: Den Sonnenbrand vorausberechnen

Den Sonnenbrand vorausberechnen

ATB | Potsdam ► Der Klimawandel bringt nicht nur die erschreckenden Katastrophen, sondern auch die leise Dramatik. Zum Beispiel wenn die Sonne erbarmungslos auf heranreifende Früchte brennt und sie damit unverkaufbar macht. Am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) in Potsdam läuft bis zum Jahr 2023 die Studie Sheet, die Sonnenbrand- und Hitzevorhersagen zur Entwicklung einer Warn-TechLösung treffen will.

Advertisement

Marlis Heinz

Sheet ist eine von mehreren Studien, die auf dem Fieldlab for Digital Agriculture im Potsdamer Ortsteil Marquardt laufen. Die Anlage ermöglicht Wissenschaftlern des ATB, auf über 20 ha mit verschiedenen Kulturen digitale Anwendungen im Pflanzenbau zu erproben und zu demonstrieren. Alle Versuchsflächen sind hochauflösend kartiert. Für spezielle Versuche ist die Station mit Sensorik ausgestattet, die die Entwicklung von Modellen, Technologien und Anbausystemen ermöglicht.

Ein bisschen erinnert die Konstruktion an eine Gondelbahn: die 90 Meter Schiene als langgestrecktes Oval, daran hängend drehen verschiedene Messgeräte ihre etwa zwanzigminütigen Runden. Im Zentrum dieses Ovals, das offiziell Kreisförderanlage heißt, wächst eine der Baumreihen einer weitaus größeren Apfelanlage. Von diesen beständig umrundeten Pflanzen werden über Wochen Daten aufgenommen, welche die per Wetterstation gemessene Sonneneinstrahlung mit dem Zustand der Bäume und der an ihnen heranwachsenden Früchte in Beziehung setzt.

Gemeinschaftsprojekt für viele Kulturen

Sheet ist ein internationales Gemeinschaftsprojekt: Koordiniert wird es durch Dr. Manuela Zude-Sasse, Leiterin der Arbeitsgruppe Präzisionsgartenbau am ATB. Weitere Partner sind die Universita‘ degli Studi di Bologna, die Hungarian University of Agriculture and Life Sciences, die Softwarefirma macio GmbH in Kiel sowie die Obstbaugruppe HK Horticultural Knowledge srl. Projektträger ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. „Der Anstieg der globalen Strahlung und der Temperaturen im Zuge des Klimawandels ist längst belegt“, so Dr. Manuela Zude-Sasse. „Auch die daraus resultierenden

Mithilfe der Kreisförderanlage ist Temperaturverteilung auf segmentierten Äpfeln, die Fruit surface temperature (FST), darstellbar.

Auswirkungen auf die Qualität und Lagerfähigkeit der Früchte – bis hin zum Totalausfall – sind nicht mehr zu negieren. Die Früchte wiederum, hier rede ich nicht nur von Äpfeln, sondern auch von Citrusfrüchten, Tomaten, Trauben und vielem mehr, vermögen sich diesen extremen Bedingungen nicht anzupassen.“ Während sie am Anfang der Reifezeit die stärkere Sonneneinstrahlung aufgrund der Transpiration oft noch verkraften, wird es zu deren Ende hin problematisch. In der Folge kommt es

Christian Regen, Versuchsingenieur der ATB-Anlagen in Marquardt, ist damit beschäftigt, die Abläufe in den Bäumen in Echtzeit auf die Bildschirme der Wissenschaftler zu übertragen.

zunehmend zu Qualitätsminderungen entlang der Wertschöpfungskette und zu Lebensmittelverlusten.

Warn-App zur Gegenwehr

„Unser Ziel ist es nun, den Prototyp einer Warn-App zur Verfügung zu stellen, die es den Erzeugern ermöglicht, die – zugegebenermaßen noch begrenzten – Möglichkeiten der Temperaturreduzierung in ihren Anlagen zu aktivieren. Ich denke da beispielsweise an das Versprühen von Kaolin, also weißer Tonerde, zur intensiveren Reflektion der Sonnenstrahlung, abschirmende Netze oder die Temperatursenkung durch Verdunstungskühle per Sprinkleranlage. Diese physikalischen Schutzmaßnahmen, die größtenteils auf Abschirmeffekten beruhen, haben Einfluss auf die Wärmeverteilung in den Baumkronen und die Reaktion der Pflanzen unter verschiedenen Klimabedingungen. Auch die unterschiedlichen Erziehungssysteme der Gehölze tragen deutlich zu Temperaturunterschieden in der Krone bei.“ Da die Schäden in den Anlagen zumeist nicht an jedem einzelnen Baum gleichermaßen auftreten, wollen die Wissenschaftler auch die Daten hinter der Warn-App möglichst präzise und differenziert erarbeiten. „Hierzu benötigen wir den Kreisförderer, der automatisiert und räumlich aufgelöst während der Hitzewellen Daten erhebt. Es geht nicht darum, die Anlagen nach dem Gießkannen-Prinzip zu schützen, sondern jene Segmente, die besonders gefährdet sind.“ Selbst die frühe Berechnung zu erwartender Schäden könne, beispielsweise durch die rechtzeitige Umlenkung von Tafel- zu Industrieobst, Lebensmittelverluste reduzieren. Veränderte, dem aktuellen Zustand des Ernteguts entsprechende Technologien wie beispielsweise Ernteroboter, wirken sich zudem auf die Höhe der Lohnkosten aus und können diese Umlenkung wirtschaftlich möglich machen.

Dr. Manuela Zude-Sasse, Leiterin der Arbeitsgruppe Präzisionsgartenbau am ATB, koordiniert das internationale Gemeinschaftsprojekt „Sheet“. Projektträger ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Immer häufiger passiert es, dass Äpfel und andere Früchte die extreme Sonneneinstrahlung nicht verkraften und es zu erheblichen Ausfällen beim vermarktbaren Obst kommt.

Fernerkundung und Labortests

Die derzeit laufende Studie basiert auf Abbildungen der Temperaturverteilung auf Äpfeln der ATB-Anlage, sowie an anderen Standorten auch Süßkirschen und Trauben. Dazu werden mittels Lichtdetektion und Entfernungsmessung (LiDAR) in die Tiefe der Obstbäume bis zur einzelnen Frucht reichende 3-D-Abbildungen erstellt. Weitere Messmethoden umfassen Photogrammetrie einschließlich Tiefeninformation (RGB-D), Wärmebilder sowie Wetterstations- und Mikroklimasensoren. Im Labor werden die so ermittelten Daten mit dem Zustand der Früchte verbunden. Ein Apfel mit – möglicherweise noch nicht sichtbaren – Verbrennungen darf also seine Zeit am Baum „beklagen“. Ergänzt wird das alles um Fakten zum Baumkronenaufbau und zu physikalischen Schutzmaßnahmen. 

This article is from: